Oscars: Schöne Gewinner, unschöne Show

Die Oscars sind verliehen, das Filmjahr ist vorbei. Herzlichen Glückwunsch an Kathryn Bigelow und ihre Teammitglieder, an Jeff Bridges, Sandra Bullock, Mo’Nique, Christoph Waltz und alle weiteren Gewinner.

Von den Preisen an sich einmal abgesehen – eigentlich doch immer schöner, wenn man sehen kann, wie sich das Team eines Independent-Films freut wie ein Schnitzel, als wenn routinierte Studio-Großmeister (wie Kostüm-Designerin Sandy Powell) die Awards mit einem “habe ich auch verdient”-Blick großzügig annehmen – war die Oscar-Nacht als TV-Ereignis allerdings ein riesiger Rückschritt im Vergleich zum letzten Jahr und denen davor. Trotz oder gerade wegen der vielen Bemühungen der Academy, sie wieder attraktiver zu machen.

Das Moderatoren-Duo Steve Martin und Alec Baldwin war ein neuer Tiefpunkt in Sachen Witzniveau und mangelnder Spritzigkeit. Neil Patrick Harris hatte in seiner Drei-Minuten-Eröffnungs-Musiknummer mehr Charme und Witz als die billige Kopie von Statler und Waldorf in den sich endlos ziehenden kommenden dreieinhalb Stunden. Fast alle Witze waren verbale Faustschläge oder unter der Gürtellinie – aber trotzdem nicht witzig – und das Timing war äußerst mies. Es gab genau einen Einspieler, der ebenfalls auf schwachem Slapstick-Humor basierte. Schwer vorzustellen, dass andere Moderatoren in den vergangenen Jahren wahre Feuerwerke auf der Bühne abgebrannt haben.

Mindestens genauso daneben war die Vorstellung der nominierten Hauptdarsteller durch Kollegen mit rührenden Anekdoten – eine Weiterentwicklung des letztes Jahr ausprobierten “Magischen Zirkel”-Konzepts, in dem bisherige Oscar-Preisträger die Neuankömmlinge in ihre Hexen- und Zauberergemeinschaft aufnehmen durften. Stattdessen ließen sich dieses Jahr vor allem bei den männlichen Nominierten Kolleginnen minutenlang darüber aus, dass diese auch menschlich grundsätzlich die wärmsten und nettesten Personen sind – eine Tatsache, die eigentlich niemanden im Saal interessieren sollte, denn ausgezeichnet wird schließlich die Perfomance der Schauspieler und nicht ihre Persönlichkeit. Dieser zwanghafte Versuch eines Human Touch zog sich endlos in die Länge und war auch den Geehrten sichtbar unangenehm.

Dritter Fehlschlag war die, neben der Eröffnungsnummer, einzige Showeinlage von einer Tänzertruppe, die ihr Können zu den nominierten Scores demonstrieren durfte (Herzlichen Glückwunsch übrigens an Michael Giacchino), dabei aber augenscheinlich nicht die gleiche Musik hörten, wie der Rest der Zuschauer: Denen schallten vom Orchester sinfonische, meist gelassene Klänge entgegen, während die Tänzer schnellen Hip Hop auf den Ohren hatten – anders kann ihr furioses Gefuchtel nicht erklärt werden, das nicht einmal etwas mit den Titeln oder Inhalten der nominierten Filme zu tun hatte. Traurig.

Und warum man die zehn Nominierten für den Besten Film von Leuten ankündigen ließ, die man durch Einstellungsgröße und Beleuchtung kaum erkennen konnte, bleibt ebenfalls für immer ein Mysterium.

Insgesamt war die Show an Einfalls- und Lieblosigkeit schwer zu unterbieten. Bei zehn nominierten Filmen, darunter mehrere, die besonders fürs Auge einiges boten, hätte man aus einer Gala, die diese Filme ehrt, vor allem visuell mehr rausholen können. Stattdessen: Eine staubtrockene Präsentation und Witze darüber, dass James Cameron seiner Ex-Frau im Vorfeld einen Toyota geschenkt hat. Armes Hollywood.

Zum Vergleich: Meine Oscar-Bilanz 2009

Nachtrag: Meine Meinung scheint sich allgemein mit der der Mehrheit zu decken. Alle fanden die Show einigermaßen gräßlich, schlecht koordiniert, erfolglos anbiedernd und unlustig: spiegel.de, Cinematical, Newsweek etc..

Danke an M, die die Nacht mit mir durchgemacht hat.

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Die große Abschlussliste

Die erste Staffel von “Zehn zu Null” endete mit einer Liste, also sollte die zweite auch mit einer enden. Außerdem: Nachdem ich nun mehrere Wochen lang in Staffel zwei versucht habe, persönliche Beobachtungen mehr oder weniger gut auf eine Linie mit Fakten zu bringen, folgt nun eine rein persönliche Abhandlung. Die letzten 19 Wochen waren eine tolle Gelegenheit, das Filmjahrzehnt, das ich als erstes voll ausgewachsen erleben durfte, noch einmal Revue passieren zu lassen. Also folgt nun zum Ende dieser Revue eine Liste meiner 20 persönlichen Lieblingsfilme der letzten zehn Jahre – höchst subjektiv und keinesfalls in Stein gemeißelt.

1. Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring (2001)

Man kann an den Einträgen dieses Blogs sehen, dass ich mich wohl an keinem Film mehr abgearbeitet habe, als an der Verfilmung des Buchs, das meine Teenagerzeit geprägt hat. Für das Hollywood-Mainstream-Kino halte ich Peter Jacksons Trilogie als genauso einflussreich wie Star Wars oder Gone with the Wind. Und auch wenn Teil drei des Spektakels die meisten Preise abräumen konnte: Ich mag den Zauber des ersten Films, weniger episch aber umso dynamischer, immer noch am liebsten.

2. Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2003)

Lord of the Rings mag mein Lieblingsfilm der Noughties sein, aber er hat seine Fehler, anders als Eternal Sunshine of the Spotless Mind. Die Kombination von Charlie Kaufmann und Michel Gondry ist einfach perfekt geschrieben, perfekt visualisiert und perfekt besetzt. Dass er darüber hinaus noch wirklich ans Herz geht, ist, was ihn besonders macht.

3. Shaun of the Dead (2004)

Mit einer bravourösen Mischung aus guten Gags vor einem stringenten Drehbuch haben Edgar Wright und Simon Pegg die Komödie des Jahrzehnts geschrieben, die übrigens auch immer noch besser ist als alles andere, was die beiden bisher fabriziert haben.

4. Le Fabuleux Destin D’Amélie Poulain (2001)

Ein farbenfroher, zuckersüßer, träumerischer Film voller Herz und kreativer Ideen. Seine Stärke als Film liegt, wie die Moral der Filmhandlung, nicht in der großen Botschaft, sondern in den kleinen, unverwechselbaren Dingen, die man lieb gewinnt.

5. There Will Be Blood (2007)

Noch ein nahezu perfekter Film. Das große Schlachtengemälde des beginnenden 21. Jahrhunderts mit einer der beeindruckendsten Performances des Jahrzehnts. Zukünftige Generationen von Filmwissenschaftlern werden sich an diesem Film abarbeiten dürfen.

6. Memento (2000)

Wenn eins der beliebtesten Wörter des 3. Jahrtausends “fragmentiert” ist, dann ist Memento daran mit Schuld. Christopher Nolan ist einer der besten Regisseure unserer Zeit. Sein Gesellenstück hat das bereits bewiesen.

7. The Squid and the Whale (2005)

Dieser Film ist das “übersehene Juwel” in dieser Liste, denn ich halte ihn für einen der besten New-Yorker-Intellektuellen-Filme der letzten zehn Jahre. Und für eine bewegende persönliche Geschichte, brillant gespielt und erzählt.

8. Children of Men (2006)

Der beste Science-Fiction-Film der Dekade, der gerade durch seine Unaufgeregtheit und sein Close-To-Home-Gefühl seine filmische Rafinesse gelungen verbirgt. Das Ergebnis ist ein grandioses Stück Kino.

9. Finding Nemo (2003)

Andrew Stanton wird langfristig wohl eher für WALL*E im Gedächtnis bleiben. Doch wo WALL*E zwar filmisch mehr leistet, dafür aber storymäßig im zweiten Teil deutlich abfällt, ist Nemo eine durchgehend witzige, makellos animierte tour de force, die mir persönlich einfach mehr ans Herz gewachsen ist.

10. Almost Famous (2000)

Nach Amadeus der zweitbeste Film über Musiker und ihre Welt und der beste Film über Musikjournalismus. Der Vergleich drängt sich einfach auf: Ein Film wie eine gerne gehörte, alte Platte, auf der sogar Kate Hudson wundervoll klingt.

11. Good Night and Good Luck (2005)
Ein stylish-cooles Kammerspiel mit politischer Prägnanz.
12. Bowling for Columbine (2002)
Ein Aufschrei, ein Wachrütteln und ein Geburtshelfer des Neuen Dokumentarfilms.
13. Inglouriuos Basterds (2009)
Frech, Mutig und Einzigartig. Eine perfekte Symbiose von Gestern und Heute.
14. Shrek (2001)
Eine mustergültige Subversion von Märchen, Hollywood und Animations-Hegemonie.
15. Moulin Rouge (2001)
Die Hyperventilation des Kinos, und ein sinnbetäubendes Knallbonbon.
16. Zodiac (2007)
Es braucht Zeit, um einen Mordfall spürbar zu machen. Zodiac gelingt genau das.
17. Waltz with Bashir (2008)
Manchmal reicht schon die Wahl des richtigen Mediums, um einen Film groß zu machen. Ari Folman hat gut gewählt.
18. Le Scaphalage et le Papillon (2007)
Film als körperliche Transformation, bravourös umgesetzt.
19. Spider-Man 2 (2004)
Pures Popcorn-Kino. Aber Gutes.
20. Man on Wire (2008)
Ein Dokumentarfilm wie ein Krimi. Ein unterhaltsamer Krimi.

Lobende Erwähnung: Sin City (2003) und 300 (2006), für die ästhetisch umwerfende Umsetzung von sozialethisch fragwürdigen Stoffen. Doch Kunst soll ja schließlich zum Nachdenken anregen.

Dieser Beitrag ist Teil 20 von 20 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Umgekehrte Jetpacks in The Book of Eli

Im neuen Film der Hughes Brothers, dem postapokalyptischen und auf merkwürdig unsubtile Weise christlich-propagandistischen The Book of Eli findet sich der Held des Films, gespielt von Denzel Washington, nach etwa vierzig Minuten in einem Raum wieder, in dem ein Poster des schrägen Siebziger-Jahre-Postapokalypsos A Boy and his Dog hängt. Das Poster ist nicht nur ein kurzes, kaum merkliches Cameo-Augenzwinkern ans Publikum, es ist über Minuten hinweg in mehreren Einstellungen zu sehen, manchmal ganz manchmal in einem Ausschnitt, der es einem im Kino erlaubt, auch die Tagline des Films zu lesen: “An R-Rated, rather kinky tale of survival”.

(die im Internet kursierende, abgefilmte Version lässt solche Details natürlich nicht erkennen)


(und genauso natürlich habe ich natürlich nicht nach dieser Version gesucht. Sie fiel mir in den Schoß.)

The Book of Eli ist der erste durch und durch ernste Science-Fiction-Film, der mir einfällt, der sich diese Art von direkter Referenz erlaubt: Außerhalb der Filmwelt (also für den Zuschauer) ist sie ein intertextueller Verweis. Der postapokalyptische Film The Book of Eli verweist mit dem Poster auf einen historischen Vorläufer, den postapokalyptischen Film A Boy and His Dog. In der Filmwelt aber, die ja eine direkte Fortschreibung unserer Erde sein soll, muss die Anwesenheit des Posters eine ganze Menge dramatischer Ironie enthalten: Denn Teile der Science-Fiction-Vision des Films von 1975, zum Beispiel die durch einen Nuklearkrieg verwüstete Erde, sind dort wahr geworden – Eli und seine Kompagnons leben in der Science Fiction von gestern. Wissen sie das? Das Poster sagt Ja. (Ich bin dankbar für Hinweise auf andere Filme, in denen eine ähnliche Situation vorkommt)

In der Welt von Eli findet also eine auf den Kopf gestellte Form des beliebten “Where are my Jetpacks?”-Idioms statt. Dieses zielt darauf ab, dass wir ja inzwischen in der Zukunft leben, die sich SF-Autoren seit Ende des 19. Jahrhunderts ausgedacht haben, aber leider erschreckend wenige ihrer Visionen wahr geworden sind. Der britische Comedian Eddie Izzard sagt in einer seiner Routinen: “Those doors from Star Trek – we’ve got them now… and that’s about it.” Und es gibt auch ein Buch dazu, dass ich leider noch nicht gelesen habe (inzwischen sind zumindest die Jetpacks Realität).

Die Frage, die sich stellt, ist also: Wie bewusst sind sich die Figuren eines SF-Szenarios der Tatsache, dass sie in einer Welt leben, die früher ein SF-Szenario war, einer “Stranger Than Fiction”-Welt gewissermaßen? In der Regel wird diese Frage völlig ausgeblendet. Kaum jemand, der in einer Raumschiff-Welt darauf zu sprechen kommt, dass Raumschiffe mal die Erfindung von Nerd-Autoren waren. Die einzigen, die sich trauen, in einer SF-Welt über SF zu reden, sind in der Regel die Humoristen, beispielsweise in Futurama, wo Professor Farnsworth die Frage, ob sein sprechender Affe das Ergebnis von genetischer Manipulation ist, mit den Worten beantwortet: “Oh, please. That’s preposterous science fiction mumbo jumbo. Gunther’s intelligence actually lies in his electronium hat, which harnesses the power of sunspots to produce cognitive radiation.” Insofern ist The Book of Eli zumindest in dieser Hinsicht besonders.

Ergänzend kann man hier anmerken, dass man sich natürlich auch in unserer Zeit schon fragen kann, inwiefern wir eben heute doch die Science Fiction von gestern sind. Im Netz gibt es einige Seiten zum Thema (vor allem die letzte ist gut). Jetzt müssen wir uns nur noch fragen: Sind wir auch Figuren in einem Film?

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Wie man sein Franchise am Leben erhält

Grundsätzlich habe ich ja das Gefühl, dass die Nuller Jahre für Hollywood eine der klassischsten Dekaden seit den Fünfzigern waren. Ähnlich wie in der Zeit etwa von 1945 bis 1955 befanden sich die USA in den Jahren von 2001 bis 2009 in den Nachwehen eines Angriffs auf ihr Land und ließen in der entstandenen restaurativen Stimmung vieles von dem hinter sich, was noch einige Jahre zuvor die Kunst aufgerüttelt hatte: Die Moderne in den Zwanzigern und Dreißigern und die Postmoderne in den Achtzigern und Neunzigern.

Man kann diese Parallelen nicht endlos weit ziehen, aber eine gewisse Zyklischkeit gehört zur Kunst dazu und nachdem die Neunziger im US-Kino definitiv eine der verspieltesten und selbstreferenziellsten Zeiten seit der Emanzipation des Kinos im New Hollywood waren, mit Quentin Tarantino als prominentestem Vertreter, kehrte in den Noughties wieder eine gewisse Rückbesinnung auf die Grundsätze des klassischen Hollywood ins Kino zurück (man denke nur an die schon erwähnten Musicals und Abenteuerfilme und das erneute Sterben des Independent-Kinos).

In gewisser Weise ist auch die starke Position von Franchises, und damit des Verlassens auf “sichere” Werte, ein Zeichen dieser Post-Postmoderne. Die Noughties waren eine Dekade von Sequels, Prequels und Threequels, sogar in nachgeschobenen Fortsetzungen eigentlich abgeschlossener Zyklen, beispielsweise bei Die Hard, Indiana Jones, Rocky und Rambo. Ich kann nicht anders, als mich bei diesem Festklammern an bereits etablierten Charakteren und Settings auch an die Fließband-Produktion von B-Movies im Goldenen Hollywood-Zeitalter erinnert zu fühlen, wie es sie auch in den Saturday Matinee Serials wie Flash Gordon und den Filmen um Andy Hardy gab – nur diesmal als A-Produktionen mit großem Budget und riesiger Marketing-Maschine.

Eine besondere Spielart dieses Booms von Franchises war in den Noughties der Reboot, auch keine neue Idee, aber eine neue Bezeichnung für die Neuauflage beliebter Marken der Vergangenheit – die sich allerdings vom einfachen Remake dadurch unterscheidet, dass sie nicht einfach nur einen bekannten Stoff neu verfilmt, sondern ein über mehrere Filme hinweg erschaffenes Universum quasi “auf Null” setzt. Die Reboot-Serie in den Noughties war nach meiner Ansicht ein Zeichen dafür, das Hollywood abgeschlossen hatte mit den all zu selbstreferenziell und überladenen Versionen seiner Helden, die sich in den Neunzigern entwickelt hatte. Es herrschte (und das ist eben jenes post-postmoderne Element) ein neues Verlangen danach, diese Helden wieder an ihre Anfänge und Wurzeln zurückzuführen und sie im neuen Zeitgeist neu zu erfinden.

Drei der prominentesten Beispiele dieser Entwicklung sind Batman in Christopher Nolans Filmen, James Bond mit Daniel Craig und der jüngste Star Trek-Film von J. J. Abrams. Sie alle machen aus ihren Helden neue, weniger abgegriffene Versionen für eine neue Generation, die dann die Serie erfolgreich weiterführen können. Weitere Reboots dieser Spielart fanden mit unterschiedlichem Erfolg zum Beispiel bei Spider-Man (der jetzt schon wieder rebootet werden soll), Superman und The Incredible Hulk (nur fünf Jahre nach dem letzten Film) statt, hinzu kamen außerdem etliche Remakes von klassischen Filmen, wie es sie immer schon gegeben hatte, auch im klassischen Hollywood mit der Neuauflage von Stummfilmklassikern und dann wiederum zum Beispiel zwischen 1975 und 1985 mit Filmen wie King Kong, Superman und Scarface.

Man kann Remakes und Reboots und ihre entfernten Cousins die Prequels (Star Wars, X-Men: Origins, Hannibal Rising) nicht komplett in einen Sack werfen, aber sie haben bestimmte Berührungspunkte. Hinter allen steckt (mal mehr, mal weniger) der Gedanke, dass man auf eine etablierte Marke zurückgreift, die Einnahmen garantieren soll, und hinter allen steckt (mal mehr, mal weniger) der Gedanke, alte Konzepte zu aktualisieren.

Wem diese Oberflächliche Schlussfolgerung nicht genügt, dem sei gesagt, dass ich das Thema schon einmal recht ausführlich für epd Film behandelt habe und anschließend noch einmal dazu gebloggt habe. In beiden Artikeln finden sich tiefergehende Betrachtungen zu einzelnen Filmen und zum Verwandschaftsgrad der einzelnen Spielarten.

Fest steht jedenfalls: ein Ende der Neuverwurstung ist vorerst nicht abzusehen: 2010 stehen Aktualisierungen von Karate Kid, Clash of the Titans und dem A-Team bevor, weitere Projekte sind mit Sicherheit in Planung. Solange die Re-Etablierung bekannter Assets klingelnde Kinokassen verspricht, wird Hollywood mit dem Prinzip nicht aufhören. Sobald sich jedoch das Independent-KIno wieder etwas erholt hat und bereit ist, wieder in den Mainstream hereinzudringen, rechne ich auch wieder mit einem Rückgang des Trends.

Dieser Beitrag ist Teil 19 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Wird Avatar beim zweiten Sehen besser?

Lang, lang ist es her, dass ich für einen Film zweimal (bezahlt) ins Kino gegangen bin.* Avatar war es mir aber wert. Erstens weil ich den Film noch einmal sehen wollte ohne vom 3D-Effekt so überrollt zu werden, dass der Rest des Films ein wenig verblasst, zweitens weil ich den Film das erste Mal am Startwochenende gesehen hatte und ihn noch einmal nach dem Hype, dem Erfolg an den Kassen und dem Golden Globe-Gewinn begutachten wollte. Ich wollte sehen, ob er einem zweiten Blick standhält.

Interessanterweise tut er es, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass James Cameron in der Tat saubere Arbeit geleistet hat. Der Film ist nach dem Lehrbuch aufgebaut und zieht einen, nachdem man den etwas plumpen hard-boiled-voiceover-Einstieg überstanden hat, mit seinen klar strukturierten Szenen (mir ist aufgefallen, wie viele Schwarzblenden der Film hat) und Charakteren, die sich wie auf einem Schachbrett bewegen, direkt in die Story hinein. Spätestens nach zwanzig Minuten ist man auf Pandora angekommen, denkt kaum noch über 3D und über Computeranimation nach und nach anderthalb Stunden beginnt man, sich auf das große Actionspektakel am Ende zu freuen – und wird schließlich auch belohnt.

Auch seine anderen Stärken behält der Film bei: Den Aspekt von Avatar, der am deutlichsten ein klassisches Science-Fiction-Thema ist – die ethische und emotionale Seite des “Lebens” in einem fremden Körper – wird meistens eher ausgeblendet, dafür aber an einigen Schlüsselstellen in den Vordergrund gerückt: Zu Beginn von Jakes Trainingssequenz, wenn er kommentiert dass das Wirklichkeit-Traum-Verhältnis auf dem Kopf steht, am “Morgen danach”, als Neytiri Jake nicht aufwecken kann, weil er eben nicht in seinem Körper steckt, sowie kurz darauf, als er seine Rede nicht halten kann, weil Quaritch ihm den Saft abdreht – und schließlich kurz vor Schluss des Films in dem beeindruckenden Bild, als die drei Meter große Neytiri zum ersten Mal Jakes wahren Körper in ihrer Hand hält. Durch diese punktuelle Betonung des Avatar-Konflikts ruft der Film seinen eigentlich interessantesten Aspekt (der dem Film immerhin seinen Namen gibt) immer wieder gezielt ins Gedächtnis zurück – und mit der Auflösung des Konflikts endet der Film ja schließlich auch.

Beim zweiten Ansehen kann sich der Zuschauer auch noch deutlicher daran ergötzen, wieviel Detailüberlegung in die Entwicklung von Pandora geflossen ist, in das exotische aber in sich schlüssige Design von Kreaturen und Pflanzen und in die absolut hundertprozentige Glaubwürdigkeit der Charakterbewegung in dieser Welt. Überhaupt die Charakterbewegung: Es ist beeindruckend, wie gut das Performance Capturing beispielsweise die schwerfälligen Bewegungen von Grace und Norm – und anfangs auch von Jake – einfängt, in denen man so eindeutig die Menschen hinter den Na’vi erkennen kann. Schaut man sich zum Vergleich Zemeckis’ fast zeitgleich gestarteten A Christmas Carol an, in dem sich immer noch große Teile der Charaktere bewegen wie von der Augsburger Puppenkiste rekrutiert, kann man sehen, wie hoch Cameron die Meßlatte hier gelegt hat.

Und schließlich ist die 3D-Mise-en-scène nicht nur der herausragenden Actionszenen – die wie immer bei Cameron erste Sahne sind – sondern des ganzen Films nach wie vor beeindruckend. Immer wieder streut Cameron Shots ein, die einem den 3D-Effekt eindrucksvoll vor Augen führen ohne aufdringlich zu wirken: Größenvergleiche, POV-Shots, Fluchten, lange Close-Ups. Doch er lässt sie nicht zum Selbstzweck werden, schneidet einfach nach regulärem Continuity-Rhythmus.**

Gleichzeitig fallen beim zweiten Sehen aber auch die Schwächen des Films noch stärker ins Auge. Beispielsweise dass die komplette zweite Hälfte des Films von einer einzigen Szene abhängig ist, in der ein von Anfang an zweidimensionaler Charakter (Ribisis Businessmann Selfridge), eine Entscheidung fällt, deren Motivation vollständig auf der Strecke bleibt, nämlich den Heimatbaum der Na’vi zu zerstören und Graces Bedenken dabei einfach wegzuwischen. Selfridge ist als Charakter so flach, dass seine Entscheidung wie eine Art negativer Deus-Ex-Machina wirkt. Hätte man ihm von Anfang an mehr Tiefe gegeben – wo liegen seine Abwägungen bei der Führung des Unternehmens, welchen Werten und Zwängen ist er verpflichtet – oder ihn zumindest genauso durchgeknallt überzogen wie Quaritch, in dessen Wahnsinn wenigstens Methode steckt, wäre diese Entscheidung wohl nachvollziehbarer und der ganze doofe Gut-Böse-Dualismus des Films glaubwürdiger gewesen.

Und schließlich ist da der meistkritisierte Aspekt des Films, die typisch westliche Vision des Edlen Wilden, der reiner ist als der von der Zivilisation verseuchte Weiße. Dass dieser Edelmut in einer kriegerischen, heteronormen Gesellschaft liegt, die auch die positiven Aspekte des Fortschritts (beispielsweise Medizin und Selbstverwirklichung) zugunsten von Naturverbundenheit und vager Spiritualität ablehnt – andererseits aber einen “zivilisierten” Außenseiter als Messias braucht, um sie zu einen und zur Vernunft zu bringen – ist eine der großen Schwachstellen von Avatar und allen anderen kolonialistischen Erzählungen dieser Art, denen ich in diesem Fall nicht mal Rassismus, sondern einfach nur Eindimensionalität vorwerfen würde. Wann immer solche Gesellschaften dargestellt werden, wird beispielsweise immer ausgeblendet, wie es wohl denjenigen innerhalb beispielsweise der Na’vi geht, die eben keine Lust auf Jagen und Sammeln haben. Werden sie ebenso ausgestoßen wie die Kolonialisten?

Da sich bei Avatar die beeindruckenden und die entäuschenden Aspekte also so gut die Waage halten, wird der Film beim zweiten Sehen weder besser noch schlechter – er bleibt so solide und oberflächlich wie beim ersten Sehen. Das wiederum zeichnet ihn eigentlich als guten Film aus, der sich immerhin selbst treu ist.

Für die weitere Betrachtung des Films empfehle ich Dan Norths sortierten Querschnitt durch Kritiken und Essays, die Avatar hervorgebracht hat.

* Interessanterweise ist der einzige Film, seit Beginn meines Filmtagebuchs im Mai 2003, ausgerechnet Matrix: Reloaded, weil ich zum Start von Revolutions noch einmal in eine Dreier-Nacht gegangen bin.

** Auch hier bietet sich der Vergleich mit A Christmas Carol kurz an, der darauf hindeutet, dass es künftig zwei “Schulen” der 3D-Inszenierung in computergenerierten Umgebungen geben könnte. Eine (Cameron) inszeniert weiter als gebe es 3D gar nicht und versucht damit auf die zukünftige Alltäglichkeit der Technik hinzuweisen, die andere (Zemeckis) zelebriert ihr Medium: Sie setzt beispielsweise Schwenks und Innere Montage statt Schnitten ein, wann immer sie kann, und setzt stärker auf Tiefenschärfe um die Integrität der diegetischen Welt zu waren.

Was denkt Stefan Höltgen eigentlich über Shutter Island?

Während meines Berlinale-Wochenendes entstand auch ein wenig Videomaterial. Unter anderem habe ich ein kurzes Gespräch mit meinem Kollegen Stefan Höltgen über Martin Scorseses neuen Film Shutter Island geführt, den ich leider verpasst habe, der aber nächste Woche in den deutschen Kinos startet.

Das Ergebnis ist das erste experimentelle Real Virtuality Vlog. Als Bonus gibt es einige Ansichten von Berlin und Berlinale.

[Direktlink]

Eine Ausführlichere Meinung von Stefan im Gespräch mit Jörg Buttgereit gibt es im Podcast im epd Film-Blog.

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Putting the Fuck back in Comedy

Beim Planen der Themen dieser Serie hatte ich immer wieder auch darüber nachgedacht, über eine bestimmte Strömung der amerikanischen Komödie zu schreiben. Jene Strömung, die vor allem das Siegel eines Mannes trägt, der Kritiker und Publikum als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor in den Noughties erfolgreich zum Lachen brachte: Judd Apatow, von Entertainment Weekly zum Smartest Man in Hollywood erklärt.

Mein Bedenken dabei war vor allem, dass es zum x-ten Mal ein sehr USA-zentrisches Thema sein würde, das nach meiner Einschätzung auch in Deutschland gar nicht so deutlich wahrgenommen wurde. Als ich dann aber einen Freund nach Themenvorschlägen für die Serie fragte, und er das Thema ebenfalls nannte, war ich dann aber doch überzeugt.

Die Filme, bei denen Judd Apatow seine Hand im Spiel hatte, zeichnen sich durch drei Hauptmerkmale aus, die ich im Folgenden kurz beschreiben möchte, man sollte aber vorausschicken, dass Apatow keine reine Geburt der Noughties ist. Als Autor, Produzent und schließlich auch als Regisseur hatte er sich in den Neunzigern im amerikanischen Fernsehen hochgearbeitet. Und auch seine direkten Vorfahren, vor allem Kevin Smith, hatten in den Neunzigern mit einer ähnlichen Formel bereits Erfolg, wenn auch nicht ganz so viel wie Apatow und seine Nachbarn, beispielsweise Todd Phillips und das sogenannte Frat Pack um Will Ferrell und Ben Stiller.

Was also zeichnet Apatows Filme (bisher vor allem: The 40-Year-Old Virgin, Knocked Up und Funny People als Regisseur und Autor, Walk Hard und Pineapple Express als Autor und Produzent und Superbad, Forgetting Sarah Marshall sowie mit Einschränkungen Anchorman, Talladega Nights, Step Brothers und Year One als Produzent) aus? Abgesehen davon, dass sie einen neuen Stamm von komischen Schauspielern (Seth Rogen, Jason Segel, Jonah Hill, Bill Hader) aufgebaut haben?

Für den amerikanischen Markt ist eines der wichtigsten Merkmale, dass Apatows Komödien R-Rated, also ohne Begleitung erst ab 17 anschaubar sind. Das erlaubt den Charakteren, so oft “Fuck” zu sagen, wie sie wollen (und sie wollen häufig) und generell viel über Sex zu reden, was in der amerikanischen Komödie, ein traditionell ja eher familienfreundliches oder höchstens exkrement-derbes Genre, ein deutliches Zeichen für “NUR FÜR ERWACHSENE” ist.

Auch Todd Philips (Old School, The Hangover) hat in Interviews darauf hingewiesen, dass es ihm wichtig ist, erwachsene Komödien zu machen. Man braucht sich nur einmal die deutsche Kontroverse um Keinohrhasen in Erinnerung zu rufen (im Film wird freigiebig über Cunnilingus geplaudert und er war zunächst ab 6 freigegeben), um zu sehen, dass Deutschland, und vermutlich ganz Europa, bei Sex, Gewalt und Altersfreigaben wie immer anders tickt.

Zweitens sind Apatows Filme in der Regel das, was Jeffrey M. Anderson Smart-Stupid nennt. Mit anderen Worten: Sie wirken an der Oberfläche zunächst oft dumm, dahinter steckt aber oft ein kluger Kern. Ich bin damals voll drauf reingefallen und hatte absolut keine Lust, The 40-Year-Old-Virgin zu schauen, weil Trailer und Kampagne mich darauf sensibilisiert hatten, einen Film voller Exkrementenwitze zu erwarten, statdessen bekam ich einen Film mit dem ein oder anderen derben Witz, aber auch ein bisschen Tiefgang und viel intelligentem Humor.

Cleverer absurd-ironischer Humor ist auch in den Frat Pack Filmen (Zoolander, Tropic Thunder und auch die oben genannten Talladega Nights und Anchorman) vorhanden, dort ist er aber ein wenig breiter aufgetragen, und die handelnden Charaktere sind eher Typen und Parodien als echte Menschen. Dennoch sind die Filme verwandt: Sie nutzen die Möglichkeiten von Albernheit und Derbheit, um eher subtile Sticheleien vor allem auf die moderne Wertegesellschaft loszuwerden und Bigotterie und Selbstgerechtigkeit (beispielsweise in Bezug auf Sexualmoral, Geschlechterbilder und Rassismus) bloßzustellen. Insofern passen auch die Filme von Sacha Baron Cohen und Larry Charles in diese Reihe.

Drittens schließlich reitet diese besondere Spielart der US-Komödie auf einer Welle, die durchaus auch mit dem Boom von fantastischen und Comic-Filmen in den Noughties zusammenhängt: Ihre Hauptfiguren sind Slacker, allerdings nicht mehr die desillusionierten Slacker der Generation X und von Richard Linklater, sondern die Slacker-Geeks, die Comics lieben und Actionfiguren sammeln – und am Ende trotzdem die tollen Frauen abbekommen. David Denby erkennt in Apatows Konstruktionen den “struggle between male infantilism and female ambition” und verortet den Anfang dieser Bewegung in Stephen Frears’ High Fidelity (2000) nach Nick Hornbys gleichnamigem Roman.

Meistens stellen Apatow und Co dabei ihrem Helden ein paar Comic-Relief-Sidekicks zur Seite, die noch schlimmer sind als dieser und ihn dadurch besser aussehen lassen, etwa in Knocked Up, The Hangover und Forgetting Sarah Marshall. Der infantile Mann wird dadurch zum Mann, der erwachsen werden kann, während er sich aber dennoch selbst treu bleibt. Es ist nicht auszuschließen, dass darin eine gehörige Portion Wunschtraum steckt, aber für die Selbstbehauptung der weltweiten Geekkultur hat es auf jeden Fall sein Scherflein beigetragen.

Bei Apatow ist das moralische Element – der geläuterte Held, die Selbsterkenntnis, die ehrliche Liebe (oder eben nicht) – dabei noch etwas stärker als bei seinen Nachbarn, die gerade diese Vor-allem-dies-dir-selbst-sei-treu-Moral gerne mit einem letzten Paukenschlag beiseite wischen. Wenn er in dieses Fahrwasser gerät, nähert sich Apatow manchmal sogar Jason Reitman (Juno) an, der dabei aber noch einen Hauch hipster-melancholischer ist. Es sei jedem selbst überlassen, wie sehr er sich mit Apatows Message identifizieren will.

The Hangover ist dieses Jahr für Golden Globe und Oscar nominiert (gewesen), noch scheint das Thema also zu ziehen. Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass ein Teil des Publikums der Geek-Helden langsam auch überdrüssig wird, es wird also zu beobachten sein, ob Apatow weiter erfolgreich bleibt.

Noch ein paar Worte zur deutschen Komödie zum Abschluss, um nicht gänzlich in Amerika zu bleiben. Deren zwei größten Dickschiffe waren in den Nullern Michael “Bully” Herbig und Til Schweiger. Herbig trieb die Nostalgie-Parodie auf die Spitze und war damit oft genug lustig, genauso oft aber auch so albern, dass es selbst mir zu doof wurde. Keinohrhasen hingegen (die Fortsetzung habe ich mir gespart) traf mit eben seiner spießig-deutschen Mischung aus Gedöns, Klamauk und Machismo perfekt den Nerv des deutschen Massenpublikums und verschenkte damit alle intelligenten Ideen und Momente, die dem Film durchaus stellenweise innewohnten. So. Das musste mal raus.

Mit Dank an Max

Drei Tage Berlinale

Durch den Umzug nach Dresden erschien es mir in diesem Jahr zum ersten Mal praktisch genug, für ein Wochenende auf die Berlinale zu fahren. Trotz Filmwissenschaftsstudium hatte ich es nämlich bis in diesem Jahr noch immer nicht geschafft, das große deutsche Filmfestival einmal zu besuchen. Besser spät als nie.

Bei bitterlicher Kälte und matschigem Untergrund mit wenig Ortskenntnis durch Berlin zu stapfen, macht leider nicht so viel Spaß, aber zum Glück sind diese kurzen verwirrten Spaziergänge ja nur die Unterbrechung zwischen den Kinobesuchen. Derer gab es insgesamt fünf, von Freitagabend bis Sonntagnachmittag.

Sex & Drugs & Rock & Roll (GB 2010)

Ian Dury? Noch nie gehört, ist wahrscheinlich ein Generationending. Doch wenn er wirklich so war, wie er im Film dargestellt wird, dann macht Andy Serkis auf jeden Fall einen guten Job. Auch Naomie Harris liefert eine klasse Vorstellung ab, Olivia Williams läuft eher ein bisschen auf Autopilot. Aber allen Beteuerungen des Gegenteils von Regisseur und Drehbuchautor zum Trotz: Sex & Drugs & Rock & Roll ist ein typisches Biopic: Der Musiker ringt mit Kindheitstrauma, Vaterkomplex und Behinderung, stürzt ab und steigt auf, benimmt sich arschlochhaft, ist aber genial. Damit leider trotz vieler Knalleffekte eher durchschnittlich.

The Ghost Writer (D, F, GB 2010)

Roman Polanski wieder in der Spur und Ewan McGregor endlich mal wieder in einer unpeinlichen Hauptrolle. Polanski verknüpft unwirklich-schöne Bilder mit Polit-Thriller und erstaunlicher Weise auch jeder Menge gutem, trockenem Humor. Mit einem banalen und vorhersehbaren Twist-Payoff bleibt das Polit-Thriller-Element leider in den letzten zwanzig Minuten etwas auf der Strecke, der Rest des Films, über die unsichtbaren Fäden und Geister hinter den Figuren der Macht, ist aber äußerst sehenswert. Selbst in den erschreckend ungemütlichen Sitzen des Friedrichsstadtpalasts.

Portrait of the Fighter as a Young man (RO 2010)

Selbst der Regisseur hat vor dem Film gewarnt: “Mein Film ist lang und er kann zwischendurch auch mal nervig sein.” Und es stimmt. 163 Minuten lang wohnt man visualisierten Tagebucheinträgen von rumänischen Partisanen bei, die in den Bergen mit wenig Essen und automatischen Waffen in den Fünfzigern für ihre Freiheit kämpfen und auf die Befreiung durch die Amerikaner warten. Auf 90 Minuten gekürzt wäre das spannender gewesen, aber vielleicht gehört gerade die schiere Endlosigkeit und Wiederholung der Erfahrung dazu, um die Zermürbung der Kämpfer auch im Kinosaal zu spüren.

El Mal Ajeno (E 2010)

Oskar Santos’ Film ist von Alejandro Amenábar produziert und wird auch mit dessen Namen beworben. Doch er erreicht nicht die Dichte und Tiefgründigkeit von Amenábars Werk, bleibt mit seiner sich irgendwie bekannt anfühlenden Handlung von einem Arzt, der sich zwischen einer Heilsgabe und dem persönlichen Wohlergehen seiner Familie entscheiden muss, inhaltlich und auch filmisch eher an der Oberfläche. Immerhin gelingt es Santos, den Zuschauer zum Nachdenken über das Leid zu bringen, das Menschen mit unheilbaren Krankheiten ertragen müssen.

Kawasakiho ruze (CZE 2009)

Für mich der beste meiner fünf Filme. Eine in sanften aber durchdringenden Bildern festgehaltene Verhandlung von Schuld und Sühne, voller starker Charaktere und brillanter Dialoge. Die mediale Aufbereitung der Vergangenheit eines fiktionalen Dissidenten, der für sein Lebenswerk geehrt werden soll, hat teilweise Anklänge an gute Dokumentarfilme und bleibt auf der emotionalen und der Handlungsebene genauso spannend und herausfordernd. Dabei gelingt es Regisseur Jan Hrebejk zum Schluss sogar, alle Fäden zu entwirren und dennoch alle Fragen offen zu lassen.

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Der Niedergang des amerikanischen Indie-Mainstreams

Indie-Mainstream, das klingt wie ein Oxymoron. Ist es auch, was nicht heißt, dass der Begriff nicht trotzdem einen gewissen Grad an Wahrheit besitzen kann. Denn spätestens seit der Umbenennung von Robert Redfords Filmfestival in Salt Lake City in Sundance Film Festival und dem Aufstieg von Miramax in den 90ern, hatte sich im amerikanischen Independent Kino eine neue Strömung von Filmen ergeben, die – obwohl sie “unabhängig” von den großen Studios produziert worden waren – ein Publikum ansprechen konnten, das von der Arthaus-Schiene in den Mainstream hinüberblutete (Das bekannteste Buch dazu).

Am 29. Januar 2010 wurde Miramax von seinem Inzwischen-Eigentümer Disney endgültig geschlossen, der finale Todesstoß für einen Geschäftszweig, der sich in den Noughties sowieso schon immer stärker dem Siechtum hingegeben hatte. Vermutlich ist jetzt die Zeit gekommen, ein neues unabhängiges US-Kino aufzubauen. Oder wie es in diesem extrem lesenswerten “New York Times”-Artikel heißt: “Independent film is dead (again)! Long live independent film!”

Aber der Reihe nach. Zuerst mal kann man den ganzen Komplex sowohl wirtschaftlich wie auch inhaltlich bzw. künstlerisch betrachten. Wirtschaftlich ist die Situation relativ klar: Die meisten Major-Studios haben ihre Independent-Divisionen, die sie Ende der Neunziger mit jeder Menge Marketing-Geld aufgeblasen hatten, inzwischen zugemacht: New Line Cinema, Warner Independent, Paramount Vantage und die eben schon erwähnten Miramax existieren nicht mehr oder nur noch als knochige Skelette. Immerhin: Fox Searchlight und Sony Pictures Classics gibt es noch und auch die große Independent-Firma Lions Gate macht noch von sich reden. Aber der Boom des mainstream-tauglichen Independent-Kinos ist trotz Oscar-Gewinnern wie No Country for Old Men gerade mal wieder deftig vorbei.

Künstlerisch ist die ganze Sache schon komplexer. Glaubt man Menschen wie Justin Wyatt (Koautor dieses Buchs), so waren schon in den 90ern “supposedly groundbreaking and iconoclastic ‘indie films'” bereits “firmly located within the safe domain of dominant ideological and commercial practices” (zitiert hier).

Ich bin teilweise geneigt, mich dieser Meinung anzuschließen. Als ich 2008 Juno sah, schrieb ich in meiner Kritik für Zuckerkick (leider nicht online), der Film sei “quirlig und mit ein paar Ecken, aber eben nicht so, dass es weh tut. Mehr auf eine Art, dass das ‘etwas andere’ Publikum ab und zu mal ‘Huch!’ sagen darf, um dann herzlich und ein bisschen beschämt zu lachen” – und ich war damit wie immer einer der Letzten, dem das auffiel.

Aus dem in den Mainstream dringenden Independent-Kino, das noch immer irgendwie gegen das konservative Filmästhetik- und Gesellschaftsbild Hollywoods rebelliert, war zu dem Zeitpunkt längst ein Kino für die Prenzlberg-Generation geworden, die sich an ein bisschen Abwegigkeit erfreuen, damit aber ja nicht aus ihrem trotz aller “Kanten” doch sehr bequemen Lebensentwurf herausgerissen werden will. Man darf sich durchaus mit Chris Holmlund (auch hier) fragen: “Has Indie become merely a brand, a label to market biggish budget productions that aim to please many by offending few?” (Holmlunds Antwort ist differenzierter als meine Schlussfolgerungen es hier leisten können, es lohnt sich, seinen Einleitungs-Essay zu lesen, auch wenn er schon fünf Jahre alt ist.)

Der amerikanische Independent-Film in der Form, wie er sie in den letzten zwanzig Jahren erreicht hatte, ist also mehr oder weniger dahin: er wird nicht mehr finanziert oder er ist so weit aufgeweicht, dass er seinen eigenen Ansprüchen eigentlich nicht mehr genügt. Das heißt dennoch nicht, dass er tot ist, denn gleichzeitig ist es nie einfacher geworden, einen Film mit geringem Budget und einer gewissen Portion Frechheit zu realisieren und über viele neue Kanäle in die Welt zu pusten, sei es über Video on Demand, Videoplattformen wie YouTube, den gigantischen weltweiten Festival-Circuit, Direct-To-DVD und so weiter und so fort. Es muss nur der nächste findige Geschäftsmann des Wegs kommen, der in rund zehn Jahren dem neu gewachsenen Untergrund wieder zu einer breiten Öffentlichkeit verhilft.

Erste Ansätze für eine interessante neue Indie-Strömung hat Kai Mihm beispielsweise in epd Film 10/09 aufgezeigt. Seiner Ansicht nach beginnen Filmemacher wie Jeff Nichols, Craig Brewer, David Gordon Green und Kelly Reichardt schon mit der Etablierung einer neuen amerikanische Filmkultur abseits des Mainstreams in der amerikanischen Provinz. Es bleibt also spannend im Indieland.

Bonus-Track: Eine ziemlich gute Montage aus Noughties-Filmen [via Fünf Filmfreunde]

Dieser Beitrag ist Teil 17 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Drei Genres im Wandel

Nachdem ich mich in der letzten Woche mit dem meiner Meinung nach dominanten Genre der Noughties, dem fantastischen Film beschäftigt habe, will ich diese Woche kurze Fazits über drei weitere Genres ziehen, die mir in der vergangenen Dekade verstärkt aufgefallen sind.

Musical: Eine Renaissance mit Stars

Musicals und Hollywood: Seit der Geburt des Tonfilms mit Al Jolsons The Jazz Singer gehört das zusammen wie Fritten und Bier. Doch spätestens seit dem Befreiungsschlag des New Hollywood hatte das klassische Broadway-Musical, das noch in den Sechzigern mit Filmen wie The Sound of Music zu den größten Krachern in den USA gezählt hatte, ein wenig an Ansehen verloren (trotz New York, New York). Die Siebziger war eher eine Dekade der Rockfilme (Tommy, Rocky Horror Picture Show), die Achtziger eher eine der Tanzfilme (Dirty Dancing, Flashdance), und in den neunzigern stand es um das Musical ganz schlecht.

In den Nullern aber, wo Hollywood wieder wie wild nach neuen Einnahmequellen durch bereits etablierte Marken suchte, kam das Broadway-Musical mit Rums zurück. Den Anfang machte 2001 Baz Luhrmann mit seinem glorreichen Pastiche Moulin Rouge, das klassische und neue Formen bravourös vermengte. Danach wurde es wieder klassischer, dafür aber im konservativen Hollywood-Establishment immer beliebter (was sich dann in den Oscars zeigte): Chicago wurde 2002 bester Film und in den Jahren darauf konnten Filme wie Hairspray, Mamma Mia, Sweeney Todd, The Phantom of the Opera, Across the Universe oder jüngst Nine wieder Erfolge feiern – die Oscars honorierten das im Jahre 2009 dann auch mit einer entsprechenden Eröffnungsnummer.

Klar, das Musical ist nicht mehr auf dem Beliebtheits-Stand, auf dem es sich mal in den Dreißigern und Vierzigern befand, aber es ist wieder eine Kraft, mit der man rechnen muss. Auch Disney hat die Kraft der Doppelvermarktung wiederentdeckt: Hannah Montana und High School Musical sind bei der jungen Zielgruppe riesige Hits, und nach einigen musiklosen Filmen, kehrten auch die klassischen Disney-Filme mit Enchanted und The Princess and the Frog wieder zur bewährten Form zurück.

Was die großen Hollywood-Musicals von heute von denen von damals unterscheidet ist, dass sie zunehmend große Stars, die eher durch ihr Schauspiel als durch ihre Song-and-Dance-Qualitäten bekannt sind, in den Hauptrollen einsetzt. So treten in den Musicals neuerer Gangart plötzlich Leute wie Richard Gere, Meryl Streep und Johnny Depp auf und jedermann freut sich, dass sie ja auch (mehr oder weniger gut) singen können. Eine clevere neue Formel, deren Ende noch nicht in Sicht ist.

Action: Der kaputte Held im Schnittgemetzel

Es gab in den Noughties auch Actionfilme alter Gangart: Ein muskelbepackter Mensch vom Kaliber Arnie oder Stallone schießt sich ohne Gnade seinen Weg zur Gerechtigkeit. Geprägt wurde die Dekade allerdings von ihren verwundbareren Helden. Der Posterboy ist dabei sicherlich Matt Damon als Jason Bourne, dem Daniel Craig als neuer James Bond nacheiferte. Die neuen Helden müssen mindestens ebenso oft ausweichen wie zurückschlagen, ihre Gegner sind nicht mehr Horden von Kanonenfutter und fiese Überbösewichte, sondern vor allem skrupellose Konzerne und globale, gesichtslose Syndikate. Auch in Mission: Impossible III bekam es beispielsweise Tom Cruise mit einem Gegner (Philipp Seymour Hoffman) zu tun, der von den Weltbeherrschungsfantasien eines Blofeld weit entfernt war. Ihm war sein Gegner einfach nur ein lästiger Dorn im Auge seiner sadistischen Form des Kapitalismus.

Nachdem gerade in der Bond-Serie zuletzt in ihren Superlativen (unsichtbare Autos) in einem letzten Röcheln der Neunziger zunehmend die Luft ausgegangen war, kehrte das Genre in einem Befreiungsschlag zu einem Realismus im Geiste von Bullitt zurück: Autos explodierten nicht mehr ständig, Nahkampf wurde wieder wichtiger als große Wummen. Besonders Paul Greengrass in Bourne 2 und 3 etablierte dazu eine ruhelose Optik voller schneller Schnitte, die an Unübersichtlichkeit kaum zu überbieten war und damit auch die Fragmentierung des vernetzten Zeitalters widerspiegelte. Andere Regisseure (Christopher Nolan in Batman Begins) übernahmen beherzt.

(Ich habe leider die Transporter-Filme und die Cranks nicht gesehen. Wie sieht’s denn da aus? Die Trailer sprechen für eine Mischung aus Bourne-Realismus in der Darstellung und Over-The-Top in den Stunts.)

Abenteuer: Es wird wieder geswashbuckelt

Vier Wörter: Pirates of the Caribbean. Abgesehen von ihren Fantasy-Cousins Frodo und Harry Potter konnten Jack Sparrow und seine Kollegen das erfolgreichste Franchise der Noughties hinlegen. Der Piratenfilm, der als tot und Kassengift galt, wurde damit wiederbelebt und das große Abenteuer in der Wildnis (siehe auch Master and Commander) war wieder da. Auf dieser Bugwelle wagte sich sogar Indiana Jones wieder aus seinem Kühlschrank, ihm hatten die Mummy-Filme von Stephen Sommers ja ohnehin schon einen ganz guten Boden bereitet.

Ganz im Gegensatz zum neuen Realismus des Actionsfilms drehte der Abenteuerfilm in den Nullern wieder alle Regler auf Elf, besonders durch den großzügigen Einsatz von fantastischen Elementen (was die Grenze zum letzten Eintrag natürlich etwas verschwimmen lässt), die dank der plötzlich alles könnenden Computertechnik ja auch wesentlich leichter umzusetzen waren als zuvor.

Ich gebe zu, dass hier sicherlich nicht so ein deutlicher Trend vorliegt wie bei den beiden ersten Genres, aber der riesige Erfolg von Pirates ist doch bemerkenswert. Obwohl Johnny Depp ganz klar der Star der drei Filme ist, ist eine Schlüsselfigur in der ganzen Bewegung vermutlich eher Orlando Bloom, der das Swashbuckling durch seine Legolas-Figur im Herrn der Ringe wieder salonfähig gemacht hatte. Er wiederholte seinen Erfolg im ersten Pirates-Film, um in den Fortsetzungen zur Bedeutungslosigkeit zu verkommen, staubte aber vorher noch Rollen in den Wildnis-Abenteuern (im weitesten Sinne) Troy und Kingdom of Heaven ab. Überhaupt passt sich die Reihe der großen Monumental-Abenteuer (die zwei weiteren Folge der Serie sind Alexander und Australia) gut in das Genre ein, auch ohne übernatürliche Elemente, aber allein schon wegen der Laufzeit.

Von Pirates soll es einen vierten Teil geben, ansonsten scheint die kurzfristig aufgeflammte Lust am altgedienten Abenteuer aber wieder abgeebbt zu sein. Immerhin gibt es ja in diesem Jahr mal wieder einen Robin Hood-Film (von Ridley Scott). Es besteht also noch “Hoffnung”.

Dieser Beitrag ist Teil 16 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)