Das Interessanteste an … Paterson (2016)

© Weltkino Filmverleih

Paterson war genau das, was ich am Ende eines stressigen Tages inmitten einer stressigen Woche brauchte. Ein Film, der mich runterbringt. Mit ruhigen Bildern und einem gleichmütigen Hauptcharakter. Kein Film, der mich auf ewig beschäftigen wird. Kein Film, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er dringend gedreht werden musste. Aber ein Film, der guttat.

Falls Paterson eine Aussage hat, dann wahrscheinlich am ehesten, dass “Poet sein” nicht an einen Beruf gebunden ist. Zumindest habe ich das “Aha!” von Patersons zufälliger Bekanntschaft am Ende des Films so verstanden. Beschäftigt hat mich am Film aber etwas anderes: die Art und Weise, wie Jim Jarmusch Routine und Kreativität miteinander verknüpft.

Über die Woche, die Jarmusch Paterson begleitet, sehen wir, wie ähnlich seine Tage ablaufen (auch im Kontrast zu seiner Frau, die jeden Tag einen neuen Reiz entdeckt). Er wacht von selbst zu einer bestimmten Zeit auf, er frühstückt, er geht zur Arbeit, er schreibt ein paar Zeilen, er fährt seinen Bus, er schreibt ein wenig weiter, er geht nach Hause, er richtet den Briefkasten gerade, er geht mit seinem Hund in die Bar und trinkt ein Bier.

Nach oberflächlicher Weisheit sollte das eigentlich bedeuten, dass Paterson ein langweiliges Leben führt, so monoton und routiniert. Aber Jarmusch zeigt auch, dass genau diese Routine dazu führt, dass Paterson Zeit hat, sich inspirieren zu lassen. Er muss nicht ständig neue Entscheidungen treffen, sondern hat Muße, um seine Umgebung wahrzunehmen, den Gesprächen seiner Passagiere zu lauschen. Er schreibt regelmäßig und konsistent, im Einklang mit dem regelmäßigen Rauschen des Wasserfalls an seinem Lieblingsort.

Mich hat das gefreut. Zu oft lese ich in den im Internet kursierenden Kalendersprüchen, wieviel bessere Menschen wir werden, wenn wir aus unserem Alltag ausbrechen. Wir sollen ständig neue Dinge probieren, neue Impulse aufnehmen und uns nicht von unseren schlechten Angewohnheiten runterziehen lassen. Dabei gibt es gerade unter Autoren genug Beispiele für diejenigen, die mit Routinen großes leisten konnten, Haruki Murakami und Thomas Mann konnte ich ergoogeln, aber ich meine, das auch mal über Kurt Vonnegut gelesen zu haben.

Als jemand, der Routinen auch sehr mag, der auch oft vor dem Wecker aufwacht und Dinge in einer festen Reihenfolge erledigt, fühlte ich mich durch Paterson wertgeschätzt. Genau wie “Poet sein” nicht am Beruf liegt, hängt Poesie eben auch nicht an einem aufregenden Leben.

“Our Debut Album” erlaubt einen einmaligen Einblick in kreative Prozesse

Wir sind davon besessen, wie Kreativität funktioniert. Wer sich einmal in eine bestimmte Filterblase im Netz verirrt, zum Beispiel auf “Medium”, kann sich plötzlich gar nicht mehr retten vor Selbsthilfe-Tipps für Autoren – gegen Schreibblockaden, für Ideenfindung, zur Effizienzsteigerung und Prozessverbesserung. Erfolgreiche Kreative und findige Wissenschaftler_innen teilen in TED-Talks und anschließenden Büchern inzwischen regelmäßig ihre Kreativitäts-Geheimnisse und -Beobachtungen. In Fernsehsendungen wird Kreativität als Problemlösung endlos zur Schau gestellt.

Aber selten bekommen wir die Gelegenheit, Ideen tatsächlich beim Entstehen zu beobachten. Denn Kreativität ist nach wie vor ein enorm privater Prozess. Er findet im Kopf statt oder alleine im stillen Kämmerlein (einer der Tipps für Ideenfindung) und wenn er, wie im Reality-TV der Superstars und Umdekorierungen, öffentlich inszeniert ist, wird die wirkliche Arbeit in der Regel nicht gezeigt, weil sie zu langweilig scheint. Podcasts wie der fantastische Song Exploder, “where musicians take apart their songs, and piece by piece, tell the story of how they were made” kommen einer echten Kreativ-Analyse einzelner Werke ohne Selbsthilfe-Charakter sehr nah (Rivers Cuomo hat einen der faszinierendsten Arbeitsprozesse aller Zeiten). Aber auch sie können Kreativität nur im Nachhinein erzählen. Live dabei sind sie nicht.

Eine Stunde Zeit

Auftritt Our Debut Album. Der Podcast von Dave Shumka und Graham Clark hat ein simples Konzept: Viele große Hits der Musikgeschichte wurden angeblich in unter einer Stunde geschrieben. Also braucht man auch nur eine Stunde, um gute Hits zu schreiben. Also kann man sich dabei auch aufnehmen. Shumka und Clark, beide eigentlich Comedians und weit davon entfernt, geübte Musiker zu sein, geben sich ein paar Minuten zum Brainstormen, dann starten sie den Countdown und schreiben einen Song.

Die Ergebnisse, die auf Bandcamp gestreamt und gekauft werden können, haben meiner Ansicht nach bisher nicht das Kaliber echter Hits. Einigen von ihnen merkt man ihren nicht sehr durchdachten Entstehungsprozess auch deutlich an. Aber darum geht es nicht. Viel interessanter ist, dass man Shumka und Clark dabei zuhören kann, wie sie unter (mäßigem) Zeitdruck Ideen entwickeln und ausarbeiten. Dass sie hauptberuflich Comedians sind, hilft, weil sie ihren eigenen Prozess ständig verbalisieren, kommentieren und auseinandernehmen – was schließlich auch das Geheimnis vieler guter Witze ist.

Meine persönliche Kreativitäts-Theorie

Ich habe eine persönliche Lieblingstheorie zum Thema Kreativität, die darin besteht, dass es im Grunde zwei kreative Persönlichkeitstypen gibt (und, natürlich, wie immer, ein Spektrum dazwischen). Bei den einen ist Kreativität von einer Vision getrieben. In ihrem Kopf entsteht sehr schnell ein voll ausgeformtes Endprodukt und der kreative Prozess besteht darin, sich diesem Endprodukt anzunähern. Eine der schönsten Visualisierungen dieses Typs habe ich im Film Begin Again entdeckt. Mark Ruffalo hört Keira Knightley in einer Bar zur Gitarre singen und für ihn stimmen sofort die herumstehenden Instrumente mit ein, zeigen das Arrangement, dass er sich vorstellt. Ich selbst bin auch so ein Typ – ich kann erst anfangen zu schreiben, wenn der Text in meinem Kopf erst existiert. Der Vorteil ist, dass der eigentliche Schreibprozess oft sehr schnell geht. Aber wenn auf dem Weg zur Vision etwas Unvorhergesehenes passiert oder die Vision sich nicht einstellen will, gerät der ganze Prozess schnell in eine existenzielle Krise.

Am anderen Ende des Spektrums steht Kreativität, die von einem Prozess getrieben ist. Zumindest habe ich das beobachtet. Ich kenne viele kreative Menschen, die eben nicht sofort wissen, wo sie hinwollen, sondern einfach so lange arbeiten, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden (genug) sind. Das bedeutet oft, erstmal übers Ziel hinauszuschießen und dann den Kurs zu korrigieren sowie sich bestimmte Ideen gar nicht vorstellen zu können, bevor der vorhergehende Schritt nicht abgeschlossen ist. Prozessorientierte Kreative sind, glaube ich, bessere Zusammenarbeiter und sie sind offener für spontane Entwicklungen im Laufe des Prozesses. Dafür brauchen sie meist länger, neigen stärker zur Prokrastination und man muss ihnen ihr Werk manchmal mit den Worten “Das ist jetzt gut so” aus den Händen reißen.

Die Theorie in Aktion

Bei der Live-Kreativität von Our Debut Album kann man als Hörer Zeuge von beidem werden. Shumka und Clark sind beide eher prozessorientierte Kreative, wie oben beschrieben. Sie fangen mit einer Ursprungs-Idee an und hangeln sich davon ausgehend so lange durch das Songwriting bis die Zeit um ist. Natürlich greifen sie auf typische Muster des Liedschreibens zurück, um ein Gerüst zur Orientierung zu haben, aber nicht selten kommen die entscheidenden Heureka-Momente erst nach der Hälfte der Zeit.

Ein paar Mal hatten die beiden allerdings auch Gäste mit in der Sendung, und fast jedes Mal konnte man beobachten, wie zwei verschiedene Kreativitätswelten aufeinander trafen. Emmett Hall, der in Episode 2, “Glam Boyz” mit im Studio sitzt, ist schon nach gut 15 Minuten von den ersten Ideen so angefixt, dass er den Rest des Songs bereits spielen könnte und von den anderen gestoppt werden muss (Ungefähr bei 18 Minuten im Podcast). Und mit Jessica Delisle wurschteln Shumka und Clark in Episode 6, “Party Lyin'” eine Stunde lang herum und sind am Ende überzeugt, zum ersten Mal gescheitert zu sein. Aber Delisle versichert ihnen: “In my mind, I’m hearing a song” – und produziert kurze Zeit drauf eine Demo aus den Versatzstücken (Bei ca. 33 Minuten). “I’m very much ‘what’s on the page'”, gibt Graham Clark als Antwort darauf zu und beschreibt damit das andere Ende des Spektrums. Es ist faszinierend!

Wieviel bleibt übrig?

Im letzten Schritt des Podcasts beschreiben die Gastgeber zusätzlich, wie aus ihrem in der Sendung entstandenen Gerüst mit Hilfe des Produzenten Jay Arner ein fertiger Song wird. Und obwohl dieser Schritt immer sehr verkürzt dargestellt wird, lässt sich auch darin noch viel über die Mutabilität von Ideen lernen. Weil die Zuhörer_innen zuvor alle Sackgassen miterleben durften, die das Songwriting auf seinem Weg passiert hat, bringen sie jetzt ein viel besseres Gefühl dafür mit, welche Anfangs-Ideen es bis zum Ende schaffen und wieviel Saat des finalen Songs in diesen Anfangs-Ideen überhaupt vorhanden ist.

Wer sich für Kreativität, Musik und Komik interessiert, dem lege ich Our Debut Album hiermit wärmstens ans Herz. Neue Episoden erscheinen immer am ersten Mittwoch jedes Monats. Neun Songs sind schon fertig, zwölf sollen es mal werden.

Und wer Ideen, Erfahrungen und Meinungen zu meinen Gedanken über kreative Prozesse hat, darf sie gerne in die Kommentare schreiben.