Wird Avatar beim zweiten Sehen besser?

Lang, lang ist es her, dass ich für einen Film zweimal (bezahlt) ins Kino gegangen bin.* Avatar war es mir aber wert. Erstens weil ich den Film noch einmal sehen wollte ohne vom 3D-Effekt so überrollt zu werden, dass der Rest des Films ein wenig verblasst, zweitens weil ich den Film das erste Mal am Startwochenende gesehen hatte und ihn noch einmal nach dem Hype, dem Erfolg an den Kassen und dem Golden Globe-Gewinn begutachten wollte. Ich wollte sehen, ob er einem zweiten Blick standhält.

Interessanterweise tut er es, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass James Cameron in der Tat saubere Arbeit geleistet hat. Der Film ist nach dem Lehrbuch aufgebaut und zieht einen, nachdem man den etwas plumpen hard-boiled-voiceover-Einstieg überstanden hat, mit seinen klar strukturierten Szenen (mir ist aufgefallen, wie viele Schwarzblenden der Film hat) und Charakteren, die sich wie auf einem Schachbrett bewegen, direkt in die Story hinein. Spätestens nach zwanzig Minuten ist man auf Pandora angekommen, denkt kaum noch über 3D und über Computeranimation nach und nach anderthalb Stunden beginnt man, sich auf das große Actionspektakel am Ende zu freuen – und wird schließlich auch belohnt.

Auch seine anderen Stärken behält der Film bei: Den Aspekt von Avatar, der am deutlichsten ein klassisches Science-Fiction-Thema ist – die ethische und emotionale Seite des “Lebens” in einem fremden Körper – wird meistens eher ausgeblendet, dafür aber an einigen Schlüsselstellen in den Vordergrund gerückt: Zu Beginn von Jakes Trainingssequenz, wenn er kommentiert dass das Wirklichkeit-Traum-Verhältnis auf dem Kopf steht, am “Morgen danach”, als Neytiri Jake nicht aufwecken kann, weil er eben nicht in seinem Körper steckt, sowie kurz darauf, als er seine Rede nicht halten kann, weil Quaritch ihm den Saft abdreht – und schließlich kurz vor Schluss des Films in dem beeindruckenden Bild, als die drei Meter große Neytiri zum ersten Mal Jakes wahren Körper in ihrer Hand hält. Durch diese punktuelle Betonung des Avatar-Konflikts ruft der Film seinen eigentlich interessantesten Aspekt (der dem Film immerhin seinen Namen gibt) immer wieder gezielt ins Gedächtnis zurück – und mit der Auflösung des Konflikts endet der Film ja schließlich auch.

Beim zweiten Ansehen kann sich der Zuschauer auch noch deutlicher daran ergötzen, wieviel Detailüberlegung in die Entwicklung von Pandora geflossen ist, in das exotische aber in sich schlüssige Design von Kreaturen und Pflanzen und in die absolut hundertprozentige Glaubwürdigkeit der Charakterbewegung in dieser Welt. Überhaupt die Charakterbewegung: Es ist beeindruckend, wie gut das Performance Capturing beispielsweise die schwerfälligen Bewegungen von Grace und Norm – und anfangs auch von Jake – einfängt, in denen man so eindeutig die Menschen hinter den Na’vi erkennen kann. Schaut man sich zum Vergleich Zemeckis’ fast zeitgleich gestarteten A Christmas Carol an, in dem sich immer noch große Teile der Charaktere bewegen wie von der Augsburger Puppenkiste rekrutiert, kann man sehen, wie hoch Cameron die Meßlatte hier gelegt hat.

Und schließlich ist die 3D-Mise-en-scène nicht nur der herausragenden Actionszenen – die wie immer bei Cameron erste Sahne sind – sondern des ganzen Films nach wie vor beeindruckend. Immer wieder streut Cameron Shots ein, die einem den 3D-Effekt eindrucksvoll vor Augen führen ohne aufdringlich zu wirken: Größenvergleiche, POV-Shots, Fluchten, lange Close-Ups. Doch er lässt sie nicht zum Selbstzweck werden, schneidet einfach nach regulärem Continuity-Rhythmus.**

Gleichzeitig fallen beim zweiten Sehen aber auch die Schwächen des Films noch stärker ins Auge. Beispielsweise dass die komplette zweite Hälfte des Films von einer einzigen Szene abhängig ist, in der ein von Anfang an zweidimensionaler Charakter (Ribisis Businessmann Selfridge), eine Entscheidung fällt, deren Motivation vollständig auf der Strecke bleibt, nämlich den Heimatbaum der Na’vi zu zerstören und Graces Bedenken dabei einfach wegzuwischen. Selfridge ist als Charakter so flach, dass seine Entscheidung wie eine Art negativer Deus-Ex-Machina wirkt. Hätte man ihm von Anfang an mehr Tiefe gegeben – wo liegen seine Abwägungen bei der Führung des Unternehmens, welchen Werten und Zwängen ist er verpflichtet – oder ihn zumindest genauso durchgeknallt überzogen wie Quaritch, in dessen Wahnsinn wenigstens Methode steckt, wäre diese Entscheidung wohl nachvollziehbarer und der ganze doofe Gut-Böse-Dualismus des Films glaubwürdiger gewesen.

Und schließlich ist da der meistkritisierte Aspekt des Films, die typisch westliche Vision des Edlen Wilden, der reiner ist als der von der Zivilisation verseuchte Weiße. Dass dieser Edelmut in einer kriegerischen, heteronormen Gesellschaft liegt, die auch die positiven Aspekte des Fortschritts (beispielsweise Medizin und Selbstverwirklichung) zugunsten von Naturverbundenheit und vager Spiritualität ablehnt – andererseits aber einen “zivilisierten” Außenseiter als Messias braucht, um sie zu einen und zur Vernunft zu bringen – ist eine der großen Schwachstellen von Avatar und allen anderen kolonialistischen Erzählungen dieser Art, denen ich in diesem Fall nicht mal Rassismus, sondern einfach nur Eindimensionalität vorwerfen würde. Wann immer solche Gesellschaften dargestellt werden, wird beispielsweise immer ausgeblendet, wie es wohl denjenigen innerhalb beispielsweise der Na’vi geht, die eben keine Lust auf Jagen und Sammeln haben. Werden sie ebenso ausgestoßen wie die Kolonialisten?

Da sich bei Avatar die beeindruckenden und die entäuschenden Aspekte also so gut die Waage halten, wird der Film beim zweiten Sehen weder besser noch schlechter – er bleibt so solide und oberflächlich wie beim ersten Sehen. Das wiederum zeichnet ihn eigentlich als guten Film aus, der sich immerhin selbst treu ist.

Für die weitere Betrachtung des Films empfehle ich Dan Norths sortierten Querschnitt durch Kritiken und Essays, die Avatar hervorgebracht hat.

* Interessanterweise ist der einzige Film, seit Beginn meines Filmtagebuchs im Mai 2003, ausgerechnet Matrix: Reloaded, weil ich zum Start von Revolutions noch einmal in eine Dreier-Nacht gegangen bin.

** Auch hier bietet sich der Vergleich mit A Christmas Carol kurz an, der darauf hindeutet, dass es künftig zwei “Schulen” der 3D-Inszenierung in computergenerierten Umgebungen geben könnte. Eine (Cameron) inszeniert weiter als gebe es 3D gar nicht und versucht damit auf die zukünftige Alltäglichkeit der Technik hinzuweisen, die andere (Zemeckis) zelebriert ihr Medium: Sie setzt beispielsweise Schwenks und Innere Montage statt Schnitten ein, wann immer sie kann, und setzt stärker auf Tiefenschärfe um die Integrität der diegetischen Welt zu waren.

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Die Renaissance des Animationsfilms

Der digitale Animationsfilm konnte in den Noughties so richtig zeigen, was er drauf hat. Der daraus entstehende Boom dieser Art Film nach dem Rezept, das Pixar in den Neunzigern entwickelt hatte, übertrug sich dann bis zum Ende der Dekade schließlich auch auf die anderen Spielarten der Animation, so dass 2009 nach Meinung einiger sogar das beste Jahr aller Zeiten für Animationsfilme wurde.

Diese letzte Behauptung kann man gut und gerne als überhöht vom Tisch wischen, aber fest steht, dass in den Jahren 2000 bis 2009 vermutlich so viele qualitativ hochwertige und weltweit Eindruck schindende animierte Langfilme entstanden wie seit den Vierzigern nicht mehr. Die Oscar-Academy würdigte diesen aufkommenden Trend bereits 2001, als sie einen neuen Award für “Best Animated Feature Film” auslobte.

Zu diesem Zeitpunkt (Shrek gewann den ersten Award gegen Monsters Inc.) war das Feld der animierten Filme noch relativ übersichtlich. Es gab Disney, den Disney-Kooperationspartner Pixar und DreamWorks PDI, die bereits seit Mitte der Neunziger Jahre versucht hatten, beiden Firmen auf ihrem Home Turf Konkurrenz zu machen. Im Konkurrenzkampf mit Pixar ging das sogar so weit, dass beide Firmen irgendwann immer scheinbar direkt vergleichbare Filme über Insekten (Antz/A Bug’s Life), Monster (Shrek/Monster’s Inc.), Fische (Finding Nemo/Shark Tale) und Roboter (Robots/WALL*E) produzierten – einen Kampf den DreamWorks außer bei Shrek immer verlor.

In den darauffolgenden Jahren strömten jedoch immer mehr Player, beauftragt von den großen Studios, ins Feld, mit denen man rechnen musste. 2002 traten die Blue Sky Studios (20th Century Fox) von Chris Wedge mit dem phänomenal erfolgreichen Ice Age auf den Plan, Imageworks (Sony) versuchte sich (nicht sehr erfolgreich) an Hunting Season, Animal Logic (Warner) (erfolgreich) an Happy Feet. Hinzu kamen die bereits 2001 für Jimmy Neutron: Boy Genius nominierten Nickelodeon Pictures (The Barnyard) sowie einzelne Player, die auf der neuen Woge in den internationalen Markt zurückströmten, wie Hayao Miyazaki, Aardman (Wallace and Gromit), die sogar einen Deal mit DreamWorks schlossen, und Henry Selick (Coraline).

Nicht zu vergessen ist auch das Feld “Performance Capturing”, in dem vor allem Robert Zemeckis die Speerspitze bildete, meist als Regisseur (Polar Express, Beowulf, Christmas Carol) aber auch als Executive Producer (Monster House). Als 2006 Monster House und Happy Feet, die beide zu (unterschiedlich großen) Teilen auf Performance Capturing zurückgegriffen hatten, neben Pixars Cars nominiert waren und Happy Feet auch noch gewann, ging ein Raunen durch die Branche. Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion interessant, ob Avatar theoretisch einen solchen Oscar gewinnen könnte.

Doch nicht nur im Oscar-Rennen machte sich der Animationsfilm in den Noughties wieder breit. So wählten die LA Film Critics WALL*E, der ohne berühmte Stimmen und generell mit sehr wenig Dialog auskommt, 2008 zum Film des Jahres und 2009 eröffnete mit Pixars Up erstmals ein Animationsfilm die Filmfestspiele von Cannes, nachdem im Jahren zuvor mit Waltz with Bashir schon ein Animationsfilm im Rennen ganz vorne gelegen hatte.

Woher stammt dieser neuerliche Erfolg einer Gattung, die selbst im großen Family-Entertainment-Land USA in den Achtzigern und Neunzigern in Fernseh-Cartoons für Kids einerseits und Erwachsene (Simpsons, Beavis and Butthead) anderseits und Disney-Geputzel zu Weihnachten zerfallen war? Abgesehen davon, dass wegen des immer höheren Bedarfs an Special Effects computergenerierte Bilder generell akzeptierter geworden sind?

Ende der Neunziger hatten Pixar und DreamWorks eine Formel entwickelt, die einzuschlagen schien. Sie entwickelten originäre Stories, die nicht auf bekannten Vorlagen basierten, besetzten die Hauptrollen mit bekannten Hollywood-Darstellern – was die Publicity für den Film deutlich erleichterte – kickten das über Jahre bewährte Musical-Konzept über Bord, und wurden wieder etwas “edgier”, indem sie den Erwachsenen genauso etwas zu lachen gaben wie den Kids. Außerdem trieben sie mit jedem Film den technischen “sense of wonder” wieder ein Stück voran – waren die Menschlichen Charaktere in Toy Story (1995) noch sehr krude geformt, sah das in Toy Story 2 (1999) schon viel besser aus.

In den Noughties drifteten die Studios in ihrem Grundverständnis wieder weiter auseinander, aber der Rest von Hollywood hatte Blut geleckt (und Geld gerochen) und sich längst in eigene Produktionen gestürzt. Pixar setzte weiterhin auf künstlerische Konzepte, definierte sich als Director’s Studio (z. B. indem sie Brad Bird zu sich holten) und nahm sich bald auch schon wieder den Mut zur Abstraktion im Design heraus. DreamWorks prügelte, zumal nach dem Erfolg von Shrek das Prominenten-Stimmen-Konzept zu Tode und versuchte, mit jedem Film noch ein bisschen hipper und zeitgemäßer zu sein (trauriger Tiefpunkt dieser Entwicklung war Shark Tale) – Sony und Nickelodeon gingen in die gleiche Richtung.

Nachdem die erste Welle an Wahnsinn aber vorbei war (2005/06 war so ziemlich das übelste Jahr in der Hinsicht) kam die ganze Branche in Schwung und traute sich richtig was; merkte, dass Animationsfilm die Ideale Form für filmische Experimente ist. Surf’s Up, zum Beispiel, ist ein Mockumentary über surfende Pinguine, das bei allen Schwächen, die der Film hat, zumindest ein paar Märkchen für Originalität verdient hat. Und ob für Persepolis, Marjane Sartrapis persönlichen Memoiren über ihre Kindheit im Iran, und Waltz with Bashir, Ari Folmans unheimliche Rekonstruktion seiner Kriegserfahrungen, vorher überhaupt Geld dagewesen wäre, ist fraglich.

Auch Regisseure, die aus dem Live-Action-Fach kamen, sahen in Animation plötzlich neue Chancen. George Miller (Babe) machte Happy Feet, Wes Anderson “drehte” Fantastic Mr. Fox – die Herkunft aus einer anderen Gattung ist in beiden Fällen durchaus zu sehen. Auch die Abenteuer von Tintin werden derzeit per Motion-Capture verfilmt, Regisseure/Produzenten sind Steven Spielberg und Peter Jackson. Und umgekehrt funktioniert es auch: Pixar-Regisseur Andrew Stanton (Nemo, WALL*E) dreht jetzt John Carter of Mars.

Selbst Disneys Stern geht langsam, nach dem Kauf von Pixar und John Lasseters Verpflichtung als Chefkreativem, wieder auf. 2009 kam fünf Jahre nach dem abgrundtief furchtbaren Home on the Range wieder ein 2D-animierter Film (The Princess and the Frog) in die Kinos, der zumindest manchen Kritikern auch gefiel.

Last but not least waren animierte Filme ein wichtiger Triebmotor für die langsame Etablierung von 3D, was sich besonders in Deutschland sehr gut daran festmachen lässt, dass die CineStar-Kette sich erst mit dem Start von Ice Age 3 entschied, eine größere Menge Säle auf 3D umzurüsten. Und nach wie vor sind es computeranimierte Filme, die sich eben am einfachsten in 3D umsetzen lassen.

Der Animationsfilm, besonders der computeranimierte Animationsfilm aber auch seine handanimierten Geschwister, hat sich in den Noughties als eine neue feste Größe etabliert, mit der man auf jeden Fall auch weiterhin rechnen muss. Das Medium Animationsfilm wird von immer mehr Seiten wirklich als Medium und nicht als Genre wahrgenommen, mit dem man auch andere Geschichten als Märchen für Kinder erzählen kann. Mit dem zusehenden Verschwimmen von Live-Action und Animation kann man also erwarten, dass es in den Zehner Jahren noch von viel mehr Regisseuren für sich entdeckt wird und eventuell noch wesentlich mehr Erfolg haben wird.

Dieser Beitrag ist Teil 13 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme (Zweite Staffel)

Ein paar Gedanken zu Avatar, James Cameron und 3D

Der ursprünglich geplante Titel dieses Blogeintrags war “Wie James Cameron mich immer wieder Glauben macht”. Aber nachdem ich heute wieder einige Sachen in 2D gesehen habe (Where the Wild Things Are und The Princess and the Frog und die Trailer davor), wollte ich den Bogen noch etwas weiter spannen und noch einmal allgemein über 3D und das momentane Effektkino schreiben wie ich es hier schon mal gemacht habe.

Aber trotzdem zunächst zu James Cameron. Terminator 2 ist vermutlich der wichtigste Film meiner Jugend, nicht zuletzt weil er ein Schlüsselstein in meinem Interesse für Spezialeffekte und CGI war. Superman hatte 1978 mit dem Spruch geworben You will believe a man can fly und T2 bedeutete für mich, dass ich daran glaubte, dass ein Roboter aus frei formbarem Flüssigmetall bestehen kann. Erst als ich mir viele Jahre später die DVD kaufte und ein paar Making ofs sah, begriff ich, dass gar nicht der ganze T-1000-Kram tatsächlich im Computer gemacht wurde, nur einige wenige Szenen. Aber die Illusion war (wie zwei Jahre später bei Jurassic Park) perfekt.

1997 lehrte mich dann wiederum Titanic eine neue Lektion in Glaubwürdigkeit. Nachdem ich ihn gesehen hatte (und die Story nicht so mochte aber ihn sonst okay fand), sah ich irgendwann mal ein Making of im Fernsehen und begriff da erst, wie viele Szenen, die ich für echt gehalten hatte, hier im Computer entstanden waren. Heute kann ich solche Shots erkennen, aber damals war ich noch ein CG-Newbie. Wiederum war es also James Cameron gelungen, mich an der Nase herumzuführen, diesmal im Bereich der “unsichtbaren” Effektshots, die nicht als solche wahrgenommen werden können.

Und dieses Jahr, 2009, hat mich Avatar zum dritten Mal an CG glauben lassen. Nach all den Effektschlachten der letzten Jahre, beispielsweise bei Harry Potter und den anderen SF/Fantasy-Konsorten hatte ich mich darauf eingestellt, dass man eine gute CG/Live-Action-Verschmelzung nur hinkriegt, wenn man dafür den Colour Grade so hochschraubt, dass das ganze unwirklich wird (für mich die erste Kategorie meiner Theorie von der “Neuen Digitalen Ästhetik”).

Avatar macht das allerdings nicht so. Die Welten von Pandora sind, wenn auch farblich mit ihren ganzen phosporeszierenden Pflanzen etwas psychedelisch ziemlich photorealistisch glaubwürdig. Hier verschwimmt nicht alles in weißen Rändern und Composting-Glows und gephotoshoppen Himmeln. Zugegeben, manchmal drückt Cameron auch hier etwas zu sehr auf die Weißabgleich-Taste, aber viele viele Shots draußen im Dschungel wirken echt und anfassbar. Und auch das Einfügen von menschlichen Charakteren (vor allem bei emotionalen Höhepunkten wie dem Treffen zwischen Neytiri und Sams echtem Körper) funktioniert perfekt.

Den Schlüssel für diese Glaubwürdigkeit sehe ich in der Dreidimensionalität. Cameron packt einfach noch eine Lage Effektkino auf seine Computerbilder drauf, die einen mit ihrer Attraktion so gefangen nimmt, dass man gar keine Kapazität mehr übrig hat, um auf die Unwirklichkeit der CG-Welt zu achten. Sie gibt dem Film die Glaubwürdigkeit, die er ohne vielleicht nicht hätte. 3D ist bei Avatar das, was Colour Grading bei Lord of the Rings war: Das Extra-Sahnehäubchen, das es braucht, um die Welt zum Leben zu erwecken.

Und das scheint mir der momentane Sinn von 3D zu sein. Es ist der zusätzliche WOW-Effekt, der den Sense of Wonder im desillusionierenden Computerkino (das mir extrem beispielsweise in den nur noch künstlich wirkenden Welten von 2012 aufgefallen ist) wieder herstellt. Der neue Schub für das Cinema of Attractions der zweiten Zehner Jahre in der Filmgeschichte.

Sehr bewusst geworden ist mir das heute nochmal, als ich die Trailer für Cloudy with a chance of Meatballs, Alice in Wonderland und How to Train Your Dragon, die ich bisher nur in 3D gesehen hatte, noch einmal in 2D gesehen habe. Plötzlich erschien mir hier alles wesentlich flacher und langweiliger als noch zuvor, es hatte ein bisschen was von seinem Reiz verloren.

3D ist und bleibt also nur ein Gimmick, aber ein wichtiges Gimmick, dass dem CG-überfrachteten Kino seinen Groove und damit seine Glaubwürdigkeit zurück gibt. Ohne gehts auch im Neuen Digitalen Ästhetik-Kino, aber es ist wesentlich langweiliger. Ich glaube, damit hat das 3D-Kino endgültig seine zweite Phase erreicht, analog zum Farbfilm (diese Analogie sehe ich nach wie vor) also diejenige, wo man sich bestimmte Filme ohne 3D (=Farbe) nur noch schlecht vorstellen kann.

Jetzt muss es nur noch die dritte Phase erreichen, in der es Normal (ja, mit großem N) wird und anfängt zum Kino-Establishment zu gehören, auch außerhalb von Filmen mit viel Computerzeugs.

Spektakuläre Bilder

Am 17. Dezember erst kommt er in die deutschen Kinos: der erste Spielfilm von James Cameron seit Titanic. Avatar heißt das 237 Millionen Dollar schwere Werk, das als erster Film ausschließlich in 3D veröffentlicht werden und in Sachen visuelle Effekte und Performance Capturing alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen soll.

Ganzer Artikel erschienen in epd Film 10/09 – pünktlich zur Buchmesse mit einem Schwerpunkt Krimiverfilmungen sowie einem Blick in die amerikanische Indie-Regisseursszene.

Die Zukunft von 3D ist die Gegenwart des Farbfilms

Angeregt wurde diese vage Grundsatzbetrachtung über 3D durch einen schon etwas älteren Artikel von Kristin Thompson, über dessen Thesen sich anschließend mit Freunden bei Facebook eine interessante Diskussion entspann.

Thompsons Artikel hat zwei Schwerpunkte. Der eine ist, ob sich 3D langfristig wirtschaftlich lohnen wird. Die Beantwortung dieser Frage würde ich gerne dem Markt überlassen. Da der Output an 3D-Filmen inzwischen dank Computeranimation ein relativ stetiges Maß erreicht hat, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass 3D “here to stay” ist. Bleibt es trotzdem ein Event-Randmarkt? Das wird sich zeigen und es hängt eng mit dem zusammen, was ich weiter unten diskutiere:

Interessanter ist dieser zweite Aspekt von Thompson:

More interesting, though, is that fact that although I saw Coraline and Up in 3-D, I remember them in 2-D. Those films didn’t throw spears at the spectator or otherwise seek to pierce that fourth wall with their props. Of course as I was watching, I noticed that the mise-en-scene had layers of depth and the figures a rounded look, but apparently my life-long movie habits filtered those aspects out as the films entered my memory.

An diesem Beispiel entspinnt sich eine interessante Spannung bei 3D-Filmen: Viele Kritiker beschweren sich darüber, wenn die 3D-Filme zu sehr auf ihre 3D-Effekte setzen und dem Zuschauer ständig Speere ins Gesicht stoßen, wie bei Beowulf. Andererseits scheint es aber so zu sein, dass wenn die Filme 3D zu subtil einsetzen, der Mehrwert der neuen Technik in der Erinnerung verpufft.

Für mich ist bisher bei keinem der Filme, die ich gesehen habe, 3D mehr als ein Gimmick geblieben. Bei Bolt hatte ich schon beim Sehen das Gefühl, das 3D dem Film nichts hinzufügt. Monsters vs. Aliens versuchte, die Technik durch das Gegenüberstellen von Größenunterschieden auszuschlachten, was nach kurzer Zeit langweilig wurde. Ice Age 3 und Coraline waren in ihrer 3D-Anwendung beide sehr gut, aber gerade Coraline überzeugte schon wesentlich stärker durch sein Gesamtdesign und Drehbuch als durch die 3D-Effekte, obwohl mir diese noch am stärksten in Erinnerung blieben. Der Film ist bisher mit Sicherheit die Krönung der Technik.

Man sollte allerdings nicht vergessen, dass die meisten neuen Techniken, als sie sich im Kino jeweils etablierten, erstmal eine Art Exploitation-Kino hervorriefen: Der Tonfilm propagierte Musikfilme, Technicolor ließ sich besonders gut in Ausstattungsspektakeln und “unwirklichen” Filmen vorführen. Danach folgte immer eine Phase der Gewöhnung und erst danach waren meist Künstler in einer Art filmischen Moderne in der Lage, aus den technischen Möglichkeiten wirklich mal was cleveres rauszuholen (beipielsweise mit Filmen wie The Red Shoes für Farbe oder The Conversation für Sound).

Der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm ist kein guter Vergleich, aber der von Schwarzweiß- zu Farbe hält dem ganzen durchaus stand. Noch bis Mitte der Sechziger, dreißig Jahre nach seiner Marktreife, waren Schwarzweißfilme durchaus normal, a) weil sie billiger zu produzieren waren und b) wegen des exakt gleichen Arguments, das jetzt bei 3D vorgebracht wird: “Wer will schon Nicht-Effektfilme in Farbe sehen, lohnt sich doch gar nicht”. Bis das Verhältnis irgendwann umkehrte, als auch Hollywood seine Moderne erlebte.

Ich denke, dass uns etwas Ähnliches jetzt mit 3D erwartet: Uns stehen noch viele Jahre ins Haus, in denen 3D für Prestige-Knallbumm-Produktionen und Trickfilme ausgeschlachtet wird, aber sobald immer mehr Leinwände umgerüstet sind, die Produktionskosten dank cleverer digitaler Entwicklungen sinken und die Brillen vielleicht sogar noch ein bisschen bequemer werden und 3D einfach ein etablierter Teil der Kinolandschaft geworden ist, könnte sich das Verhältnis umkehren.

Was bedeutet das künstlerisch? Die wahrhaft neue Informationsspur, die 3D ermöglicht ist die Z-Achse. Der Regisseur kann nicht nur links-rechts-oben-unten inszenieren, sondern auch vorne-hinten. Mit den 2 1/2 Dimensionen die regulärer Film kraft unserer Vorstellung sowieso hat (wir denken uns den Raum dazu, auch wenn wir ihn nicht sehen) ging das zwar vorher auch schon, jetzt geht es noch besser. Poke-in-the-Eye-Effekte sind halt nur eine Möglichkeit, diese Informationen auszunutzen, Coraline hat sich vor allem an Tunneln und schiefen Perspektiven versucht.

Sind wir doch mal ehrlich: Erinnern wir uns an Farbfilme wirklich in Farbe – wenn Farbe nicht gerade eine wichtige Rolle spielt? Könnten Sie mir sagen, welche Farbe der Anzug eines x-beliebigen Darstellers in einer x-beliebigen Romantic Comedy hatte? Eher nicht, aber wahrscheinlich erinnern wir uns an die Farbwelten beim Space Gate in 2001, an den surrealistischen Hauch von Filmen wie Amélie oder Moulin Rouge, an farbliche Akzente wie Kim Novaks grünes Kleid in Vertigo.

Und das steht uns mit 3D bevor: Wir werden uns an die meisten dreidimensionalen Szenen nicht unbedingt en detail erinnern, aber wann immer ein Regisseur ans Ruder gelassen wird, der seine Kunstform beherrscht und damit zu spielen weiß, wird man an “die gute 3D-Dramaturgie” gerne zurückdenken.

Die erste Meßlatte in dieser Hinsicht wird wohl Avatar werden. Obwohl ich von der Preview nicht so recht überzeugt war, wird Cameron zeigen müssen, ob er 3D wirklich beherrscht. Mein bestes 3D-Erlebnis hatte ich zumindest bisher mit einem seiner Filme: T2 3D – Battle across time. Durch die Verschmelzung mit echten Darstellern hat das 3D hier wirklich Laune gemacht.

Mit Dank an Carsten und Bernd

Worte zum Wochenende

Am Ende meiner Show steht ein Wettkönig, den keiner braucht, und der weiß das. Aber bei dir wird ein Superstar geboren, der keiner ist, und es wissen alle außer ihm.

Thomas Gottschalk, in einem offenen Brief an Dieter Bohlen
// Gottschalk vergleicht Bohlen mit King Kong

Let me go on record with this now, while the 3-D bubble is still inflating: Katzenberg, Quittner, and all the rest of them are wrong about three-dimensional film—wrong, wrong, wrong. I’ve seen just about every narrative movie in the current 3-D crop, and every single one has caused me some degree of discomfort

Daniel Engber, Slate
// The Problem With 3-D

“Unsere Aufgabe als Journalisten besteht nicht darin, mit am Tisch zu sitzen, sondern zu berichten und kritische Fragen zu stellen”, heißt es entsprechend unbedarft am Ende von Matthias Trockens Als-Ob-Läuterungs-Editorial. Das unterschriebe man natürlich sofort und gerne – wenn man sich nur sicher sein könnte, dass Attac damit nicht wieder nur die Bösen, sondern auch sich selbst meint. Und das kann man nach dieser Falschausgabe leider nicht.

Katrin Schuster, epd medien
// Embedded bei Attac. Der faule Zauber des Als-Ob

In your teens and twenties you eat a doner, obviously. In your thirties you go posh and healthy, and order and wait for a shish. Then in your forties you go retro, nostalgic and I-want-it-now, and return to doner, with some relief.

Romanautor Michael Marshall Smith in seinem Blog
// 4 Things about Kebabs