Drei Bemerkungen zu Alice in Wonderland

Der Film ist schon eine Weile in den Kinos dieser Welt und es ist inzwischen auch schon drei Wochen her, dass ich ihn gesehen habe, aber Tim Burtons Alice in Wonderland lässt mich in diverser Hinsicht nicht los. Um meine schlaflosen Nächte zu beenden, hier drei kurze Notizen zum Film:

1. Einige Kritiker, besonders aufgefallen ist es mir bei Kritikern aus einem akademischen Kontext wie dem Film Doctor und Dan North, haben den Film dafür verbal verprügelt, dass er Lewis Carrols Buch nicht treu ist. Mich störte wenig.

Der Film gibt sich ganz klar als Sequel und gleichzeitig als eine Art Remix aus, ähnlich wie etwa Return to Oz, und das macht er eigentlich ganz gut. Drehbuchautorin Linda Woolverton (hier ist das einzige Interview mit ihr) hat als Story-Grundlage vor allem das Gedicht “The Jabberwocky” aus Through the Looking Glass durch den Wolf gedreht, alle restlichen Figuren, inklusive des Hutmachers, sind eigentlich nur Sidekicks, während Alice plötzlich zum Helden des Gedichts wird, der das Land vom Jabberwocky befreit. Das ist ein bisschen platt – es hat mich aber fröhlich gemacht, den Frumious Bandersnatch und den Jub Jub Bird re-imaginiert zu sehen. Der Jabberwocky selbst ist übrigens vom Design her sehr deutlich an John Teniels Original-Zeichnung angelehnt.

Mit dem Stören ging es dann erst im letzten Drittel des Films los, in dem alles etwas zu langweilig und linear wurde. Das Chaos der Traumwelt, durch das Alice normalerweise stolpert, wurde hier leider zugunsten einer leicht nachvollziehbaren moralinsauren Handlung aufgegeben.

2. Und nochmal Jabberwocky. Der Film bedient sich, wie gesagt, sehr freimütig an Lewis Carrols Gedicht The Jabberwocky, auf das Alice am Anfang von Through the Looking Glass stößt und dessen erste Strophe ihr später von Humpty Dumpty erklärt wird. Burtons Film enthält neben dem Jabberwocky selbst auch den Frumious Bandersnatch, den Jubjub-Bird, das Vorpal Sword und vor allem den Frabjous Day aus der vorletzten Strophe.

Im Deutschen gibt es verschiedene Übersetzungen des Nonsens-Gedichts, die mittlerweile gebräuchlichste ist Christian Enzensbergers Übersetzung namens Der Zipferlak. Enzensbergers Übersetzung ist meiner Ansicht nach linguistisch auch die beste, weil besonders die erste Strophe in ihrem deutschen Nonsens sich sehr gut analog zu Carrols erster Strophe erklären lässt – mit Portmanteau-Wörtern und Fantasie-Kreaturen (hier der deutsche Ausschnitt, Dieter Stündls Version ist von den Worten etwas angelsächsischer aber fast ebenso gut).

Die deutsche Synchronfassung des Films entscheidet sich aus naheliegenden Gründen (Markenerhalt), nicht “Zipferlak” und “Mampfes Schnatterrind”, sondern “Jabberwocky” und “Bandersnatch” zu sagen. Als der Hutmacher die erste Strophe rezitiert, erklingt im Deutschen eine vollständig sinnlose Übersetzung, die nicht einmal einen Hauch der Anspielungen (beispielsweise ein Portmanteau wie “elump”) übernimmt. Nur in einem Fall, vollkommen ohne jeden Grund, bedient sich das deutsche Synchrondrehbuch bei Enzensberger. Der “Frabjous Day” wird zum “Blumertag” – warum auch immer.

3. In dieser Kritik von Gizmodo wird der 3D-Einsatz bei Alice moniert. Ich fand ihn auch nicht besonders gut dreidimensional inszeniert. Die eindeutige Chance, den Film zunächst sehr flach zu halten und dann so richtig “tief” zu werden, wenn Alice ins Wunderland kommt, wurde vertan und wie auch bei Gizmodo bemerkt gibt es jede Menge Szenen mit flacher Tiefenschärfe, die nunmal in 3D einfach nicht wirken (das kommt davon wenn man Filme nachträglich 3D-isiert). Cameron hat die Übertragung von regulärer Inszenierung auf 3D besser hinbekommen. Andere, wie Robert Zemeckis, inszenieren in 3D einfach ganz anders, mit viel Tiefenschärfe und weniger Schnitten. Ich bin sehr gespannt, welche Inszenierungsschule sich hier durchsetzen wird. Wird Hollywood einen neuen Code ähnlich dem Continuity Editing entwickeln?

Zur weiteren, ausführlichen Lektüre empfehle ich Andreas Rauschers Essay Im postklassischen Wunderland über Burtons Re-Imaginationen der letzten zehn Jahre.

Erfolgsstory Internet? – Hanspeter Heß und The Healing Road

Das Internet hat die Musikindustrie nicht nur durch illegale und legale Downloads verändert. Die Talentbörsen der Gegenwart sind immer häufiger MySpace und YouTube. Weil in dieser Interviewserie aber nicht die großen, sondern die kleinen Erfolge beleuchtet werden sollen, folgt nun weder ein Interview mit den Arctic Monkeys noch mit Lily Allen, sondern mit Hanspeter Heß alias The Healing Road.

The Healing Road wandelt mit seinen teils sphärischen, teils knallenden, Keyboard-getriebenen Stücken vor allem auf den Spuren von Mike Oldfield – nicht die Art von Musik, mit der man heute noch Stadien füllt, aber für einen kleinen Kreis von Liebhabern durchaus interessant. Interessant dabei auch: Hanspeter Heß ist 43 und hat bis 2005 noch nie öffentlich Musik gemacht. Inzwischen verlegt der französische Special-Interest-Vertrieb Musea seine drei Alben und in der kleinen Szene ist der Winnender durchaus ein bekannter Name.

Ich habe mit Hans über die späte Erfüllung eines Traums gesprochen und musste dabei feststellen, dass er zum Internet durchaus eine konservative Haltung einnimmt.

Ich kenne Hans, weil uns die gemeinsame Liebe zur amerikanischen Progrock-Band Spock’s Beard verbindet. Ich bin auch ein Mitglied der Community, in der Hans seine ersten Schritte gemacht hat, und ich war am The Bearded’s Project beteiligt.


Real Virtuality: Würdest du sagen, dass The Healing Road eine Erfolgsstory ist?



Hanspeter Heß: Ich werde dadurch nicht reich oder berühmt und ich bekomme keine Preise dafür verliehen. Aber subjektiv empfinde ich die 5 Jahre seit dem Beginn des Projekts durchaus als Erfolg. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, zum ersten Mal in meinem Leben eigene Musik aufzunehmen, andere Musiker einzubinden, weltweit Alben zu veröffentlichen und in bescheidenen Mengen zu verkaufen, ganz ohne Kontakte zur hiesigen Musikerszene, ohne Beziehungen und ohne dafür mein Leben neu zu organisieren und andere Dinge zu vernachlässigen.

Ich bin einfach seit jeher ein riesengroßer Musik-Fan und als solcher ist es natürlich ein Traum, einmal ein eigenes Album in Händen halten zu dürfen und es darüberhinaus sogar zu verkaufen. Wenn mir ein Freund Fotos schickt von einem Open Air auf der Loreley, wo am Verkaufsstand ein Album von mir angeboten wird, macht mich das glücklich. 



Erzähl doch nochmal kurz, wie das Ganze aus deiner Sicht seinen Anfang nahm.



2005 habe ich mir aus Neugier einen kleinen Apple-Rechner gekauft und darauf zufällig “Garage-Band” gefunden. Ich schloss also ein altes Keyboard an und nahm, fasziniert von den Möglichkeiten so einfacher Software, ein bisschen Musik auf. Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend 10 Jahre lang Klavierunterricht, somit war ein gewisses Fundament vorhanden. Eher aus Spaß präsentierte ich das Ergebnis bei thebearded.de. Ein paar Leute mochten es, machten Mut, mich damit intensiver zu beschäftigen und hatten die Idee, über moderne Recording-Software mal eine Zusammenarbeit übers Internet zu versuchen. Das war die Geburtsstunde von The Bearded’s Project, einer 2007 erschienenen Doppel-CD der The Bearded-Community für die Kinderhilfe Afghanistan, an der fast die gesamte Gemeinschaft irgendwie beteiligt war, als Musiker, Cover-Designer, PR-Aktivist oder auch durch Ansporn und Kritik.

Es war eine unwahrscheinlich spannende und fruchtbare Zeit und ich hätte nie gedacht, dass man so etwas fast ausschließlich über’s Internet realisieren kann. Eine Begleiterscheinung dabei war, dass ich nun Schritt für Schritt verfolgen konnte, wie man ein Album macht und nach und nach meine Ahnungslosigkeit diesbezüglich verlor. Ich nahm nebenher neue eigene Musik auf und stieg auf professionelle Software (Logic) und einen stärkeren iMac um. Ich meldete mich außerdem bei MyOwnMusic an und bekam dort viel positives Feedback, unter anderem auch die eine oder andere Anfrage, ob es von mir ein Album zu kaufen gibt. Also hatte ich irgendwann rund 60 Minuten Musik beisammen und wusste, was zu tun ist, um ein passabel klingendes Ganzes daraus zu machen. Die Erfüllung eines alten Traums war plötzlich zum Greifen nah und das Debüt Anfang 2007 fertig. Danach hatte ich richtig Blut geleckt. Die erste CD war noch überwiegend am Keyboard entstanden. Nun wollte ich mehr Musiker dabei haben, mehr echte Gitarren, Drums und Bässe hören. Meine Musiker-Freunde von The Bearded und neu hinzugekommene Gastmusiker aus My Own Music leisteten wertvolle Beiträge, ich hatte zwei sehr kreative Jahre und es entstanden die Nachfolgealben Timanfaya und Tales from the Dam. Letzteres konnte ich als LP mit beigelegter CD umsetzen, was mich als Kind der Siebziger sehr gefreut hat.



Und wie kam es dann zu dem Deal mit Musea?



Anfang 2008 hatte ich Timanfaya fertig und war schon am dritten Album. Ich war fasziniert von der Idee, das als LP zu veröffentlichen. Weil das ein relativ kostspieliges Unterfangen ist, von der Pressung bis hin zum teureren Versand, versuchte ich ohne große Hoffnungen einfach mal, ein Label zu kontaktieren. Ich wusste, dass Musea Records für einen Teil der The Bearded’s Project-Alben den Vertrieb übernommen hatte. Ende Juli 2008 schrieb ich denen also eine Mail und schickte per Post Timanfaya und das frisch gemasterte dritte Album als Hörproben hinterher. Dann ging alles recht schnell: Sie waren wunderbarerweise nicht nur bereit, Tales from the Dam tatsächlich als LP mit beigelegter CD zu vertreiben, sondern auch, mir den Selbstvertrieb von Timanfaya abzunehmen. Ich bekam Mitte September die Vertragsentwürfe geschickt und nahm sie zum Studium mit in den Urlaub, um sie danach zu unterschreiben. Sechs Wochen später hatte Musea Timanfaya bereits in ihrem Webshop und den Vertrieb von Tales übernahmen sie von Anfang an.



Verdienst du Geld mit deiner Musik?



Ich könnte, wenn ich nicht so sehr auf Alben mit opulentem Artwork stehen würde. Mit den bisher verkauften Alben wäre ich schon in der Gewinnzone, wenn ich Timanfaya und Tales from the Dam in einer kostengünstigen Standard-Pressung hätte machen lassen. Aber für Timanfaya wollte ich unbedingt ein hochwertiges 12seitiges Booklet mit Infos zu den Stücken und Bildern des Malers Herbert Wanderer, außerdem habe ich das Album von einem Profi mischen lassen. Und was die kombinierte LP-/CD-Pressung von Tales finanziell bedeutet, kann man sich denken. Es geht mir nicht um’s Geld verdienen, das tue ich tagtäglich im Büro. Ich will mir Träume erfüllen, kreativ sein.

Ist das zum Beispiel auch der Grund, warum http://www.thehealingroad.de nicht existiert?

Sicher. Eine professionell gestaltete und regelmäßig aktualisierte Homepage unter einem griffigen Namen wäre natürlich hilfreich und verkaufsfördernd. Aber das würde mich viel Zeit kosten, die ich nicht habe. The Healing Road ist nach wie vor das Hobby eines Berufstätigen mit fester Beziehung, der sein Leben sortiert halten muss.

Das klangliche und optische Endergebnis steht immer über dem Gewinnstreben und deshalb arbeite ich auch nach wie vor hartnäckig der Kostendeckung entgegen. Ich habe auch das große Glück, viele Idealisten an Bord zu haben. Keiner der Musiker wollte Geld, auch das Cover-Design, die Schriftzüge, die Fotos und Malereien in den Artworks der Alben, steuerten Leute bei, die das nicht für Geld tun, sondern um am Ende Teil des Ganzen zu sein. Ohne sie könnte ich meine Musik nicht in dieser Form verwirklichen und präsentieren, dann gäbe es nur eine Download-Version bei iTunes.



Welche Rolle spielt das Internet in deiner Funktion als Musiker für dich jetzt?



Mir als Amateur, der sein Geld nicht mit Musik verdienen muss, bietet das Internet grenzenlose Möglichkeiten. Ich kann mir auf der ganzen Welt Mitmusiker suchen und Dateien mit ihnen austauschen, es gibt unzählige Plattformen, wo man umsonst seine Musik präsentieren und Hörer finden kann. Ohne das Internet würde ich keine Musik aufnehmen, es gäbe keine CDs von mir. Das Internet ist für mich die Möglichkeit, mit anderen Musikern zu interagieren, ohne dabei durch geographische Distanz oder Zeitprobleme behindert zu werden. Ich bin 43, viele meiner Mitmusiker bei The Healing Road sind in einem ähnlichen Alter. Wir leben verstreut über ganz Deutschland, einige haben Kinder, jeder seinen Job und seine Verpflichtungen. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, zusammen Musik zu machen, die es ohne dieses Medium nie gäbe. 



Du und das Internet, war das Liebe auf den ersten Blick?



Ich habe mich ungefähr 1990 über Compuserve vernetzt und war spontan fasziniert. Das WWW war damals noch eher eine Randerscheinung. Abends eine Mail an einen Freund in Kanada zu schreiben und am nächsten Morgen die Antwort abzurufen, fand ich sensationell. Damals war alles noch nicht so werbeverseucht, es war durchaus Liebe auf den ersten Blick.



Wie ist dein Verhältnis zu dem Medium heute?



Es ist ein zwiespältiges Verhältnis. Oben habe ich ja beschrieben, dass mir das Internet das Ausüben eines sehr schönen und erfüllenden Hobbys ermöglicht, das weiß ich zu schätzen. Auch die Erfahrung von The Bearded’s Project, die Tatsache, dass eine Internet-Community eine gemeinsame kreative Anstrengung unternimmt, an deren Ende gar nicht virtuelle, sondern sehr reale 7000 Euro für einen guten Zweck zusammenkommen, zeigen mir, dass man das Medium konstruktiv und bereichernd nutzen kann. Andererseits gibt es Dinge, die ich für bedenklich halte: Die grenzenlose Kommerzialisierung, das Mobbing via Internet, das kaum kontrollierbare Sammeln von Daten, zu viele “soziale Netzwerke”, zu viele virtuelle Freunde usw. Ich denke, sobald das Internet zum Selbstzweck verkommt, sollte man sich Gedanken machen. 



Welche Plattformen nutzt du?



Ich bin mit meiner Musik auf MySpace und MyOwnMusic und schaue hie und da für ein paar Kontakte zu Schul- und Studienfreunden bei Stayfriends rein. Kein Twitter und kein Facebook bisher.



Musstest du mit Höhenflügen klarkommen, als The Healing Road plötzlich zu einem kleinen Erfolg wurde und du rezensiert und interviewt wurdest?



Natürlich ist es schmeichelhaft, wenn man “stattfindet” – wenn Internet-Radios im Ausland plötzlich meine Musik spielen oder sich neben den einschlägigen Online-Rezensions-Seiten auch mal das eine oder andere halbwegs bekannte Printmagazin zu einer positiven Rezension hinreißen lässt. Ich hatte da durchaus eine Phase der Euphorie. Das habe ich genossen, aber ich denke, ich bin schon zu alt, um mich davon blenden zu lassen. Probleme tauchen dadurch aber dennoch auf, und zwar dann, wenn man nach solchem Feedback neue Musik aufnehmen will. Plötzlich ist die Unschuld weg, man werkelt nicht drauf los, sondern macht sich auf einmal Gedanken, wie das beim Hörer wirkt, wie die Erwartungen sein könnten, evtl. auch was an den letzten Alben moniert wurde. Das ist keine gute Voraussetzung, um Musik zu machen und es braucht ein wenig Zeit, sich daran zu gewöhnen und diese Hintergedanken zu verdrängen.



Betreibst du aktiv Werbung für deine Musik, promotest du sie?



Ich bin ein miserabler Promoter. Ich habe schon ein wenig Werbung in zwei oder drei einschlägige Foren gepostet, meist Fan-Communities von Bands, die musikalisch verwandt mit oder Vorbild für meine Musik sind. Ich bin aber sehr froh, dass sich darum jetzt Musea Records kümmert.



Was macht Musea denn für dich? Nutzen die die Fan-Gemeinschaft im Internet?

Musea scheint einen sehr aufmerksamen und musikhungrigen Kundenkreis zu haben, der sich vorrangig übers Internet informiert. Die müssen gar nicht teuer in Print-Magazinen inserieren. Es reicht, wenn sie ihre PDF-Flyer per Rundmail verschicken und ihre Internet-Connections nutzen. Gerade im Progressive Rock – Bereich scheint sich eine Art Subkultur im Internet entwickelt zu haben, die von den herkömmlichen Vermarktungswegen getrennt und nicht abhängig ist. Da läuft viel über Mund- bzw Mailpropaganda und Rezensions-Seiten.

Welche Rolle spielt dabei die Vermarktung deiner Person und Geschichte?



Beim ersten Album spielte das noch eine nennenswerte Rolle, weil alles noch so frisch und gerade erst passiert war. Mittlerweile erwähne ich es nicht mehr, ich schreibe dann eben, dass es das Projekt nun seit 5 Jahren gibt und 2007 das erste Album erschien. Auch Musea stellt mich da nicht sonderlich heraus, ich werde lediglich als Schöpfer und Chef des Projekts genannt.

Glaubst du denn trotzdem, dass es sowas wie einen Underdog-Charme bei The Healing Road gibt?

Zumindest anfangs gab es den ganz sicher. Ich habe neulich auf MySpace einen Künstler gefunden, der gar angab, dass die Entstehunsgeschichte meines Projekts ihm den Mut gab, sich selbst an etwas ähnlichem zu versuchen. So jemand kauft die CD nicht vorrangig wegen des perfekten Sounds, sondern weil ihm diese Geschichte irgendwie sympathisch ist.




Was ist deine Zielgruppe, falls du so etwas hast? Bekommst du Rückmeldungen?



Das bisherige Feedback lässt vermuten, dass es einen Peak der Käuferanzahl bei Männern zwischen 30 und 50 gibt, nicht untypisch für Musik dieser Art. Längerfristiger Kontakt hat sich mit ein paar Radio-DJs ergeben, das sind oft die selben Musik-Freaks wie ich einer bin. Das läuft eigentlich alles in normal-freundschaftlichem Ton auf Augenhöhe ab und nicht “von Künstler zu Hörer”. 



Hast du auch negative Erfahrungen gemacht?

Es gab bisher keine Kritiken unter der Gürtellinie. Ich denke, dafür ist das Ganze noch in zu harmlosen Dimensionen. Diese Auswüchse entstehen meist, wenn wirklicher Neid existiert oder der Erfolg eines Projekts manchem unangemessen und unverdient erscheint. Dafür bin ich einfach zu unbekannt, denke ich.

Hast du irgendwelche Ziele, was du mit The Healing Road noch erreichen möchtest?



Noch ein Album machen, das besser ist als die ersten drei.



Allgemein gesprochen: Wie, würdest du sagen, hat das Internet dein Leben verändert?



Es hat vieles einfacher gemacht. Es hat den Kontakt zu Freunden erleichtert, hat verhindert, dass ich Leute aus den Augen verloren habe, es macht es mir leicht, mich über Musik oder Literatur zu informieren, Bildungslücken zu schließen, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen, mal eben den Kontostand abzufragen, ohne zur Bank zu müssen und so weiter. Meine Leidenschaft für die Musik konnte ich dank des Internets vom reinen Konsum auf das Veröffentlichen eigener Alben ausweiten. 



Und genauso allgemein gesprochen: Was könnte im Internet noch besser laufen?



Ich denke, es liegt an jedem einzelnen User selbst, was er daraus macht. Man könnte es oft etwas umsichtiger und wohldosierter nutzen, weniger konsumieren, aktiver daran teilnehmen. Es hat bei aller Kommerzialisierung enormes Potenzial, das man nur erkennen und nutzen muss.

Dieser Beitrag ist Teil 2 der Serie Erfolgsstory Internet?
Sie spricht mit Menschen, in deren Leben sich durch das Internet etwas verändert hat, über das Internet.

Erfolgsstory Internet? – Hardy Prothmann und das heddesheimblog

Für den ersten Teil der Interview-Serie “Erfolgsstory Internet” habe ich mit Hardy Prothmann gesprochen. Hardy betreibt seit April 2009 das heddesheimblog, ein lokaljournalistisches Blog für den Ort Heddesheim in der Nähe von Mannheim. Das Aufkommen des Blogs hat nicht nur vor Ort, wo der “Mannheimer Morgen” zuvor die einzige Zeitung war, für Aufsehen gesorgt, auch durch die Welt des Journalismus ging ein Raunen.

Das heddesheimblog, und die inzwischen hinzugekommenen Schwestern hirschbergblog und ladenburgblog sind untrennbar verknüpft mit der Person Hardy Prothmann. Er ist ein streitbarer Charakter, stellt mit Vorliebe steile Thesen in den Raum (“Ich bin die Zukunft des Lokaljournalismus!”) und poltert auch gerne mal gegen die anderen. Diese Art hat ihm auch Kritik eingebracht, ebenso wie beispielsweise die Tatsache, dass er in Heddesheim nicht nur Journalist ist, sondern auch im Stadtrat sitzt – womit er aber selbstbewusst umgeht.

Ich habe mit Hardy weniger über seine Arbeit an den Blogs gesprochen, als über seine Haltung zum Internet als Medium – und genau die oben erwähnte Verknüpfung zwischen seiner Person und seinem Produkt. Das Interview wurde per E-Mail geführt.

Offenlegung: Ich habe Hardy und sein Blog in einem Artikel für epd medien im Herbst 2009 poträtiert und ihn anschließend auch mal persönlich kennengelernt. Deswegen duze ich ihn in dem Interview.


Real Virtuality: Würdest du sagen, dass das heddesheimblog eine Erfolgsstory ist?

Hardy Prothmann: Gemessen an den Besucherzahlen und an der Aufmerksamkeit und in Bezug auf Lokaljournalismus ist es wahrscheinlich „die“ Erfolgsstory zurzeit. Was noch fehlt, ist der wirtschaftliche Erfolg. Aber der entwickelt sich zunehmend, und in einigen Monaten wird unterm Strich eine schwarze Null stehen.

Wie entwickelt sich der Gesamtbetrieb, jetzt wo auch die Schwesterblogs am Start sind?

Stressig: Zu wenig Geld, zu wenig Leute und so viele Themen. Das heddesheimblog wird im Februar deutlich über 3500 Besucher am Tag haben, das hirschbergblog nach zehn Wochen über 600, das landenburgblog hat in den ersten Tagen nach dem Start gut 300 Besucher täglich.

Du kommst aus dem klassischen Printjournalismus. Was hat sich durch die Arbeit im Internet für dich verändert?

Das Internet macht diese Arbeit erst möglich. Recherche, Kommunikation, Distribution, Dokumentation, Community – alles ist einfacher durch das Internet und in meinen Augen viel besser, als in Zeiten der Print-Ära. Ich habe noch den Spiegel und die c’t abonniert. Ab und an kaufe ich die eine oder andere Zeitung. Für den Zug oder andere Situationen, in denen das praktischer ist. Die räumlich und zeitliche Grenzenlosigkeit des Internets ist allen Printprodukten aber haushoch überlegen.

Warst du immer schon internet-affin?

Ich bin 1990 mit einem 14.4-Modem das erste Mal online gegangen. Beantwortet das die Frage?

Achtest du darauf, dass du besonders Internet-gerecht arbeitest?

Ich schreibe kurze Texte, aber auch richtig lange Riemen, weil ich überzeugt bin, dass die Leser draußen nicht doof sind und sich interessieren. Auch das unterscheidet meine Blogs von der Tageszeitung. Ansonsten bemühe ich mich um eine umfangreiche Verlinkung. Damit schicke ich die Leser zwar weg von meinem Angebot – aber ich bin sicher, sie kommen dahin zurück, wo sie gut informiert wurden. Außerdem werden Facebook und Twitter immer wichtiger für die tägliche Arbeit.

Wie gehen deine Leser und deine Anzeigenkunden mit der Tatsache um, dass dein Produkt nur im Netz stattfindet?

Es gibt jede Menge Leser, die mir sagen: Mittlerweile trinke ich meinen Morgenkaffee vor dem Computer und nicht vor der Zeitung, denn die ist abbestellt. Die Anzeigenkunden muss man noch davon überzeugen, dass ihre Werbung im Internet mehr bringt als in der Zeitung oder in irgendwelchen Wochenblättern. Da gibt es noch zu viel traditionelles Denken. Aber das ändert sich zunehmend.

Was bedeutet dir die Tatsache, dass deine eigenen Texte jetzt nicht mehr gedruckt vorliegen?

Da ich auch genug Radio- und Fernseherfahrung habe, kenne ich auch die „flüchtige“ Berichterstattung. Gedruckt bedeutet einzig eine begrenzte Auflage und damit auch begrenztes Wissen. Das Internet bedeutet eine unbegrenzte Verteilung und ein schier unbegrenztes Wissen.

Du hast schon öfter in den Raum gestellt, dass Seiten wie das heddesheimblog die Zukunft des Lokaljournalismus sind. Erklär bitte mal, warum.

Die Verlagshäuser produzieren mit enormen Aufwand ein teures Produkt, dass auch noch teuer verteilt werden muss und ein One-Way-Produkt ist. Und obwohl alles so teuer ist, füllen sie dieses Produkt mit billigen und schlecht bezahlten Inhalten.

Die Produktion fürs Internet ist im Vergleich ultra-kostengünstig, die Verteilung kostet nichts und der Inhalt ist vielfältig verknüpft. Um jetzt mal den Lateiner rauszuhängen: „Textum“ heißt nicht das Gedruckte, sondern das Gewebe. Und hier noch ein bisschen Futter für die Philosophen: Das Internet gibt einem Text erstmals die Möglichkeit, das zu sein, was er ist: Verwobene Informationen.

Inhaltlich ist das Internet wie gemacht für das Lokale. Die großen Portale buhlen um „Online-Communities“. Die sind virtuell. Die Community des Lokalen ist real. Hier ist die Kommune, die Gemeinde. Zudem ist das Internet umfassender, schneller, aktueller als alles, was die Zeitung bieten kann.

Du hast das heddesheimblog auch überregional bekannt gemacht. Wie bist du vorgegangen?

Thomas Mrazek vom BJV hat im August ein Interview mit mir gemacht und bei onlinejournalismus.de veröffentlicht. Den Rest hat das Internet erledigt. Bundesweit haben viele Kollegen auf das heddesheimblog geschaut und gemerkt: Hey, hier geht was.

Dann kamen weitere Interviews und Berichte dazu. Ich vermute, dass ich so interessant bin, weil und wie ich meinen Job mache. Ich zeige, dass das Lokale absolut spannend, vielfältig und berichtenswert ist. Ich habe noch nie soviel Spaß an meinem Job gehabt, wie in den vergangenen Monaten.

Und ich bringe einen neuen Sound in die Lokalberichterstattung: Die Kommentare äußern knallhart ihre Meinung und nehmen kein Blatt vor den Mund. Es gibt einige, die finden das „skandalös“, also „unerhört, unglaublich“. Ich finde, es ist absolut skandalös, wenn Zeitungen in unserer Zeit immer noch einen Journalismus machen, der nicht über die Qualität von Gammelfleisch hinauskommt.

Menschen interessieren sich gerne für Kuriositäten. Dass ein unbedeutender Journalist – im Vergleich zu den Großen der Branche – immer wieder die überregionale Debatte um die Qualität des Journalimus mitbestimmt, ist kurios und hält das Interesse hoch.

Beim Klappern für das heddesheimblog hast du auch deine Person in den Mittelpunkt gestellt (z. B. ziert den Twitter-Account @heddesheimblog dein Foto). Ist Selbstvermarktung ein wichtiges Thema für dich?

Ich vermarkte nicht mich, sondern meine Blogs. Dafür „halte ich meine Fresse hin“.
Meine „Selbstvermarktung“ ist ein demokratischer Appell an die Menschen: Journalismus basiert auf der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit für alle Bürger.

Ich bekenne mich ganz offen zu einem subjektiven Journalismus. Denn es geht dabei im Journalismus um Subjekte, um Menschen. Meine Berichte entstehen zwar „objektiv“ nach professionellen Standards, also viele Quellen, Gegenseite hören, Fakten prüfen und so weiter. Die Inhalte sind aber oft subjektiv dargestellt. Daraus entsteht Betroffenheit und Nähe. Es menschelt.

Ich mache diese Subjektivität aber transparent. Das heißt, ich verweise auf Quellen (außer jene, die ich schütze), ich verlinke zu weiteren Informationen, anderen Quellen für die andere verantwortlich sind. Ich mache die Berichterstattung überprüfbar. Auch das ist ein absoluter Vorteil des Internets gegenüber der Zeitung.

Und genau davor haben viele Journalisten Angst: In der Zeitung ist immer noch anscheinend alles wahr – weil es keine Möglichkeit der direkten Überprüfung gibt. Das Internet an sich trägt zu einer besseren Qualität des Journalismus bei, denn der muss sich plötzlich an all den anderen Informationsangeboten und Überprüfungsmöglichkeiten messen lassen.

Wie bringst du die Notwendigkeit für Selbstvermarktung im Internet und das Auf-dem-Teppich bleiben unter einen Hut?

Ich friere mir vier Stunden lang bei einer Polizeikontrolle für einen Bericht die Nase ab, verbringe viel Zeit auf Vereinsfesten und „schlage“ mich mit der Kommunalpolitik rum. Ganz ehrlich: „Berühmt sein“ habe ich mir glamouröser vorgestellt. Von der Bekanntheit kann ich mir nichts kaufen. Bekanntheit bedient höchstens meine Eitelkeit – wenn man die zu groß werden lässt, steht sie einem im Weg.

Klar nutze ich sie für die Blogs, um deren Bekanntheit voranzubringen. Meine lokalen Kritiker werfen mir Egoismus vor und dass ich meine eigenen „Ziele“ verfolge. So nach dem Motto: „Huhu, der Prothmann will die Macht übernehmen oder hat sonst was Schlimmes vor.“ Das finde ich zum Wiehern. Die lokale High-Society denkt wirklich, ich wollte mit ihrer „Bedeutung“ konkurrieren.

Natürlich habe ich ein Image und pflege es auch. Draußen in der großen, weiten Welt bin ich vielleicht ein Phänomen: Hier vor Ort kann mich jeder anfassen und ansprechen. Und die Leute wissen mittlerweile, dass ich nicht nur irgendetwas schwätze, sondern dass ich „echt“ bin.

Wie trennst du in eben dieser öffentlichen Diskussion und Vermarktung dein privates und dein öffentliches Selbst. Ergeben sich Konflikte?

Als Journalist wahre ich die notwendige Distanz, auch wenn ich oft ganz nah rangehe. Daneben habe ich Privatleben und das geht niemanden etwas an.

Mit der Diskussion um den Wikipedia-Eintrag “Bratwurstjournalismus”, den du geprägt hast, hast du die Dynamik der Netzgemeinde direkt erleben können. Was war dein Eindruck?

Das war eine Riesen-Show. Gerade die Löschdebatte auf Wikipedia. Ich habe viel gelacht und immer wieder gedacht: Das gibts doch gar nicht. Haben die Leute nichts Besseres zu tun, als sich über ein harmloses Wort so zu echauffieren? Großes Kino!

Andererseits hat der Bratwurstjournalismus eine Debatte ausgelöst, die schon lange fällig war: Die Qualität des Zeitungslokaljournalismus ist überwiegend unter aller Sau – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Darüber wird geredet und nachgedacht. Und das ist gut so.

Was sind deine Pläne für das nächste Jahr?

Zwei Mal zwei Wochen Urlaub auf meiner Yacht im Hafen von Nizza zu machen. Bis dahin muss ich aber noch ein paar Artikel schreiben und Werbung verkaufen, um mir den Urlaub und die Yacht leisten zu können.


Selbstkritik: Beim Vorbereiten des Interviews zur Publikation ist mir aufgefallen, dass es (z. B. durch Nachfragen) ein bisschen kritischer hätte sein können. Unglücklicherweise kann ich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht mehr nachbessern. Ich nehme mir hiermit vor, diesen Aspekt bei zukünftigen Interviews im Hinterkopf zu behalten.

Dieser Beitrag ist Teil 1 der Serie Erfolgsstory Internet?
Sie spricht mit Menschen, in deren Leben sich durch das Internet etwas verändert hat, über das Internet.

In eigener Sache: Tapetenwechsel

Haben Sie es gemerkt, geschätzter Leser?

Der 19. Februar ist relativ sang- und klanglos vorübergegangen, dabei war es am 19. Februar vor einem Jahr, das der erste Blogeintrag auf Real Virtuality erschien, damals ging es um Giga, deren Website und Forum es interessanterweise immer noch gibt.

Mit dem Erfolg von Real Virtuality seit diesem Start vor einem Jahr bin ich weitgehend zufrieden: Das Blog hat im Rahmen seiner Möglichkeiten seine Zugriffszahlen fast verdoppelt: in den ersten Monaten hatte ich zwischen 150 und 220 Besuchern im Monat, inzwischen sind es 300 bis 400. Das ist zwar nach wie vor natürlich wenig, reicht mir aber als Indikator dafür, dass sich das kontinuierliche Bloggen lohnt – und die Zahl ist noch steigerungsfähig.

Real Virtuality wird sich inhaltlich so schnell nicht verändern. Es behält seinen schmalen Fokus bei und versucht, durch regelmäßigen Original-Content zu punkten, den es sich zu lesen lohnt, während es weiter Sammelstelle für alle größeren Fußstapfen ist, die sein Autor als Journalist im Netz und in der Welt der Atome hinterlässt.

Auch äußerlich wollte ich Real Virtuality nicht völlig umkrempeln. Ich mag das WordPress-Theme Emire, das dem Blog in seinem ersten Jahr als Layout gedient hat. Aber für eine leichte Veränderung ist die Zeit gekommen: Real Virtuality hat in Zukunft ein neuen Header, ein Logo und ein etwas verschobenes Farbschema.

Strukturell werde ich mir in den kommenden Wochen noch anschauen, welche Features, z. B. Social Bookmarks man eventuell noch aufnehmen könnte. Ich will es aber auch nicht übertreiben.

Habt ihr noch Anmerkungen, Verbesserungsvorschläge, Ideen für dieses Blog? Immer rein damit in die Kommentare

Interviewserie: “Erfolgsstory Internet”


Bild: AMagill

Nachdem dieses Blog in den letzten Wochen doch einen sehr starken Filmschwerpunkt hatte und sich fast gar nicht mehr mit Medien beschäftigt hat, wird es Zeit, dass sich das wieder ändert.

Mein Thema: Das Internet.

Gerade in der Medienwelt gibt es immer noch genug Menschen – und: nicht nur unter den greisen Verlagsoberen, Politikern und ZDF-Journalisten – die gerne auf das Internet schimpfen. Nicht selten ist die Ursache dieses Schimpfens eine schwach verhüllte Angst davor, als Institution obsolet zu werden oder als Mensch nicht mehr mithalten zu können. Manchmal ist sie vielleicht aber auch einfach Unwissenheit.

Die Interviewserie, die diesen Donnerstag auf Real Virtuality beginnen wird, versucht, dagegen anzustinken und (mal wieder) die positive Seite des Internets zu präsentieren. Das Blog möchte Menschen zeigen, für die die Auseinandersetzung mit dem Internet einen Erfolg bedeutet hat. Keinen riesigen, finanziellen, weltumstürzlerischen Erfolg wie bei den CEOs der neuen Web2.0-Giganten, sondern einen kleinen, persönlichen Erfolg, den sie ohne das Internet vielleicht gar nicht, aber sicherlich nicht genau so, hätten feiern können.

Ich befrage in den Interviews Menschen, denen das Internet eben so eine Veränderung im Leben gebracht hat, über ihre Beziehung zum Internet. Donnerstag geht es los, ich freue mich auch auf Kommentare.

Anmerkung: Die Interviewserie hat keine festgesetzte Länge und ich bin noch immer auf der Suche nach Menschen, die interessante Internet-Erfahrungen mit mir und den Lesern dieses Blogs teilen möchten. Meldet euch bei mir und schreibt mir eine Mail an alexander.gajic(at)gmx.net oder eine Direktnachricht bei Twitter an @alexgajic

Oscars: Schöne Gewinner, unschöne Show

Die Oscars sind verliehen, das Filmjahr ist vorbei. Herzlichen Glückwunsch an Kathryn Bigelow und ihre Teammitglieder, an Jeff Bridges, Sandra Bullock, Mo’Nique, Christoph Waltz und alle weiteren Gewinner.

Von den Preisen an sich einmal abgesehen – eigentlich doch immer schöner, wenn man sehen kann, wie sich das Team eines Independent-Films freut wie ein Schnitzel, als wenn routinierte Studio-Großmeister (wie Kostüm-Designerin Sandy Powell) die Awards mit einem “habe ich auch verdient”-Blick großzügig annehmen – war die Oscar-Nacht als TV-Ereignis allerdings ein riesiger Rückschritt im Vergleich zum letzten Jahr und denen davor. Trotz oder gerade wegen der vielen Bemühungen der Academy, sie wieder attraktiver zu machen.

Das Moderatoren-Duo Steve Martin und Alec Baldwin war ein neuer Tiefpunkt in Sachen Witzniveau und mangelnder Spritzigkeit. Neil Patrick Harris hatte in seiner Drei-Minuten-Eröffnungs-Musiknummer mehr Charme und Witz als die billige Kopie von Statler und Waldorf in den sich endlos ziehenden kommenden dreieinhalb Stunden. Fast alle Witze waren verbale Faustschläge oder unter der Gürtellinie – aber trotzdem nicht witzig – und das Timing war äußerst mies. Es gab genau einen Einspieler, der ebenfalls auf schwachem Slapstick-Humor basierte. Schwer vorzustellen, dass andere Moderatoren in den vergangenen Jahren wahre Feuerwerke auf der Bühne abgebrannt haben.

Mindestens genauso daneben war die Vorstellung der nominierten Hauptdarsteller durch Kollegen mit rührenden Anekdoten – eine Weiterentwicklung des letztes Jahr ausprobierten “Magischen Zirkel”-Konzepts, in dem bisherige Oscar-Preisträger die Neuankömmlinge in ihre Hexen- und Zauberergemeinschaft aufnehmen durften. Stattdessen ließen sich dieses Jahr vor allem bei den männlichen Nominierten Kolleginnen minutenlang darüber aus, dass diese auch menschlich grundsätzlich die wärmsten und nettesten Personen sind – eine Tatsache, die eigentlich niemanden im Saal interessieren sollte, denn ausgezeichnet wird schließlich die Perfomance der Schauspieler und nicht ihre Persönlichkeit. Dieser zwanghafte Versuch eines Human Touch zog sich endlos in die Länge und war auch den Geehrten sichtbar unangenehm.

Dritter Fehlschlag war die, neben der Eröffnungsnummer, einzige Showeinlage von einer Tänzertruppe, die ihr Können zu den nominierten Scores demonstrieren durfte (Herzlichen Glückwunsch übrigens an Michael Giacchino), dabei aber augenscheinlich nicht die gleiche Musik hörten, wie der Rest der Zuschauer: Denen schallten vom Orchester sinfonische, meist gelassene Klänge entgegen, während die Tänzer schnellen Hip Hop auf den Ohren hatten – anders kann ihr furioses Gefuchtel nicht erklärt werden, das nicht einmal etwas mit den Titeln oder Inhalten der nominierten Filme zu tun hatte. Traurig.

Und warum man die zehn Nominierten für den Besten Film von Leuten ankündigen ließ, die man durch Einstellungsgröße und Beleuchtung kaum erkennen konnte, bleibt ebenfalls für immer ein Mysterium.

Insgesamt war die Show an Einfalls- und Lieblosigkeit schwer zu unterbieten. Bei zehn nominierten Filmen, darunter mehrere, die besonders fürs Auge einiges boten, hätte man aus einer Gala, die diese Filme ehrt, vor allem visuell mehr rausholen können. Stattdessen: Eine staubtrockene Präsentation und Witze darüber, dass James Cameron seiner Ex-Frau im Vorfeld einen Toyota geschenkt hat. Armes Hollywood.

Zum Vergleich: Meine Oscar-Bilanz 2009

Nachtrag: Meine Meinung scheint sich allgemein mit der der Mehrheit zu decken. Alle fanden die Show einigermaßen gräßlich, schlecht koordiniert, erfolglos anbiedernd und unlustig: spiegel.de, Cinematical, Newsweek etc..

Danke an M, die die Nacht mit mir durchgemacht hat.

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Die große Abschlussliste

Die erste Staffel von “Zehn zu Null” endete mit einer Liste, also sollte die zweite auch mit einer enden. Außerdem: Nachdem ich nun mehrere Wochen lang in Staffel zwei versucht habe, persönliche Beobachtungen mehr oder weniger gut auf eine Linie mit Fakten zu bringen, folgt nun eine rein persönliche Abhandlung. Die letzten 19 Wochen waren eine tolle Gelegenheit, das Filmjahrzehnt, das ich als erstes voll ausgewachsen erleben durfte, noch einmal Revue passieren zu lassen. Also folgt nun zum Ende dieser Revue eine Liste meiner 20 persönlichen Lieblingsfilme der letzten zehn Jahre – höchst subjektiv und keinesfalls in Stein gemeißelt.

1. Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring (2001)

Man kann an den Einträgen dieses Blogs sehen, dass ich mich wohl an keinem Film mehr abgearbeitet habe, als an der Verfilmung des Buchs, das meine Teenagerzeit geprägt hat. Für das Hollywood-Mainstream-Kino halte ich Peter Jacksons Trilogie als genauso einflussreich wie Star Wars oder Gone with the Wind. Und auch wenn Teil drei des Spektakels die meisten Preise abräumen konnte: Ich mag den Zauber des ersten Films, weniger episch aber umso dynamischer, immer noch am liebsten.

2. Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2003)

Lord of the Rings mag mein Lieblingsfilm der Noughties sein, aber er hat seine Fehler, anders als Eternal Sunshine of the Spotless Mind. Die Kombination von Charlie Kaufmann und Michel Gondry ist einfach perfekt geschrieben, perfekt visualisiert und perfekt besetzt. Dass er darüber hinaus noch wirklich ans Herz geht, ist, was ihn besonders macht.

3. Shaun of the Dead (2004)

Mit einer bravourösen Mischung aus guten Gags vor einem stringenten Drehbuch haben Edgar Wright und Simon Pegg die Komödie des Jahrzehnts geschrieben, die übrigens auch immer noch besser ist als alles andere, was die beiden bisher fabriziert haben.

4. Le Fabuleux Destin D’Amélie Poulain (2001)

Ein farbenfroher, zuckersüßer, träumerischer Film voller Herz und kreativer Ideen. Seine Stärke als Film liegt, wie die Moral der Filmhandlung, nicht in der großen Botschaft, sondern in den kleinen, unverwechselbaren Dingen, die man lieb gewinnt.

5. There Will Be Blood (2007)

Noch ein nahezu perfekter Film. Das große Schlachtengemälde des beginnenden 21. Jahrhunderts mit einer der beeindruckendsten Performances des Jahrzehnts. Zukünftige Generationen von Filmwissenschaftlern werden sich an diesem Film abarbeiten dürfen.

6. Memento (2000)

Wenn eins der beliebtesten Wörter des 3. Jahrtausends “fragmentiert” ist, dann ist Memento daran mit Schuld. Christopher Nolan ist einer der besten Regisseure unserer Zeit. Sein Gesellenstück hat das bereits bewiesen.

7. The Squid and the Whale (2005)

Dieser Film ist das “übersehene Juwel” in dieser Liste, denn ich halte ihn für einen der besten New-Yorker-Intellektuellen-Filme der letzten zehn Jahre. Und für eine bewegende persönliche Geschichte, brillant gespielt und erzählt.

8. Children of Men (2006)

Der beste Science-Fiction-Film der Dekade, der gerade durch seine Unaufgeregtheit und sein Close-To-Home-Gefühl seine filmische Rafinesse gelungen verbirgt. Das Ergebnis ist ein grandioses Stück Kino.

9. Finding Nemo (2003)

Andrew Stanton wird langfristig wohl eher für WALL*E im Gedächtnis bleiben. Doch wo WALL*E zwar filmisch mehr leistet, dafür aber storymäßig im zweiten Teil deutlich abfällt, ist Nemo eine durchgehend witzige, makellos animierte tour de force, die mir persönlich einfach mehr ans Herz gewachsen ist.

10. Almost Famous (2000)

Nach Amadeus der zweitbeste Film über Musiker und ihre Welt und der beste Film über Musikjournalismus. Der Vergleich drängt sich einfach auf: Ein Film wie eine gerne gehörte, alte Platte, auf der sogar Kate Hudson wundervoll klingt.

11. Good Night and Good Luck (2005)
Ein stylish-cooles Kammerspiel mit politischer Prägnanz.
12. Bowling for Columbine (2002)
Ein Aufschrei, ein Wachrütteln und ein Geburtshelfer des Neuen Dokumentarfilms.
13. Inglouriuos Basterds (2009)
Frech, Mutig und Einzigartig. Eine perfekte Symbiose von Gestern und Heute.
14. Shrek (2001)
Eine mustergültige Subversion von Märchen, Hollywood und Animations-Hegemonie.
15. Moulin Rouge (2001)
Die Hyperventilation des Kinos, und ein sinnbetäubendes Knallbonbon.
16. Zodiac (2007)
Es braucht Zeit, um einen Mordfall spürbar zu machen. Zodiac gelingt genau das.
17. Waltz with Bashir (2008)
Manchmal reicht schon die Wahl des richtigen Mediums, um einen Film groß zu machen. Ari Folman hat gut gewählt.
18. Le Scaphalage et le Papillon (2007)
Film als körperliche Transformation, bravourös umgesetzt.
19. Spider-Man 2 (2004)
Pures Popcorn-Kino. Aber Gutes.
20. Man on Wire (2008)
Ein Dokumentarfilm wie ein Krimi. Ein unterhaltsamer Krimi.

Lobende Erwähnung: Sin City (2003) und 300 (2006), für die ästhetisch umwerfende Umsetzung von sozialethisch fragwürdigen Stoffen. Doch Kunst soll ja schließlich zum Nachdenken anregen.

Dieser Beitrag ist Teil 20 von 20 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Umgekehrte Jetpacks in The Book of Eli

Im neuen Film der Hughes Brothers, dem postapokalyptischen und auf merkwürdig unsubtile Weise christlich-propagandistischen The Book of Eli findet sich der Held des Films, gespielt von Denzel Washington, nach etwa vierzig Minuten in einem Raum wieder, in dem ein Poster des schrägen Siebziger-Jahre-Postapokalypsos A Boy and his Dog hängt. Das Poster ist nicht nur ein kurzes, kaum merkliches Cameo-Augenzwinkern ans Publikum, es ist über Minuten hinweg in mehreren Einstellungen zu sehen, manchmal ganz manchmal in einem Ausschnitt, der es einem im Kino erlaubt, auch die Tagline des Films zu lesen: “An R-Rated, rather kinky tale of survival”.

(die im Internet kursierende, abgefilmte Version lässt solche Details natürlich nicht erkennen)


(und genauso natürlich habe ich natürlich nicht nach dieser Version gesucht. Sie fiel mir in den Schoß.)

The Book of Eli ist der erste durch und durch ernste Science-Fiction-Film, der mir einfällt, der sich diese Art von direkter Referenz erlaubt: Außerhalb der Filmwelt (also für den Zuschauer) ist sie ein intertextueller Verweis. Der postapokalyptische Film The Book of Eli verweist mit dem Poster auf einen historischen Vorläufer, den postapokalyptischen Film A Boy and His Dog. In der Filmwelt aber, die ja eine direkte Fortschreibung unserer Erde sein soll, muss die Anwesenheit des Posters eine ganze Menge dramatischer Ironie enthalten: Denn Teile der Science-Fiction-Vision des Films von 1975, zum Beispiel die durch einen Nuklearkrieg verwüstete Erde, sind dort wahr geworden – Eli und seine Kompagnons leben in der Science Fiction von gestern. Wissen sie das? Das Poster sagt Ja. (Ich bin dankbar für Hinweise auf andere Filme, in denen eine ähnliche Situation vorkommt)

In der Welt von Eli findet also eine auf den Kopf gestellte Form des beliebten “Where are my Jetpacks?”-Idioms statt. Dieses zielt darauf ab, dass wir ja inzwischen in der Zukunft leben, die sich SF-Autoren seit Ende des 19. Jahrhunderts ausgedacht haben, aber leider erschreckend wenige ihrer Visionen wahr geworden sind. Der britische Comedian Eddie Izzard sagt in einer seiner Routinen: “Those doors from Star Trek – we’ve got them now… and that’s about it.” Und es gibt auch ein Buch dazu, dass ich leider noch nicht gelesen habe (inzwischen sind zumindest die Jetpacks Realität).

Die Frage, die sich stellt, ist also: Wie bewusst sind sich die Figuren eines SF-Szenarios der Tatsache, dass sie in einer Welt leben, die früher ein SF-Szenario war, einer “Stranger Than Fiction”-Welt gewissermaßen? In der Regel wird diese Frage völlig ausgeblendet. Kaum jemand, der in einer Raumschiff-Welt darauf zu sprechen kommt, dass Raumschiffe mal die Erfindung von Nerd-Autoren waren. Die einzigen, die sich trauen, in einer SF-Welt über SF zu reden, sind in der Regel die Humoristen, beispielsweise in Futurama, wo Professor Farnsworth die Frage, ob sein sprechender Affe das Ergebnis von genetischer Manipulation ist, mit den Worten beantwortet: “Oh, please. That’s preposterous science fiction mumbo jumbo. Gunther’s intelligence actually lies in his electronium hat, which harnesses the power of sunspots to produce cognitive radiation.” Insofern ist The Book of Eli zumindest in dieser Hinsicht besonders.

Ergänzend kann man hier anmerken, dass man sich natürlich auch in unserer Zeit schon fragen kann, inwiefern wir eben heute doch die Science Fiction von gestern sind. Im Netz gibt es einige Seiten zum Thema (vor allem die letzte ist gut). Jetzt müssen wir uns nur noch fragen: Sind wir auch Figuren in einem Film?