“Raise the Stakes!” – Der Einsatz in Actionfilmen, 1981-2015

UPDATE: Ich habe auch die Jahre 1981-1990 eingefügt.
INFO: Working on an English version.

“Raise the stakes” is something that every executive must learn on the first day of executive school.
– Paul Wernick, Drehbuchautor von
Deadpool

Deadpool hat jede Menge Geld eingespielt. Und das obwohl er “R-Rated” war, obwohl Ryan Reynolds als Superheld bisher gefloppt war, obwohl er nur ein Budget von 58 Millionen Dollar hatte. Und, das wird auch immer wieder von den Fürsprechern lobend erwähnt, obwohl er nur einen so kleinen Konflikt im Zentrum hatte. Deadpool will den Menschen finden, der ihn entstellt und seine Freundin entführt hat. Dem Schicksal der Welt könnte das nicht egaler sein.

Im Interview mit Jeff Goldsmith sprechen die Autoren von Deadpool davon, dass ihnen wenig in ihr Drehbuch hineingequatscht worden wäre. Nur bei der Sache mit den “Stakes”, dem Einsatz des zentralen Konflikts, hätten sie ihre kleine Geschichte verteidigen müssen, weil es in Hollywood zurzeit so en vogue ist, dass immer mehr auf dem Spiel stehen muss, als nur die persönliche Genugtuung des Helden.

Diese Klage ist nicht neu, auch ich habe sie schon mal angestimmt, Damon Lindelof hat sie bestätigt. Heute muss es in großen, teuren Blockbustern immer gleich um alles gehen. Nicht wie früher, als auch kleinere Konflikte reichen.

Aber stimmt das überhaupt? Ich habe mir Blockbuster* zwischen 1991 und 2015 angesehen und danach bewertet, was dort jeweils der zentrale Einsatz ist. Geht es nur um einen persönlichen Konflikt? Steht das Schicksal einer Stadt auf dem Spiel? Eines Landes? Oder droht die Welt, wie wir sie kennen, unterzugehen?**

Das Ergebnis: Es stimmt. Während in den 90ern noch persönliche Konflikte oder die Bedrohung einer Stadt das Gros der Einsätze ausmachten, hat sich die Balance bis in die 2010er Jahre ins Gegenteil verschoben. Im weitaus größten Teil der Konflikte geht es heute um das Schicksal der ganzen Welt.

Nun sind die 2010er Jahre ja noch nicht vorbei, die Datenlage ist dort also kleiner. Aber auch wenn man die Daten in Fünf-Jahres-Schritten betrachtet, sieht man, dass die Weltbedrohung Stück für Stück an Boden gewinnt und kleinere Konflikte weniger werden.

Der Eindruck täuscht also nicht. Es geht heute tatsächlich größer zu als noch vor 20 Jahren. Wegweisende Filme auf diesem Weg scheinen Independence Day und Armageddon gewesen zu sein und dann die zweiten, dritten und vierten Teile der Franchises, die alle irgendwann in die Falle des Poochie Effekts treten: die Stadt haben wir letztes Mal schon gerettet, dieses Mal steht die Zivilisation auf dem Spiel. An den X-Men kann man diese Entwicklung in den vier Filmen mit der “Stammbesetzung” beispielhaft gut sehen. Mutanten gegen Mutanten, Mutanten gegen den Rest der Welt, Mutanten gegen das Ende der Welt, Mutanten gegen das Raum-Zeit-Kontinuum.

Drei Fragen bleiben: Wie lange kann dieser Trend noch anhalten? Gibt es bereits eine Rückkehr zu kleineren Geschichten à la Deadpool? (The Winter Soldier und Iron Man 3 werfen die Helden beide zunächst auf sich selbst zurück, nur um sie dann doch gegen große Bedrohnungen kämpfen zu lassen) Und wie war das ganze eigentlich vor 1991?

Letzteres wäre vor allem deswegen interessant, weil darin auch der Ursprung der Datensammlung lag. Fühlen wir uns heute wieder mehr wie in den 80ern? Ist das gesellschaftliche Narrativ einer bevorstehenden Apokalypse (vielleicht sogar der heimliche Wunsch danach) wieder gegenwärtiger geworden? Oder glauben wir längst, dass wir langsam zu Grunde gehen werden? Um das zu sagen, muss ich erst noch mehr Daten sammeln. Die Daten zeigen: In den 1980ern waren “kleinere” Geschichten auch deutlich prominenter als heute. Die Vermutung liegt also nah, dass die Steigerung weniger mit Zeitgeist und mehr mit den Möglichkeiten von Visual Effects zu tun hat.

Danke an Kathrin für die Idee


* Datengrundlage sind Filme, die in der IMDB im Genre “Action” eingeordnet sind, dort jeweils die zehn mit den höchsten US-Einspielergebnissen in jedem Jahr. (Beispiel) Eine bessere Metrik war schwer zu finden, da bei Sortierung nach Beliebtheit auch Serienfolgen angezeigt werden und das weltweite Box-Office nicht zur Verfügung stand. Einen gewissen Action-Anteil müssen die Filme meiner Ansicht nach haben, um eine solche Aufstellung überhaupt machen zu können.

** Natürlich steht nicht immer exakt eine Stadt oder ein Land auf dem Spiel. Auch das Leben von größeren Menschengruppen habe ich als “Stadt” erfasst und die Existenz von auf Landesebene operierenden Organisationen als “Land”. Es ging vor allem darum, ein ungefähres Gefühl für die Dimensionen der Bedrohung zu klassifizieren. Hier ist das Spreadsheet, meckern bitte in den Kommentaren.

Die Welt ist nicht genug – Man of Steel und Hollywoods episches Problem

© Warner Bros. Pictures

Richard Lesters Film Superman II von 1980 hat in Sachen Plot eine ganze Menge mit Man of Steel gemeinsam. Der kryptonische General Zod, der die Zerstörung Kryptons übelebt hat, weil er in einem außerplanetarischen Gefängnis saß, gelangt mit seinen Spießgesellen zur Erde, die er – in gewohnt zodscher Überheblichkeit – übernehmen will. Clark “Superman” Kent kann das natürlich nicht zulassen. Im Finale des Films (Spoiler) lockt er Lex Luthor, Zod und Co in seine Festung der Einsamkeit am Nordpol und besiegt sie, indem er ihre Arroganz geschickt gegen sie einsetzt.

Auch Man of Steel (Noch mehr Spoler) endet mit einer Konfrontation zwischen Kal-El und Zod. Die beiden smashen und crashen sich durch Metropolis, um schließlich in einem Bahnhof zu landen, wo Superman Zod mit einem Ruck das Genick bricht, um zu verhindern, dass dieser einer unschuldigen Familie schadet. Ein persönlicher Kampf, könnte man meinen. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, braucht Man of Steel zuvor eine andere Szene, in der Zod und seine Kryptonier begonnen haben, die Erde mit ihrem Raumschiff zu terraformen. Metropolis wird von Erdstößen erschüttert. Superman muss das Gegenstück des Raumschiffs am anderen Ende der Welt zerstören. Lois Lane versucht in einem Bomber ein schwarzes Loch zu erzeugen. Zod verfolgt sie in einem 20.000 Jahre alten kryptonischen Raumschiff, das eine Brutkammer enthält, mit deren Hilfe – gemeinsam mit dem in Supermans Zellen enthaltenen Informationen – Krypton auf der Erde wieder auferstehen kann.

Hektische Dringlichkeit

Es ist bereits einiges geschrieben worden über Man of Steels Zerstörungsorgie in der letzten halben Stunde. Über das PG-13-Problem und die nicht enden wollende Referenzierung von 9/11. Thomas Groh bringt den Stein des Anstoßes (oder des Jubels) für viele Kritiker in seinem Text (in dem sich noch mehr gute Links finden) auf den Punkt, wenn er schreibt

[J]ene Inseln, in denen Superman eins mit sich (oder allein bei sich) ist und die man aus früheren Superman-Adaptionen kennt, weichen einem allumfassenden Modus hektischer Dringlichkeit, der sich auch an der unstet verwackelten Kameraführung ablesen lässt.

Doch es ist gar nicht unbedingt nur die Zerstörungswut und der “Let’s get Loud”-Gestus, an dem Man of Steel meiner Ansicht nach krankt. Das viel größere Problem ist, dass er einfach insgesamt zu gigantisch ist. Auch in Superman II gibt es eine Schlacht um Metropolis, und wären Computer 1980 zu den gleichen Leistungen in der Lage gewesen, wie heute, hätte diese sicherlich auch anders ausgesehen. Der Clou ist aber vielmehr, dass Superman II am Ende eigentlich eine kleine, persönliche Geschichte erzählt, obwohl Zod die Welt bedroht. Man of Steel versucht das gleiche, er will im Kern die Coming-of-Age-Geschichte von Superman erzählen, doch dabei schleppt er zahllose Expositionssequenzen und endlose Massen an Mythologie mit sich herum, die ihn wie ein tonnenschweres Gewicht hinunterziehen. Dort wollen ihn Zack Snyder und Christopher Nolan natürlich auch haben. Schließlich sind beide dafür bekannt, Gewicht mit Gravitas zu verwechseln.

Das Einkaufszentrum reicht nicht mehr

Die Geschichte von Man of Steel ist sehr einfach. Doch Snyder, Nolan und Drehbuchautor David Goyer brauchen einen langen, feurigen Prolog auf Krypton, eine beliebig wirkende Reihe von expositorischen Flashbacks, ein Hologramm von Russell Crowe, eine Entführung auf das kryptonische Raumschiff, jede Menge kryptisch (pun intended) erklärendes Kauderwelsch (“Wir konnten den Phantomgenerator in einen Hyperantrieb umbauen.”) und den oben beschriebenen Dreifach-Showdown, um sie zu erzählen. Und man beginnt trotzdem immer nur dann, tatsächlich etwas zu fühlen, wenn sich Zod und Kal-El wieder persönlich gegenüberstehen.

Ende vergangenen Jahres habe ich das neo-barocke Hollywoodkino am Beispiel des Hobbit noch gelobt. Doch dieser Blockbuster-Sommer ist drauf und dran, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Hollywood ist einfach zu episch geworden. Filme – selbst effektlastige Blockbuster – waren mal gut darin, große Geschichten in kleinen Kosmen zu erzählen. Derzeit passiert genau das Gegenteil: Nicht nur Superman muss verhindern, dass die ganze Welt zerstört wird. Wo Zombiefilmen früher ein Einkaufszentrum reichte, um ihre Parabel zu errichten, muss es heute schon ein ganzer World War Z sein. Und Guillermo del Toros Pacific Rim folgt der Logik: Wir werden von gigantischen Monstern angegriffen? Dann müssen wir wohl selbst gigantische Monster bauen.

Der perfekte Sturm

Die gleiche schwanzbeißende Logik scheint Hollywoods Studiobossen durch die Hirne zu kreisen. Wenn Filme schon 200 Millionen Dollar pro Stück kosten müssen, dann müssen die Geschichten und Setpieces, auch größer sein, als alles bisher dagewesene. Mindestens Global. Besser noch Galaktisch. Sicher, Schauwerte sind einer der größten Spaßspender im Sommerkino. Und Worldbuilding kann in unserer transmedialen Welt eine Menge Spaß machen. (Einschub: Ich mochte den Einfall eigentlich, aus Man of Steel einen Science-Fiction-Film zu machen, statt immer nur die bekannten Superheldenkühe zu melken.) Aber hinter allem muss etwas stehen, zu dem man als Zuschauer einen Bezug aufbauen kann. Sonst bleibt selbst der perfekte Sturm in seinem Wasserglas gefangen.

Edgar Wrights Film Scott Pilgrim vs the World wurde damals mit der wunderschönen Tagline “An Epic of epic Epicness” beworben. In dem Film geht es darum, dass ein junger Mann sich damit abfinden muss, dass seine Freundin eine sexuelle Vergangenheit hat. Aber auch eine so banal wirkende Prämisse kann eben manchmal zum epischen Kampf werden. Dafür muss nicht immer gleich die ganze Welt vor der Zerstörung stehen.