Abschließende und Mehrwollende – Wer bist du?

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Will abschließen (links), will mehr (rechts)

Ich habe das Zitat zuerst in einem Scriptnotes-Podcast gehört. Einer Google-Suche zufolge wird es der amerikanischen Publizistin Dorothy Parker zugeschrieben und es drückt eigentlich schon vieles von dem aus, womit ich mich im folgenden Text beschäftigen will: “I hate writing, but I love having written.”

Dabei kann ich nicht einmal sagen, ob ich der ersten Hälfte des Zitates zustimmen würde. Ich hasse es nicht, zu schreiben. Aber die zweite Hälfte stimmt dafür umso mehr: Ich liebe es, etwas getan zu haben. Das geht mir nicht nur in der Produktion so, sondern auch in der Rezeption. Ein Buch durchlesen, einen Film fertigsehen, eine Serienstaffel beenden – das alles sind Momente, die mich mit Freude erfüllen. Sie geben mir das Gefühl, etwas geleistet, etwas geschafft zu haben. Eine Sache weniger vor Augen zu haben, die auf Vollendung wartet.

Das erste Feld eines neuen Weges

Doch wie so häufig stelle ich fest, dass mein Empfinden keinesfalls dem der gesamten Menschheit entspricht. Wie diametral entgegengesetzt die Wahrnehmung von Abschlüssen sein kann, erlebe ich jedes Mal wieder, wenn ich gemeinsam mit einer mir sehr nahen Person (insbesondere) Fernsehen gucke. In der letzten Folge der vierten Staffel von Game of Thrones passiert Einiges, auch Überraschendes, aber es gelingt der Serie, alle Hauptfiguren am Ende der Folge – und der Staffel – auf das erste Feld eines neuen Weges zu setzen und wunderbare offene Enden zu konstruieren. “Prima”, denke ich mir, während der Abspann läuft, “brillant beendet. Ich freue mich auf nächstes Jahr und bin froh, jetzt erstmal wieder andere Dinge zu machen.” Doch neben mir auf der Couch quietscht es entrüstet: “WAAAS? UND JETZT MUSS ICH WIEDER EIN JAHR WARTEN, BIS ES WEITERGEHT?”

Ich habe das Gefühl, dass die in Nerdkreisen so übliche Listenkultur eigentlich meine Sichtweise der Dinge unterstützt. Erst wenn ich einen Film gesehen, ein Buch gelesen habe, kann ich es in die “Erledigt”-Ecke meines virtuellen Regals stellen, egal ob auf Goodreads oder auf Letterboxd. Ein Buch, das auf ewig in meiner “Currently Reading”-Liste vor sich hinrottet, “bringt” mir nichts. Ich kann nicht behaupten, dass ich es gelesen habe. Und eine Serie, die nie endet, etwa eine Daily Soap, erlaubt nicht nur ihren Charakteren, sondern auch mir nicht, Frieden zu finden, abzuschließen, weiterzugehen.

Eine Art Limbus

Ich staune, wenn ich lese, dass meine Blogger_innen-Kollegen Björn und Yolanda Bücher nach der Hälfte oder zwei Dritteln zur Seite legen und nie wieder angucken. Sicher, so leben die Charaktere ewig fort, aber doch nur in einer Art Limbus – ohne Ziel und Zweck. Mein innerer Aspie würde da auf Dauer durchdrehen.

Die unterschiedlichen Bedürfnisse an große Erzählungen scheinen eine breitere Diskussion in der Popkultur, insbesondere in der Fan-Kultur zu sein. Nicht nur in der Serie Community ist eine Figur erst dann vollständig zufrieden, als sie mit dem Doctor Who-inspirierten “Inspector Spacetime” eine Obsession gefunden hat, die selbst in ihrem bisherigen Umfang quasi endlos ist und damit auch endlose Obsession zulässt. In einem lesenswerten Artikel auf “The Daily Dot” blickt Dominic Mayer kritisch auf die erste kanonische Veröffentlichung aus dem Harry-Potter-Universum seit mehreren Jahren und die bevorstehenden Filme, die J. K. Rowling derzeit schreibt, und zieht vergleiche zu George Lucas’ Herumdoktern an der ursprünglichen Star Wars-Trilogie, George R. R. Martins “Fuck You” an Fans, die verlangen, er möge schneller schreiben – und sogar Community selbst, die Serie, die sich auf immer absurdere Weise weigert zu sterben, um ihr selbst-gesetztes “six seasons and a movie”-Schicksal erfüllen zu können.

“Part of Art is Finality”

“[I]t’s hard to argue that part of art is finality”, schreibt Mayer. “The debate and continual reinterpretation is what keeps it alive, not a continuous stream of canon that ensures nobody ever has to feel sad about a thing they enjoyed coming to a close.” Ich bin geneigt, ihm Recht zu geben – und das als jemand, der sich bevorzugt mit nicht-endendem Franchising beschäftigt. Wie enttäuschend sind doch häufig nachgeschobene Sequels wie Indiana Jones and the Crystal Skull oder Live Free and Die Hard? Wie belanglos und leichenfleddernd neue Pink Floyd Alben 20 Jahre nach einem würdigen letzten Aufbäumen, das auf dem bittersüßen Gitarrensolo von “High Hopes” (allein der Titel!) geendet hatte?

Ich kann Anderen ihre Lust am Mehr nicht absprechen, finde es sogar bewundernswert, wenn sie so gut mit der Nichtabgeschlossenheit einer Geschichte leben können und gar nicht das Bedürfnis haben, eine Art “innere Ablage” zu betreiben. In unserer Kultur der “Hyper-Stasis” oder Atemporalität befeuert es aber natürlich auch das immerwährende Bedienen am Alten und die Weigerung, zu neuen Grenzen aufzubrechen, bis nur noch ein Weltuntergang helfen kann – wobei uns Comics, Alien-Filme und Posthume Auftritte natürlich daran erinnern, dass niemand tot bleiben muss.

Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende? Zu welcher Fraktion gehört ihr, liebe Leserinnen und Leser?

5 thoughts on “Abschließende und Mehrwollende – Wer bist du?”

  1. Da spricht wieder der Anwalt aus mir, mit einem zünftigen: “Es kommt darauf an.”

    Wo ich zustimmen kann, das ist die Nummer mit der Seifenoper. Ich mag es gar nicht, wenn Werke nur der Fortsetzung willen fortgesetzt werden. Ich habe früher z.B. auch ganz oft Comicserien aufgegeben, wenn sie nicht auf den Punkt kamen. Miniserien fand ich hingegen immer prima.

    Das hängt bei mir auch etwas damit zusammen, daß ich Cliffhanger nicht mag, ohne die Fortsetzung schon zur Hand zu haben. Also stapelten sich besagte Comichefte teils über Jahrgänge und ich wußte im Prinzip nicht mal, ob ich die überhaupt die ganze Serie über gut finden würde. Fernsehserien schaue ich dementsprechend auch oft später, wenn ich schon die nötigen Boxen habe. Außer ich bin zu neugierig, wie etwa zu letzt bei Breaking Bad.

    Ich habe weniger Probleme damit, etwas für abgeschlossen zu erklären, als eine Lücke zu akzeptieren. Da bin ich nahezu zwangshandelnd. Wenn also Halloween 3 aus der Reihe fällt und ich die Serie bis Teil 4 noch ansprechend finde, dann muß ich Teil 3 haben, ob ich den mag oder nicht. Wenn Supernatural eigentlich nach der 5. Staffel enden sollte und die Fortsetzungen gemeinhin nicht so gut aufgenommen wurden, dann ist mein Antrieb hingegen gering, unbedingt die weiteren Staffeln zu besitzen oder zu schauen.

    Grundsätzlich werte ich aber auch einen “Abschluß” staffelweise. Das heißt, wenn ich in meinem Büchlein eine Notiz über die gesehene Serienstaffel tätige, dann ist sie vorrüber (bzw. inzwischen mach ich das auch mal folgenweise, wobei die Staffel aber ja trotzdem ein offenes Projekt bleibt). Normal habe ich den Drang, die Staffel zum Ende zu bringen. Bei Staffel 7 in meiner Akte X Retro und der dritten Staffel Walking Dead und True Blood bin ich aber tatsächlich wegen Langeweile seit Monaten nicht weiter gekommen, weil es einfach wichtigeres für mich gibt. Andererseits muß ich zugeben, daß dadurch eine kleine Belastung auf mein Gemüt drückt.

    Überhaupt ist diese Sache mit dem Schreiben auch etwas, was zu solchem Druck beitragen kann. Es gibt inzwischen ganze Komplexe, die sich in meinem Kopf aufgebaut haben, die ich aber bisher nicht zu einem Abschluß bringen konnte. Manchmal sind dies Gedanken, die ich zeitlich nicht im Anschluß an einen Film umsetzen konnte und für deren Vollständigkeit ich inzwischen den Film noch einmal sehen müsste. Manchmal sind das ganze Werkschauen oder Verknüpfungen unterschiedlicher Verkettungen innerhalb eines Genres, die ich unbedingt im Detail verarbeiten möchte. Teils habe ich sogar damit begonnen und könnte mich jedes Mal dafür geisseln, daß ich diese Reihe schon zu lange nicht fortgeführt habe.

    Ich erinnere mich gut, als du bei Twitter mal von einem leergeschriebenen Kopf schriebst. Vermutlich ist das ein Zustand, der mir am angenehmsten wäre. Ein gänzlicher Abschluß und Raum für etwas Neues. Manchmal erreiche ich dies dann durch Verzicht. Ich habe auch nicht zum ersten Mal darüber nachgedacht, es einfach alles sein zu lassen. Aber dann kommt es doch wieder anders. Meistens durch ein kreatives Hoch. Und mein Archiv schwillt weiter an. Was dies angeht, wird es wohl nie ein Ende geben.

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