Nachhaltigkeit (III)

Das Internet mag ein ewiges Langzeitgedächtnis haben, doch sein Kurzzeitgedächtnis ist miserabel. In der Rubrik “Nachhaltigkeit” gehe ich zurück zu meinen Blogeinträgen der letzten Monate und verweise auf interessante Entwicklungen in den angerissenen Themen.

Cinematic Universes

First things first. Mein Lieblingsthema, das Marvel Cinematic Universe, erfährt dieser Tage einen harten Backlash. Wobei, es ist nicht einmal das MCU, dass beschimpft wird, sondern die Studios, die jetzt alle versuchen, das Prinzip zu kopieren. Egal ob Universal Monster, Robin Hood oder Ghostbusters. Jeder will ein Stück vom Kuchen abhaben mit Filmen, die das Avengers-Modell kopieren, das Marvel so viel Geld eingebracht hat. Und wie immer scheitern die Nachahmer. Dracula Untold, der Film, den Universal noch nachträglich zum ersten Franchise-Film umgebaut hat, muss einsamer Mist sein und jetzt ist mehreren Kritikern der Kragen geplatzt. Peter Sciretta, Chef von “/Film” hat in seinem Artikel 9 Current Movie and Television Trends I hate die Universen gleich an erste Stelle gepackt – und direkt seine Kollegin Angie Han zitiert.

Bei “The Dissolve” hat Scott Tobias sogar eine längere Abhandlung namens “The Case Against Cinematic Universes” verfasst und ganz klar die Schwächen solcher Filmreihen benannt: Die Filme müssen sich ähneln, sie müssen Szenen enthalten, die eigentlich nicht in den Film gehören, und sie werden schwerfälliger, weil sie Zukünftiges aufbauen müssen. Tobias hat natürlich absolut recht. Ich glaube trotzdem, dass diese Art Filmemachen – wenn es clever angestellt ist – dennoch seinen (popkulturellen) Wert haben kann. Aber wann hat der Kopierwahn in Hollywood jemals zu etwas Gutem geführt? Sam Adams hatte schon im August festgestellt, dass die After-Credit-Scene in Guardians of the Galaxy noch der beste Kommentar auf Marvels Synergiebemühungen ist.

Ein weiterer Aspekt dieser Art von Franchising, den ich schon vor zwei Jahren aufgeschrieben hatte, ist, dass Filme durch die über den einzelnen Film hinaus geplante Produktion, stärker wie Fernsehserien werden. Für den “Hollywood Reporter” hat Richard Greenfield das Argument vorgebracht, dass sich das noch verstärken sollte.

In a sense, movie studios will need to morph into television studios, which tell ongoing stories. This is a logical evolution for a movie industry that is now obsessed with the creation of “franchises,” with increasingly little to no interest in midbudget films. How many wannabe Jedis and their families would pay for an everything Star Wars subscription? Avengers? Frozen? Spider-Man? Batman? Avatar? Whereas the movie industry has resisted change in the past decade(s), major change over the next decade feels inevitable.

Eigentlich eine schreckliche Vorstellung.

Das neue Star Wars Universum

Das einzige Medienuniversum, dem die Kritikerinnen noch etwas zuzutrauen scheinen, liegt in den Händen der “Lucasfilm Story Group”. Es geht natürlich um Star Wars, dessen neue Serie Rebels ich ja in einem Podcast besprochen habe. Außerdem hat Lucasfilm ja in diesem Jahr das alte Expanded Universe dichtgemacht und durch einen neuen, zentral gesteuerten Kanon ersetzt. Hierzu sehr lesenswert: “The Star Wars Expanded Universe: A Eulogy“, John Jackson Millers Bericht über seinen Weg zum ersten Roman im neuen Kanon, A New Dawn sowie der erste Teil des Interviews mit Simon Kinberg, einem der Masterminds in der Story Group.

Über Dawn of the Planet of the Apes schreibend habe ich versucht zu erfassen, wie Prequels funktionieren können, nämlich indem sie möglichst indirekt auf ihren Ur-Text Bezug nehmen. Noel Murray hat auf “The Dissolve” allgemeiner auf “The Problem with Prequels” hingewiesen und sie vor allem vom Flashback abgesetzt. Warum steht das hier noch unter der Star Wars-Überschrift? Weil Rebels den Schuss anscheinend nicht gehört hat.

Einheitstheorien

Ich habe in der berüchtigten “Pixar Theory” ja eine Sehnsucht nach einem gemeinsamen Universum gesehen, in dem sich unsere fiktionalen Helden begegnen könnten. Nicht nur hat die Pixar Theory vor kurzem durch ein YouTube-Video neuen Aufwind bekommen, sondern auch einen ebenso genialen Cousin: Die Stan-Lee-Theorie.

Diese Theorie postuliert, dass Stan Lee – der in jedem Marvel-Film einen Cameo-Auftritt hat – in Wirklichkeit immer die gleiche Figur spielt. Die Theorie existiert in zwei Varianten. Eine Möglichkeit ist, dass Lee den “Watcher” spielt, eine schräge Figur aus dem “kosmischen” Teil des Marvel-Universums, die alles beobachtet, aber nie eingreift. Viel besser finde ich Variante Nummer zwei: Stan Lee ist ein ganz normaler Typ, der Superhelden scheinbar magisch anzieht und darüber nicht gerade glücklich ist. Hochamüsant.

Internet im Film

Mein Artikel vom letzten Jahr, “Unser vernetztes Leben ist im Kino nur eine Randnotiz” bekommt dieser Tage wieder Aufwind, weil Jason Reitmans Film Men, Women and Children in den USA gestartet ist. Darin geht es um mehrere Geschichten, die sich um Kommunikation, Beziehungen und das Internet drehen und der Film scheint in die gleiche technophobe Kerbe zu hauen, die man seit Jahren im Hollywood-Kino beobachten kann. (“Hackers and Nerds” ist übrigens Punkt 8 auf Scirettas Hassliste). Kate Erbland fragt auf “Screencrush” zurecht: “Why are Movies still afraid of the Internet?

Der reinen Darstellbarkeit von moderner Kommunikationstechnologie hat sich auch Tony Zhou angenommen, dessen Videoserie “Every Frame a Painting” sich zunehmend zu einer der “Must Watch”-Dinge für Filmfans entwickelt.

A Brief Look at Texting and the Internet in Film from Tony Zhou on Vimeo.

Und außerdem

David Bordwell sieht Filmarchive mit anderen Augen als ich (logo). Während ich bei jeder Gelegenheit für mehr Humor in Comic-Verfilmungen plädiere, hat Warner/DC tatsächlich eine No Jokes Policy. Zu meinem Rant über das Kritikerspiel passt ganz gut David Bordwells Sammlung von Erste-Welt-Problemen großer Kritiker. (Außerdem werde ich übrigens im November zum Thema in einer Podiumsdiskussion sitzen.)

Und noch habe ich keinen Job bei “Wired”. Aber ich habe dank der App Timehop diesen Facebookpost von vor 5 Jahren wiedergefunden. Ich liebe das Heft wirklich.

Die Meriten der Pixar-Theorie und die Sehnsucht nach einem Gemeinsamen Universum

© Disney

Jon Negronis “Pixar Theory” sorgte vor gut anderthalb Monaten für einigen Aufruhr unter den Menschen, die im Internet über Film schreiben. Wer den ursprünglichen Post – oder eine seiner Visualisierungen – nicht gelesen hat, sollte das gerne jetzt tun (es lohnt sich). Die Kurzform ist, dass Negroni die Gesetzmäßigkeiten – etwa den Grad der Anthropomorphisierung – in den individuellen Pixar-Filmen mit den Easter Egg-Querverweisen kombiniert, welche die kreativen Köpfe von Pixar in jeden Film verstecken, um daraus eine völlig hanebüchene, aber in ihrer Schlüssigkeit bestechend logische Theorie abzuleiten. Diese besagt, dass alle Pixar-Filme im gleichen Universum, auf unterschiedlichen Punkten eines Zeitstrahls spielen, in dessen Verlauf diverse Mutationen die Welt verändert haben.

Kein Aufruhr ohne Gegenwehr. Die von mir sehr geschätzten Kollegen von “ANIch” und ihr Landsmann Owley schlugen in einem Posting deutlich genervte Töne anlässlich des Hypes um Negroni an. Real Virtuality ist außerdem mindestens ein weiterer deutschsprachiger Blogger namentlich bekannt, der bereits beim Erwähnen der Pixar Theory wütend wird.

Ein Hauch von Third-Person-Effekt

Ich will mich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, doch in solchen Momenten weht ein Hauch von Third-Person-Effekt durch die Blogosphäre – die Angst, dass Andere, weniger Eingeweihte, das sorgfältig konstruierte Verschwörungskartenhaus für bare Münze nehmen könnten, und dass man folglich bis ans Ende seiner Tage auf Parties darauf angesprochen wird, sobald herauskommt, dass man was mit Film macht. Eine kurze Twittersuche zeigt, dass – wie bei einem guten Zaubertrick – das Gros des Pöbels sich jedoch eher vor der Konstruktion verneigt, sich höchstens wünscht, dass es stimme und von Anfang an geplant wurde.

Auch Nachahmer hat die Pixar Theory gefunden. Josh Butler veröffentlichte am vergangenen Sonntag die Disney-Theorie nach dem gleichen Prinzip, ging dabei aber schon weit weniger ernsthaft zur Sache (“[E]ither Bambi’s mother can travel through time or deer just have a similar look in the Disneyverse”).

Die Freude der Verschwörungstheorie

Hinter der Pixar Theory steckt (außer der Freude am Konstruieren einer absurden Verschwörungstheorie – die wie alle Verschwörungstheorien nur funktioniert, indem man riesige Gegen-Hinweise ignoriert und kleinste Details zu großen Beweisen hochjazzt) aber auch der Wunsch vieler Fans, egal wie fanatisch sie wirklich sind, ihre konsumierten Geschichten in einem großen Ganzen zu vereinen. Sei es, um ihren Seherfahrungen eine Gesamtkohärenz zu geben, oder um zumindest die winzige Möglichkeit offen zu lassen, dass ihre Lieblingscharaktere sich einmal im gleichen Universum begegnen könnten.

Eine grandiose, epische Parodie auf diesen Vereinigungswunsch bot vor kurzem eine “Parks and Recreation”-Folge in der Patton Oswalt seinen Plot für Star Wars Episode VII vorstellte, in dem unter anderem die Crew der Enterprise, die X-Men und der Infinity Gauntlet aus dem Marvel-Universum Platz finden. Und auf der diesjährigen ComicCon sah sich Grumpy Old Man Harrison Ford, gekommen um Ender’s Game zu promoten, zum x-ten Mal mit dem gleichen Phänomen konfrontiert, als ihn ein Fan am offenen Mikrofon fragte, was sich wohl Han Solo und Indiana Jones zu sagen hätten, würden sie sich treffen. Ford antwortete wortlos und irgendwo zwischen echter und gespielter Entnervtheit.

Lang erwartete Gipfeltreffen

Dabei sind wir wahrscheinlich so nah dran, diese Frage zu beantworten, wie noch nie. Denn die Medienlandschaft hat begonnen, sich von einfachen TV-Crossovers aus den Zeiten von “General Hospital” zu verabschieden, und komplexere Standoffs zu inszenieren. Das Marvel Cinematic Universe und dort insbesondere der erste Gipfeltreffen-Film The Avengers bot genau das, worauf Fans seit Jahren warten, und zum Teil auch genau deswegen. “Wir wollen doch alle wissen, was passiert, wenn Thors Hammer auf Captain Americas Schild trifft“, lautete das Diktum. Also wurde eine Szene in den Film eingeflochten, in der genau das passiert. Nicht zur Zufriedenheit aller, natürlich.

DC bemüht sich nun, sein eigenes Verse endlich auf die große Leinwand zu bringen und lässt 2015 direkt ihre beiden Titanen, Batman und Superman, in einem Film aufeinandertreffen – wahrscheinlich der größte Geek-Gipfel seit Star Trek: Generations. Schon gehen die Spekulationen los, ob die DC-Serie “The Arrow” sich eventuell in das Man of Steel-Universum integrieren lässt. Und Bryan Singer orchestriert für Fox den größten Retcon der Kinogeschichte, wenn er in X-Men: Days of Future Past die jungen und alten Versionen der X-Men durch die Zeit reisen lässt, mit dem erklärten Ziel, Bret Ratners X-Men: The Last Stand ungeschehen zu machen.

Disney spielt uns in die Hände

Wenn man ehrlich ist, ist die Walt Disney Company gar nicht so weit davon entfernt, den Pixar- und Disney-Theorien indirekt in die Hände zu spielen. In den Disney-Parks bewohnen die Figuren längst ein für sie konstruiertes Universum (der geplante “Magic Kingdom”-Film scheint derzeit wieder im Schrank verschwunden zu sein) und Konzepte wie das jüngste Videospiel-Unternehmen Disney Infinity laden ebenfalls dazu ein, die Schöpfungen von hunderten unterschiedlichen Individuen, die jedoch seit 90 Jahren unter einem Markennamen veröffentlicht werden, als Bewohner eines gemeinsamen Weltanschauungs-Universums zu begreifen.

Wir sehnen uns also einerseits nach Einheitlichkeit, Ordnung, klaren Regeln und Autorität (schließlich könnten wir uns das Aufeinandertreffen unserer Helden ja auch einfach in einer Fanfic selber überlegen und wissen über die zu bedenkenden Faktoren wahrscheinlich deutlich mehr als der Schauspieler, der sie vor dreißig Jahren gespielt hat), andererseits nach der Möglichkeit zur endlosen Spekulation und Ausgestaltung. Moderne Story- und Markenuniversen, die in ihrer Konzeption inzwischen manchmal vor dem ersten Drehbuch stehen geben uns genau das. Ist es da nachvollziehbar, dass in dem ein oder anderen der Wunsch erwacht, die gleiche Perfektion auch älteren Entitäten überzustülpen? Dahinter steckt schließlich nur der Drang, die Fiktion genauso kohärent zu gestalten wie die Realität.


Ich würde gerne mal verschiedene Spielberg-Filme ineinanderfalten und einen greisen Indiana Jones in den Jurassic Park schicken, oder nach seinen Erfahrungen in Crystal Skull als Experte in Close Encounters auftauchen sehen. Was denkt ihr, welche Filmografien eignen sich noch dazu, in einem gemeinsamen Universum vereinigt zu werden?