In eigener “Ansichtssache”

Zwischen zwei Berlinale-Filmen soll nur kurz angemerkt sein: Das Buch Ansichtssache – Zum aktuellen deutschen Film ist in den letzten Tagen erschienen und kann im wohlsortierten (Internet-)Buchhandel erworben werden.

Herausgegeben von Bernd Zywietz und Harald Mühlbeyer, versammelt der Reader eine Vielzahl von Texten, die sich an einer aktuellen Vermessung der deutschen Film- und Kinolandschaft versuchen. Von mir ist ein Beitrag zur Digitalisierung dabei, den ich ja auch im Blog schon einmal angeteasert hatte. Ein Blog zum Buch gibt es auch!

Leider ist der Redaktionsschluss inzwischen schon wieder ein halbes Jahr her und gerade in Sachen Kino-Digitalisierung hat sich inzwischen einiges getan. Vielleicht veröffentliche ich den Beitrag also irgendwann auch hier noch einmal, aktualisiert und überarbeitet. Aber für’s erste existiert er nur in diesem formidablen Buch, das auf keinem Buchregal fehlen sollte!

The Rising

Steppefilm/Milagro

Zu den beliebtesten Klageliedern der deutschen Filmlandschaft gehört der alte Chanson “In Deutschland werden keine Genrefilme gemacht”. Das ist nicht hundertprozentig wahr, allerdings stimmt es, dass selbst unter den jungen Kurzfilmen die Anzahl der “Write what you know”-Familien- und Liebesgeschichten (meist dramatischer Natur) immer noch ziemlich hoch ist. Wird doch mal ein Genrefilm gemacht, bedeutet das meistens nur eins: Zombies (echt jetzt, das geht an alle: ist mal gut mit Zombies so langsam?).

Wie schön, dass einem immer mal wieder doch Alternativangebote gemacht werden. Ich mochte Tim Fehlbaums postapokalyptischen Film Hell, allein schon für die Chuzpe, mal etwas Neues zu probieren. In eine ähnliche Kerbe schlägt der Berliner Kurzfilm The Rising von Sebastian Mattukat, der 2012 mit Crowdfunding-Hilfe fertiggestellt wurde und seitdem schon auf mehreren Festivals, unter anderem in Köln, Los Angeles und Málaga gelaufen ist.

In der Zukunft von The Rising ist die Menschheit vor ihrer durch Umweltgifte verseuchten Welt in den Untergrund geflüchtet und hat ein diktatorisches Krisenregime aufgesetzt. Nur einzelne Personen werden ans Tageslicht gelassen, um dort Messwerte einzuholen. Diese haben jedoch die Anweisung, auf keinen Fall, von ihren vorgeschriebenen Routen abzuweichen. Als es einer doch tut, beginnt die Handlung des Films.

The Rising besticht durch drei Faktoren. Erstens, das mit den HD-Bildern der eingesetzten Red-Kamera perfekt in Szene gesetzte, karge Setting (keine Überraschung: Die deutsche Postapokalypse spielt in Brandenburg). Zweitens, die gelungene Inszenierung ohne Dialoge, was den Film zu internationalem Appeal verhelfen sollte. Und Drittens, ein paar clevere und subtile VFX, die The Rising den letzten Schliff geben.

Nun kehrt The Rising in seine Geburtsstadt Berlin zurück. Der Film ist am 16. Februar auf dem Berlin Independent Film Festival zu sehen. Einen ersten Eindruck vom Film und einen Trailer finden Interessierte auf der offiziellen Webseite des Films.

Offenlegung: Ich bin mit Produzent und Regisseur von The Rising freundschaftlich verbunden und habe einen kleinen Crowdfunding-Beitrag zum Film geleistet.

Meet the Bloggers

Die zweite Stufe des Projekts “Deutsche Film-Blogosphäre” steigt während der Berlinale. Für den 9. Februar 2013 habe ich um 18.00 Uhr einen Tisch im legendären Mommseneck reserviert, an dem sich Blogger und Blogger-Sympathisanten treffen dürfen, um aus ihrem virtuellen Gefängnis auszubrechen und gemeinsame Projekte für die Zukunft zu planen. Am besten direkt hier zusagen. Wir sehen uns!

Die deutsche Film-Blogosphäre: Eine erste persönliche Bilanz

Diese Bilanz kann nur eine sehr persönliche sein, denn die letzte Woche war ganz schön turbulent. Nicht nur, weil ich am Dienstagnachmittag von einer Grippe umgehauen wurde, wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe, und drei Tage flach lag, zwei davon mit Fieber. Sondern auch, weil ich wirklich nicht geahnt habe, was passieren würde, nachdem ich am Sonntagabend in meinem WordPress-Dashboard auf “Publish” gedrückt hatte.

Erst konnte ich sehen, wie sich der Beitrag auf Twitter verbreitete, irgendwann oft genug, um bei “Rivva” aufzutauchen. Am nächsten Morgen war ich im “BildBlog” verlinkt und die ersten Kommentare trudelten ein. Dienstag war mein Artikel schon zu “der aktuellen Filmblogdiskussion” mutiert. Als ich dann Mittwoch auch noch eine Mail von Radio Fritz mit einer Interviewanfrage bekam, war ich mir schon nicht mehr ganz sicher, ob das alles wirklich passiert (kann aber auch das Fieber gewesen sein).

Don’t get me wrong

Ich bin also wirklich im positivsten Sinne überwältigt, dass meine vier Thesen ein solches Echo erzeugen konnten. Einerseits ist das natürlich auch ein bisschen befriedigend, denn die Zustimmung, die ich erhalten habe, spricht dafür, dass ich irgendwie tatsächlich nicht nur heiße Luft gepustet, sondern einen wunden Punkt getroffen habe. Andererseits muss ich mich natürlich auch mit der Kritik auseinandersetzen (die sehr zivil und sachlich geblieben ist) – und das bedeutet bei mir fast immer, dass ich instinktiv zurückrudern und relativieren will.

Ein bisschen werde ich das auch diesmal nicht vermeiden können. Ich stehe auch nach aller Diskussion zu jeder meiner vier Thesen, aber natürlich sind sie (ich glaube, ich habe das auch im Artikel öfter betont) auch auf maximale Aufmerksamkeit zugespitzt (einsortieren unter Handwerk, Klappern gehört zum). Ich glaube nicht, dass in diesen vier Punkten die gesamte Sachlage enthalten ist, und ich bin relativ entspannt, was ihre Umsetzung angeht. Trotzdem, ein paar Klarstellungen:

Blogosphäre schaffen heißt nicht Homogenisierung

Ich bin ein Anhänger von Gemeinschaftsgefühl, nicht jeder ist das. Obwohl ich zum Beispiel Patriotismus grundsätzlich eher für gefährlich halte, besonders wenn er gegen andere benutzt wird, bin ich doch immer wieder faziniert davon, dass etwa die völlig unterschiedliche und konträre bis feindselige regionale Identität zweier US-Bürger sich problemlos mit dem amerikanischen Wir-Gefühl vereinen lässt. Eine übergeordnete Identität lässt also durchaus Raum für jede Menge Individualität.

In den Kommentaren schrieben Frédéric Jaeger und Thomas Groh, mein Wünsche röchen nach “Homogenisierung”, als sollten wir alle das gleiche machen, Filme aus der gleichen Warte betrachten. Nichts liegt mir ferner. Jeder soll machen, was er will, das ist das World Wide Web und das ist seine besondere Vielfalt. Ich will keine redaktionellen Leitlinien.

Es wird immer Menschen geben, die Filme eher vom Kopf her, in einem größeren, kulturkritischen Zusammenhang wahrnehmen und interpretieren – genauso, wie es immer Menschen geben wird, die diese Zusammenhänge lieber ignorieren. Genauso wird es immer Schreiber geben, die lieber für ein Publikum schreiben und ihre Texte danach ausrichten – und es wird immer Schreiber geben, die einfach ihre Gedanken so festhalten, wie sie ihnen durch den Kopf schießen.

Sie sollen sich nicht ändern. Was ich erreichen will, ist, dass sie einander wahrnehmen. Und zwar nicht als etwas Abjektes, sondern als Leute vom gleichen Schlag, nämlich “Menschen, die im Internet über Film schreiben”. Sie müssen deswegen ja noch lange nicht alles mögen, was der andere tut, aber sie wüssten voneinander. BANG! Film-Blogosphäre.

“Leitmedium” ist ein dummes Wort

Meinen Artikel haben viele Leute über Twitter gefunden und über andere Filmblogs, die mich verlinkt haben, sehr viele auch über Facebook (ich bin tieftraurig darüber, dass ich die vielen Diskussionen die dort vielleicht abliefen, nicht lesen konnte). Aber mit Abstand die meisten Hits bekam meine Seite in den letzten Tagen aus dem “Bildblog” und dessen Rubrik “6 vor 9”, in der jeden Tag sechs Links zu Medienthemen veröffentlicht werden. Andere kamen auf den Artikel dadurch, dass Wulf Bengsch geschickt die trojanische Frage “Der beste Beitrag oder die beste Kritik, die ich in der vergangenen Woche auf einem Blog gelesen habe, war ________” einbaute, manche mit meinem Artikel antworteten und so Dritte darauf aufmerksam machten. Leitmedien?

“Leitmedium klingt nach Leitkultur” stand in mehreren Kommentaren, und da wurde mir klar, dass man manche Wörter in Deutschland einfach nach wie vor nich benutzen kann. Ich bin froh, dass ich nicht “Meinungsführer” benutzt habe. Auch hier geht es mir nicht darum, alle auf Linie zu bringen, warum auch? Twitter zeigt ja, dass man Leuten “folgen” kann, ohne sich dadurch ihre Ansichten zueigen zu machen. Es geht mir eher darum, dass die natürlichen Knotenpunkte im Netz ihre Funktion nutzen, um den Fäden, die zu ihnen führen, etwas zurückzugeben.

Doch selbst diejenigen, die (so glaube ich) verstanden haben, was ich meinte, waren deswegen nicht meiner Meinung. Thomas Groh schrieb in einem Kommentar:

In meinem “Google Reader” habe ich unter “movie” alles abgespeichert, was mich interessiert, und wenn mich was neues interessiert, kommt das hinzu. Was mich nicht interessiert, bleibt draußen.

Das ist natürlich der gleiche Ansatz, den ich auch verfolge und wahrscheinlich die meisten anderen. Er bedeutet aber, dass die Anzahl der guten Inhalte, die man findet, in direktem Verhältnis zu der Zeit und der Erfahrung steht, die man aufgewendet hat, um sie zu filtern. Meiner Meinung nach ein bisschen unfair. Ich bin da eher bei Ciprian David, der schreibt:

Die existierende Vielfalt der Blicke auf Film, Clustering und die anderen angesprochenen Aspekte können alle aus dieser Orientierungs-Perspektive auch als Hindernisse im Wege der Auswahl von zu lesenden Seiten gesehen werden und das zurecht. Einerseits möchte man möglichst unterschiedliche Ansätze kennenlernen, andererseits ist da draußen zu viel, um alles mitzubekommen – hinzu kommen noch die sich verdoppelnden Inhalten, die lange nicht nur News betreffen.

Genau darum geht es mir: Orientierung. Aggregation. Sinnvolle Anknüpfungspunkte für Außenstehende und innen stehende Interessierte.

Natürlich sind die sechs täglichen Links von “6 vor 9” eine höchst subjektive Auswahl. Dahinter steht sogar exakt eine Person: der schweizer Medienjournalist Ronnie Grob. Aber seit ich nicht mehr die Zeit habe, die gesamte deutsche Medienbloglandschaft zu verfolgen (wie damals, als ich noch hauptberuflich über Medien geschrieben habe), sind sie für mich eine gute tägliche Orientierung über aktuelle Themen und kleine Fundstücke. Dito “The House Next Door”, “Page 2”, “Weekend Reel Reads”, der “Singles Club” des Guardian Music Weekly Podcast.

Durch die Pingbacks zu meinem Beitrag konnte ich feststellen, dass einige Blogs natürlich solche löblichen Linklisten führen. Taschenpost bei “Nerdtalk” zum Beispiel, Der Linkomat beim “Abspannsitzenbleiber” und Verlinkt bei “DVDuell”. Auch Thomas Groh schreibt, er “weise (…) auf andere Beiträge in Print und Blogs hin, vor allem auch in der rechten Spalte unter ‘Reading Room'”.

Doch auch diese Listen muss man erstmal finden. Was ich mir wünsche, ist aber, dass das jemand macht, der 1) sowieso viel gelesen wird und am besten 2) auch noch für seine Arbeit bezahlt wird (hebt die Motivation). Also zum Beispiel ein regelmäßiges Feature bei “Moviepilot”. Die haben schon die Aufmerksamkeit einer großen Community. Jetzt könnten sie sie doch auch in die Blogs zurückgeben. Der Netzwerkeffekt wäre gigantisch. “Critic.de” hielte ich, wie schon im Interviewbeitrag mit Frédéric geschrieben, auch für einen geeigneten Kandidaten. Aber das ist eher persönliche Neigung. Und Geld haben sie dort ja leider auch nicht.

Hat Deutschland keine Filmkultur?

Nachdem es mit dem Interview zwischen uns leider nicht so gut geklappt hat, hat “Filmfreund” Oliver Lysiak sich dafür sehr prägnant in den Kommentaren zu Wort gemeldet und gleich zum Rundumschlag ausgeholt. In Deutschland fehle es an der “Filmkultur”, das Reden über Filme über ein “Gefällt mir (nicht)” hinaus sei eine kleine Nische. Ich weiß nicht, ob ich ihm da zustimmen will. Er macht diese Voraussetzung aber dafür verantwortlich, was ich als “die nervige Trennung zwischen E- und U-Kultur” bezeichnet habe, den mangelnden “Spaß an fließenden Grenzen zwischen Filmjournalismus und Filmfan”.

Meine E- und U-Anmerkung ist vielen sauer aufgestoßen, dabei wollte ich damit niemanden beleidigen. Zumal, wie ich oben geschrieben habe, die Ansätze sowieso immer alle vorhanden bleiben werden. Vielleicht liegt es an mir selbst, der ich so ein merkwürdiger Hybrid bin. Ich bin studierter Filmwissenschaftler, aber ganz schlechter Hermeneutiker. Ich bin Filmjournalist, betrachte das Thema Film aber eigentlich lieber aus der Warte eines Medienbeobachters, und bin deswegen nicht umsonst ein recht miserabler Kritiker (ausgerechnet Fernsehjournalismus – was ich nie gedacht hatte – kommt mir hier entgegen, weil ich den Film für sich sprechen lassen kann, statt dem Leser einen Eindruck davon vermitteln zu müssen). Weil ich also selbst so in der Mitte stehe, vielleicht liegt mir deswegen so viel daran, dass alle Beteiligten ihre eigene “Haltung” zum Thema Film etwas lockerer und dehnbarer begreifen. Film ist eben Industrie, Kunst, Kulturgut, Medium und Konsumgut auf einmal. Das ist ja das Tolle daran.

Mein Lieblingstweet zum Thema übrigens:

Gibt es eine deutsche Film-Blogosphäre? [] Ja [] Nein [] Dir gefällt “Transformers”, mit dir rede ich nicht.

— Sven Kietzke (@CineKie) January 20, 2013

Machen statt klagen

Einer meiner Lieblingsbeiträge stammte von Schöndenker Thomas Lautersweiler. Er forderte Machen statt klagen und zählte direkt mehrere Beispiele auf, bei denen die Blogs schon zusammenarbeiten. Ich bin natürlich voll seiner Meinung, aber wie ich dann auch in seinem Blog kommentierte: “Vielleicht wollte ich nur zuerst das Problem benennen, bevor ich es angehe. Das hilft beim Fokussieren.” Ein geisteswissenschaftliches Studium prägt. Ohne Thesen geht erstmal gar nichts.

Es ist schon eine Menge passiert, zum Beispiel diese Facebookseite, eine tolle Idee, von der ich allerdings noch nicht weiß, wo sie hinführen wird. Und die Diskussion, die das Thema zumindest mal auf die Agenda gebracht hat. Am besten hat mir gefallen, dass viele Leute mir geschrieben haben, sie hätten schon durch Artikel und Diskussion jede Menge Blogs entdeckt, von denen sie noch nichts wussten.

Es wird weitergehen. Ich werde selbst versuchen, so gut es geht dazu beizutragen, mehr deutsche Blogs lesen und verlinken, auch hier im Blog. Ich denke, das machen andere vielleicht auch. Genügend Tools gibt es ja, um die Vernetzung im Kleinen herzustellen (Gastbeiträge etc.). Was ich auch noch gar nicht erwähnt habe ist die tolle Idee des Social Viewing von “Mostly Movies”.

Und ich fände es gut, wenn wir uns auf der Berlinale treffen würden. Also, wer immer da ist, zumindest. Ich versuche einen Termin und einen Ort zu finden, der für möglichst viele Leute machbar ist. Wahrscheinlich am ersten Wochenende. Keep watching this Spot!

Die deutsche Film-Blogosphäre: Übersicht der Beiträge

Der erste Beitrag:

Die Interviews:

Reaktionen in Blogs:

Ausführliche Kommentare:

Sonstiges:

Diese Liste wird fortlaufend aktualisiert. Hinweise gerne in die Kommentare.
Zuletzt aktualisiert: 31. Januar 2013

Don’t you see where this J.J. Abrams thing is going?

startrek

2009. J. J. Abrams directs Star Trek, a Reboot of the original “Star Trek”-Franchise.


super8

2011. J. J. Abrams directs Super 8, produced by Steven Spielberg’s company Amblin, which allows Abrams, as he points out in Interviews to “share DNA” of earlier Amblin movies like E. T. – The Extra Terrestial.


Star-Wars-Abrams-Logo

2013. (January) J. J. Abrams is officially confirmed as the director of Star Wars: Episode VII.


startreket

2013. (May) The Abrams-directed Star Trek Into Darkness features a post-credit sequence, in which James Kirk returns to his quarters to find E.T. sitting at his desk. He is pointing a glowing finger at the Captain and says: “Mr. Kirk, you’ve just become part of a bigger universe.”


etstarwars

2015. Star Trek: Episode VII features a longish subplot about a kid on Tattooine making friends with a gnarly outcast from the galactic senate, who has moved into Ben Kenobi’s old cabin.


spaceavangers

2017. SPACE AVENGERS


Based on an idea by Carsten / images: Paramount Pictures (3), Lucasfilm (1), Disney (1)

Die deutsche Film-Blogosphäre: Sidney Schering von “Sir Donnerbolds Bagatellen”

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Das Beste zum Schluss, oder auch: Ente gut, alles gut. Als ich Sidney Scherings Blog “Sir Donnerbolds Bagatellen” gefunden hatte, wusste ich, dass ich dort (vielleicht abgesehen vom Blogdesign-Geschmack) auf einen Gleichgesinnten gestoßen war. Sir Donnerbold bloggt über Filme, aber er weiß, welche Filme er sich aussucht, und seine Artikel speisen sich zu großen Teilen aus einem enzyklopädischen Wissen über diese Filme, vor allem über Disney, über Animation und das Hollywood-System. Es hat mich also gar nicht gewundert, dass Sidney die gleichen Dinge in der deutschen Blogosphäre vermisst, wie ich.

Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was du bei “Sir Donnerbolds Bagatellen” machst, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

In meinem Blog fasse ich, so weit es mir zeitlich möglich ist, meine Gedanken zu Filmneuigkeiten und anderen Dingen aus der Welt der medialen Unterhaltung zusammen, außerdem bespreche ich einige Filme – leider nicht alle, die ich sehe, denn dann hätte ich keine Zeit mehr, welche zu gucken. Ich mache das seit Dezember 2007, als mich mein innerer Schreibdrang überwältigte und mir meine alten Stammforen nicht mehr für meine langen Lamenti geeignet schienen.

Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu “dürfen”?

Ich denke, dass man für einen lesenswerten Blog generell nur Passion für das gewählte Thema und eine halbwegs interessante Schreibe benötigt. Ein professioneller Hintergrund kann spannende Einsichten gewähren, aber ebenso kann ein „amateurhafter Blick“ für reizvolle Artikel herhalten.

Dein Blog beschränkt sich thematisch hauptsächlich auf deine Disney-Leidenschaft, aber du weichst gelegentlich auch davon ab und schreibst zum Beispiel über Musik – wonach wählst du aus, worüber du schreibst?

Die faszinierende Welt Disneys ist meine größte Passion in der Welt der Medien und der Unterhaltungskunst, so dass es sich irgendwie von selbst ergibt, dass ich darüber am häufigsten schreibe. Disney lässt es am schnellsten unter meinen Nägeln brennen – jedoch sah ich meinen Blog nie als semi-professionelle Disney-Seite, sondern stets als virtuelle Auslagerung meines Schreibdrangs. Deshalb thematisiere ich in meinem Blog, wonach es mir steht, also auch Filme, die niemals unter dem Disney-Label erscheinen würden oder Metalalben. Das ist gewiss keine thematische Ausrichtung, wie man sie in einem Seminar über Medienpublikationen erlernen würde, doch das schert mich nicht – ich will mich ausdrücken und kein werbefähiges Produkt liefern. Mein Blog ist ein Hobby, kein Job. Zudem hoffe ich, durch den Themenmix beweisen zu können: Solche Interessen schließen einander nicht aus.

Mehrere Serien in deinem Blog werden von Gastautoren geschrieben. Wer sind sie und wie funktioniert diese Kollaboration?

“Aku Ankka” (aka Kevin, einem Administrator der Duckipedia) und ich lamentierten eines Tages im ICQ, dass die deutsche (digitale) Disney-Fangemeinde in zwei Extreme verfällt: Diejenigen, die ihr Disneywissen scheinbar über ihre Passion stellen, und jene, die ihre Lieblingsfilme und -figuren haben, doch über Wissen erstaunt sind, das auf englischsprachigen Disney-Seiten als Allgemeinwissen durchginge. Natürlich gibt es Ausnahmen, dennoch fanden wir, dass der typische US-Mix aus Wissen und Passion im deutschen Web untergeht. Deshalb liebäugelten wir mit einem neuen Fanprojekt, das mit feurigem Eifer seine Liebe zu Disney erklärt, und dies auf informative Weise. Also eben nicht noch ein Fanlexikon, nicht noch eine “Wow, ist das toll!”-Seite (die allesamt ihre Berechtigung haben!), sondern ein Mittelding. Um “Im Schatten der Maus” zu erproben und bekannt zu machen, startete es als “Programm” innerhalb meines Blogs, zu Beginn rekrutierte ich noch Ananke Ro, eine enge, langjährige Freundin von mir, die ebenfalls ein echter Disney-Crack ist. Mit “Case” (aka Jan) stieß Ende 2012 noch ein Arbeitskollege von mir hinzu – für die Zukunft hoffe ich, weitere Autoren zu finden und eine eigenständige Seite zum Thema starten zu können.

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?

Ich habe den Eindruck, dass es eine locker verknüpfte deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt. Private (Hobby-)Blogs mit Schwerpunkt Film scheinen sich schnell anzufreunden und auch mal Stöckchen, Fragebögen oder ähnliches auszutauschen, aber man könnte sie genauso gut als Teil der “normalen” Blogosphäre bezeichnen, da sie auch über persönliche Interessen tratschen. Reine Filmblogs, noch dazu professionelle oder semiprofessionelle, scheinen mir im deutschsprachigen Raum doch giftiger zueinander zu stehen als US-Seiten. Ich denke da schwärmend an Comic-Con-Videologs, in denen Autoren von “/Film”, “Collider”, “First Showing”, “Joblo” und “Cinema Blend” wie Kumpels zusammenhängen. Das scheint es hier nicht zu geben.

Du erwähnst zwei der Dinge, die mir auch in US-Blogs aufgefallen sind, und die ich hier vermisse. Die Mischung aus Passion und Information einerseits und andererseits das große Gemeinschaftsgefühl zwischen den Blogs, die auch regelmäßig beieinander zu Gast sind. Was meinst du, woran liegt es, dass das hier nicht so ist? Und: Müssen wir den Amerikanern überhaupt alles nachmachen?

Natürlich muss man den Amerikanern nicht alles nachmachen, aber was ist schon gegen etwas Freundschaft unter Leuten, die der selben Passion nachgehen, auszusetzen? Dass die “Tagesschau” nicht täglich zwei Minuten einräumt, in denen via Liveschalte Witze mit den Moderatoren von “heute” gemacht werden, ist ja selbstredend, schließlich geht es da um Information über Weltpolitik. Aber wenn Onlinemedien zu Film und Fernsehen, die auch aus Liebe zum Thema geführt werden, sich wie Todfeinde ankeifen, was hat man schon davon?

Was die Mischung aus Passion und Information angeht: Ich freue mich über rein passionierte und rein informative Webseiten, doch es braucht meiner Meinung nach halt auch die Hybriden. Um es am Beispiel Disney zu erklären, wo mich dieser Mangel ja so stört: Ich denke, dass eine Mischung aus beiden Herangehensweisen wieder passionierte, doch auch fundierte Webdiskussionen anstoßen und zudem Gelegenheitszuschauer zu Fans machen kann. Wer hie und da einen Disney-Film guckt, wird sich keine Faktensammlungen zu Herzen nehmen und über liebessüchtige Blogeinträge lachen. Der Mittelweg reicht ihm die Hand (“Och, das ist ja interessant, so genau habe ich bei Disney nie hingeguckt. Ah, nun verstehe ich dieses laute Fangejubel”), während Fans vergnügliches Lesematerial erhalten.

Weshalb es im deutschsprachigen Web so viel Konkurrenzdenken bei Onlinemedien gibt? Vielleicht ist es das Erbe unserer journalistischen Vergangenheit – grob vereinfacht und stark verallgemeinert entstanden professionelle US-Filmblogs aus Zuneigung zum Thema, während sich professionelle deutsche Webseiten zu Themen abseits des üblichen Nachrichten-Themenmix als Ergänzung des klassischen Journalismus verstehen. Dass “Wir lieben Filme und denken viel drüber nach” aber nunmal nicht “Tagesthemen online” ist, wird da leicht übersehen. Ich verlange ja keine Aufweichung der Nachrichtenkriterien, sondern nur ein weniger steifes Selbstbild. Und was die passioniert informierenden Hobbyblogs angeht? Keine Ahnung. In englischer Sprache sind Publikum und potenzielle Autorenschaft größer, vielleicht sind deshalb die Chancen größer, dass sowas entsteht und besteht.

Ist dir “Erfolg” beim Bloggen wichtig? Bist du in deinen Augen mit deinem Blog erfolgreich?

Sagen wir so: Verschwindender Erfolg schmerzt mehr, als dass mich steigender Erfolg freut. Wenn die Leserzahlen nur ein bisschen sinken, jammere ich, wenn sie steigen, müssen sie deutlich steigen, damit ich mich freue, weil ich bei kleinen Anstiegszahlen nur denke “Och, joah, ist nur ein Hobby, aber schön, dass es gefällt.” Mich würden mehr Kommentare freuen, da mir die Interaktion wichtiger ist als bloße Zahlenprahlerei. Doch auch bei so vielen stillen Lesern fühle ich mich erfolgreich genug, um nicht mehr zu denken, dass ich allein für mich selbst blogge. Ich fühle mich seit einigen Jahren gegenüber meinen Leserinnen und Lesern in der Pflicht, weshalb ich bei Durststrecken ein mieses gewissen bekomme. Zur Oscarsaision 2012/13 etwa war die Zeit für Oscar-Prognosen zu knapp, aber weil die Oscar-Artikel beliebt sind, habe ich mich da durchgebissen.

Welche Blogs (über Film und drumherum) liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Die großen US-Blogs meiner Linkliste lese ich, um auf dem Laufenden zu bleiben, den Rest aus Interesse und zum Zeitvertreib.

Gibt es nach deiner Ansicht im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

Uff, da bin ich überfragt. Jeder, mit dem ich spreche, hast seine eigenen Favoriten, also scheint der Konsens für ein Leitmedium zu fehlen. Oder ich kenne die falschen Leute.

Wie würde die Netz-Film-Sphäre in einer perfekten Welt aussehen?

Ich ahne, dass ich zu einer riesigen Antwort fähig bin – derzeit fehlt mir dazu aber die Kreativität. Sorry. In einer perfekten Welt würde jedenfalls der Link-, Kommentar- und Leserneid wegbrechen. Und das dauernde “Hey, 10 Seiten in meinem Reader haben das schon gepostet, hört auf damit, es auch zu posten!”-Gemecker. Denn nicht jeder User liest zig Seiten.

Die deutsche Film-Blogosphäre: Martin Beck von “Reihe Sieben”

“Reihe Sieben” war die “Wild Card” in meinem Interview-Raster. Ein Blog, das ich erst recht spät entdeckt habe und nicht kannte, das mich aber durch sein professionelles Design beeindruckte. Ob da wohl eine Geschichte dahinter steckt? Interessiert hat mich außerdem, ob ein so sichtbares und prominentes Werbe-Netzwerk wie “Wirliebenfilme” zu Gemeinschaftsgefühlen unter den angeschlossenen Blogs führt. Seiteninhaber Martin Beck erklärt alles im Interview, knapp und prägnant.

Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was für ein Blog du schreibst, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

“Reihe Sieben” gibt es seit 2 Jahren. Entstanden ist die Seite aus dem Wunsch, so eine Art deutsches “Twitch” aufzuziehen – was sich aber einfach nicht stemmen ließ, trotz zeitweise über 20 Mitschreibern. Momentan plätschert “Reihe Sieben” etwas dahin, weil einfach die Zeit fehlt und trotzdem ab und an ein bisschen davon übrig ist.

Der Ansatz war auf jeden Fall, das Nachplappern irgendwelcher Mainstream-News zu vermeiden und stattdessen gezielt neben der Spur zu graben. Ich selber bin schon seit vielen Jahren in Sachen Film aktiv, inklusive Artikeln in etlichen Magazinen. Reihe Sieben ergab sich dabei fast schon zwangsläufig, wobei aber die ursprüngliche Idee letztendlich interessanter war als es die Seite jemals hätte sein können.

Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu “dürfen”?

Das entscheidende Wort ist hier “sinnvoll” – dann lautet die Antwort auf jeden Fall “ja”. Ansonsten aber ist Bloggen doch auch ein Freibrief für Laberrabarber – was jetzt gar nicht negativ gemeint ist, vor allem im Kontext der freien URL-Eingabe.

“Reihe Sieben” wirkt sehr professionell aufgemacht. Man muss schon genauer hinsehen, um den Autor dahinter zu erkennen. Wonach wählst du deine Themen aus, was möchtest du mit dem Blog erreichen? Siehst du dich eher als Service-Orientiert oder lässt du deinen persönlichen Vorlieben freien Lauf?

Wie schon oben geschrieben: Twitch auf Deutsch klappt leider nicht, insofern ist der Service-Gedanke inzwischen kaum noch anwesend. Es geht ausschließlich um Themen, die mich selber oder die Schreiber interessieren. Alles andere ist natürlich auch möglich, aber dann halt mit einer soliden Redaktion und vor allem Werbeeinnahmen.

Wie misst du für dich den Erfolg deines Blogs? Ist dein Blog erfolgreich?

Die Zahlen misst Google Analytics – und wenn es danach geht, ist die Seite nicht erfolgreich. Ansonsten liegt der Erfolg in der eigenen Zufriedenheit mit den Texten und dem Feedback von Lesern.

Bekommst du regelmäßig Feedback auf das, was du schreibst? Bist du im Dialog mit deinen Lesern?

Im Dialog mit den Lesern muss man unbedingt sein, das gehört einfach dazu. Regelmäßiges Feedback im Sinne von “hey, wo bleibt der Kommentar von XY?” gibt es aber nicht.

Du bist Teil des “Wir lieben Filme”-Netzwerks, was bedeutet das für dich?

Das ist mein Werbevermarkter. Eine andere Bedeutung kann ich nicht erkennen. :-)

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?

Mit ein paar wenigen Leuten bin ich freundschaftlich verbandelt, bei ein paar mehr Leuten denke ich mir “Wow, super Schreibe” und bei ein paar viel mehr Leuten schüttle ich lieber den Kopf. Stichwort: Stuntschreiber.

Äh, was sind “Stuntschreiber”? Das höre ich zum ersten Mal

Das sind verzwirbelte Typen, die vor allem dadurch auf die Pauke hauen, dass sie a) möglichst viele Fremdwörter in möglichst lange Sätze packen und/oder b) ihre “Meinung” immmer konträr zur kollektiven Empfindung postieren.

Welche Blogs liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Die meisten Blogs, die ich lese, sind im Ausland beheimatet und dienen sowohl der Information als auch der Unterhaltung. Immer noch ganz vorne dabei: Twitch. Und /Film.

Gibt es im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

Facebook. Traurig aber wahr.

“Arthaus” und “Mainstream” – sind das Begriffe, die beim Bloggen eine Rolle spielen?

Nein.

Wenn du an der ganzen Sache mit dem Bloggen, wie es im Moment läuft, etwas ändern könntest, was würdest du ändern?

Weniger Herdentrieb, mehr Interesse für kleine Filme.

Die deutsche Film-Blogosphäre: Frédéric Jaeger von critic.de

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Sollte ich irgendwann mal dem Print endgültig den Rücken kehren und mein “epd film”-Abo kündigen, ich glaube, ich würde stattdessen regelmäßiger “critic.de” lesen (wenn ich überhaupt mal Kritiken lesen würde, bin ja mehr so der Meta-Film-Mensch). Klar, bei der Autorenliste sind die Texte natürlich nicht nur gelegentlich etwas verkopft, aber – so merkwürdig das klingt – ich finde, das ganze wird ausgeglichen durch das ruhige und klare Design der Seite und die außergewöhnlich gute Navigierbarkeit.

“critic.de” hat (ähnlich wie “Moviepilot”) meiner Ansicht nach das Zeug zum “Leitmedium” (einen Begriff, den ich bald noch einmal näher erläutern werde, weil er viele schlechte Assoziationen geweckt hat). Zumindest ist klar: Wenn hier mal was passiert, erfährt es filmnetzweite Beachtung – zurecht. Mehr davon!

“critic.de”-Chef Frédéric Jaeger hat bereits kommentiert, dass er sich in meiner “Beschreibung nicht wieder[findet]”, aber ich glaube, da haben wir uns (wahrscheinlich aufgrund meiner Zuspitzung) missverstanden. Seinen Interview-Aussagen kann ich mich jedenfalls zu großen Teilen anschließen.

Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was ihr bei critic.de macht, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

Bei critic.de betreiben wir seit 2004 Filmkritik, wie wir sie verstehen. Filmkritik ist eine Haltung und eine journalistische Textgattung, die Haltung ist mir um Längen wichtiger. Angefangen hat es aus Verdruss über bestehende, konservative und marktschreierische Onlinemagazine und aus dem Vergnügen daran, etwas eigenes aufzubauen. Die Unabhängigkeit von ökonomischen Interessen bei der Gestaltung unseres Magazins war einer der Grundsätze. Der zweite, Film als Ausdrucksform oder Sprache zu betrachten (mehr denn als Vehikel), stammt sicherlich maßgeblich aus dem Filmwissenschaftsstudium, das viele Autoren verbindet. Ein dritter Grundsatz kam erst über die Jahre hinzu: Wir wollen uns einsetzen für eine Filmkultur in Deutschland, die ein Selbstbewusstsein jenseits von Quartalszahlen und Oscarnominierungen kennt, die sich weder hinter öffentlich-rechtlichen Relevanzkriterien (Themenfilme, leichtverdaulich aufbereitet und quotenfixiert) versteckt, noch einer sogenannten Professionalisierung hinterherhechelt, die fast immer an Unvermögen und fehlenden Mitteln scheitern muss (gute Beispiele sind zuletzt Til Schweiger und Oskar Roehler, die auch immer die Qualität ihres “Handwerks” glauben betonen zu müssen). Wir treten ein für eine Filmkultur, die gleichermaßen experimentell, forschend und lustvoll ist.

Auch wenn ihr von der Form nicht hundertprozentig blogähnlich seid, empfinde ich euch als Blog. Wie seht ihr euch selbst?

An guten Blogs schätze ich, dass die Autoren voll und ganz einstehen für ihre Meinung, sich nicht in journalistische Distanz oder Anonymität zurückziehen. Als Medium, das sich insbesondere durch Meinungsartikel, persönliche Freiheiten und Engagement definiert, sind wir also wirklich kaum unterscheidbar von Blogs. Dass wir formal (d.h. technisch) kein Blogsystem haben, ist sicherlich irrelevant. Wichtig ist uns aber, ganz wie bei redaktionell organisierten Blogs, dass wir uns in der Redaktion überlegen, welche Filme, Regisseure und Themen wir ins Zentrum rücken möchten, und darüber mit unseren Autoren kommunizieren. Allerdings ist das nicht streng hierarchisch zu verstehen. Viele schöne und wichtige Artikel entstehen, weil die Autoren selbst die Idee dazu haben. Last but not least gibt es bei uns einen ausführlichen Redigierprozess, in dessen Zuge wir auch oft zu mehreren über die Erstfassungen gucken und sie diskutieren und mit dem Autor zusammen überarbeiten. Das ist vor allem wichtig bei Einsteigern, aber dazu kommen wir in der nächsten Frage.

Viele von euren Autoren werden anderswo auch für’s Schreiben bezahlt oder haben Filmstudiengänge studiert. Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu “dürfen”?

Das Schöne ist ja, dass es keine Instanz gibt, die die Lizenz zum Kritiker oder Blogger erteilt. Zum Glück, denn sonst würden uns sicherlich Stimmen fehlen, die etwa Zeitungsredakteuren nicht stromlinienförmig genug wären. Nur: Übung beim Schreiben und Sehen ist wichtig, und das passiert nicht von alleine. Erst in der Kommunikation mit anderen lernen wir es besser zu machen, auch die Filme einzuordnen und zu “lesen”. Weil uns so etwas wie die filmische Perspektive, der Zugriff auf Fiktion und Welt, sowie deren Vermittlung als ganz zentral erscheinen, würde ich durchaus für eine filmische Bildung plädieren. Die muss nicht über Universitäten laufen, aber am obsessiven Sehen, Lesen und Schreiben führt nichts vorbei.

Was ist euer Ziel mit critic.de, und wonach wählt ihr eure Themen aus?

Abgesehen von unseren weiter oben genannten Grundsätzen verfolgen wir sicherlich mehr unterschiedliche Ziele, als Autoren für critic.de schreiben. Zweifelsohne steht im Zentrum die Kommunikation und Übersetzung unserer Leidenschaft, unserer persönlichen Entdeckungen, unserer Thesen und Ansätze ins Schriftliche. In Zeiten wachsenden (kommerziellen) Drucks auf die Kritik, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, wollen wir freilich auch ein Gegengewicht darstellen. Im Alltag motiviert unsere Entscheidung für bestimmte Themen allerdings immer das persönliche Interesse. Es muss klar sein, dass wir weder Filme bevorzugen, weil sie kleine Budgets haben, noch große Produktionen für ihr Kapital benachteiligen. Arthaus oder Festivalfilme sind nicht besser als Genrebeiträge. Im Zweifelsfall rücken wir gerne Ränder ins Zentrum, aber die kritische Auseinandersetzung mit Mainstream ist hierzulande ebenso marginal und förderungsbedürftig.

Hast du den Eindruck, dass es darüber hinaus so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?

Das fällt mir schwer zu beurteilen. Es gibt regen Austausch auf Plattformen wie Facebook zwischen miteinander bekannten (Online) publizierenden Filmnerds, zu denen ich mich auch gerne zähle. Und natürlich gibt es Blogrolls. Aber es fehlen doch ein wenig die Netzwerkeffekte, was möglicherweise mit der grundlegenden Tendenz in Deutschland zusammenhängt, im eigenen Blog oder Magazin nur wenig die Artikel anderer zu zitieren. Neben film-zeit.de fehlt vielleicht auch ein Aggregator, der den Austausch anregen könnte.

Würdest du mir zustimmen, wenn ich behauptete, dass ihr eines der Leitmedien innerhalb der Film-Netz-Sphäre seid? Ein Ort, den zumindest irgendwie alle kennen und wahrnehmen?

Mit meinem Verständnis des Netzes verträgt sich der Begriff des Leitmediums schlecht. Wenn man so will, sind die Leitmedien Google und die Aggregatoren. Als Knotenpunkt würde ich uns allerdings schon gerne sehen. Jedenfalls sind solche Rückmeldungen von Kollegen durchaus ein Ansporn, die Arbeit, die wir uns machen, fortzusetzen und critic.de immer weiterzuentwickeln. Für 2013 haben wir zum Beispiel eine große Blattkritik geplant, wo wir Kollegen und interessierte Filmemacher einladen wollen, mit uns gemeinsam über Schwächen und Stärken von critic.de zu diskutieren und über die Zukunft nachzudenken.

Gibt es in ebendieser Film-Netz-Spähre so etwas wie eine Grenze zwischen Arthaus-Liebhabern und Mainstream-Liebhabern? Falls ja, gibt es Berührungspunkte?

Eine solche Trennung gehorcht lediglich einer Marktlogik, die Filme in Segmente unterteilt und Zielgruppen zuspricht. Mit der Bedeutung von Filmen für den einzelnen Zuschauer hat das wenig zu tun. Eine sinnvollere Grenze ließe sich vielleicht zwischen denjenigen ziehen, die Filme als Konsumwaren verstehen, die mehr oder weniger den Durst stillen oder satt machen, und denjenigen, die versuchen, Filme zu verstehen. Ich glaube zwischen diesen beiden Gruppen gibt es recht wenig Berührungspunkte, nur manchmal eher zufällig durch persönliche Bekanntschaften, und da führt die Kommunikation ohnehin meistens zu Missverständnissen.

Wie regelmäßig und wie wertvoll ist das Feedback, das ihr von euren Lesern bekommt?

Feedback gibt es viel und von unterschiedlichster Seite. Wertvolle Rückmeldungen (die über Lob oder Leid hinausgehen) sind rar, und Diskussionen entstehen zu selten. Die wichtigsten Impulse kommen tatsächlich aus persönlichen Gesprächen mit Lesern, für die wir sehr dankbar sind.

Welche Blogs (über Film und drumherum) liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Ich lese viel und nicht alles regelmäßig. Gerne auch auf Englisch oder Französisch. Einen Zweck verfolge ich beim Lesen nicht. Um nur ein paar deutsche Blogs zu nennen: “Eskalierende Träume”, “Filmtagebuch”, “Dirty Laundry”, “Revolver”, “Perlentaucher”, Cargo, “Wayward Cloud”, “Artechock”, “Getidan”. Und doppelt so viele habe ich sicherlich gerade ausgelassen. Beim Lesen orientiere ich mich im Übrigen öfter an einzelnen Autoren als an Publikationsorganen.

Wie würde der Komplex “Schreiben über Film im Netz” in einer perfekten Welt aussehen?

Perfekte Welten widerstreben mir. Nach der Logik der geringsten Widerstände dürfte ich nicht in Deutschland über Film als Kunstform schreiben wollen. Die unhaltbaren Missstände in der Filmpolitik und der Filmkultur fördern hoffentlich die vereinende Kraft zutage, gegen sie aufzubegehren. Das ist eine Utopie, mit der ich mich identifizieren kann: ein Kampf freilich, aber ein gemeinsamer.