Real Virtualinks 7/16

Implodiert die Welt von Harry Potter, weil sie zu groß wird?

Michael Waning betreibt “Weltenbau Wissen”, eine Seite, die sich mit der Theorie und Praxis des Erschaffens von Sekundärwelten beschäftigt. In seinem neuesten Artikel stellt er die sehr gerechtfertigte Frage, ob Joanne K. Rowlings Harry-Potter-Welt die Erweiterung durch Fantastic Beasts and Where to Find Them tatsächlich verträgt. Besonders mag ich seine Anmerkungen dazu, wie gefährlich Rowlings Umgang mit nicht-britischen Klischees ist.

What Is It About the Coen Brothers’ Movies That Makes Everyone Want to Rank Them?

Als im im Metafilmladen alles ausverkauft war, blieb Slate-Autor Gabriel Roth nur noch die Möglichkeit, über die Existenz des Metafilmladens zu philosophieren. Aber irgendwie sind seine “Erkenntnisse” gar nicht so furchtbar doof, vielleicht auch, weil er sich selbst nicht ganz so ernst nimmt.

Lolasaufen

Wenn er nicht gerade einen neuen eigenen Film gegen Kritiker verteidigt, schießt Dietrich Brüggemann einmal im Jahr zur Berlinale auf seinem Blog pauschal gegen den deutschen Film und das, was ihn daran stört. Das könnte langweilig sein (und manchmal auch merkwürdig falsch, natürlich sind Filme mit Eigenwillen interessanter, nicht zwangsläufig besser, aber erstmal interessanter), wenn es nicht gleichzeitig so verdammt unterhaltsam wäre, wie sich jedes Jahr wieder alle den deutschen Film zurechtmeckern (was Brüggemann im ersten Absatz auch zugibt). Also: Einfach trotzdem lesen.

Alex Matzkeit’s Reviews > Arena

Ich habe ein Buch erneut gelesen, das ich mit zwölf absolut großartig fand. Den ersten Tie-in-Roman des Kartenspiels Magic: The Gathering, das zurzeit für eine Verfilmung vorbereitet wird. Zwanzig Jahre nach meinem Erstgenuss waren meine Gefühle gemischter, aber eine Sache hat mich nach wie vor begeistert.

Deadpool ist erst der Anfang des pubertären Superheldenkinos

Ich habe mich lange nicht mehr mit 13-Jährigen unterhalten. Also mache ich jetzt das, was man eigentlich nicht machen sollte und was trotzdem alle Journalisten machen. Ich extrapoliere aus meiner eigenen Erfahrung. Als ich 13 war, das war 1996, habe ich unter anderem folgende Dinge getan. Ich hatte eine Band (die nie aufgetreten ist) mit einem einzigen, auf lustig getrimmten Lied, das beschrieb, wie Menschen auf grausame Art zu Tode kommen. Ich spielte einen Rollenspielcharakter namens Thorn, einen Typ im langen Ledermantel mit Sonnenbrille, der Wolverine-ähnliche Krallen besaß (und sehr mysteriös war). Ich behauptete nach dem Umzug in eine neue Stadt, ich hätte an meinem letzten Wohnort eine feste Freundin (was nicht stimmte). Ich las in einem “Coupé”-Heft, dass ich irgendwie bekommen hatte, über die sexuellen Vorlieben versauter Luder (oder so ähnlich).

Ich hatte dann irgendwann mal ein Gespräch mit meinen Eltern, die mich fragten, ob ich das eigentlich wirklich witzig finde mit den ganzen Toden, was ich weinend verneinte. Ich habe irgendwann angefangen, im Rollenspiel Charaktere zu spielen, die eher meiner verkopften Natur entsprachen. Ich hatte eine real existierende Freundin. Ich schäme mich für nichts, was ich mit 13 getan habe, denn ich war erst 13. Tod, Gewalt, Liebe und Sexualität waren merkwürdige Unbekannte, mit denen ich noch nicht wirklich in Berührung gekommen war. Es war mir aber wichtig, nach außen zu zeigen, dass sie mir nichts anhaben konnten. Also tat ich abgebrüht, während ich mich heimlich schrecklich davor fürchtete.

Die zwei Schulen des Superheldenfilms

Der moderne Superheldenfilm hat in der Zeit seit seiner Geburt Ende der 70er Jahre diverse Stadien durchlaufen und ein paar Eckpfeiler eingeschlagen, zwischen denen sich die meisten Filme, die so entstehen, irgendwo einsortieren lassen. Grob vereinfacht nenne ich die beiden Haupt-Schulen des 21. Jahrhunderts mal die Nolan/Goyer-Schule, die andere die Whedon/Singer-Schule. Nicht ganz zufälligerweise korrespondieren die beiden Schulen auch mit den beiden größten amerikanischen Comic-Verlagen DC und Marvel und mit Autorenströmungen, die es dort gab. Zum Beispiel mit Autoren wie Frank Miller oder Chris Claremont. Immer noch vereinfacht sieht die eine Schule Superhelden als verzweifelte Menschen in einer nihilistischen Welt, die sich entscheiden, die Welt irgendwie ein bisschen weniger beschissen zu machen; die andere sieht sie als hoffnungsvolle Menschen in einer Welt voller Graustufen, die sich bemühen, das Richtige zu tun, obwohl sie fehlbar sind. Beiden Schulen gemein ist, dass sie versuchen, das fantastische Superheldentum irgendwie in dem zu verankern, was sie für “Realität” halten. “Realistisch” bedeutet allerdings für die einen “Hart und grausam”, für die anderen “verwirrend und vielschichtig”. Ich finde, beide Schulen haben ihre Berechtigung.

Beide Schlagrichtungen legen diese Maßstäbe unter anderem auch deswegen an ihr Werk an, würde ich behaupten, weil sie beweisen wollen, dass Superhelden durchaus etwas “Erwachsenes” sein können. Die ursprüngliche Zielgruppe von Superheldencomics war seit den 30er Jahren minderjährig, wahrscheinlich noch nicht einmal jugendlich, doch nachdem Comics in den 70ern ihr Massenpublikum verloren und langsam ein Nischenprodukt wurden, wuchsen die Comics mit ihren Lesern mit. Spätestens in den 80ern ging es den oben genannten Autoren aktiv darum, zu beweisen, dass auch Superhelden komplexe Charaktere sind, deren Geschichten etwas über unsere Welt aussagen können. Sie sind nicht bloß etwas für Kinder mit einfachen Moralvorstellungen und sie sind nicht bloß alberner, amüsanter Camp.

Der Stinkefinger im Kino

Doch die Comicbranche ist beileibe nicht nur bevölkert von Menschen, die erwachsene Geschichten erzählen wollen. Insbesondere in den 90ern regierte in Verlagen wie Image Comics auch das große Verlangen, mit den Bildergeschichten einfach nur eine diffuse Vorstellung von “cool” und “extrem” zu bedienen und dem Rest der Branche den Finger zu zeigen. Jetzt, zwanzig Jahre später, wo der Superheldenfilm als zwar nicht unbedingt immer anspruchsvolles, aber doch erwachsenes Genre etabliert ist, kommt diese Attitüde auch ins Kino.

Rob Liefeld, der Schöpfer des Comichelden Deadpool – mit dem Ryan Reynolds diese Woche im Kino startet – beschreibt dessen Genese Anfang der 90er auf “io9” als “Spider-Man with guns and swords”. Sein Partner Fabien Nicieza ergänzt:

“Unfortunately, his brain is my brain, in all its sad, pathetic glory,” Nicieza said. “Most of us have a filter. If I said a tenth of the things I think I’d get my ass kicked every day. Deadpool is that without the filter. He has the biological excuse that he can’t filter himself, so he can say the most inappropriate things, go off on complete tangents, and pull cultural references out of his ass all in one panel.”

Mit anderen Worten: Liefeld und Nicieza koppelten eine Wunschvorstellung im Look (Spider-Man + Waffen) mit einer Wunschvorstellung in der Einstellung (Sagt, was immer ihm in den Kram passt, “herrlich politisch inkorrekt”). Das Ergebnis kam bei den Fans extrem gut an. Deadpool lässt sich nichts gefallen und er kann alles. Er ist mysteriös und respektlos. Er ist ein Söldner, das heißt er hat keine Prinzipien. Wenn ihm etwas im Weg steht, macht er entweder einen gemeinen Witz drüber oder er schießt es zu Klump. Kurzum: Er ist die Wunschvorstellung jedes Teenagers, oder – wie Manfred Riepe es in “epd Film” ausdrückt: eine “Masturbationsfantasie für kleine Nerds, sich ganz groß erleben zu dürfen.

Nicht alle Kritiker gehen mit Deadpool so hart ins Gericht wie Riepe. Aber fast jeder erwähnt, wie sehr der Film auf pubertäre Fantasien zurückgreift. Sam Adams (“Indiewire”) schreibt: “If I were 13 years old, Deadpool would be the coolest thing I’d ever seen, (…) it indulges every vice of “mature” superhero comics while simultaneously sending them up.” Es ist ein gigantisches “Fuck You” an Mama und Papa.

Absolut loco

Doch Deadpool ist nur einer von zwei Superheldenfilmen, die dieses Jahr die pubertäre Vorstellung von Coolness zurück ins Kino schieben wollen (Spawn, eine Image-Comics-Verfilmung, hatte es in 90ern auch schon mal versucht). Der andere ist Suicide Squad von Regisseur und Autor David Ayer. Auch hier besteht der “rebellische” Gedanke hauptsächlich darin, dass die “Helden” gleichzeitig völlige Psychopathen sind. Kriminelle, die widerwillig von der Regierung angeheuert werden um jene zu töten, die noch schlimmer sind als sie selbst. Große Teile des erfolgreichen Trailers zur Musik von “Bohemian Rhapsody” werden darauf verwendet zu etablieren, wie absolut loco diese “Worst Heroes Ever” sind, allen voran Margot Robbie als durchgeknalltes Clownschulmädchen Harley Quinn.

Protagonisten wie Deadpool und die Suicide Squad – der eine übrigens von Marvel, die anderen von DC, die Herkunft spielt also keine Rolle – repräsentieren genau jene Ecke der Nerdkultur, von denen sich manche Nerds heute gerne distanzieren würden. Sie sind fleischgewordene Fantasien von Männern mit “arrested development”, stehengeblieben auf dem Niveau eines 13-Jährigen, die sich immer noch vor der komplexen Welt der Erwachsenen fürchten und dagegen ankämpfen, indem sie Gewalt und Sex endlos fantastisch überhöhen. Diese Männer, und es sind eigentlich immer Männer, sind eindeutig die Zielgruppe von Deadpool, der ein R-Rating (ab 17) in den USA bekommen hat. Und sie stehen nicht nur hinter solchen Comics, sie stehen auch hinter Gamergate und den “Sad Puppies“. Es sind die Protagonisten des Ärzte-Songs “Der Infant“: “Jetzt bin ich endlich groß und die Hölle bricht los.”

Nicht kindlich, sondern ein paar ätzende Jahre älter

Vielen Filmen wird heutzutage teilweise völlig zurecht vorgeworfen, dass sie ihr Publikum entmündigen und ihm eine tief in Nostalgie getauchte Welt zeigen, die vor allem kindliches Erstaunen hervorrufen soll. Doch Deadpool und Suicide Squad sind nicht kindlich, sie sind ein paar ätzende Jahre älter. Und welche Auswüchse diese pubertären Ideen annehmen können, lässt sich vielleicht am ehesten an einem Zeichenwettbewerb festmachen, den DC Comics vor anderthalb Jahren ausschrieb. Fans sollten ein Panel eines kommenden Hefts mit folgender Beschreibung zeichnen:

Harley [Quinn] sitting naked in a bathtub with toasters, blow dryers, blenders, appliances all dangling above the bathtub and she has a cord that will release them all. We are watching the moment before the inevitable death. Her expression is one of “oh well, guess that’s it for me” and she has resigned herself to the moment that is going to happen.

Eine nackte Frau, die Selbstmord begeht. Extrem cool, extravagant und grenzüberschreitend – wenn man 13 ist. Dem Rest der Welt war es dann aber doch etwas zu bescheuert und in letzter Instanz auch gefährlich, gerade für echte Teenager. DC entschuldigte sich pflichtschuldig, aber wohl eher, um die Kritiker zu besänftigen. Es gibt schließlich noch genug Leute da draußen, die es für den ultimativen Ausdruck von Abgefahrenheit halten, sich “damaged” auf die Stirn zu tätowieren.

Die kleinen Preise

Im Booklet von Michael Jacksons Greatest-Hits-Album mit dem so genial hybrisschwangeren Titel HIStory – Past, Present and Future, Book 1 (zu dem es nie ein Book 2 geben würde) findet sich eine Auflistung aller Preise, die der King of Pop jemals gewonnen hat. Und schon damals 1995, als ich die Liste in meinem Kinderzimmer ehrfurchtsvoll durchlas, wunderte ich mich, dass dort auch mehrere “Bravo Otto: Gold Award” verzeichnet sind. “Wirklich”, dachte ich, “dafür interessiert sich Michael Jackson? Dass er einen goldenen Bravo-Otto gewonnen hat?”

Preise sind so eine Art notwendiges und manchmal auch amüsantes Übel im Zirkus der Kulturproduktion. Sie sind Richtschnur für die Außenstehenden, Marketinginstrument und möglicherweise wichtige Booster für die Karriere einzelner Künstler. Sie sind Anerkennung der eigenen Branchengenossinnen und Anlass für aufwändige Galas und rauschende Feste.

Wie bei den Bambi-Galas

Wenn man als Künstler relativ am Anfang steht und kein reinster “l’Art pour l’Art”-Mensch ist, freut man sich mit Sicherheit über jeden Preis, den man gewinnt. Genug Eindruck gemacht zu haben, dass andere Menschen einen dafür ehren wollen, das ist schon was. Aber wie ist es, wenn man etwa als Filmstar schon auf Oscar-Niveau angekommen ist? Freut man sich dann eventuell noch über einen Gilden-Award, weil dort nur die eigene Branche wählt? Freut man sich über eine Auszeichnung in einem Gebiet, wo man vermeintlich noch nicht bekannt war, zum Beispiel in Asien? Oder könnte einem das eigentlich nicht egaler sein, wo man überall in Abwesenheit kleine Preise verliehen bekommt, in jeder mickrigen Filmzeitschrift der Welt beispielsweise. Undotierte Preise natürlich.

Ich veröffentliche jedes Jahr meine persönliche Bestenliste, weil ich weiß, dass sie manche Leute interessiert aber hauptsächlich, weil ich selbst gerne dokumentiere, welche Dinge mich beeindruckt haben. Aber einen Preis für den besten Film vergeben? Wem soll das nützen? Ist das dann so wie bei den Bambi-Galas, wo erstmal geguckt wird, wen man alles als Gast buchen könnte und sich dann einen Preis ausdenkt, den man ihm geben könnte?

Schreibt man “Badass” nicht zusammen?

In nicht ganz so vielen Worten habe ich das alles Micha Scharsig geschrieben, als er mich gefragt hat, ob ich dieses Jahr in der Jury des “Filmtipp-Award” dabei sein wollte, bei dem Micha jedes Jahr eine Gruppe von Bloggerinnen und Bloggern koordiniert, um eine Reihe von Preisen zu vergeben. In den letzten Wochen habe ich mich also durch eine Liste von 33 mehr oder weniger abstrusen Kategorien geschnauft (schreibt man “Badass” nicht zusammen?), einem Nominierungsprozess beigewohnt, der im besten Fall schwierig war, weil die wenigsten Teilnehmerinnen der Jury überhaupt genug Filme gesehen hatten (inklusive mir), um sich nicht einfach nur an dem zu orientieren, was alle anderen machen. Zu guter Letzt habe ich mich noch heftig darüber gestritten, ob es chauvinistisch ist, Alicia Vikander für Ex Machina nur in der Kategorie “Beste Nebenrolle” zu nominieren, obwohl sie die wichtigste Figur des ganzen Films ist.

Niemand von denen, die hier am Ende gewinnen werden, wird sich dafür interessieren, dass ihnen eine beliebige Runde deutscher Filmblogger den Filmtipp-Award verliehen haben. Wenn also zum Beispiel Leonardo DiCaprio “Bester Schauspieler” werden sollte, kratzt ihn das vermutlich noch weniger als die Auszeichnung der Utah Film Critics Association.

Also: Für wen machen wir das? Die Antwort ist klar: für uns. Micha veranstaltet das Ganze vermutlich, weil er das Gefühl einer Preisverleihung mag. Ich mache mit, weil alles, was die Filmblogosphäre zusammenbringt, gut ist. Die Diskussionen, egal wie sinnlos sie waren, haben die Community gestärkt und Micha hat sich die Mühe gemacht, diese Communitystärkungsaktion mit 29 Filmblogmenschen zu veranstalten. Vielleicht sollte man dafür lieber ihm einen Preis geben. Michael Jackson, Gott hab ihn selig, hat bestimmt noch irgendwo einen goldenen Bravo-Otto herumstehen.

Hier geht es zu den Nominierungen des Filmtipp-Award

Real Virtualinks 6/16

Unfathomable Life: A Writer Grieves for Her Father, Through Five Movies

Ein sehr persönlicher Text, bewegend geschrieben. Jessica Ritcheys Vater ist gestorben und sie entdeckt in den Filmen des letzten Jahres überall Dinge, die sie an ihn erinnern.

I Don’t Have To Answer That

Toller Podcast über einen entscheidenden Moment der US-Mediengeschichte. Gary Hart war in den 80ern der erste Präsidentschaftskandidat, der wegen privater Fehltritte demontiert wurde.

Karla Kolumna, die rasend machende Reporterin

Ich bin großer Fan von Patrick Torna und seiner Seite journalistenfilme.de – noch jemand, der die Themen Film und Medien irgendwie miteinander verknüpft und der auch eine ähnliche Herangehensweise hat wie ich. Demnächst werde ich ihn sicher mal mit einem Interview im Blog vorstellen, aber zunächst wünsche ich euch Spaß beim Lesen dieses aktuellen Artikels über Karla Kolumna.

Baustelle Filmkultur: Kino in den arabischen Ländern

Den Bericht von Christine Kopf über die vielfältige Kino- und Filmlandschaft der arabischen Welt in der aktuellen epd Film habe ich sehr gerne gelesen, vor allem, weil er mit einigen Vorurteilen/Ignoranzen aufräumt, die auch bei mir vorhanden waren.

Generation Preset: Wie digitale Voreinstellungen die Popmusik prägen

Ich war sehr begeistert von Florian Frickes Radiofeature über die Verquickung moderner Popmusiksounds seit den späten 1970ern mit spezifischen Voreinstellungen an Synthesizern und später mit Preset-Libraries. Das ganze wird sehr gut historisch aufgeblättert und gespiegelt mit aktuellen Interviews unter anderem mit dem Chef von Ableton.

Berlin, New York und Real Virtuality

“Wie stellst du dir Zeit vor?” – Eine Frage, die ich viel zu selten stelle. Für mich ist Zeit eine Art frei schwenk- und zoombares 3D-Modell, das quer durch den Raum läuft. Jedes Jahr ist ein Ring, die Ringe aneinandergereiht geben ein Band, das ungefähr bis 2000 vor unserer Zeitrechnung zurückreicht (danach wird es unscharf). Bei genauerer Betrachtung bestehen die Ringe aus Bögen, jeder Bogen ist eine Woche. Am Wochenende hat ein Bogen seinen tiefsten Punkt. Es ist schwer zu beschreiben, aber so funktioniert mein Verstand nunmal.

Als ich die Frage tatsächlich mal jemandem gestellt habe, sagte mir diese Person, sie stelle sich die Zeit eher vor wie einen Kalender; ihren Kalender. Ich fand das schräg. Da hat man die unendliche Gestaltungsmöglichkeit seines Verstandes zur Auswahl, und man entscheidet sich für Skeuomorphismus und modelt seine Vorstellung nach einem realen Objekt.

Mein innerer Stadtplan

Doch dann fiel mir auf, dass ich es bei meiner Vorstellung von Raum genauso mache. Wenn ich an einen neuen Ort komme, beginne ich, in meinem Kopf einen Stadtplan anzulegen. Mir gibt das Sicherheit und es hilft mir bei der Orientierung. Ich gehe oder fahre eine Straße hinunter und diese Straße – im Bezug zu anderen Straßen und Orten drumherum – wird dann in meinem Kopf geloggt und meinem inneren Stadtplan hinzugefügt. In Berlin war ich mir lange unsicher, wie genau sich Zoo, Potsdamer Platz und Alexanderplatz eigentlich genau zueinander verhalten, weil ich immer nur mit der U-Bahn von Ort zu Ort gefahren war und U-Bahnen töten jede räumliche Orientierung. Erst seit ich hier wohne, die Strecke auch mal per Bus zurückgelegt und mit Stadtplänen verglichen habe, besitze ich eine ungefähre Vorstellung.

Berlin sieht jetzt für mich ungefähr so aus. Ich kenne die Innenstadt einigermaßen, die Ecke unten links wo ich jetzt wohne und die Ecke unten rechts, wo ich mal längere Zeit verbracht habe. Ich habe quasi keine Ahnung was außerhalb des S-Bahn- und Autobahnrings passiert und das Zentrum von Kreuzberg ist ein Mysterium.

© Google Maps

Screenshot: Google Maps

Allerdings, möchte ich einwenden, ist ein Stadtplan natürlich auch wirklich nur eine Abstraktion dessen, was wir sehen, wenn wir eine Stadt tatsächlich aus der Luft betrachten. Der Skeuomorphismus in meinem Kopf geht also auf die Realität zurück, im Gegensatz zu einem Kalender, der weniger die Zeit selbst repräsentiert als das, was sie repräsentiert.

Die Situation in New York

Bei New York war die Situation ein bisschen anders. Ich kannte New York aus hunderten Filmen, Serien und Büchern, die mir immer wieder Eindrücke der Stadt gezeigt hatten. Hinzu kommt, dass New York so unfassbar einfach aufgebaut ist, dass es eigentlich ein Leichtes sein sollte, einen inneren Stadtplan zu zeichnen. Manhattan ist ein langer Zapfen, oberhalb davon ist die Bronx, oben rechts ist Queens, unten rechts ist Brooklyn. In der Mitte ist der Central Park. Die Straßen sind durchnummeriert und rechtwinklig! Einfacher geht es gar nicht.

Ich wusste trotzdem nicht, wie New York ist, bis ich 2011 dort war. Ich wohnte bei Bekannten in Queens, fuhr jeden morgen mit der Bahn in die Stadt und schritt große Teile Manhattans zu Fuß ab. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, an all diesen Orten vorbeizukommen, die einem scheinbar so bekannt vorkamen: Brücken im Central Park, die Billboards am Times Square, Battery Park am Fuß der Halbinsel, wo die Fähren ablegen, das Museum of Natural History, 30 Rock.

A Couple of Blocks Away

Aber es war notwendig, einmal wirklich dort gewesen zu sein, um ein Gefühl für die räumlichen Dimensionen zu bekommen. Wie weit ist “just a couple of blocks away”, was man immer wieder in US-Medienerzeugnissen hört. Wie hoch sind die Gebäude entlang der Madison Avenue wirklich? Wie riesengroß ist der See im oberen Teil des Central Park. Wieviel kleiner wirkt Manhattan, wenn man plötzlich durch das East Village spaziert, obwohl es direkt neben den protzigen Bürotürmen des Financial District liegt. Und wie titanenhaft sind bitteschön diese Brücken über den East River?

Einmal dort gewesen jedoch klickte plötzlich alles zusammen wie ein gigantisches Puzzle. Nur eine gute Woche nach meinem New York-Besuch sah ich Nick and Norah’s Infinite Playlist im Fernsehen, ein netter kleiner Indiefilm, in dem die Titelcharaktere eine Art Road Trip durch New York erleben. Und nicht nur rief ich plötzlich ständig “Da war ich” (zur unendlichen Freude meiner Mitzuschauer, da bin ich mir sicher), sondern ich hatte plötzlich auch das Gefühl, mich viel besser in den Film hineindenken zu können. Ich konnte die zweidimensionalen Bilder auf dem Bildschirm übersetzen in dreidimensionale Bilder in meinem Kopf.

Real Virtuality

Filme konstruieren künstliche Räume, das ist eine der ältesten Erkenntnisse der Filmtheorie. Wer nacheinander einen Menschen zeigt, der von links nach rechts läuft, einen weiteren Menschen, der von rechts nach links läuft, ein Gebäude und dann zwei Arme, die einander die Hand geben, wird dadurch in 90 Prozent aller Menschen den räumlichen Eindruck erwecken, die beiden Menschen seien aufeinander zugegangen, um sich vor dem Gebäude die Hand zu schütteln – auch wenn die Aufnahmen an völlig unterschiedlichen Orten entstanden sind, das Gebäude ein Modell ist und die Hände anderen Menschen gehören als den zuvor gezeigten. Diese künstlichen Räume existieren allerdings nur innerhalb des Films, wir können sie nicht betreten, weil sie nicht existieren. Auch nicht, wenn wir alle oben genannten Drehorte nacheinander besuchen würden.

Unter anderem deswegen finde ich so spannend, was zurzeit im Bereich Virtual Reality passiert. Die dort erschaffenen Räume sind auch nicht real, sie sind digitale Simulationen. Aber sie besitzen die gleiche Räumlichkeit wie ein realer Ort. Ich kann mir die Brille aufsetzen und den Ort erfahren, so wie ich damals 2011 nach New York geflogen bin, um den Ort zu erfahren. Das bedeutet auch, dass wir vom gleichen Ort reden werden, wenn wir über unsere VR-Erlebnisse sprechen. Es wird nicht mehr so sein, wie wenn wir über Filme reden, wo sich jeder einen eigenen künstlichen Raum zusammenbaut. Wie wenn wir über Zeit sprechen, dass der eine einen Kalender sieht und die andere ein Band im endlosen Weltall. Es wird hoffentlich wie Theater, wo wir alle mittendrin stehen. Real Virtuality. Ich kann es kaum erwarten.

Passenderweise gibt es übrigens inzwischen ein VR-Produkt namens Real Virtuality, das mehreren VR-Nutzern erlaubt, gleichzeitig die gleiche Simulation zu erleben. Ich habe mein Blog also genau richtig benannt.

Meet the Bloggers – Berlinale 2016

Letztes Jahr konnte ich leider nicht dabei sein, aber dafür dieses Jahr umso mehr! Zum vierten Mal gibt es während der Berlinale ein Treffen für alle, die irgendwas mit Film und Internet machen. Das Haus der 100 Biere/Mommsen-Eck liegt günstig in der Nähe der Festivalkinos am Potsdamer Platz und bietet genug Raum für einige Blogger_innen, Podcaster_innen, YouTuber_innen und alle anderen, die bei einem Getränk Freundschaften für’s Leben schließen wollen.

Am 13. Februar 2016 ist ab 17 Uhr ein Tisch auf den Namen “Peschel” reserviert. Hier könnt ihr auf Facebook euer Kommen ankündigen.

Sollten Agenturen oder sonstige professionelle Blogger-Kontaktmenschen Interesse haben, zu diesem Treffen zu kommen oder etwas dazu beizutragen, dürfen Sie sich gerne bei mir melden.

Real Virtualinks 5/16

Dieses Blog wird bald auch wieder “echte” Artikel enthalten. Bis dahin müsst ihr euch mit diesen Links begnügen, in denen es immerhin auch um “Echtheit” geht.

Welcome to the divergence

Ich habe mich aus voller Überzeugung längst vom “Erfahrungen sind wichtiger als Zeug”-Mantra anstecken lassen – aber wenn ich wieder Zeug kaufen muss, um Erfahrungen zu haben, bin ich doch wieder nur einem Marketing-Schachzug zum Opfer gefallen, oder?

Hollywood’s Turn Against Digital Effects

Bryan Curtis’ Artikel ist wunderbar, denn er gibt dem Echtheitswahn aktueller Effektfilme Kontext: “Bobbajo was in all of about two shots in “The Force Awakens.” He didn’t have a line. Did he add to Abrams’s garbage-picker milieu? Well, maybe a little. Did he work as a sop to us fans who demand “reality” as it was delivered at multiplexes thirty years ago (…)? Absolutely.”

Auf, auf und davon!

Ich bin ja schon lange ein Freund davon, das Internet nicht nur für kurzen Clickbait, sondern auch für lange und multimediale Auseinandersetzungen zu nutzen. Christian Steiner, bekannt aus dem “Second Unit”-Podcast, hat so etwas gerade begonnen. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt

Und… los geht’s!

Deutschland hat ein Podcastlabel: Viertausendhertz. Und wie bei Gimlet gibt es auch einen Metapodcast über die Gründung eines Podcastlabels. Dabei wird schon klar: Hier sind Radioprofis am Werk, die aber trotzdem eine echte Liebe zu Podcasts mitbringen. Ich bin sehr gespannt und werde die verschiedenen Formate bald mal durchtesten.

Real Virtualinks 4/16

To Attract New Listeners, Podcasts Need to Move Beyond Sound

Hinter der paradoxisch klingenden Überschrift steckt die Frage, wie Podcasts “sharable” werden können, auf die bisher noch niemand eine gute Antwort hat. Ich habe mir bisher die Web-Inhalte von Serial nicht angesehen. Nutzt ihr solche Zusatzangebote?

Uhrenvergleich

Wer eine Idee hat, die er oder sie gut findet, sollte davon ausgehen, dass sie auch andere haben. Und genauso wie ich seit Jahren darüber sinniere, die absurden Auswüchse der Bahnhofskiosks unter die Lupe zu nehmen, scheint es auch Peter Breuer getan zu haben. Für “Übermedien”, die neue Website von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz, schreibt er als erstes über das Uhrenmagazin “Chronos”.

Die Glorifizierung von Psychopathen als Helden, unterlegt mit “Bohemian Rhapsody”, ist

Meine erste Twitter-Umfrage zum neuen Trailer für Suicide Squad der ausgerechnet mein Lieblingslied mit einer für meine Begriffe absurd pubertären Vorstellung von “Coolness” koppelt (siehe auch Harley Quinn Art Contest). Immerhin hat die tendenziöse Fragestellung einige Mitmenschen zur Diskussion angeregt.

Where’s Rey?

Laut einem “Insider” wurde Rey gezielt aus Star Wars-Produkten ferngehalten, weil sich weibliche Figuren bei Jungs nicht verkaufen – schon länger bekannt. Dieser Artikel fasst das alles noch mal zusammen und setzt es auch in einen historischen Kontext.

„Komplexer soll die Welt nicht werden.”

In der Woche, in der die Grimmepreis-Nominierungen bekannt gegeben wurden, habe ich in den Tiefen meiner Pocket-Liste dieses fantastische Gespräch zwischen Frédéric Jaeger und Robert Bramkamp entdeckt, in der sich mal wieder die gesammelte Wut über Kino und Fernseh-Verquickung in Deutschland Bahn bricht. Ich würde nicht alles, was Bramkamp sagt, so unterschreiben, aber “Retrorealismus” ist einfach ein grandioser Begriff, der sehr genau mein eigenes Unwohlsein mit dem deutschen Filmkomplex zusammenfasst.

Real Virtualinks 3/16

Inside Out and the ‘Science’ of Emotions

Ich bin mir nicht sicher, was ich von diesem Artikel halten soll. Auf der einen Seite wird moderne Neurowissenschaft belächelt mit dem Verweis auf 100 Jahre alte, unbewiesene Theorien, in deren Schwitzkasten die Psychologie bis heute an vielen Ecken zu stecken scheint. Auf der anderen Seite öffnet sich ein wissenschaftstheoretischer Korridor gegen die vollquantifizierte Wahrnehmung des menschlichen Geistes. Lesen darf man ihn also auf jeden Fall und auch diesen sehr guten Kommentar von Jochen Ecke dazu.

Lexical Analysis: Lex Luthor on disrupting the vigilante industrial complex

Batman v Superman: Dawn of Justice kommt schon am 23. März in die Kinos und allein wegen der Hybris und Produktionsgeschichte ist es einer der Filme, auf die ich dieses Jahr am meisten gespannt bin. Das “Wired Brandlab” ist dazu Mit-Urheber einer cleveren Werbekampagne – ein Interview mit Filmbösewicht Lex Luthor im Gewand eines “Wired”-Artikels. Seine Meinung zu Batman? “You want to clean up the streets? Dress up like the boogeyman, switch on a fog machine and lower your voice.”

The Nine Lives of Leo DiCaprio

Ich war nicht übermäßig begeistert von The Revenant, aber die Kameraarbeit hat mich beeindruckt. Ich hatte vor allem einen Gedanken, den Leonardo DiCaprio in diesem unterhaltsamen Interview witzigerweise auch wieder aufgreift: “This movie is a little like virtual reality.” Fallen euch weitere Filme ein, in denen man durch filmische Techniken so stark in einen Raum eintaucht?

Werner Herzog Talks Virtual Reality

“It’s a form of space that we haven’t experienced yet. It is a form of space that occurs in our nightmares.” Ich kann es nicht erwarten, was die VR-Welt uns durch Menschen wie Herzog bringen wird.

Eine Frage der Zeit – Gibt es zu lange Filme?

Ich glaube, ich habe selbst oft genug behauptet, Film XY wäre “zu lang”. Lucas Barwenczik geht der Behauptung auf den Grund und versucht wie immer, provokant und versöhnlich zugleich zu sein.

Star Wars: The Force Awakens – VFX Breakdown

Was VFX-Breakdowns angeht ist dieses zehnminütige Video zu The Force Awakens ganz vorne mit dabei, weil es tatsächliche Vergleichsmöglichkeiten bietet, statt (wie gerne) selbst ein Budenzauber zu sein. Allerdings sieht man auch sehr gut, dass die im Vorhinein oft beschworene Echtheit der Sets und Effekte vor allem eins war: Marketing. Zählt mal, wie oft ihr “Full Digital Shot” lest. The Force Awakens hat auch nicht weniger CGI als ein durchschnittlicher Peter Jackson-Film. (Neuer Link. Danke, Fabian in den Kommentaren)

How Queen and David Bowie wrote “Under Pressure

Selten, dass Musiker_innen mal einen so präzisen Einblick in den kreativen Prozess hinter der Entstehung eines Songs geben. Wer sich, wie ich, für so etwas interessiert, sollte das hier unbedingt lesen, egal ob er den Song mag oder nicht. “The procedure was each of us went into the vocal booth consecutively, without listening to each other, and, listening to the track, vocalised the first things that came into our heads, including any words which came to mind, working with the existing chord structure. At this point Freddie laid down his amazing De Dah Day bits, very unusual, which actually made it to the final mix.”