Filmkritik: Die Känguru-Chroniken

Ende der 90er habe ich in der Phantastik-Zeitschrift Nautilus einen Artikel über die Harry-Potter-Bücher gelesen, in dem es sinngemäß hieß:

“Wir wissen, dass unsere Leserinnen und Leser tendenziell skeptisch werden, wann immer Dinge bereits zu populär sind und dann eher davon Abstand nehmen – in diesem Fall möchten wir euch aber sagen: Tut es nicht. Die Bücher sind wirklich gut.”

Das ist mir im Gedächtnis geblieben, und mit den Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling war es bei mir so ähnlich. Eine Freundin meinte zu mir: Ja, ich weiß, da gibt es einen merkwürdigen Hype, aber er ist gerechtfertigt.

Und ich finde, sie hatte absolut recht. Die drei Bücher über das kommunistische Känguru, das das Leben von Kleinkünstler Marc-Uwe durcheinanderbringt, sind wirklich gut. Sie sind albern und komisch und enthalten gleichzeitig viel bissige Gesellschafts- und Popkulturanalyse – nichts Bahnbrechendes, nichts, was einen ernsthaft zum Nachdenken bringt, aber genug, dass man sich damit auch selbst manchmal ganz gut den Spiegel vorhalten kann.

Und das schräge ist: Ich habe nie aufgehört, dem Hype um Marc-Uwe Kling zu misstrauen. “Irgendwann muss er ja nachlassen”, dachte ich mir. “Das kann ja nicht ewig so weitergehen”. Aber egal, was aus seiner Richtung bisher kam, ich wurde nie enttäuscht. Das Känguru-Kartenspiel “Halt mal kurz” macht tatsächlich Spaß, obwohl es scheinbar nur die Catchphrases des Buches melkt. Die futuristische Gesellschaftssatire Qualityland ist originell genug, um gut zu sein, und kommt weitestgehend ohne Känguru aus.

Der Grund, warum Kling immer wieder reüssiert, habe ich mir zurechtgelegt, ist, dass er nie aufhört, sein eigenes Wirken zu reflektieren. Die Känguru-Offenbarung, zum Beispiel, Band 3 der Känguru-Bücher, macht sich gleichzeitig ständig über den nervigen Bombast von Trilogien-Finals lustig, und erfüllt diesen zugleich mit einer Geschichte, die epischer ist als alles Vorhergehende – ein bisschen wie der dritte Akt von Adaptation. Qualityland hat eine selbstreflexive Albernheit parat, wann immer es Gefahr läuft, sich selbst zu ernst zu nehmen. Und Die Känguru-Apokryphen, die jüngst erschienene Sammlung von übriggebliebenen Känguru-Geschichten, lässt in einem langen, neuen Dialog die Figuren der von Kling erschaffenen Welt ihre eigene Wahrnehmung reflektieren inklusive des “Zeit”-Zitats, Kling sei der “einflussreichste linke Intellektuelle des Landes”.

Der Film Die Känguru-Chroniken, für den Marc-Uwe Kling das Drehbuch geschrieben hat, funktioniert noch bis zum Trailer, sogar bis in die ersten Minuten des Films hinein, genau so. It has his cake and eats it. Der Trailer ist ein klassischer Trailer, aber kommentiert gleichzeitig, wie ein Trailer funktioniert. Der Film beginnt mit einem Audiokommentar der Hauptfiguren, die das Geschehen gleichzeitig kommentieren und lenken, was schräg und amüsant ist.

Dann aber bricht das alles weg, und man merkt sofort, was übrig bleibt: Sehr wenig. Alle Figuren sind da, sie sind gut gecastet, die Sets sind nett ausgestattet, das CGI-Känguru der Firma Trixter, die auch als Koproduzent auftritt, ist einigermaßen glaubwürdig. Aber sie alle stehen irgendwie verloren in der Gegend herum, weil sie plötzlich die Bedürfnisse eines Plots erfüllen müssen, ohne dass jemand gleichzeitig auf der Meta-Ebene darüber diskutiert, wie klischeehaft und bescheuert das gerade alles ist.

Im Film mischen sich bekannte Episoden aus dem ersten Känguru-Buch mit einem neuen Hauptplot um den aus den Büchern bekannten Rechtsaußen-Politiker Jörg Dwigs, gespielt von Henry Hübchen, der im Görlitzer Park einen Büroturm bauen will. Das wird alles von Dani Levy mit viel Klamauk und maximalistischen Schauspiel inszeniert, aber es langweilt einen fast sofort, weil der Film sich nicht entscheiden kann, bis wohin er sich ernstnehmen will.

Will er wirklich irgendwas Sinnvolles über die mögliche Macht der rechtspopulisten in Europa aussagen oder will er vielleicht mal drauf hinweisen, dass es in einem Känguru-Kinofilm augenscheinlich einen albernen Benjamin-Blümchen-Plot braucht, damit die Figuren nicht nur – wie in den witzigsten Känguru-Kapiteln – um einen Tisch herumsitzen, Blödsinn labern und über das Leben philosophieren? Und natürlich auch einen romantischen Subplot, der schon in den Büchern zu den Schwächsten Komponenten gehörte und daher später auch fallengelassen wurde (obwohl Rosalie Thomass als Maria sehr viel Charisma hat).

Diese völlig offensichtliche Disparität zwischen Handlung und Wahrnehmung lässt sich über 92 Minuten sehr schwer durchhalten. Das Resultat wirkt trotz ständiger Ortswechsel und Wendungen unfassbar bleiern und bemüht und – das ist das tödliche – fast nie über den reinen Klamauk hinaus komisch. Das Känguru selbst hat das Diktum aufgestellt, dass die einzigen Kategorien, die in der Postmoderne noch Relevanz haben, “Witzig” und “Nicht witzig” sind. Und Dani Levys Känguru-Chroniken sind leider mit der Wucht eines Dampfhammers NICHT WITZIG.

Kurz vor Ende des Films kommt der Audiokommentar ohne ersichtlichen Grund plötzlich kurz zurück und verschwindet dann wieder. Hätte sich der Film diese Art von Meta-Diskussion über große Teile seiner Länge getraut, ich glaube er hätte viel besser werden können. Kling wird in den Credits als einziger Drehbuchautor geführt. Ich könnte mir trotzdem vorstellen, dass er vielleicht ursprünglich mal, wie in seinen Büchern auch, mehr drin hatte – das Stilmittel sähe ihm sehr ähnlich – und in der Drehbuchentwicklung mit Levy, X-Filme, dem ZDF und Trixter von einer vermeintlich konventionelleren Struktur überzeugt wurde. Aber ich will ihm auch keinen zu großen Heiligenschein aufsetzen. Vielleicht hat er den Film auch einfach mit allen anderen gemeinsam verbockt. Ich hoffe sehr, dass es keine Fortsetzung gibt.

Qualityland

Marc-Uwe Kling beherrscht etwas, was ich das “Humor-Sandwich” nenne. Wie bei allen Satirikern steckt unter Szenen, die oberflächlich witzig sind, eine Scheibe Ernst, doch er untergräbt meist auch den Ernst noch einmal mit einer weiteren Scheibe Humor, was ich für wichtig halte.

Spätestens seit dem dritten Känguru-Band hat er außerdem bewiesen, wie gekonnt er mit Genre- und Erzählstrukturen umgehen kann. Daher versucht Qualityland natürlich ein dystopischer Roman zu sein, der sich an alle Regeln von 1984 und Co hält (Heldenreise eines Einzelnen, der gegen das System rebelliert; Liebe als Motor; Lektionen von einem Mentor außerhalb des Systems; Begegnung mit dem Mächtigen; System erweist sich als robust), und sie gleichzeitig unterwandert (zum Beispiel, indem große expositionelle Info-Dumps von den Charakteren selbst als langweilig kommentiert werden, bezeichnend finde ich aber vor allem auch die Sympathie, die Kling den Maschinen entgegenbringt).

Die Ideen, die dabei entstehen, sind alle nicht neu (Maschinen, die menschlicher sind als Menschen, ist seit Frankenstein ja quasi der Urknall der SF), und die Systemkritik ist für eine informierte Internetleserin alles andere als überraschend, aber es gehört schon eine Menge Können dazu, das Ganze so nahtlos und unterhaltsam zu bündeln. Und eben, sich nicht von der Ernsthaftigkeit mancher Gedanken erdrücken zu lassen, sondern noch eine hoffnungsvolle Scheibe Humor drunterzuschieben, wie es vielleicht auch der Shruggie tun würde.

Unentschieden bin ich, ob ich es gut finde, dass Kling nicht auf Querverweise in sein Känguruverse verzichten kann. Aber ich habe meistens gelacht und nicht gestöhnt, was ich mal als gutes Zeichen werte.

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