Wie Magic: The Gathering den Transmedia-Code knackte

Diesen Talk durfte ich auf der re:publica 2019 halten, die das Motto “tl; dr” hatte. Dies sind meine Vortragsnotizen. Das gesprochene Wort im Video weicht leicht davon ab. Meine Präsentation ist ebenfalls online. Auf der Seite der re:publica kann man den Programmtext lesen.

Ich möchte mit einer Frage beginnen. Kennt jemand diesen freundlichen jungen Mann? Das ist der Italiener Andrea Mengucci.

Andrea spielt professionell das Kartenspiel “Magic: The Gathering”, hat im März das erste große “Mythic Invitational”-Turnier gewonnen und ein Preisgeld von 250,000 Dollar eingesackt – zusätzlich zu den 75,000 Dollar Jahresgehalt, die er als Spieler der “Magic Pro League” erhält.

Und wie sieht’s mit dieser sympathischen Figur aus?

Das bin ich, im Jahr 1997. Und damals war ich wahrscheinlich ähnlich besessen von Magic wie Andrea heute.

Dieses Spiel – Magic: The Gathering – ist wirklich schon so alt, dass es Andrea und mich verbindet.

Es wurde 1993 von dem Mathematiker Richard Garfield erfunden, der diese Idee hatte, dass ein Spiel “bigger than the box” sein könnte. Magic ist eben nicht nur ein Kartenspiel, es ist ein Sammelkartenspiel.

Man kauft die Karten in zufällig sortierten Packungen und konstruiert sich aus den Karten, die man erhält, sein eigenes Kartenspiel, mit dem man gegen andere antritt, die das gleiche getan haben.

Ein Vorteil dieses Systems ist, dass man das Spiel stetig erweitern kann. In den jetzt 26 Jahren, die es besteht, sind für Magic 81 reguläre Erweiterungen erschienen, plus dutzende weitere Sets und Editionen, im Moment erscheinen rund vier reguläre neue Erweiterungen pro Jahr, die jüngste, “War of the Spark”, an diesem Wochenende.

Es gibt über 20.000 unterschiedliche Karten inzwischen

Inzwischen ist Magic auch ein recht beliebter E-Sport. Andrea Mengucci und seine Kollegen spielen einen großen Teil seiner Spiele auf der Plattform “Magic Arena”. Das Spiel hat viele Fans weltweit, 2015 waren es wohl etwa 20 Millionen, aber ein Mainstream-Phänomen ist es trotzdem nicht – es bleibt ein nischiges Nerdhobby.

Ich habe Magic nach dem Abi 2001 für lange Zeit ziemlich aus den Augen verloren, aber vor zwei Jahren habe ich ein neues Hobby gesucht – und obwohl ich erst zaghaft wieder angefangen habe, hat das Spiel sehr schnell einen Sog entwickelt und jetzt ist es schon wieder kein Hobby mehr, denn ich stehe ja hier und halte einen Vortrag darüber.

Was mich nämlich als Medienwissenschaftler und Kommunikationsmensch überrascht hat, als ich wieder angefangen habe, und mich eingelesen hatte ist, wie gut Magic in Transmedia Storytelling geworden ist.

Der Begriff ist relativ selbsterklärend, aber hier noch mal die Definition von seinem größten Propheten Henry Jenkins:

“Transmedia storytelling bezeichnet einen Prozess, in dem integrale Elemente einer Fiktion systematisch über mehrere Ausspielkanäle verteilt werden, mit dem Ziel, ein einheitliches und abgestimmtes Unterhaltungserlebnis zu erschaffen. Idealerweise trägt dabei jedes Medium etwas Einzigartiges zur Entfaltung der Geschichte bei.”

Henry Jenkins

Das ist sozusagen eine Idealdefinition, relativ eng gefasst. Jenkins hat sie selbst mehrfach aufgebrochen und sieht sie keinesfalls als dogmatisch.

Prominenteste Beispiele für Transmedia Storytelling finden sich heute vermutlich in den großen Fantastik-Franchises wie dem Marvel Cinematic Universe, das über Kinofilme, Fernsehserien und Comics hinweg erzählt wird oder Star Wars – dort gibt es Kinofilme, Comics, Romane und Videospiele.

Transmedia Storytelling galt mal eine Weile so als der Heilige Gral modernen Geschichtenerzählens, weil es wirklich cool ist, wenn es funktioniert, aber in seiner puren Form auch wirklich schwierig gut zu machen ist.

Ich will also, dass über mehrere Medien hinweg eine Geschichte erzählt wird. Das heißt auch: Ich will diejenigen belohnen, die sich die Mühe machen, alle Teile dieser Geschichte über die verschiedenen Medien hinweg zu verfolgen. Die sollen einen Mehrwert davon haben, ein umfassenderes Bild, vielleicht einen Blick auf die Dinge, der anderen fehlt.

Aber ich will auch diejenigen mitnehmen, die sagen TL; DR – ich habe keine Lust, eine Geschichte über mehrere verschiedene Formate hinweg zu verfolgen und zum Beispiel das Ende nur zu erfahren, wenn ich nach meinem Kinobesuch noch ein Buch lese. Die sind nämlich das Gros, und die bringen im Zweifelsfall auch das Geld.

Am besten sollte es auch noch egal sein, wo ich anfange. Also es sollte keine festgelegte Reihenfolge geben, in der ich die Medien konsumieren MUSS und wenn ich als weniger investierter Konsument anfange, sollte ich die Möglichkeit haben später nachzurüsten sozusagen. Jenkins spricht von “rabbit holes”, von Kaninchenlöchern, die überall verteilt sind und wo man halt gucken kann, wie tief man hineinkriecht.

Und trotz all dieser Einschränkungen, sollte eben trotzdem ein einheitliches Bild entstehen, keine Widersprüche usw. – nicht zu viel Wildwuchs.

Wie schwierig das ist, kann ich mal kurz an den beiden Beispielen zeigen, die ich eben genannt habe. Im Marvel Cinematic Universe war die Serie Agents of S.H.I.E.L.D. anfangs relativ eng an die Kontinuität der Kinofilme angedockt.

Als in Captain America: Winter Soldier plötzlich enthüllt wird (SPOILER), das SHIELD von der bösen Organisation HYDRA unterwandert worden ist, war es tatsächlich so, dass zur gleichen Zeit als der Film ins Kino kam, die gleiche Plotwendung auch in der Serie ausgefochten wurde.

Das war aber sozusagen plotlogistisch gleichzeitig so komplex und anscheinend im Payoff trotzdem irgendwie nicht krass genug, dass es das letzte Mal war, dass die beiden Medien so eng zusammenarbeiten. Inzwischen existieren die Marvel-Kinofilme und die Marvel-Serien zwar immer noch nominell im gleichen Universum, was man vor allem daran sieht, dass gelegentlich Charaktere aus dem einen im anderen auftauchen, aber davon abgesehen erzählen sie eigentlich separate Geschichten.

Bei Star Wars ist es noch krasser. Hier wurde über drei Jahrzehnte ein sogenanntes “Expanded Universe” aus hunderten Büchern und Comics aufgebaut, in denen sich diverse Autoren über sehr lange fiktive Zeiträume auch austobten, aber als die neuen Kinofilme vor ein paar Jahren in den Startlöchern standen, entschied man sich bei der Produktionsfirma Lucasfilm, alles bisher Erschienene mit Ausnahme der Filme aus dem Kanon zu streichen und zu “Legenden” zu machen. Es wäre einfach zu komplex gewesen, und hätte den neuen Filmen keinen Raum mehr zum Atmen gelassen.

Dafür ist Star Wars jetzt aber ebenfalls ein ziemlicher Transmedia-König – die verschiedenen TV-Serien, Comics, Romane und natürlich die Filme sind eng aneinander angebunden und bieten eigentlich genau das, was Jenkins definiert.

Star Wars brauchte dafür aber diese Tabula Rasa, als 2015 die neuen Filme kamen. Magic hingegen, beziehungsweise das Unternehmen Wizards of the Coast, das das Spiel herstellt, hat über 25 Jahre immer wieder aufs Neue probiert, sein Transmedia Storytelling auf die Reihe zu kriegen.

Mark Rosewater, der seit vielen Jahren der Head Designer von Magic ist, betont immer wieder, wie wichtig Iteration für den Designprozess ist. Und das finde ich das Faszinierende daran. Wir können uns heute im Rückblick diesen iterativen Prozess anschauen und nachvollziehen, was sie versucht haben, wo sie gescheitert sind und was sie gelernt haben – bis sie heute, wie ich finde, an einem Punkt angekommen sind, wo es wirklich gut funktioniert.

Fangen wir mal damit an, wie man bei einem Kartenspiel überhaupt dazu kommt, eine Geschichte zu erzählen.

Als Magic entstand, hatte es eigentlich gar keine Geschichte, es hatte nur diese Spielidee von sich duellierenden Magiern, was aber ja eigentlich auch nur ein stimmungsvoller Anstrich für ein Regelkonzept ist. Aber es war auch nicht total generisch.

Also wenn wir uns eine typische Karte aus der Zeit anschauen – die hätte ja auch einfach nur “Elves” heißen können, aber es sind eben Llanowar Elves, offenbar eine sehr kriegerische Elfenart, das zeigt auch das Bild und dieser sogenannte “Flavor Text” in kursiv, der keine Regelbedeutung hat.

Solche Andeutungen von einer größeren Welt hinter den Karten gab es auf vielen Karten und irgendwann hat sich dann auch mal jemand hingesetzt und diese Andeutungen zu einer Welt und auch einer groben Geschichte zusammengesetzt.

Also es gab die Karten “Ankh of Mishra” und “Glasses of Urza”.

Und als die Erweiterung “Antiquities” designt wurde, entschieden die Designer das Urza und Mishra Brüder waren, die gegeneinander Krieg führten – und deuteten das dann wiederum im Flavor Text an.

Gleichzeitig hatte Magic, dieses neue Spielprinzip, aber auch kurzzeitig so etwas wie Mainstream-Erfolg und Wizards lizensierte die Magic-Marke an Verlage, die Bücher und Comics herausgaben. Die Autoren dachten sich aber wiederum eigene Geschichten aus, die höchstens mal einzelne Karten referenzierten. Ein Buch über den Krieg zwischen Urza und Mishra gab es zum Beispiel nicht.

Also: Transmedia Storytelling, Fehlanzeige

Die zweite Iteration beginnt Ende der 90er. Hier wurde parallel zum Set “Visions” eine Reihe von Charakteren eingeführt, die Besatzung eines fliegenden Schiffs namens “Weatherlight”, das fortan Abenteuer in Magics Multiversum erleben sollte.

Gleichzeitig wurde die Buchproduktion von Wizards of the Coast ins Haus zurückgeholt, und ab 1999 erschienen die Romane – geschrieben von freien Autoren – begleitend zu den Sets. Zum Teil sogar nachträglich – und es gab endlich einen Roman zum “Brother’s War”.

Allerdings waren die Produktionszyklen von Romanen und Karten so unterschiedlich und weiterhin so wenig aufeinander abgestimmt, dass sich irgendwie kein einheitliches Gefühl einstellen wollte.

Der damalige Kreativchef Brady Dommermuth fasste das mal so zusammen:

“Allgemein liefern die Karten die Welt, in der die Romane spielen, und die Romane liefern manchmal Charaktere, die auf Karten zu sehen sind. Aber Karten führen auch eigene Charaktere ein, die nicht in den Romanen auftauchen. Kurz gesagt arbeiten das Magic Kreativteam und die Romanautor*innen größtenteils parallel und informieren einander so viel wie möglich.”

“Wir informieren uns so gut es geht.” Klingt von einem Transmedia-Standpunkt eher nach “Er hat sich stets bemüht.” Und so sind wohl auch die meisten Romane aus dieser Zeit. Für Fans, die sich wirklich für die Geschichte interessieren, ist die Tatsache, dass das irgendwie nicht zusammen passt, ein endloser Grund für Frust.

Für die anderen ist es aber auch nicht besser: Die Charaktere tauchten ständig auf den Karten, in Bildern und Flavor Text auf, aber da man ja diese Karten zufällig bekommt und nicht in irgendeiner Art chronologisch spielt, muss man schon sehr stark auf die Suche gehen, um irgendwie einen Eindruck davon zu bekommen, was die Geschichte sein soll, die hier erzählt wird.

Dieses Parallelsystem war trotzdem ziemlich lange der Status Quo. Irgendwann aber hatte der eben schon erwähnte Brady Dommermuth die Idee, die im Endeffekt zur dritten Iteration führte: Was wir brauchen sind Figuren, die ein bisschen außerhalb des Spiels stehen, mit denen sich die Spieler identifizieren können.

Deswegen gab es 2007 erstmals sogenannte Planeswalker, ein völlig neuer Kartentyp mit Charakteren, die die Macht haben, zwischen den verschiedenen Welten, auf denen Magic spielt, hin und her zu wandern. Im Endeffekt wie die Spieler.

Doch obwohl es plötzlich diese durchaus auch populären Charaktere gab, gelang es Wizards einfach nicht, die Spieler für die parallel produzierten “Planeswalker Novels” zu begeistern, auch nicht für die Ebooks, die man dann stattdessen versuchte zu produzieren.

Deswegen versuchte man es schließlich 2015 noch einmal mit so einer Art Neustart und einer neuen Distributionsstrategie.

Man kombinierte ein Team aus beliebten jungen Planeswalkern, die bereits in den bisherigen Sets aufgetaucht waren, mit Kurzgeschichten, keinen ganzen Romanen, die In-House von Mitgliedern des Creative Teams geschrieben wurden.

Und diese Geschichten wurden kostenlos auf der Magic Website veröffentlicht. Und plötzlich wurden sie besser gelesen als je zuvor.

Auf den Karten wurden wiederum wurden nur noch wenige Schlüsselmomente aus den Geschichten abgebildet, die als “Story Spotlights” mit einem Symbol markiert sind. Unten rechts in der Ecke steht die URL mtgstory.com – auf dieser Website finden sich dann die Kurzgeschichten. Die restlichen Karten im Set schmücken wie bisher die Welt aus.

Diese Mischung schien endlich zu funktionieren.

  • Die Spieler kennen ihre Charaktere, weil sie mit ihnen spielten.
  • Wichtige Momente finden sich auf den Karten wieder und nicht so stark in die Story investierte Spieler bekommen dennoch einen groben Eindruck
  • Wer mehr erfahren will, kann niedrigschwellig und kostenlos im Internet genau erfahren, wie die Geschichte weitergeht
  • Weil der Geschichtsprozess Teil des Kartendesignprozesses ist, gehen die beiden Welten endlich Hand in Hand. Inzwischen funktioniert es sogar wieder mit externen Autoren ganz gut

Aber das beste ist – das hätte ich mir nicht mal träumen lassen können, als ich diesen Talk eingereicht habe – dass sich diese Iteration dieses Jahr so richtig auszahlt. Das aktuelle Set nämlich, das gerade erst dieses Wochenende erschienen ist, erzählt fast ausschließlich Geschichte – was nur mit dem momentanen Modell möglich ist.

“War of the Spark” ist jetzt dieses Wochenende erschienen und bildet den Abschluss eines zweijährigen Plotbogens. Eine Art Avengers: Infinity War” von Magic. Alle Planeswalker treffen sich auf einer Welt und kämpfen gegeneinander und gegen einen Oberbösewicht, den fiesen Drachenplaneswalker Nicol Bolas.

Anders als in anderen Sets steht hier nicht irgendeine spannende Welt im Hintergrund, die bestimmte EIgenschaften hat, sondern wirklich die Geschichte und die Figuren, die über Jahre etabliert wurden. Die Designer selbst nennen es ein “Event Set”.

Die Karten wurden in Story-Reihenfolge enthüllt. Die Story-Spotlights haben Akte. Und plötzlich solche Kommentare:

Zusätzlich zu den kostenlosen Geschichten gibt es auch wieder einen Roman, der kräftig beworben wird. Sie versuchen es also noch einmal, aber diesmal könnte es funktionieren, weil sich die Spieler tatsächlich für die Geschichte interessieren!

Das zeigt sich unter anderem daran, dass sogar einige professionelle Spieler – leider nicht Andrea Mengucci, das wäre ein zu schöner geschlossener Kreis gewesen, aber immerhin zum Beispiel Jon Finkel, einer der dekoriertesten Spieler aller Zeiten, die sich für’s gewinnen sonst natürlich nie für die Story interessieren, haben gesagt: Jetzt möchten sie doch mehr wissen.

Natürlich sind nicht alle zufrieden. Es gibt auch immer noch genug zu kritisieren. Das Buch zum Beispiel hat viel Plot und wenig Tiefe. Aber insgesamt kann das Ganze schon als Erfolg gewertet werden. Mit den Karten zu spielen fühlt sich wirklich an, als würde man Geschichte erleben.

Hätte man an diesem Punkt auch sofort mit Konzeption des Spiels angelangen können? Wahrscheinlich nicht, einfach weil die Medienlandschaft 1993, und selbst 2005 noch so anders aussah als heute.

Mal ganz abgesehen davon, dass es noch kein Internet gab. Auch genau diese Herangehensweise an Lizensierung aus den frühesten Iterationen war typisch für diese Zeit. Erst in den letzten Jahren ist es üblich geworden, so enge kreative Kontrolle auszuüben, weil man gemerkt hat, dass man so seinen Kunden ein einheitlicheres Erlebnis bieten kann – was sich nicht nur kreativ, sondern auch in Sachen Markenbindung und damit in ausgegebenem Geld auszahlt.

Das coole ist eben, dass man bei Magic diese Entwicklung so schön beobachten kann. Man beginnt mit Karten, die Hinweise auf eine größere Geschichte geben und damit ein Potenzial für Transmedia Storytelling sichtbar machen.

Dann probiert das Spiel in einer ersten Iteration ein Lizensierungsmodell, stellt aber fest, dass das nicht gut funktioniert.

Also holt man die Buchproduktion, jetzt mal repräsentativ für die tiefere Geschichte, ins Haus.

Dann wendet man sich wieder den Karten zu, und versucht, zusätzlich mehr Geschichte auf den Karten zu erzählen (tl;dr). Aber das funktioniert auch nicht. Was man braucht sind ANDERE Karten, die CHARAKTERE verkörpern.

Das funktioniert sehr gut bei den Karten, aber nun werden die Probleme des Romanformats noch deutlicher.

Deswegen löst kostenlose Webfiction sie ab.

Und weil da so gut funktioniert, kann man sich wieder dem Potenzial von “Geschichte auf den Karten” zuwenden und entwickelt die “Story Spotlights”.

Jetzt endlich ist alles verbunden. Charaktere, Geschichten und Karten passen zusammen

Und geben sogar die Sicherheit, in einem “Event Set” wieder zusätzlich einem Roman eine Chance zu geben.

Aber damit das möglich war, und sich das volle Potenzial entfalten konnte, das sich am Anfang nur erahnen ließ, brauchte es eben jede Menge Zwischenschritte, es brauchte regelmäßiges Scheitern, und den Willen, immer wieder neue Varianten zu versuchen.

Mit die wichtigste Ressource für die Entstehung dieses Talks waren die Artikel (1, 2, 3) “A Brief History of Magic Publishing” von Sam Keeper und eine Folge des “Vorthos Cast”.

I like evangelisch – Angebote der Kirche im Bereich Social Media

Das Abschlusspanel des 2. Ev. Medienkongresses. (Quelle)

Beim 2. Evangelischen Medienkongress am 26. und 27. September in Mainz habe ich einen Einführungsvortrag zum Thema Kirche und Social Media gehalten, den ich auf mehrfachen Wunsch hier dokumentiere. Dies ist die leicht veränderte und mit Hyperlinks versehene Form meiner Vortragsnotizen, die Originalfolien verschicke ich bei Interesse gerne per Mail (meine E-Mail-Adresse steht im Impressum).

Der Grund, warum ich hier oben stehe, ist wohl, dass ich bis vor einem guten Jahr der Internetredakteur des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dresden war und dort auch die Social Media Präsenz aufgebaut habe, aber dazu kommen wir später noch. Ich hoffe, dass ich Ihnen für den Einstieg hier einen kleinen Überblick bieten kann, den Sie dann später in den angebotenen Workshops vertiefen können.

Ich habe mir gedacht, ich fange mit nackten Zahlen an und das heißt: Welche Angebote gibt es überhaupt? Also: Wo ist die evangelische Kirche in dem, was man Social Media nennt, überhaupt präsent? Die Evangelische Kirche in Deutschland hat 20 Gliedkirchen und ich habe überprüft, ob die EKD selbst und jede der Gliedkirchen auf den großen sozialen Plattformen vertreten sind. Diese großen Plattformen, das sind Facebook, Twitter, YouTube und GooglePlus. Ich habe diese vier genommen, weil es nun mal die Platzhirsche sind und weil dort die Zahlen am ehesten vergleichbar sind.

Die Zahlen im Vergleich

Ich weiß auch, dass das nicht die einzigen Social-Media-Kanäle sind, die es gibt. Es tut mir auch wirklich leid, wenn ich durch diese Reduktion jetzt zum Beispiel übersehen habe, dass die Sachsen bei Instagram ganz groß sind oder die Bremer bei Foursquare. Aus den großen vier jedenfalls kann man folgende Tabelle bauen:

Sie sehen, da gibt es einige Zahlen, die meisten nicht sehr groß, aber auch viele Leerstellen. Das soll jetzt erstmal überhaupt nicht wertend sein, nur eine Übersicht geben: Manche Teile der evangelischen Kirche in Deutschland machen etwas im Social Web, andere nicht. Das hängt sicher zum Teil auch mit der Größe der Kirche zusammen und damit, ob sie sich die Mitarbeiter leisten möchte, die so etwas betreuen. Aber es hängt eben auch mit der grundsätzlichen Einstellung zum Thema zusammen. Das wird dann auch deutlich, wenn man sich die kirchlichen Werke anschaut.

Da gibt es nämlich überall ganz gute Zahlen, und soweit mir bekannt ist nutzt etwa “Brot für die Welt” das Social Web auch sehr aktiv. Allerdings ist “Brot für die Welt” auch eine national und international agierende Institution – damit ist das Publikum größer und es gibt vielleicht teilweise auch mehr Inhalte, die in diesen sozialen Netzwerken geteilt werden können oder die für mehr Menschen interessant sind – auch wenn sie nicht direkt mit der Amtskirche zu tun haben. Zum Beispiel Nachrichten aus Krisengebieten und Informationen über die Verwendung der Mitgliederspenden.

Und dann gibt es natürlich noch die Speerspitze der evangelischen sozial-medialen Institutionen, evangelisch.de, die ja auch mal der Ort sein sollte, an dem die evangelischen Christen Deutschlands im Netz zusammen kommen sollen. Hat entsprechend auch – im Vergleich – ganz gute Zahlen aufzuweisen, vor allem auf Twitter.

Es gibt natürlich noch einige mehr, die ich jetzt hier nicht aufgeführt habe. „Chrismon“, etwa, oder „Evangelische Häuser“, die zu dem evangelisch.de-Netzwerk gehören. Und es gibt einzelne Personen, z. B. der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, die auch Facebookseiten haben und nutzen! Auf die Zahlen kommen wir später noch einmal zurück. Ich wollte mir jetzt aber erst einmal ein paar dieser gerade gesehenen Angebote – eine relativ willkürliche Stichprobe – genauer mit ihnen anschauen.

Diese Seite ist ein Platzhalter

Wir beginnen mit dem Social-Media-Angebot der Evangelischen Kirche in Deutschland selbst, also der EKD. Die ist überall vertreten. Es gibt eine Facebookseite, einen Twitter-Account und einen YouTube-Channel und die Zahlen sind dort für deutsche Kirchenverhältnisse auch okay – bei Facebook fast 2000 Fans und über 2.500 Follower bei Twitter. Aber es fällt auf, dass es eigentlich keine Interaktion gibt. Also: Der wirklich „soziale“ Aspekt des Social Web wird nicht genutzt.

Die Seiten sind hauptsächlich automatisierte Kanäle, in die Pressemeldungen einlaufen. Der YouTube-Kanal wird auch nur für Videos von Pressekonferenzen und Synoden genutzt.
Aber das ist auch so gewollt, sagt Sven Waske, der Leiter der EKD-Online-Redaktion: “Diese Seiten sind Platzhalter, da die Rechtslage derzeit noch unklar ist. Sie werden künftig in einer Gesamtstrategie neu gefasst.” Man wollte diese Seiten erst einmal besetzen, damit sie kein anderer nutzt, aber es gibt eben noch keinen Konsens darüber, ob und wie man hier ins soziale Netz vorstoßen sollte – und daher gibt es eben erstmal nur diese einseitigen Präsenzen. Immerhin gar nicht verkehrt, dass man auch auf diesem Weg die Pressemitteilungen der EKD abonnieren kann.

Dialog mit der zunehmend atheistischen Netzkultur

Zum Vergleich: Die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) hat ihren gesamten Social Media Auftritt diesen Sommer neu gelauncht. Hier wird redaktionell gearbeitet. Man bemüht sich, auch Verlinkungen auf außen stehende Angebote einzubauen, die die Follower interessieren könnten. Bilder einzubinden. Auf Twitter sieht man, dass auch Retweets und Hashtags benutzt werden. Einige andere Landeskirchen haben übrigens auch Seiten, die redaktionell betreut werden.

Hier kommt es auch zum Dialog. Natürlich wahrscheinlich nie so viel, wie man möchte und auch nicht immer mit den Leuten, mit denen man gerne reden möchte, aber das Medium wird genutzt. Und wenn dann kontroverse Themen behandelt werden, wie jüngst das Thema Beschneidung, kommt es eben auch zu kontroversen Diskussionen – auch mal mit im Netz bekannten Leuten, wie Mario Sixtus, mit dem sich dann aber auch immerhin ein Dialog entspann.

EKiR-Internetbeauftragter Ralf Peter Reimann sagt dazu: “Der Dialog auf Facebook muss auch solche Provokationen aushalten. Unser Ziel ist auch der Dialog mit der zunehmend atheistischen Netzkultur!” Es ist natürlich Spekulation, aber das könnte das sein, was andere vielleicht noch davon abhält, diesen Schritt ins soziale Netz zu machen. Denn all das halst man sich natürlich auch auf, wenn man Social Media macht, und ich habe selbst schon öfter die Erfahrung gemacht, dass Leute wirkliche Probleme mit dieser gewissen Kontrollaufgabe im Kommunikationsprozess haben, die das soziale Netz mit sich bringt.

Ein Tweet-Gebet in der Essensschlange

Dann möchte ich noch kurz ein kleines Sonderprojekt vorstellen, weil es auch dieses Jahr den Webfish-Innovationspreis (Offenlegung: Dort saß ich in der Jury) gewonnen hat: das “Twittagsgebet”, das – wie man am Logo sieht – der Badischen Landeskirche entspringt. Dahinter stand die Frage, wie man ein spirituelles Angebot in einem Twitterkanal unterbringen kann. Entstanden ist ein Twitterkanal auf dem jeden Mittag um 12 Uhr ein Tweet-Gebet gesendet wird, das zum Innehalten einlädt und oft auch auf aktuelle Ereignisse bezug nimmt.

Das ist auch nicht unbedingt interaktiv – hier findet kein Dialog statt – aber das wissen die Macher auch und das ist auch ganz bewusst. “Wir wünschen uns den Nutzer, der mittags in der Essensschlange steht und seine Timeline checkt und sich dann über unseren Tweet freut”, sagt Oliver Weidermann, der Gründer und Koordinator des Twittagsgebets. Das soziale entsteht dann eher dadurch, dass ein Twittagsgebet retweeted werden kann und die Follower es so mit ihren Followern teilen.

Also auch wenn es keine direkte Interaktion gibt, hat man sich hier zumindest wirklich Gedanken darüber gemacht, wie man das Medium auf spezielle Weise einsetzen kann – indem man eben solche Tagesgedanken auf 140 Zeichen eindampft – und das funktioniert ja auch.

Mitten im Hype-Cycle

Der letzte Kandidat, evangelisch.de, hat diesen Herbst seinen dritten Geburtstag gefeiert. Ich habe damals selbst noch im GEP in Frankfurt gearbeitet als evangelisch.de an den Start ging und ich erinnere mich noch gut an die Aufbruchsstimmung die damals dort herrschte. Der Plan war, etwas auf die Beine zu stellen, was die evangelische Kirche endgültig im Internetzeitalter ankommen lässt. Eine Nachrichtenseite mit angeschlossener Community, die aber anders, persönlicher und spiritueller, funktioniert als die weltlichen Medien und damit alle evangelischen Christen in Deutschland anspricht.

Heute sieht das Ganze ein bisschen anders aus. Die Community ist vor ein paar Monaten geschlossen worden. Die wenigen Nutzer die es dort gab, fanden das natürlich sehr schade. Aber im Rückblick konnte evangelisch.de als eigenes soziales Netzwerk einfach nicht bestehen. Die Dinge, die funktioniert haben, etwa eine universelle Anlaufstelle für geistliche Fragen, hat man behalten und sie werden jetzt unabhängig weitergeführt.

Es hat also alles nicht ganz so geklappt wie man sich das vorgestellt hat – und ich finde die Seite jetzt auch optisch nicht mehr so schön und ein bisschen labyrinthisch – aber die Konsequenz ist eben, dass die Redaktion jetzt mit etwas weniger Hype im Rücken weitermacht. Portalleiter Hanno Terbuyken: “evangelisch.de ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir sind ein Teil des Angebots, ein Knotenpunkt im Verbund christlicher Websites im Netz. Und wir haben einen klaren publizistischen Auftrag und daran hat sich nichts geändert.”

Ich mochte diesen Gedanken eigentlich: Dass man jetzt vernetzter denkt und auch auf der Leitungsebene nicht mehr so stark wie am Anfang der Meinung ist, man hätte jetzt den endgültigen Schlüssel dazu gefunden, wie evangelische Kirche im Netz funktioniert. Und Hanno Terbuyken hat mir dennoch glaubhaft versichert, dass er mit dem, was evangelisch.de im Moment produziert, sehr zufrieden ist.

Ich musste da ein bisschen an den “Gartner Hype Cycle of Emerging Technologies” denken, ein Index, auf dem jedes Jahr aufgezeichnet wird, wo sich entstehende Technologien gerade auf ihrem Erwartungshorizont befinden – und der beginnt eben immer mit einem großen Hype voller zu großer Erwartungen, stürzt dann ab in ein Tal der Desillusionierung (das hatte evangelisch.de vielleicht letztes Jahr) und bewegt sich dann aber stetig auf ein produktives Plateau zu. Es bleibt zu hoffen, das evangelisch.de jetzt auf dem besten Weg dahin ist.

Wenn man jetzt die Zahlen vom Anfang alle mal addiert – ich nehme jetzt mal die Facebook-Zahlen aller Landeskirchen, der EKD und von evangelisch.de – dann kommt dabei eine Zahl knapp unter 8000 heraus. Das ist also die Zahl der Leute, die die offiziellen Facebookseiten der evangelischen Kirche erreicht. Die eigentliche Zahl ist natürlich niedriger, da davon auszugehen ist, dass viele Leute mehrere dieser Seiten geliket haben. Auch die Werke fehlen jetzt in dieser Summe, aber zu denen passt das Motto “I like evangelisch” auch nicht besonders gut, denn ich möchte wetten, das ein Großteil der Bevölkerung weder “Brot für die Welt” noch die “Diakonie” direkt mit der evangelischen Kirche in Verbindung setzt.

Auf Augenhöhe

Vergleichen wir dazu eine Seite namens „evangelisch im Facebook“. Die hat fast halb so viele Fans wie alle anderen zusammen, stammt aber nicht aus einem offiziellen Kanal. Andererseits hat sie die Kurz-URL facebook.com/evangelisch – dort passt also das Vortragsthema am besten. Und dort, soweit ich das beobachten kann, passiert, was auf den meisten anderen Seiten nicht passiert. Bis zu sechs mal am Tag wird ein Impuls gepostet, manchmal ernst, manchmal witzig, und dann wird das weitergegeben und diskutiert – natürlich auch nicht immer nur gut und auch hier treiben sich viele von den Menschen herum, die für die Kirche nach außen hin natürlich nicht gerade das beste Bild abgeben. Aber – hier ist ein echtes soziales Medium am Start. Hier findet so etwas ähnliches wie Gemeinde statt.

Gemacht wird das ganze – das hat im StudiVZ (der ein oder andere erinnert sich noch) angefangen und ist dann auf Facebook umgezogen – von drei Mitgliedern der Evangelischen Studierendengemeinde Stuttgart, Stefan Hartelt, Contanze Borchert und Astrid Lowien. Die drei investieren ehrenamtlich jeder etwa 90 Minuten am Tag, um diese Seite zu pflegen und sich neue Impulse einfallen zu lassen. Und obwohl Stefan Hartelt auch in der Web 2.0-AG der Württembergischen Landeskirche sitzt, bekommen die drei nur ganz verhaltenen Rückhalt von offizieller Seite.

Ich habe sie gefragt, ob sie sich in Konkurrenz zu evangelisch.de sehen. Und als Antwort habe ich von Stefan Harrtest bekommen: “Wir fragen uns immer: wie können wir so professionell sein wie evangelisch.de?” Die drei sind also auch sehr bescheiden, sehen die Profis eher als Vorbild – obwohl sie als Amateure eigentlich viel erfolgreicher sind – und, wie sie erzählen, auch sehr wenig Probleme mit Pöblern haben, und noch nie jemanden sperren oder einen Beitrag löschen mussten, also weitgehend in Frieden gelassen werden.

Ich habe mich gefragt – das ist nur eine These – dass es vielleicht gerade dieses amateurhafte auf Augenhöhe ist, was die Leute zu dieser Seite zieht. Dass sie eben hier nicht Informationen von Profis durchgereicht bekommen. Vielleicht funktionieren Social Networks – zumindest in solchen so privaten und emotionalen Bereichen wie Kirche und Glauben – einfach so, oder zumindest: auch so.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat natürlich auch noch eine sehr erfolgreiche Facebookseite (und auch einen Twitterkanal mit 1200 Followern, da ist evangelisch.de erfolgreicher). Die betreue ich inzwischen natürlich nicht mehr, das macht jetzt meine Nachfolgerin Silke Roß. Wir hatten den Vorteil, dass dort scheinbar eine Meute von Leuten auf uns wartete, die nur noch abgeholt werden musste. Denn im Gegensatz zu den Kirchen, wo ja viele Leute Mitglied sind, aber nur wenige wirklich aktive Mitglieder, sind die Kirchentags-Teilnehmer ja fast alle sehr involvierte Menschen.

Das Nicht-Geheimnis des Kirchentages

Das interessante ist, dass ich seitdem, also seit diese Facebookseite und auch der Twitterkanal für evangelische Verhältnisse so erfolgreich ist, das heißt: seit Frühjahr 2011, schon mehrmals zu ähnlichen Veranstaltungen wie dieser hier eingeladen worden bin, um darüber zu reden, wie wir das gemacht haben. Und ich erzähle dann immer, was wir, dass wir versucht haben, uns auf die Vorfreude zu konzentrieren, damit wir die zwei Jahre zwischen den Kirchentagen überbrücken können. Dass wir einen lockeren, persönlichen, aber nicht flapsigen Ton gewählt haben. Und dass wir versucht haben, auf alles zu reagieren, was uns an Fragen und Kommentaren entgegen kam. Und irgendwie hat das geklappt.

Das heißt: die einzige Social-Media-Expertise, die da eigentlich reingegangen ist, ist meine private Erfahrung im Social Web vor diesem Job, die Berichterstattung darüber, die ich als Medienjournalist leisten durfte, und die Bereitschaft, das Medium und seine Nutzer ernst zu nehmen, nicht nur als Verbreitungskanal, sondern als Plattform. Und kurz nach dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden hatten wir dann plötzlich die 10.000er-Marke überschritten.

Ich habe auch Gespräche geführt mit Werbern und anderen Medienmenschen, denen das alles viel zu konservativ war: zu wenig Provokation, zu wenig viral, nicht spektakulär genug. Aber ich habe immer gedacht, dass die Internetweisheiten, die für Unternehmen gelten, in diesem speziellen Umfeld nicht immer das Richtige sind. Und ob das stimmt oder nicht, dafür sind Sie ja hier, um das zu diskutieren.