Starlee Kines “Mystery Show” ist ein verdammter Manic Pixie Dream Podcast

© Gimlet Media

“Is that what you do in your free time?”, wird Starlee Kine vom Ticketmaster-Mitarbeiter am Telefon gefragt. “‘I don’t want to work today, I’m gonna go change someone’s life?'” Kine lacht daraufhin, aber vielleicht auch, weil er so recht hat. Denn ihre Mission scheint es wirklich zu sein, ab und zu ein paar Leben zu ändern. In seiner anderen Vermutung hat der freundliche junge Mann am Telefon allerdings unrecht. Starlee Kine macht das nicht in ihrer Freizeit. Es ist ihr Job, als Host ihres neuen Podcasts “Mystery Show”.

Gimlet Media, Alex Blumbergs geplantes Podcast-Imperium, ist nach jeder Menge Anfangsaufregung in einer etwas ruhigeren Phase angekommen. “Startup”, die Show mit der alles begann, hat sich in ihrer zweiten Staffel zwar ein interessantes Unternehmen ausgesucht, dessen Gründungsphase es begleitet – die persönliche Besonderheit von Blumbergs eigener Gründung kann sie aber nicht replizieren. A propos Wörter mit “Repl” am Anfang, “Reply All”, der zweite Gimlet-Launch, ist ein ziemlicher Gemischtwarenladen, der viel ausprobiert und damit nicht immer reüssiert. “Mystery Show”, Podcast Nummer drei, klingt ad hoc auch nicht so furchtbar spannend: Eine Reporterin zieht herum und löst Rätsel, die man nicht mit Hilfe des Internets lösen kann. Haben wir bei uns im Kinderfernsehen, heißt “Willi will’s wissen”. Next.

Dr. Phil

Doch wer das denkt, hat wahrscheinlich noch nie von Starlee Kine gehört. Wie einige Gimlet-Reporter_innen stammt sie aus demselben Stall wie Blumberg, der Planet-Money-This-American-Life-Connection. Für “This American Life” hat sie mal eine Geschichte über Trennungslieder gemacht, in der sie Phil Collins anruft und ihn fragt, wie das eigentlich geht. Sie liest ihm einen Liedtext vor, den sie über ihre eigene Trennung geschrieben hat und lässt sich von Collins Ratschläge geben. “Dr. Phil“, so der Titel des Segments, ist eine der Sternstunden des amerikanischen Public Radio. Der einzige Podcast, für den ich jemals Geld ausgegeben habe, um ihn herunterzuladen. So sehr wurde er mir empfohlen und so sehr hat mich der Pitch neugierig gemacht. (Ladet ihn auch herunter. Jetzt!)

Für “Mystery Show” setzt Kine auf die gleiche absurd-fantastische Mischung aus Naivität, Hartnäckigkeit und Individualität, um persönliche Rätsel zu lösen. In der ersten Folge, die ausgerechnet die bisher schwächste ist, geht sie dem Erlebnis einer Freundin nach, die sich Anfang der 2000er in einer New Yorker Videothek Must Love Dogs auslieh und am nächsten Tag einen dauerhaft geschlossenen Laden vorfand. Mit etwas Herumfragen findet Kine die alten Besitzer der Videothek und erfährt, was passierte. Charmant erzählt, aber immer noch nicht außergewöhnlich, eine solche Spurensuche.

Britney Spears und 9/11

In Folge zwei jedoch möchte eine Autorin gerne wissen, ob ihr schwach verkauftes Buch, mit dem Britney Spears mal auf einem Paparazzi-Foto zu sehen war, von der Sängerin wirklich gelesen wurde. Mystery-Löserin Starlee Kine versucht auf verschiedene Arten, an die inzwischen notorisch öffentlichkeitsscheue Spears heranzukommen – und am Ende gelingt es ihr sogar. In Folge drei findet sie den ursprünglichen Besitzer einer besonderen Gürtelschnalle und in Folge vier die Geschichte hinter dem Nummernschild “ILUV911”.

Doch es ist bezeichnend, dass der Podcast nicht “Mystery Solving Show”, sondern “Mystery Show” heißt. Denn bei Kine ist der Weg das Ziel. Obwohl es spannend ist, die Antworten auf die Fragen zu bekommen, die am Anfang jeder Sendung aufgeworfen werden, kommt die wahre Herzensfreude beim Hören von den kleinen Seitenpfaden, die Kine zwischendurch einschlägt. Nicht nur die Sackgassen auf dem Weg zur Problemlösung, die immer Teil einer Geschichte sind, sondern die scheinbar irrelevanten Nebenstränge auf denen die Erzählerin sich kunstvoll verliert. Wie das Gespräch mit dem Ticketmaster-Mitarbeiter darüber, wie wichtig es ist, sich selbst zu sagen, dass man etwas wert ist. Oder die skurrilen Erinnerungen einer der ersten Notruf-Dispatcherinnen überhaupt in den USA, die sich in ihrer Anfangszeit mal mit einem Mann herumschlagen musste, der seinem Hund beigebracht hatte, ein Auto zu lenken.

Rote Fäden

Kine erwähnt diese Geschichten nicht nebenbei. Sie gibt ihnen Raum, weil sie weiß, dass sie Teil der großen Geschichte unseres Menschseins sind, die sie eigentlich erzählt. Ihre Mysterien sind nur die roten Fäden, die sie durch ein Dickicht von Alltagsbeobachtungen und Einblicken in ihre eigene Gedankenlandschaft zieht. “Mystery Show” ist eine Sendung über alles und nichts, vor allem aber darüber, die kleinen Besonderheiten des Lebens wertzuschätzen. Das Tolle dabei ist, dass Kine diese Rolle eines fröhlichen Kobolds, der einen akustisch durch die Welt führt, ganz natürlich auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Sie wird niemals pathetisch oder künstlich und bleibt immer sie selbst.

Um zu begreifen, was das alles bedeutet, muss man nur die Passage lesen, mit der Kine in Folge 5 die Zeit überbrückt, während sie auf eine neue Spur im Fall “Wie groß ist Jake Gyllenhaal eigentlich wirklich?” wartet.

Seasons passed. Winter came. Planets rotated. Stars died. Innumerable gallons of ice cream were consumed. Countless spoons were bent. Babies learned how to crawl. Teenagers learned how to kiss. Podcasts went from being popular in a niche way to a mainstream way. But still, older people could not figure out how to listen to them on their phones. Heavy televisions were replaced by thin televisions. The outdated models were put out on the street, picked up by couples in love and then, after some time had passed, put back, out on the street.

Wer solche Texte schreibt, der schafft es eben auch tatsächlich, mit Jake Gyllenhaal fünf Minuten später ein persönliches Gespräch auf mehreren Meta-Ebenen gleichzeitig zu führen und am Ende tatsächlich seine Größe zu erfahren. So ändert Starlee Kine Leben. Sie ist so entwaffnend — die Mysterien, die ihr gegenüberstehen, geben einfach irgendwann auf.

“Mystery Show” von Gimlet Media kann man überall hören, wo’s Podcasts gibt. Bisher sind fünf Folgen erschienen, neue kommen im Juli.

“Startup”, “Serial” und Co: US-Podcasts wagen den nächsten Schritt

Wer Podcasts liebt und des Englischen mächtig ist, kommt früher oder später nicht mehr am US-amerikanischen “public radio” vorbei. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der USA ist im Gegensatz zu BBC oder ARD komplett durch Spenden finanziert, muss sich entsprechend keinerlei Massengeschmack beugen und gilt als intellektuelles Leuchtfeuer in einem ansonsten komplett durchformatierten Radioland.

Und weil gutes Radio nicht live gehört werden muss, haben die Sendungen von Distibutoren wie NPR in den vergangen Jahren auch als Podcasts mit mehreren 100.000 Abrufen pro Sendung Karriere gemacht. Ich kann jedem nur raten, sich Podcasts wie “This American Life” (TAL), “Radiolab” oder “99 % Invisible” mal anzuhören. Was dort an akustischem Journalismus geboten wird, ist eine Freude für Ohr, Herz und Hirn und wird selbst in den letzten Qualitäts-Bastionen von Deutschlandradio und Co nur selten erreicht. Ähnlich wie im Magazinjournalismus zeigt sich auch in den Podcasts die Vorliebe der Amerikaner für gutes Geschichtenerzählen. Journalistische Stücke enthalten meist sowohl die Persönlichkeit ihres Producers (und keine abgelesenen Texte eines “Sprechers”) als auch einen Spannungsbogen – und insbesondere bei TAL werden sie gerne auch mal mit fiktionalen Geschichten gemischt (ähnlich wie in Magazinen wie dem “New Yorker”).

Eine akustische Unternehmungsgründung

Menschen wie TAL-Chef Ira Glass sind damit längst zu Podcast-Superstars aufgestiegen, die auch über die Radio- und Podcastszene hinaus einen gewissen Ruhm genießen. Und es scheint, als sei die Zeit jetzt endlich reif, dass diese Radiostars ihr Gewicht in den Ring werfen, um auch im Podcast-Bereich den nächsten Schritt zu gehen. So werkelt der ehemalige TAL- und “Planet Money”-Producer Alex Blumberg derzeit an einem ganzen Podcast-Netzwerk, das journalistisches Storytelling nach dem eben beschriebenen Muster exklusiv über das Internet verbreiten soll. Das eigentliche Netzwerk, für das Blumberg derzeit zwei Millionen Dollar Venture Capital einsammelt, existiert noch nicht, aber Blumberg hat sich vorgenommen, die einzelnen Schritte seiner Unternehmungsgründung sorgfältig akustisch aufzuzeichnen und dabei ganz besonders offen und ehrlich zu sein.

Das Ergebnis, der Podcast “Startup” ist ein faszinierendes Dokument, das mindestens jeder kreative Mensch hören sollte, der jemals darüber nachgedacht hat, sich mit einem Projekt selbstständig zu machen. Jeder andere natürlich auch. Blumberg spricht über den richtigen Pitch, über Partner, über Geld. Er präsentiert ein ausgewogenes Bild zwischen persönlichen Emotionen und harten Fakten. Blumberg plant, dass das “American Podcasting Network” (Arbeitstitel) in den nächsten Monaten launchen wird. Ich bin sehr gespannt, ob es funktionieren wird.

Das True Detective unter den Podcasts

“This American Life” hat derweil diese Woche sein erstes Spinoff aus der Taufe gehoben, von dem ich mir gut vorstellen könnte, dass es irgendwann in Blumbergs Podcasting-Network landet. “Serial”, produziert von TAL-Alumna Sarah Koenig, schickt sich an, das True Detective unter den Podcasts zu werden. Die erste Staffel erzählt die Geschichte eines Mordfalls und seines verurteilten Mörders, ein seit 15 Jahren hinter Gittern sitzenden Mann, der zur Tatzeit 18 Jahre alt war und an dessen Schuld berechtigte Zweifel bestehen. Über zwölf Folgen hinweg folgt der Hörer Koenigs Nachforschungen, in denen sie versucht, zu ergründen, was 1999 wirklich geschah und dabei selbst immer wieder zwischen Schuld- und Unschuldsvermutung hin- und hergerissen wird. Eine spannungsgeladene Hörerfahrung, die ich uneingeschränkt empfehlen kann. Bisher sind drei Folgen der ersten Staffel online, neue folgen jeden Donnerstag. Ich schätze, dass “Serial” bei Erfolg weitere serielle Radiogeschichten erzählen wird.

Das besondere sowohl an “Startup”, als auch an “Serial” ist, dass beide Sendungen reine Podcast-Projekte sind. Blumberg und Koenig haben ihre Alma Maters “Planet Money” und “This American Life” genutzt, um auf ihre Neustarts aufmerksam zu machen (sonst hätte auch ich nicht davon erfahren), aber zunächst müssen beide Formate ganz ohne Radiowellen und die damit verbundene Hörerschaft auskommen. Blumberg glaubt ja sogar, dass er eine ganze Station aufbauen kann, deren Inhalte nur als Podcast verteilt werden. Das ist bemerkenswert, weil Podcasts bisher fast ausschließlich entweder a) als Zweitverwertung von für’s Radio produzierten Sendungen oder b) als Produktionen von Amateuren existierten. Dass Radio-Profis jetzt versuchen, aus Podcasts einen Markt zu machen, ist damit ein nicht zu unterschätzender Schritt in der digitalen Audiowelt. “Serial” hat entsprechend schon ein knuffiges Tutorial realisiert, dass auch bisher Podcast-unerfahrene Radiohörer an diese wackre neue Welt des Audiogenusses heranführen soll.

Finanzierung

Finanzieren soll sich zumindest Blumbergs Podcasting-Network über Freemium-Abos, Sponsoring und Merchandising-Verkäufe. Aber falls die Formate erfolgreich genug sind, ist es sicher auch denkbar, dass sie irgendwann von Radiosendern zurücklizensiert werden und so noch einmal Geld einspielen. Es bleibt nur zu hoffen, dass ein solches direct-to-digital Modell, jenseits der Formatbeschränkungen von klassischem Radio, auch in Ländern wie Deutschland irgendwann Fuß fassen kann. Ich würde einschalten.

Zum Weiterlesen:
Ein Interview mit Alex Blumberg zu “Startup”
“The (Surprisingly Profitable) Rise Of Podcast Networks”, ausführlicher Hintergrundartikel, der auch auf die Geschichte des Mediums eingeht und einige Zahlen nennt.
CNBC über “Serial” – Ira Glass wird mit den Worten zitiert: “We want to give you the same experience you get from a great HBO or Netflix series, where you get caught up with the characters and the thing unfolds week after week, but with a true story, and no pictures. Like House of Cards but you can enjoy it while you’re driving.”

Bild: Flickr Commons