Dieser Gastbeitrag von Sebastian Mattukat enthält Spoiler für Oblivion. Ich habe den Film nicht gesehen, aber durch Zufall gelesen, wie er endet. Danach habe ich Sebastian, dem Regisseur des Kurzfilms The Rising, leicht ironisch die Frage der Überschrift gestellt. An seiner Reaktion war abzulesen, dass ich nicht der erste war. In unserem anschließenden IM-Gespräch habe ich ihn gefragt, ob er nicht Lust hat, seine Erfahrungen aufzuschreiben. Entstanden ist der erste Gastbeitrag dieses Blogs. Viel Spaß!
„Oblivion schon gesehen?“ Diese Frage wurde mir in den letzten Tagen immer wieder gestellt. Meistens schauen mich die Freunde und Kollegen dann mit einer Mischung aus Entrüstung und verschmitztem Grinsen an. Denn sie wollen eigentlich keinen Filmtipp bekommen, sondern mir eine ganz bestimmte Reaktion entlocken.
JA, ich habe Oblivion gesehen und JA, auch mir ist aufgefallen, dass dieser 120-Millionen-Dollar-Film fast die gleiche Handlung wie mein Kurzfilm The Rising hat. Das Gefühl, im Kino zu sitzen und aufgrund einer kleinen Ähnlichkeit zu schmunzeln ist amüsant. Aber während des Films ein Déja-Vu nach dem anderen zu haben, ist für mich in dieser Form neu. Hier geht es nicht nur um die gleiche Art von Film (Transformers vs. Battleship oder A Bugs Life vs. Antz), sondern um eine verblüffend ähnliche Handlung. Im Grunde könnte man mit The Risings und Oblivions Synopsis das Avatar/Pocahontas-Spiel betreiben.
Denn The Rising lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Unser einsamer Held zieht über die zerstörte Erdoberfläche, sammelt Daten und muss sich immer wieder per Funk bei der Obrigkeit im Bunker melden. Sonst gibt es Ärger. Doch wie das in Filmen so ist, kommt unser Held eines Tages von seiner normalen Route ab und erfährt, dass er ein Klon ist. Doch nicht nur das, er findet ebenfalls heraus, dass es einen Widerstand gibt, der sich gegen die Herrscher im Bunker auflehnt. Nach kurzem Zögern schließt er sich diesem an und beginnt gegen das System und die Unterdrückung zu kämpfen.
Zieht man bei Oblivion die beiden Frauenrollen und ein paar Schauwerte ab, sitzt man vor der Spielfilmversion meines Kurzfilms. Wie kann das passieren? Haben wir geklaut? Nein. Hat sich Joseph Kosinski etwa bei uns bedient? Immerhin tourt The Rising schon seit Oktober 2012 durch die Welt der Festivals. Brauchen wir einen Anwalt? Wohl eher nicht.
Gehen wir noch einmal zurück zu Avatar. Beim Schreiben des Drehbuches hat James Cameron sich bestimmt nicht gedacht, dass ein wilder Mix aus Der mit dem Wolf tanzt und Pocahontas genau das Richtige für ihn ist. Viel eher wird er sich überlegt haben, was für eine Art von Geschichte er erzählen möchte. Er wird sich überlegt haben, was ihm an Subtext wichtig ist und wie er diesen am sinnvollsten vermitteln kann.
Genau das war unsere Vorgehensweise bei The Rising. Als Tobias Voigt und ich das Drehbuch schrieben, war für uns von Anfang an klar, dass wir einen düsteren Endzeitfilm machen wollten. Nach einer kurzen Überlegung, den Tag der Katastrophe zu zeigen, entschieden wir uns schnell, dass Leben in der zerstörten Welt in den Fokus der Geschichte zu rücken. Wir entwickelten die Hintergrundgeschichte akribisch, um unsere Welt zu kennen und logisch zu gestalten. Unser Gedanke war, dass — wenn die große Katastrophe von Menschenhand herbeigeführt wurde — größtenteils nicht die Unschuldigen überlebt hätten, sondern die Verantwortlichen. Doch eine böse Hauptfigur würde unseren Film nicht tragen. Genauso wenig wollten wir, dass unser Protagonist von vornherein auf der Seite der Guten steht. Uns interessierten die Zwischentöne. Die logisch Konsequenz war daher der Wandel von einem einfachen Menschen, einem Arbeiter, zum Revoluzzer.
Doch wie erklärt man, dass ein Arbeiter erst beim Einsetzen des Films urplötzlich seine Welt hinterfragt? Wir mussten mit ihm auf Entdeckungsreise gehen und hinter die Fassade des Bunkers schauen. Wenn Protagonist und Zuschauer zur gleichen Zeit die Welt zum ersten Mal erleben, wird man in diese hineingezogen. Filmisch bleiben einem hier nur eine Handvoll Möglichkeiten. Man kann zum Beispiel die Geschichte aus der Sicht eines kleinen Kindes erzählen, was für unseren sehr physischen Film schwierig geworden wäre. Oder aber man spart sich knapp 30 Jahre Leben und erschafft einen Klon. Dieser Klon kann Kindesgleich über die Erdoberfläche ziehen und wir können mit ihm den Alltag, die Angst und die Wut hautnah mitempfinden. Somit folgt die Handlung ihrem eigenen, inneren Kompass.
Aufgrund solcher dramaturgischen Schlussfolgerungen ähneln sind sich bestimmte Erzählstrukturen immer. Beim Schreiben wird die Umwelt absorbiert und auf ihre Essenz herunter gebrochen. Wir überlegen uns die schlimmsten Katastrophen, die schönstmöglichen Momente und packen diese in unsere Geschichten. Deshalb ist es weniger spannend zu sehen, welche Filme die gleiche Handlung haben. Es ist viel interessanter und erkenntnisreicher zu schauen, welche Themen sich gleichen. Es gibt in diesem Jahr so viele Endzeitfilme wie schon lange nicht mehr. Sie erzählen von Zombies, Utopien im Orbit und von der verlassenen Erde. Augenscheinlich gibt es ein tiefes, inneres Bedürfnis beim Publikum, solche Geschichten zu sehen. Selbst im Mainstreamkino.
Die Schönheit des Kinos und des Filmemachens liegt doch darin, dieses Verlangen zu erkennen und für den Zuschauer erlebar zu machen. Und wenn mich jemand fragt, ob ich Oblivion schon gesehen habe, dann kann ich mich natürlich einen kurzen Moment ärgern. Aber im nächsten Augenblick ist die Freude größer, dass wir eine Geschichte erzählt haben die anscheinend nicht nur uns interessiert.
Sebastian Mattukat ist Filmemacher aus Berlin. Sein Kurzfilm The Rising ist nach wie vor auf verschiedenen Kurzfilmfestivals zu sehen. Folgt ihm auf Twitter.
Also Oblivion wird ja oft vorgeworfen, eine dreiste Kopie von Duncan Jones “Moon” zu sein, der auch gerade diese Story mit dem Klon, der Erforschung/Arbeit der Oberfläche, Melden and die Obrigkeit und dem Bunker, etc enthält. Was sagt ihr zu dem Film, schon gesehen? Zeitlich wäre er ja zumindest vor eurem anzusiedeln :-)
Spannender Text, es ist interessant zu erfahren, wie Filmemacher diese – ich nenne es mal “Problematik” – selbst wahrnehmen. Natürlich hat Kosinski nicht direkt geklaut (zumindest nicht von The Rising. Philip K. Dick, Clark, Kubrick, Duncan Jones, Valve, Ridley Scott und selbst Roland Emmerich hätte da mehr Grund sich aufzuregen). Wir leben leider/zum Glück in einer sich ständig selbst befruchtenden Umwelt, die sich durch Subgenres, Durchmischungen und Fremdinspirationen definiert. Kaum eine Idee ist noch neu, sondern Künstler erschaffen aus bestehenden Elementen und Mustern etwas neues – hoffentlich nie dagewesenes. Und hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Denn Kosinski mag die Sci-Fi lieben, nur verstehen tut er sie ganz und gar nicht. Oblivion bleibt ein oberflächliches Versatzstück ohne wirkliche Aussage, ohne eigenständigen Charakter, nur mit Schauwerten und offensichtlichen Genreklischees.
Toby, genau das ist ja der Punkt in meinen Augen. Es gibt bestimmt eine riesige Menge an SciFi Filmen, die so funktionieren. Das kann daran liegen, dass man dich bedient. Oder es kann daran liegen, dass die Lösung bestimmter Story-Probleme gesellschaftlich/kulturell in unseren Köpfen verankert ist. Ich denke in der Regel ist es zweiteres. Siehe Avatar und Pocahontas.