Mit diesen fünf US-Podcasts fühle ich mich gut über Musik informiert

Redphones” by Garry Knight, CC-BY 2.0

Es gibt wohl nichts, wofür sich Podcasts besser eignen, als über Musik zu berichten – deutlich besser zumindest, als über Film und TV. Wenn dann noch das in den USA deutlich großzügigere Urheberrecht mit “fair use” hinzukommt, ergeben sich jede Menge tolle Möglichkeiten. Im Laufe der Jahre hat sich für mich als Musikfan eine kleine aber feine Auswahl an Podcasts durchgesetzt, in denen Musik von allen Seiten beleuchtet wird, und die ich gerne teilen möchte.

1. Neue Musik für die Playlist

Nachdem vor einigen Jahren der “Music Weekly” Podcast des Guardian eingestellt wurde, machte ich mich auf die Suche nach einer neuen Sendung, in der ich einfach neue Musik zum Hören entdecken konnte. Fündig wurde ich bei “All Songs Considered” von NPR. Hier spielen die Moderatoren Bob Boilen und Robin Hilton sich jede Woche eine Stunde lang aktuelle Musik vor, die ihnen gefällt. Boilen und Hilton sind beides mittelalte weiße Männer aus den USA, natürlich ist die Auswahl entsprechend angeschlagen. Scharfen Musikkritiker*innen aus Europa wäre sie vermutlich häufig zu seicht, aber für meinen Geschmack ist sie oft genau richtig. Indie, Rock, Folk und Country machen wahrscheinlich den größten Teil der Auswahl aus, aber der Musikgeschmack der beiden – und der Gäste, die sie manchmal im Studio haben – ist groß genug, dass man auch Highlights aus Feldern wie Hip-Hop, Punk, Metal und avantgardistischeren Musikrichtungen zur hören bekommt. Das besondere: “All Songs Considered” spielt seine Songs voll aus (im Streamingzeitalter scheinen die Lizenzen bezahlbar zu sein) und erlaubt daher, wirklich zu entscheiden, ob einem ein Song gefällt oder nicht. Ergänzt wird der Podcastfeed durch gelegentliche Interviews mit Musiker*innen, die oftmals weitere interessante Entdeckungen bereithalten.

2. Wie kommen die Löcher in den Käse?

Hinter “Song Exploder” steckt eine Idee, die so einfach wie genial ist. Moderator Hrishikesh Hirway interviewt Musiker*innen über die Entstehung einzelner Songs und bekommt von ihnen zusätzlich die sogenannten “Stems”, also die Originalspuren ihrer Aufnahmen. Das ermöglicht es ihm, einzelne Elemente der Songs zu isolieren und den Beschreibungen zuzuordnen. Im Ergebnis lernt man nicht nur, wie vielschichtig manche Songs sind, sondern auch wie unterschiedlich die kreativen Prozesse in der Entstehung von Musik sein können. Aus welchem Element ist der Song gewachsen? Welchen Einfluss hatten Musiker und Produzenten? Was war gewollt und was ist einfach passiert? Warum hat Rivers Cuomo von Weezer eine riesige Excel-Tabelle mit Textzeilen? Da ich selbst Musiker bin (wenn auch nur Schlagzeuger) ist “Song Exploder” für mich eine endlose Fundgrube an Inspiration. Die Musikrichtungen von “Song Exploder” reichen von Filmmusik über Hardcore bis Pop und Rock. Einfach mal reinhören! (Bonus: Das Longform-Interview mit Hrisikeh Hirway gibt wiederum Einblicke in die Entstehung von “Song Exploder” und die kleinteilige Arbeit, die Hirway investiert.)

3. Die Perlen der Charts

Eher selten in den beiden erstgenannten Sendungen vertreten sind die Songs, die nicht die Regale von Musiksnobs, sondern die Heavy Rotations junger Radiowellen dominieren. Hier hilft “Switched on Pop” aus. Songwriter Charlie Harding und Musikwissenschaftler Nate Sloan nehmen dort alle zwei Wochen aktuelle Pophits auseinander und entdecken ihre verborgenen Tiefen. Das beste an dem populär-musikwissenschaftlichen Ansatz, den die beiden verfolgen, ist, dass sie auch versuchen Trends zu identifizieren, ihnen Namen zu geben und zu beobachten, wo sie herkommen und hingehen. Im letzten Jahr ist etwa der “Pop Drop” zum definierenden Merkmal aktueller Popmusik geworden, in dem der Refrain durch eine gepitchte und zerstückelte Stimme auf fetten Beats ersetzt wird, die Assimilation eines Stilmittels aus der elektronischen Tanzmusik. “Switched on Pop” hilft mir dabei, auch bei Musik “in the know” zu bleiben, die ich selbst wenig höre, die aber Rückschlüsse auf unsere Popkultur als Ganzes zulässt. Und manchmal entdecke sogar ich in den aktuellen Chartpoppern etwas, was mir gefällt, zum Beispiel Julia Michaels.

4. Auf zu neuen Ufern

So nah “Switched on Pop” an populärer Musik ist, so weit ist “Meet the Composer” davon entfernt. Die preisgekrönte Sendung der Musikerin und Moderatorin Nadia Sirota beschäftigt sich mit moderner Klassik oder “New Music”, wie sie es nennt. Auch wenn ich selbst nur wenig dieser Musik selbst höre (Atonalität ist wirklich nicht mein Ding), ist die Sendung allein schon wegen ihrer Produktion hörenswert und weil man so viel dabei lernt. Wurden in Staffel 1 und 2 noch pro Folge individuelle Komponist*innen vorgestelllt, widmet sich Staffel 3 oft auch abstrakteren und faszinierenden Konzepte. Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Komponist*in und den Ensembles, die die Musik spielen – und welche Rolle spielt Sadomasochismus dabei? Welche Rolle spielen Komponist*innen, die Musik nicht notieren, sondern aus Samples zusammenbauen? “Meet the Composer” hat meinen Horizont in Sachen Musik so erweitert wie schon lange nichts mehr.

5. Der kulturindustrielle Komplex

Chris Molanphy ist Autor der Slate-Kolumne “Why is this Song Number One?” und hat das pophistorische Wissen des 20. Jahrhunderts in seinem Kopf gespeichert. In seinem Podcast “Hit Parade”, der monatlich im Feed des “Slate Culture Gabfest” auftaucht untersucht er Phänomene, die weniger mit Komposition und Musikgeschmack, als mit den Karrieren von Musiker*innen im Spiegel von Promotion und Airplay zu tun haben. Bisher gibt es drei Episoden von “Hit Parade” und alle waren spannend: Warum wurde UB40’s “Red Red Wine” in den 80ern ein Hit in den USA und welche Rolle spielten abweichlerische Radio-DJs dabei? Wie gelang es den Beatles 1964, die gesamte Top 5 der Billboard-Charts zu besetzen und was hatte die schlechte Plattenlabel-Politik der USA damit zu tun? Und eine Historie der Zusammenarbeit und Rivalität von Elton John und George Michael über vier Dekaden hinweg. Musik ist eben auch eine Industrie, die aber ihre eigenen beeindruckenden Geschichten bereithält.

Außerdem Über “Pitch” und “Our Debut Album” habe ich im Blog schon geschrieben. Beide Projekte scheinen für’s erste beendet zu sein.

Was fehlt? Über die deutsche Musikszene weiß ich weiterhin sehr wenig, aber mir ist auch noch kein guter Podcast dazu in die Hände gefallen. Vorschläge und weitere Tipps zu guten Musikpodcasts gerne in die Kommentare.

Das Interessanteste an … Moana (2016)

Es mag an meiner leichten Winterdepression liegen, aber nach Disneys Südseeabenteuer Moana (das inzwischen fast in mehr Territorien Vaiana heißt, weil ein Kosmetikhersteller ein Copyright besitzt) fühlte ich mich sonnendurchflutet und gut. Es war mir irgendwie egal, dass der Film eine Verfilmung des Joseph Campbell-Ausmalbuchs ist. Ich habe meine Augen begeistert an den fotorealistischen Umgebungen geweidet, mochte die Dynamik zwischen den Figuren und beim Song “How Far I’ll Go” liefen mir – ungelogen – Schauer über den Rücken.

“How Far I’ll Go” ist in Moana der klassische “I Wish/I Want”-Song des Musical-Schemas. Meistens als zweiter großer Showstopper nach dem Eröffnungstrack, der die Welt des Musicals etabliert (hier ist das “Where you are”, in dem das Dorf vorgestellt wird), hat der “I want”-Song in Musicals die Funktion, den zentralen Konflikt der Hauptfigur zu etablieren. Sie will etwas, ahnt etwas und muss dann die Reise des Plots antreten, um es zu erreichen. Zwei typische “I want”-Songs sind “Part of that World” aus The Little Mermaid und “The Wizard and I” aus Wicked.

“How Far I’ll Go”, geschrieben und getextet von Lin-Manuel Miranda noch vor seinem großen Erfolg mit Hamilton, orchestriert von Mark Mancina, legt entsprechend dar, was Hauptfigur Moana sich wünscht: von der Insel, auf der sie lebt, herunterkommen; zur See fahren; ihr Schicksal finden. Entsprechend der typischen Dramaturgie eines solchen Songs beginnt sie vorsichtig, ist am Ende des Songs aber wild entschlossen, aufzubrechen, wie die Version im Film zeigt. Von so viel Leidenschaft kann man schon mal mitgerissen werden, wenn man wie ich ein großer Softie ist.

Für den Abspann des Films jedoch hat Disney den Song umschreiben und von Teenie-Star Alessia Cara (in Deutschland: Helene Fischer) interpretieren lassen. Diese Art von Hitparaden-Zweitverwertung hat bei Disney Tradition (“A Whole New World” aus Aladdin ist vermutlich das bekannteste Beispiel) und ergibt oft taugliche Popsongs, befreit von ihren Musical-Ursprüngen, gerne interpretiert von ihren Autoren (“Can you Feel the Love Tonight” von Elton John, “You’ll be in my heart” von Phil Collins).

Das Ergebnis ist in diesem Fall allerdings einigermaßen furchtbar:

Der Grund ist meiner Ansicht nach, dass Disney sich diesmal zu sehr von aktuellen Trends hat leiten lassen. “How Far I’ll Go” in der Version von Alessia Cara ist kein zeitloser Popsong, sondern springt mit voller Wucht auf den aktuellen EDM-Trend in den USA auf, was man an zwei Merkmalen deutlich merkt, die praktischerweise beide im vergangenen Jahr im großartigen Podcast Switched On Pop erklärt wurden.

Das eine ist der momentan übliche Claven-Rhythmus, der den Four-on-the-Floor-Umpfer im Mainstream-EDM fast vollständig abgelöst hat. Nate Sloan und Charlie Harding vergleichen am Anfang einer Episode die Songs der Billboard Hot 100 und sie klingen alle gleich. Auch der große Pophit des vergangenen Sommers “One Dance” von Drake nutzt diesen im Vergleich zum geraden Viervierteltakt leicht verschobenen Rhythmus. Hier wirkt er aufgrund der großen Menge an Text, den Alessia Cara in gesteigerter Geschwindigkeit herunterattern mus, irgendwie extrem hektisch im Vergleich zu den stampfenden polynesischen Trommeln und Drama-Fanfaren des Originals.

Das zweite ist die von Nate und Charlie Pop Drop getaufte Eigenart aktueller Popsongs, dem eigentlichen Refrain eine Sektion folgen zu lassen, in der die Stimme des Interpreten zerhackt wird und eine völlig neue Melodie nachzeichnet. Dies ist die in die Popmusik übertragene Variante des “Drop” aus der EDM von Interpreten wie David Guetta, die keinen eigentlichen Refrain haben, sondern nur einen euphorischen Teil, bei dem die Menge besonders stark abtanzen soll. In vielen aktuellen Songs ist der “Pop Drop” der eigentliche Refrain und der Refrain verkommt zur Bridge. Aber “How Far I’ll Go” hat einen wunderbaren Refrain. Besonders die Wiederholung der Melodielinie über sich verschiebenden Harmonien in der Zeile “And no one knows / how far it goes” hat es mir angetan. Diesem Refrain noch einen mittelmäßigen Pop Drop folgen zu lassen ist wie einen Hut auf einen Hut zu setzen. Es ist überflüssig und hebt sich gegenseitig auf.

Dass es auch anders geht zeigt übrigens die Pop-Version von “You’re Welcome”. Ex-Disney-Sternchen Jordan Fisher singt hier die Melodie und Lin-Manuel Miranda rappt dazu einen “Guest Verse”, der im Film nicht zu hören ist. Das ganze passt aber gut und organisch zusammen. Für “How Far I’ll Go” hätte sich doch bestimmt auch ein Popsternchen finden lassen, der das Ganze in klassischer Film-Endballaden-Manier in die Welt krakeelt hätte. Kommt dann wahrscheinlich eines Tages auf einer dieser grausamen “Disneymania”-CDs.