Das Internet hat die Musikindustrie nicht nur durch illegale und legale Downloads verändert. Die Talentbörsen der Gegenwart sind immer häufiger MySpace und YouTube. Weil in dieser Interviewserie aber nicht die großen, sondern die kleinen Erfolge beleuchtet werden sollen, folgt nun weder ein Interview mit den Arctic Monkeys noch mit Lily Allen, sondern mit Hanspeter Heß alias The Healing Road.
The Healing Road wandelt mit seinen teils sphärischen, teils knallenden, Keyboard-getriebenen Stücken vor allem auf den Spuren von Mike Oldfield – nicht die Art von Musik, mit der man heute noch Stadien füllt, aber für einen kleinen Kreis von Liebhabern durchaus interessant. Interessant dabei auch: Hanspeter Heß ist 43 und hat bis 2005 noch nie öffentlich Musik gemacht. Inzwischen verlegt der französische Special-Interest-Vertrieb Musea seine drei Alben und in der kleinen Szene ist der Winnender durchaus ein bekannter Name.
Ich habe mit Hans über die späte Erfüllung eines Traums gesprochen und musste dabei feststellen, dass er zum Internet durchaus eine konservative Haltung einnimmt.
Ich kenne Hans, weil uns die gemeinsame Liebe zur amerikanischen Progrock-Band Spock’s Beard verbindet. Ich bin auch ein Mitglied der Community, in der Hans seine ersten Schritte gemacht hat, und ich war am The Bearded’s Project beteiligt.
Real Virtuality: Würdest du sagen, dass The Healing Road eine Erfolgsstory ist?
Hanspeter Heß: Ich werde dadurch nicht reich oder berühmt und ich bekomme keine Preise dafür verliehen. Aber subjektiv empfinde ich die 5 Jahre seit dem Beginn des Projekts durchaus als Erfolg. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, zum ersten Mal in meinem Leben eigene Musik aufzunehmen, andere Musiker einzubinden, weltweit Alben zu veröffentlichen und in bescheidenen Mengen zu verkaufen, ganz ohne Kontakte zur hiesigen Musikerszene, ohne Beziehungen und ohne dafür mein Leben neu zu organisieren und andere Dinge zu vernachlässigen.
Ich bin einfach seit jeher ein riesengroßer Musik-Fan und als solcher ist es natürlich ein Traum, einmal ein eigenes Album in Händen halten zu dürfen und es darüberhinaus sogar zu verkaufen. Wenn mir ein Freund Fotos schickt von einem Open Air auf der Loreley, wo am Verkaufsstand ein Album von mir angeboten wird, macht mich das glücklich.
Erzähl doch nochmal kurz, wie das Ganze aus deiner Sicht seinen Anfang nahm.
2005 habe ich mir aus Neugier einen kleinen Apple-Rechner gekauft und darauf zufällig “Garage-Band” gefunden. Ich schloss also ein altes Keyboard an und nahm, fasziniert von den Möglichkeiten so einfacher Software, ein bisschen Musik auf. Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend 10 Jahre lang Klavierunterricht, somit war ein gewisses Fundament vorhanden. Eher aus Spaß präsentierte ich das Ergebnis bei thebearded.de. Ein paar Leute mochten es, machten Mut, mich damit intensiver zu beschäftigen und hatten die Idee, über moderne Recording-Software mal eine Zusammenarbeit übers Internet zu versuchen. Das war die Geburtsstunde von The Bearded’s Project, einer 2007 erschienenen Doppel-CD der The Bearded-Community für die Kinderhilfe Afghanistan, an der fast die gesamte Gemeinschaft irgendwie beteiligt war, als Musiker, Cover-Designer, PR-Aktivist oder auch durch Ansporn und Kritik.
Es war eine unwahrscheinlich spannende und fruchtbare Zeit und ich hätte nie gedacht, dass man so etwas fast ausschließlich über’s Internet realisieren kann. Eine Begleiterscheinung dabei war, dass ich nun Schritt für Schritt verfolgen konnte, wie man ein Album macht und nach und nach meine Ahnungslosigkeit diesbezüglich verlor. Ich nahm nebenher neue eigene Musik auf und stieg auf professionelle Software (Logic) und einen stärkeren iMac um. Ich meldete mich außerdem bei MyOwnMusic an und bekam dort viel positives Feedback, unter anderem auch die eine oder andere Anfrage, ob es von mir ein Album zu kaufen gibt. Also hatte ich irgendwann rund 60 Minuten Musik beisammen und wusste, was zu tun ist, um ein passabel klingendes Ganzes daraus zu machen. Die Erfüllung eines alten Traums war plötzlich zum Greifen nah und das Debüt Anfang 2007 fertig. Danach hatte ich richtig Blut geleckt. Die erste CD war noch überwiegend am Keyboard entstanden. Nun wollte ich mehr Musiker dabei haben, mehr echte Gitarren, Drums und Bässe hören. Meine Musiker-Freunde von The Bearded und neu hinzugekommene Gastmusiker aus My Own Music leisteten wertvolle Beiträge, ich hatte zwei sehr kreative Jahre und es entstanden die Nachfolgealben Timanfaya und Tales from the Dam. Letzteres konnte ich als LP mit beigelegter CD umsetzen, was mich als Kind der Siebziger sehr gefreut hat.
Und wie kam es dann zu dem Deal mit Musea?
Anfang 2008 hatte ich Timanfaya fertig und war schon am dritten Album. Ich war fasziniert von der Idee, das als LP zu veröffentlichen. Weil das ein relativ kostspieliges Unterfangen ist, von der Pressung bis hin zum teureren Versand, versuchte ich ohne große Hoffnungen einfach mal, ein Label zu kontaktieren. Ich wusste, dass Musea Records für einen Teil der The Bearded’s Project-Alben den Vertrieb übernommen hatte. Ende Juli 2008 schrieb ich denen also eine Mail und schickte per Post Timanfaya und das frisch gemasterte dritte Album als Hörproben hinterher. Dann ging alles recht schnell: Sie waren wunderbarerweise nicht nur bereit, Tales from the Dam tatsächlich als LP mit beigelegter CD zu vertreiben, sondern auch, mir den Selbstvertrieb von Timanfaya abzunehmen. Ich bekam Mitte September die Vertragsentwürfe geschickt und nahm sie zum Studium mit in den Urlaub, um sie danach zu unterschreiben. Sechs Wochen später hatte Musea Timanfaya bereits in ihrem Webshop und den Vertrieb von Tales übernahmen sie von Anfang an.
Verdienst du Geld mit deiner Musik?
Ich könnte, wenn ich nicht so sehr auf Alben mit opulentem Artwork stehen würde. Mit den bisher verkauften Alben wäre ich schon in der Gewinnzone, wenn ich Timanfaya und Tales from the Dam in einer kostengünstigen Standard-Pressung hätte machen lassen. Aber für Timanfaya wollte ich unbedingt ein hochwertiges 12seitiges Booklet mit Infos zu den Stücken und Bildern des Malers Herbert Wanderer, außerdem habe ich das Album von einem Profi mischen lassen. Und was die kombinierte LP-/CD-Pressung von Tales finanziell bedeutet, kann man sich denken. Es geht mir nicht um’s Geld verdienen, das tue ich tagtäglich im Büro. Ich will mir Träume erfüllen, kreativ sein.
Ist das zum Beispiel auch der Grund, warum http://www.thehealingroad.de nicht existiert?
Sicher. Eine professionell gestaltete und regelmäßig aktualisierte Homepage unter einem griffigen Namen wäre natürlich hilfreich und verkaufsfördernd. Aber das würde mich viel Zeit kosten, die ich nicht habe. The Healing Road ist nach wie vor das Hobby eines Berufstätigen mit fester Beziehung, der sein Leben sortiert halten muss.
Das klangliche und optische Endergebnis steht immer über dem Gewinnstreben und deshalb arbeite ich auch nach wie vor hartnäckig der Kostendeckung entgegen. Ich habe auch das große Glück, viele Idealisten an Bord zu haben. Keiner der Musiker wollte Geld, auch das Cover-Design, die Schriftzüge, die Fotos und Malereien in den Artworks der Alben, steuerten Leute bei, die das nicht für Geld tun, sondern um am Ende Teil des Ganzen zu sein. Ohne sie könnte ich meine Musik nicht in dieser Form verwirklichen und präsentieren, dann gäbe es nur eine Download-Version bei iTunes.
Welche Rolle spielt das Internet in deiner Funktion als Musiker für dich jetzt?
Mir als Amateur, der sein Geld nicht mit Musik verdienen muss, bietet das Internet grenzenlose Möglichkeiten. Ich kann mir auf der ganzen Welt Mitmusiker suchen und Dateien mit ihnen austauschen, es gibt unzählige Plattformen, wo man umsonst seine Musik präsentieren und Hörer finden kann. Ohne das Internet würde ich keine Musik aufnehmen, es gäbe keine CDs von mir. Das Internet ist für mich die Möglichkeit, mit anderen Musikern zu interagieren, ohne dabei durch geographische Distanz oder Zeitprobleme behindert zu werden. Ich bin 43, viele meiner Mitmusiker bei The Healing Road sind in einem ähnlichen Alter. Wir leben verstreut über ganz Deutschland, einige haben Kinder, jeder seinen Job und seine Verpflichtungen. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, zusammen Musik zu machen, die es ohne dieses Medium nie gäbe.
Du und das Internet, war das Liebe auf den ersten Blick?
Ich habe mich ungefähr 1990 über Compuserve vernetzt und war spontan fasziniert. Das WWW war damals noch eher eine Randerscheinung. Abends eine Mail an einen Freund in Kanada zu schreiben und am nächsten Morgen die Antwort abzurufen, fand ich sensationell. Damals war alles noch nicht so werbeverseucht, es war durchaus Liebe auf den ersten Blick.
Wie ist dein Verhältnis zu dem Medium heute?
Es ist ein zwiespältiges Verhältnis. Oben habe ich ja beschrieben, dass mir das Internet das Ausüben eines sehr schönen und erfüllenden Hobbys ermöglicht, das weiß ich zu schätzen. Auch die Erfahrung von The Bearded’s Project, die Tatsache, dass eine Internet-Community eine gemeinsame kreative Anstrengung unternimmt, an deren Ende gar nicht virtuelle, sondern sehr reale 7000 Euro für einen guten Zweck zusammenkommen, zeigen mir, dass man das Medium konstruktiv und bereichernd nutzen kann. Andererseits gibt es Dinge, die ich für bedenklich halte: Die grenzenlose Kommerzialisierung, das Mobbing via Internet, das kaum kontrollierbare Sammeln von Daten, zu viele “soziale Netzwerke”, zu viele virtuelle Freunde usw. Ich denke, sobald das Internet zum Selbstzweck verkommt, sollte man sich Gedanken machen.
Welche Plattformen nutzt du?
Ich bin mit meiner Musik auf MySpace und MyOwnMusic und schaue hie und da für ein paar Kontakte zu Schul- und Studienfreunden bei Stayfriends rein. Kein Twitter und kein Facebook bisher.
Musstest du mit Höhenflügen klarkommen, als The Healing Road plötzlich zu einem kleinen Erfolg wurde und du rezensiert und interviewt wurdest?
Natürlich ist es schmeichelhaft, wenn man “stattfindet” – wenn Internet-Radios im Ausland plötzlich meine Musik spielen oder sich neben den einschlägigen Online-Rezensions-Seiten auch mal das eine oder andere halbwegs bekannte Printmagazin zu einer positiven Rezension hinreißen lässt. Ich hatte da durchaus eine Phase der Euphorie. Das habe ich genossen, aber ich denke, ich bin schon zu alt, um mich davon blenden zu lassen. Probleme tauchen dadurch aber dennoch auf, und zwar dann, wenn man nach solchem Feedback neue Musik aufnehmen will. Plötzlich ist die Unschuld weg, man werkelt nicht drauf los, sondern macht sich auf einmal Gedanken, wie das beim Hörer wirkt, wie die Erwartungen sein könnten, evtl. auch was an den letzten Alben moniert wurde. Das ist keine gute Voraussetzung, um Musik zu machen und es braucht ein wenig Zeit, sich daran zu gewöhnen und diese Hintergedanken zu verdrängen.
Betreibst du aktiv Werbung für deine Musik, promotest du sie?
Ich bin ein miserabler Promoter. Ich habe schon ein wenig Werbung in zwei oder drei einschlägige Foren gepostet, meist Fan-Communities von Bands, die musikalisch verwandt mit oder Vorbild für meine Musik sind. Ich bin aber sehr froh, dass sich darum jetzt Musea Records kümmert.
Was macht Musea denn für dich? Nutzen die die Fan-Gemeinschaft im Internet?
Musea scheint einen sehr aufmerksamen und musikhungrigen Kundenkreis zu haben, der sich vorrangig übers Internet informiert. Die müssen gar nicht teuer in Print-Magazinen inserieren. Es reicht, wenn sie ihre PDF-Flyer per Rundmail verschicken und ihre Internet-Connections nutzen. Gerade im Progressive Rock – Bereich scheint sich eine Art Subkultur im Internet entwickelt zu haben, die von den herkömmlichen Vermarktungswegen getrennt und nicht abhängig ist. Da läuft viel über Mund- bzw Mailpropaganda und Rezensions-Seiten.
Welche Rolle spielt dabei die Vermarktung deiner Person und Geschichte?
Beim ersten Album spielte das noch eine nennenswerte Rolle, weil alles noch so frisch und gerade erst passiert war. Mittlerweile erwähne ich es nicht mehr, ich schreibe dann eben, dass es das Projekt nun seit 5 Jahren gibt und 2007 das erste Album erschien. Auch Musea stellt mich da nicht sonderlich heraus, ich werde lediglich als Schöpfer und Chef des Projekts genannt.
Glaubst du denn trotzdem, dass es sowas wie einen Underdog-Charme bei The Healing Road gibt?
Zumindest anfangs gab es den ganz sicher. Ich habe neulich auf MySpace einen Künstler gefunden, der gar angab, dass die Entstehunsgeschichte meines Projekts ihm den Mut gab, sich selbst an etwas ähnlichem zu versuchen. So jemand kauft die CD nicht vorrangig wegen des perfekten Sounds, sondern weil ihm diese Geschichte irgendwie sympathisch ist.
Was ist deine Zielgruppe, falls du so etwas hast? Bekommst du Rückmeldungen?
Das bisherige Feedback lässt vermuten, dass es einen Peak der Käuferanzahl bei Männern zwischen 30 und 50 gibt, nicht untypisch für Musik dieser Art. Längerfristiger Kontakt hat sich mit ein paar Radio-DJs ergeben, das sind oft die selben Musik-Freaks wie ich einer bin. Das läuft eigentlich alles in normal-freundschaftlichem Ton auf Augenhöhe ab und nicht “von Künstler zu Hörer”.
Hast du auch negative Erfahrungen gemacht?
Es gab bisher keine Kritiken unter der Gürtellinie. Ich denke, dafür ist das Ganze noch in zu harmlosen Dimensionen. Diese Auswüchse entstehen meist, wenn wirklicher Neid existiert oder der Erfolg eines Projekts manchem unangemessen und unverdient erscheint. Dafür bin ich einfach zu unbekannt, denke ich.
Hast du irgendwelche Ziele, was du mit The Healing Road noch erreichen möchtest?
Noch ein Album machen, das besser ist als die ersten drei.
Allgemein gesprochen: Wie, würdest du sagen, hat das Internet dein Leben verändert?
Es hat vieles einfacher gemacht. Es hat den Kontakt zu Freunden erleichtert, hat verhindert, dass ich Leute aus den Augen verloren habe, es macht es mir leicht, mich über Musik oder Literatur zu informieren, Bildungslücken zu schließen, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen, mal eben den Kontostand abzufragen, ohne zur Bank zu müssen und so weiter. Meine Leidenschaft für die Musik konnte ich dank des Internets vom reinen Konsum auf das Veröffentlichen eigener Alben ausweiten.
Und genauso allgemein gesprochen: Was könnte im Internet noch besser laufen?
Ich denke, es liegt an jedem einzelnen User selbst, was er daraus macht. Man könnte es oft etwas umsichtiger und wohldosierter nutzen, weniger konsumieren, aktiver daran teilnehmen. Es hat bei aller Kommerzialisierung enormes Potenzial, das man nur erkennen und nutzen muss.
Sie spricht mit Menschen, in deren Leben sich durch das Internet etwas verändert hat, über das Internet.
Solch ein schönes Interview habe ich lange nicht mehr gelesen, natürlich, sympathisch, auf beiden Seiten geschliffen formuliert und informativ. Ein Lichtblick!
Vielen Dank, daß ich auf diese Art und Weise meinen Kollegen und Mitmusiker noch ein bißchen besser kennenlernen konnte!
Hut ab!