Was uns Dawn of the Planet of the Apes über gute Prequels lehrt

Spoilerfrei bis fast zum Schluss (mit Extrawarnung)

Schon Eddie Izzard hat gesagt: “Guns don’t kill people, people kill people – but monkeys do too, if they’ve got a gun.” Und noch befindet sich ein Film in unseren Kinos, der genau diese Comedy-Routine zu illustrieren scheint. “Without a gun, they’re pretty friendly, but with a gun, they’re pretty dangerous …”

Ich mochte Dawn of the Planet of the Apes, den neuesten Ableger des Planet-der-Affen-Franchises, das vor drei Jahren mit dem ersten Prequel Rise of the Planet of the Apes neues Leben eingehaucht bekam. (Warum der Dawn nach dem Rise kommt, weiß bis heute niemand.) Ich fand die Story gut und klar strukturiert, die Charaktere ordentlich ausgearbeitet und die Themen nicht allzu ungelenk aufgetischt. Dawn ist kein philosophisches Meisterstück, aber seine gute Regie und seine erstaunlichen visuellen Effekte erheben ihn über seinen By-the-numbers-Plot.

Der Weg ist das Ziel

Vor allem aber ist er ein hervorragendes Studienobjekt für die Regeln eines (guten) Prequels. In einer Zeit, in der Filmemacher und andere Erzähler überall nach Möglichkeiten suchen, im Rahmen einer etablierten Marke neue Handlungsbögen zu finden, wenden sie sich oftmals der Vorgeschichte eines Ur-Texts zu, um diese zu erzählen. Laut Wikipedia wurde der Begriff “Prequel” im Filmbereich erstmals in den 70ern breiter benutzt (Butch and Sundance: The Early Days) – reifte aber zu einem Wort, das jeder kennt, erst mit den Star Wars-Prequels heran. Die wiederum traten fast in jede Falle, die ein Prequel enthält.

In seinem Standardwerk Building Imaginary Worlds schreibt Mark J. P. Wolf zu Prequels:

Prequels are constrained by the works which come before them, […] since characters’ fates and situations’ outcomes, which appear in the original work, are already known; thus surprise can be lost, and the final state is more than predictable, it is already known for certain.

Wir wissen, zum Beispiel, welche Charaktere nicht sterben können, schreibt Wolf. Insofern gehe es bei einem Prequel eher um den Weg, als um das Ziel. Ein Prequel erschafft einen neuen Startpunkt für diesen Weg und beschreitet ihn bis zu dem Punkt der Reise, den wir bereits kennen.

Ich werkle immer noch an meinem Magnum Opus “Continuity” und dieser Blogartikel ist so eine Art Vorstudie zu einem Kapitel und damit vielleicht etwas ausführlicher als gewohnt. Wer direkt weiter zu den Affen springen möchte, kann das hier tun.

Reverse Engineering

Die beste Analogie aus einem anderen Weltbereich, die man für die Erschaffung eines Prequels ziehen kann ist “Reverse Engineering”. Dabei geht es darum, ein fertiges Produkt in seine Bestandteile zu zerlegen, um herauszufinden, warum es wie funktioniert. Das ultimative Ziel kann sein, eine Kopie herzustellen. Zunächst einmal geht es aber vor allem darum, das Zusammenwirken der Einzelteile zu verstehen, ohne die Originalbaupläne zu besitzen.

Der größte Unterschied zwischen Reverse Engineering in der Kohlenstoffwelt und dem Reverse Engineering, was ein Geschichtenerzähler betreibt, ist, dass ich nach dem Auseinanderbauen eines Gerätes nur die Teile vor mir liegen habe, die zuvor im Gerät enthalten waren. Wenn ich das Gerät wieder zusammenbauen will, kann ich folglich auch nur diese nutzen. Für die Erschaffung eines Prequels aber bin ich nicht auf diese Exklusivität angewiesen. Genau in diesem Unterschied lauern bereits die ersten Fallstricke.

Der Sirenenruf der dramatischen Ironie

Man könnte ja meinen, dass es aufgrund der oben geschilderten Limitierung eines Prequels durch den Originaltext für einen Zuschauer besser ist, wenn es das Original gar nicht erst kennt. Dem widerspricht Mark Wolf, wenn er schreibt:

[O]ften a prequel will rely on the audience’s knowledge of the original work, creating dramatic irony through the audience’s knowledge of how things will eventually turn out and knowing what the characters do not know.

Das Vorwissen um das, was später passiert, ist also integraler Bestandteil eines Prequel-Bauplans. Dramatische Ironie hingegen ist in unserer postmodernen Zeit ein machtvolles Werkzeug und wenige Autoren können sich ihrem Sirenenruf entziehen. Dieser Ruf wird allerdings umso lauter, je mehr man sich auf die oben erwähnten Original-Bauteile verlässt und je weniger man versucht, eine möglichst unabhängige Geschichte zu erzählen.

It’s a small world

Dann nämlich bleibt einem nichts anderes üblich, als die vorhandenen Puzzlestücke neu zu arrangieren und dadurch notwendigerweise neue Beziehungen zu schaffen, die vorher nicht vorhanden waren – und die es auch nicht gebraucht hätte. In den Star Wars-Prequels entstehen durch zu hohes Vertrauen in Bekanntes unter anderem die beinahe absurd scheinenden Tatsachen, dass Anakin Skywalker (später Darth Vader) C-3PO konstruiert hat oder das Boba Fetts Vater Jango der Ur-Klon aller Klonkrieger ist. Mit anderen Worten: Die epische, viele Sternensysteme umspannende Saga über das Schicksal einer Galaxie findet im Kern fast ausschließlich im Zusammenspiel einer Handvoll Figuren statt, die über die Jahre hinweg immer und immer wieder zusammenstoßen.

Der Reiz dahinter ist klar: Es gefällt uns, als Zuschauer Mitwisser zu sein und – anders als die Charaktere – einen Schritt zurücktreten zu können und zu sehen, wie alle Zahnräder ineinandergreifen (→ Operationelle Ästhetik). Das Auftauchen vertrauter Elemente gibt dem Story-Universum Konsistenz. Zu wissen, dass zwei Charaktere einander später noch einmal begegnen werden oder dass ein Charakter seine Meinung zu einem Thema später radikal ändern wird, deutet auf die elementare Ironie unserer Existenz hin.

Meistens nutzen Prequels dieses Wissen für kleine Insider-Gags. Etwa wenn Wolverine in X-Men: First Class auf eine Rekrutierungsanfrage mit einem beherzten “Fuck you” antwortet. Wenn Gloín in The Hobbit: The Desolation of Smaug ein Bild verliert und Legolas erklären muss, dass darauf sein Sohn Gimli (in gut 80 Jahren Legolas’ BFF) zu sehen ist. Und auch das Apes-Franchise konnte in Rise nicht widerstehen, der berühmtesten Dialogzeile des 1968er-Originals ironisch Tribut zu zollen: “Take your stinking paws off me, you damn dirty ape.” (Natürlich kein Vergleich mit Troy McClures Darbietung)

Der Königsweg durch gefährliche Fahrwasser

Geht man über spielerische Andeutungen wie die oben erwähnten hinaus, begibt man sich sehr schnell in gefährliches Fahrwasser. Die Resultate ähneln dabei manchmal fast schon Zeitreise-Paradoxa: Man erschafft Beziehungen zwischen Charakteren von denen diese dann zu einem späteren Zeitpunkt (in der diegetischen Zeit) nichts mehr wissen, weil dieser spätere Zeitpunkt (in der extradiegetischen Zeit) eigentlich ein früherer Zeitpunkt ist.

Die vermeintlich elegantere Methode ist es, diesen Widerspruch einfach zu ignorieren und das extradiegetische Wissen des Zuschauers als Teil der Gleichung zu begreifen. Alternativ kann man den Nerdweg gehen und eine oft unnötig komplizierte “Retcon”-Lösung suchen, die dafür aber zumindest streng genommen keine Widersprüche mehr enthält. Wer es drauf anlegt, kann genau aus solchen Konstruktionen eigene Plots generieren.

Ein Beispiel für den ersten Weg findet sich im Pixar-Prequel Monsters University, dem beinahe eine einzige Dialogzeile aus dem Originalwerk das Kreuz gebrochen hätte, bis man sich entschied, mit dem Widerspruch zu leben. Bryan Singer wählte in X-Men: Days of Future Past eine Art Mittelweg, vielleicht sogar den Königsweg: Er hatte für jede vermeintliche Ungereimtheit zu den Vorgängerfilmen eine Erklärung parat, walzte diese aber nicht auf der Leinwand aus.

Affen auf Pferden

Und damit kommen wir dann auch endlich zu Dawn of the Planet of the Apes. Die Apes-Serie gehört, was die Continuity angeht, zu den kompliziertesten Franchises, die es gibt. Bereits die fünf ursprünglichen Filme enthielten Zeitreisen und damit auch Retcons (Affen, die aus der Zukunft in unsere Gegenwart reisen, bringen den Ursprung für die spätere Zerstörung der Menschheit mit sich). Die neuen Filme Rise und Dawn ignorieren Teile der ursprünglichen Timeline, sind aber auch keine richtigen Reboots der Gesamtserie, weil sie die Bezüge zum Originalfilm von 1968 beibehalten. (Eine ausführliche Analyse inklusive Zeitstrahl findet sich auf “io9”)

Dawn ist (ebenso wie Rise) also auf jeden Fall ein Prequel zu Planet of the Apes und, wie ich finde, ein gutes. Mit all den Vor-Erklärungen dieses Artikels kann man das Warum vielleicht auf drei Punkte reduzieren:

1. Er verweigert sich der Zirkellogik und damit der begrenzten Welt der Original-Sequels Escape und Conquest, in denen der Ursprung für die frühere Geschichte in der späteren Geschichte und damit wieder in der früheren Geschichte liegt. Stattdessen öffnet er die Welt der Geschichte für neue Zeiten, neue Figuren und neue Geschichten, die zwar auf den Ur-Text hinführen, diesen aber erzählerisch kaum beeinträchtigen.

2. Seine Verwandtschaft zum Ur-Text beweist der Film statt durch direkte erzählerische Bezüge lieber durch visuelle Motive, die wie Echos durch die Saga hallen. Meiner Ansicht nach das stärkste Motiv dieser Art sind Affen, die wie Menschen auf Pferden reiten – ein Bild das Charlton Heston dereinst im Original den Atem raubte und das hier eine ähnliche Wirkung entfalten soll (eine wirklich naheliegende Erklärung für die equestrische Kriegsführung gibt es in Dawn nämlich nicht [Ergänzung, 24.11.2014, @die_krabbe sieht das anders und das stimmt wohl]).

3. Den direkten Bezug findet der Film, indem er nach einem entscheidenden Moment sucht, der sozusagen die Timeline der Welt endgültig in Richtung des Originaltextes ausrichtet. Rise erforschte den ultimativen Ursprung der Apes-Saga, indem er den Moment fand, in dem die Apes-Timeline sozusagen von unserer realen abweicht. Dawn sucht den “Sündenfall”, in dem sich eine friedliebende Affen-Gemeinschaft auf den Weg macht, die kriegerische Affen-Zivilisation aus dem Ursprungsfilm zu werden.

(Spoiler in diesem Absatz) Drehbuchautor Mark Bomback beschreibt diesen Moment – in dem Caesar die goldene Regel bricht und Koba tötet, was auch mir im Kino am meisten Bauchgrimmen verursacht hat – im Podcast bei Jeff Goldsmith sehr genau (ungefähr bei 59:00): “He has to come to this very complicated decision, which is: this rule must be broken if we are to survive, but in breaking it, I’m actually breaking something in our community that’s never going to be healed.” (SPOILER ENDE)

Apes vs. George Lucas

Durch diese drei Merkmale – die Öffnung der Welt, die visuelle Verwandschaft und die Erforschung von Schlüsselmomenten – wird aus Dawn of the Planet of the Apes ein Prequel, das die Welt des Originalwerks erweitert, dessen Geschichte weitererzählt in dem es den Weg zum Ziel beschreibt, aber ohne dass es sich zu sehr auf die reine Rekombination von bereits vorhandenem verlässt.

In gewisser Weise kann man dem die Star Wars-Prequels entgegensetzen, welche die Welt nur sehr zaghaft öffneten (indem sie viele Schauplätze und Charaktere recyceln), kaum visuelle Verwandschaft demonstrieren (die Welt der Prequels sieht ganz anders aus als die der Originalfilme) und im Endeffekt einen einzelnen Schlüsselmoment “Wie wurde Anakin Skywalker zu Darth Vader” auf drei Filme auswalzen, bis man ihn nicht mehr sehen will. (Für Red Letter Media ist diese Konzentration auf die Vader-Story der Hauptgrund für die Ineffektivität der Prequels.)

Da inzwischen klar ist, dass es einen dritten Apes-Film aus der neuen Serie geben wird (denn aller guten Trilogien sind drei), bleibt zu hoffen, dass Bomback und Regisseur Matt Reeves auch dort noch gutes Prequel-Material finden werden. Die Zeichen dafür stehen ja eigentlich ganz gut. Alternativ könnte man der Izzard-Idee folgen, einen Affen mit Waffe in Charlton Hestons Haus einschließen und gucken, was passiert.

11 thoughts on “Was uns Dawn of the Planet of the Apes über gute Prequels lehrt”

  1. Ich sehe den Reboot der PLANET OF THE APES-Reihe wirklich gar nicht allzu sehr als Prequels. Die neuen Filme erschaffen meiner Meinung nach eine ganz neue Erklärung, wie es zum Planet der Affen kommen konnte. Natürlich finden sich dabei auch immer wieder Verweise oder Zitate zum Original, aber ich bezweifle doch, dass dieser Zeitstrahl letztlich mit dem von Charlton Hestons Mission zusammenfällt.
    Was uns DAWN OF THE PLANET OF THE APES allerdings lehren kann ist, wie man ein gutes, gelungenes und nicht überflüssiges Aufleben eines bekannten Filmstoffs gestaltet.

  2. “Warum der Dawn nach dem Rise kommt, weiß bis heute niemand.” An dieser Stelle musste ich lachen. Das ist mir vorher noch gar nicht aufgefallen. Ich fand Dawn noch besser als den ersten Teil und mir gefällt auch die Suche nach dem “Sündenfall”. Dadurch das man bereits weiß, worauf es hinauslaufen wird, ist es umso spannender zu sehen, wie man dorthin kommt. Ich habe den Eindruck, dass es in den letzten Jahren vermehrt Filme wie Disney’s “Maleficent”, Fernsehformate und auch Theaterproduktionen wie Danny Boyle’s “Frankenstein” (National Theatre London, 2011) gibt, die genau diesen Weg gehen. Da mag sicherlich auch der aktuelle Fortsetzungswahn der Studios eine Rolle spielen, allerdings ist es bei den richtigen großen Franchises wie Star Wars, X-Men und auch Planet der Affen immer schwierig noch einen ordentlichen Einzelfilm hinzukriegen, wenn man berücksichtigen muss, dass man irgendwann eventuell nochmal eine Einzelheit oder einen Handlungsstrang “braucht”. Das erklärt auch beispielsweise Marvel’s Strategie, einfach Schauspieler für mehrere Filme zu verpflichten um auch die Möglichkeit zu haben, eine anständige und halbwegs schlüssige Narration hinzubekommen. Und bisher geht dieses Konzept ja auch gut auf.

    Hier meine Dawn-Filmkritik: http://filmkompass.wordpress.com/2014/08/08/dawn-of-the-planet-of-the-apes-3d-2014/

    1. Hallo Franziska. Was du ansprichst ist eines meiner Haupt-Obsessions-Themen hier im Blog, die Veränderung der Erzählkonventionen im Kino, die mehr zu seriellem Erzählen neigen und welche Opfer man dazu bringen muss. Auch über revisionistische Märchen wie “Maleficent” habe ich mal irgendwo geschrieben, wobei ich “Maleficent” selbst noch gar nicht gesehen habe. Und die “Frankenstein”-Aufführung im Kino habe ich leider verpasst – und das als Riesenfan von Danny Boyle. Das mit den Langzeitverträgen ist tatsächlich eine Taktik, wie man das hinbekommt – es ist in gewisser Weise auch eine Rückkehr zum Studiosystem der 30er/40er als die Schauspieler fest unter Vertrag bei den Studios waren. Ein Post namens “Die Marvel-Methode” liegt schon in meinen Drafts und wartet nur auf Veröffentlichung. Vielen Dank für’s Kommentieren!

  3. Vielleicht wurde es vorher schon einmal kurz erwähnt, aber was genau hat es denn mit diesem Magnum Opum “Continuity” auf sich?

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