The Wolf of Wall Street war nicht jedermanns Sache. Meine zum Beispiel nicht. Doch da ich die Gelegenheit hatte, nach dem Kino noch mit zwei Kollegen kurz über den Film zu sprechen, wusste ich direkt, dass ich mit dieser Meinung nicht überall auf Zustimmung stoßen würde. Lukas Foerster und Ekkehard Knörer ging es anscheinend ähnlich. Die beiden fingen auf Facebook an, ihre konträren Meinungen zum Film auszutauschen und entschieden sich schließlich, ihre Diskussion in Gänze bei “Cargo” zu veröffentlichen. Das Ergebnis ist faszinierend zu lesen: Zwei Menschen wechseln höchstkluge Argumente – und am Ende darf man sich selbst irgendwo dazwischen positionieren.
Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob das so selbstverständlich ist. Kritik, so scheint es mir doch meistens, ist traditionell nach wie vor etwas, was alleine geschmiedet wird. Der Kritiker, die Kritikerin erfassen das Objekt, das sie konsumieren wollen, sie ordnen es ein, bilden sich eine Meinung und gießen diese Meinung dann in Worte. Diese Worte werden dann auf die Welt losgelassen, man darf dann auch auf sie reagieren – aber es ist nicht selbstverständlich, dass ein Kritiker oder eine Kritikerin sich die Blöße gibt, noch nicht in Stein gemeißelte Ideen in den Ring zu werfen, um sie mit anderen zu diskutieren.
Ein Mehrwert für alle
Kritikerinnen und Kritiker, die den Mut haben, ihre Ideen anderen im Gespräch gegenüberzustellen und damit im Zweifelsfall Gefahr laufen, von den Ideen ihres Gegenübers erdrückt zu werden, schaffen für alle Beteiligten einen Mehrwert. Sie selbst werden gefordert, ihre Eindrücke gegenüber Fachgenossen zu verteidigen. Und die Lesenden bekommen auf einen Schlag gleich ein Spektrum von Meinungen, in dem sie sich orientieren können.
Ich will dem Internet nicht die Ehre zuschieben, in diesem Bereich irgendetwas erfunden zu haben. Die Fernsehsendung “At the Movies” — für US-Amerikaner, die in den 80ern und 90ern groß wurden quasi die filmische Früherziehung — hat in dem Format Geschichte geschrieben. Auch Podiumsdiskussionen und andere Dialogveranstaltungen haben Tradition. Und Dialoge als Textform gehören mit ihren antiken Vorbildern schließlich an den Anfang aller westlichen Gedanken.
Ich glaube aber doch, dass die vernetzte Welt ihren Teil dazu beigetragen hat, der dialogischen Kritik neuen Antrieb zu geben. Denn schließlich ist das Internet, das “Web 2.0” allemal, im Grunde eine einzige “Conversation”, wie schon das Cluetrain-Manifest behauptete. Es lebt davon, dass man aufeinander reagiert, ins Gespräch kommt, Impulse abgibt und anderswo aufnimmt. Das kann nebenbei geschehen – in Kommentarthreads unter Blogs oder auf Facebook, in Twitter-Hin-und-Hers – oder ganz geplant, wie im Ur-Webformat Podcast, aber es zeigt auf jeden Fall Wege auf, auf die sich gerade die Filmkritik meiner Ansicht nach ruhig viel öfter verirren könnte.
Kleine Topologie des Filmgesprächs
Wie kann ein Filmgespräch praktisch aussehen? Für den Anfang ist der oben genannte Foerster/Knörer-Weg vielleicht der einfachste. Treibt einen ein Film oder ein Thema um, suche man sich einen Kollegen oder eine Kollegin, der man vertraut und auf deren Meinung man etwas gibt und tauscht Argumente aus. Ich habe das hier im Blog auch schon versucht – allerdings waren die Meinungen in diesen Gesprächen weniger konträr. Es gibt auch ein deutschsprachiges Blog, dass sich nur dieser Form verschrieben hat.
Hat man mit einem Gleichgesinnten erstmal eine gewisse Sicherheit im Gespräch erlangt, kann ein Gast das ganze sehr gut aufmischen. So funktionieren nicht wenige Podcasts, nicht zuletzt die Folge von “Kontroversum”, die mich auf den “Cargo”-Artikel gebracht hatte. Auch der “/filmcast” oder “The Golden Briefcase” arbeiten gerne mit dem “Zwei plus Eins” Prinzip.
Die nächste Stufe ist dann eine größere Runde, in der das Thema reihum gereicht wird. Hier ist schon etwas mehr Konzentration vonnöten, weil am Schluss des eigenen Beitrags möglichst immer noch ein Anknüpfungspunkt für den nächsten Redner gegeben werden sollte, um es der Leserin leichter zu machen. Das regelmäßige Feature The Conversation von “The Dissolve” funktioniert so und auch mein filmjournalistisches Highlight eines jeden Jahres, der “Slate” Movie Club, in dem vier Journalisten jeweils vier Beiträge schreiben und in diesem Reigen versuchen, die kritische Beurteilung des vergangenen Jahres Revue passieren zu lassen.
Und schließlich ist da die freie Gesprächsrunde mit mehr als drei Teilnehmenden. Wiederum das Feld vieler Podcasts, aber nicht unbedingt derer, die ich persönlich am liebsten höre. Hier ist gute Moderation vonnöten und die Gefahr, dass einzelne Meinungen untergehen, wächst mit jedem zusätzlichen Teilnehmer, ebenso wie bei Podiumsdiskussionen. Im besten Fall entsteht natürlich völlig unabhängig von der Anzahl der Mitredenden brillanter Denkstoff.
Beispiele für weitere Gesprächsformate gerne in die Kommentare!
Bild: Flickr Commons/Arsene Paulin Pujo (1861-1939), Representative from Louisiana (1903-1913)