Dabei sein und Dazugehören – Ein Fazit zur re:publica 2014

Was mir tierisch auf den Sack geht: Der Ausdruck “Netzgemeinde”
– Joachim Kurz, @Mietgeist, via Twitter

Ich gebe es bereitwillig zu: Einer der Gründe, warum ich auf die re:publica gefahren bin, war, dass ich gerne “offiziell” dazugehören wollte, zur Netzgemeinde. Ich wollte Leute treffen, die ich selten sehe oder noch nie persönlich gtroffen habe. Ich wollte Vorträge zu Themen hören, die mich interessieren. Und ich wollte das Gefühl haben, dabei gewesen zu sein, beim jährlichen Klassentreffen meiner Netzgemeinde.

Die Netzgemeinde, das sind in meinen Augen Menschen, in deren Leben das Internet eine wichtige Rolle spielt. Für die es mehr ist als nur reines Werkzeug, nämlich Lebensraum und Philosophie. So entsteht ein Zirkelschluss. Menschen, die freiwillig zur re:publica fahren, sind Netzgemeinde. Und wer zur Netzgemeinde gehört, fährt zur re:publica. Natürlich nicht verpflichtend. Aber es bietet sich an.

Gemeinde taugt

Gemeinde. Wer wie ich beruflich auch was mit Kirche macht, für den hat dieses Wort natürlich eine bestimmte Bedeutung. Aber ich habe es immer so wahrgenommen, dass selbst Menschen, die viele andere Dinge an Kirche ablehnen, Gemeinde gut finden. Nicht umsonst werden Gemeinden inzwischen sogar von säkulären Humanisten gepflegt.

Aber anscheinend hatte ich mir für meinen re:publica-Besuch gerade das Jahr ausgesucht, in dem es plötzlich gar nicht mehr so gut war, zur Netzgemeinde zu gehören. Zumindest nicht, wenn man nicht von Sascha Lobo beschimpft werden wollte, weil man nicht genug in die eigenen Lobbygruppen investiert. Weil man zusieht, wie unser Recht auf Freiheit vom eigenen Staat mit Füßen getreten wird. (Und irgendwas mit Vogelschutz, was ich dem Vogel gegenüber irgendwie unfair fand.)

Getting real

Auch anderswo wurde die Netzgemeinde abgestraft. “Get real”, meinte Yasmina Banaszczuk alias Frau Dingens und kritisierte in ihrem Vortrag: Als Netzgemeinde wahrgenommen würden nur weiße, bildungsbürgerliche, privilegierte Männer zwischen dreißig und vierzig, mit einer ganz bestimmten Agenda. Dabei gebe es sowohl eine digitale Spaltung in Richtung ältere Generation, als auch in andere Bildungsmilieus. Außerdem macht die jüngere Generation längst alles ganz anders; und Fashionblogger und Let’sPlayer verdienen im Netz gutes Geld, obwohl die Netzgemeinde sie ignoriere. Wir Netzgemeinder müssten uns ändern, meinte Yasmina. Weniger Ego, mehr Inklusion. Shame on us. Shame on you, Netzgemeinde!

Aber steckt darin nicht irgendwie ein Widerspruch? Kann man auf der einen Seite beklagen, dass sich bestimmte Menschen anmaßen, für eine wie auch immer geartete Netzgemeinde zu sprechen – und dann selbst für diese sprechen? Und sei es nur, um sie zu kritisieren und zu mehr Inklusion aufzufordern? Darf man an die Stelle eines falschen “Wir” einfach ein anderes axiomatisches “Wir” setzen, das aber auch nur ein verkapptes “Ich und meine Filterbubble” ist?

Not all Men

Als ich nach dem Vortrag anmerke, dass ich mich zwar als Teil der Netzgemeinde sehe, aber in meinem Umfeld durchaus nicht über Fashionblogger und schon gar nicht über Gamer gelacht wird, und dass parallel zu Yasminas Vortrag übrigens ein Panel mit Lifestylebloggern auf der re:publica abläuft, schreibt “kleinerdrei”-Bloggerin Lucie Höhler auf Twitter, ich würde ein “Not all Netzgemeinde”-Argument anbringen, analog zum “Not all Men”-Argument in feministischen Debatten.

“Not all Men” ist längst zu einem Meme geworden. Es geht dabei um den Einwand, es seien ja “nicht alle Männer so”, wenn strukturelle patriarchale Diskriminierungen in der Gesellschaft kritisiert werden – von glass ceiling bis rape culture. Meistens will sich der Widersprechende damit vor allem selbst aus der Schuld nehmen, bringt die Debatte aber damit nicht weiter – denn es geht ja sowieso nicht um die Männer, die nicht so sind.

Der Unterschied ist aber, dass ich mir nicht aussuchen kann, ein Mann zu sein. Mein “Mann sein” ist eine biologische und soziale Gegebenheit und es liegt an mir, daraus das Beste zu machen und die Fehler meiner Geschlechtsgenossen nicht fortzuführen. Teil der “Netzgemeinde” zu sein, ist aber etwas, was ich frei wählen kann. Ich sehe mich als Teil der Netzgemeinde, weil ich mit ihr bestimmte Lebenseinstellungen und strukturelle Ziele teile – siehe oben – und denoch spricht für diese Gemeinde weder Sascha Lobo (er hat das übrigens selbst letztes Jahr thematisiert) noch Yasmina Banaszczuk. Auf der re:publica waren dieses Jahr knapp 7000 Menschen. Sie alle sind Netzgemeinde. Und ihre Handlungen sind es, die zählen.

Drachenväter und Reverse Engineering

Ich will mich nicht dafür rechtfertigen müssen, zur den Menschen zu gehören, die das Internet toll finden. Genauso wie ich mich übrigens nicht dafür rechtfertigen möchte, ein Nerd zu sein und als solcher unter anderem Rollenspiele (die Fantasy-Art, nicht die soziologische oder sexuelle) toll zu finden. Das Buchprojekt “Drachenväter”, das auch mit einem Vortrag auf der re:publica vertreten war, schrammt meiner Ansicht nach haarscharf daran vorbei.

“Drachenväter”, ein Buch über die Geschichte des Rollenspiels, an dessen Crowdfunding ich mich beteiligt habe, argumentiert in einer Art Reverse Engineering, heutige Virtuelle Welten, ob in Videospielen, Social Networks oder Second Life, wären ohne klassische Tischrollenspiele wie “Dungeons & Dragons” nicht denkbar. Das mag stimmen, aber steckt hinter dieser Argumentation nicht auch der Wunsch des Außenseiters, sein Außenseiter-Hobby rückwirkend zu rechtfertigen? Es aufzuwerten, weil es Einfluss hatte auf etwas, das heute auch im Mainstream akzeptiert ist? Sich also im Endeffekt eine andere Zugehörigkeit zu geben? Als wäre Rollenspiel nicht an und für sich feierns- und untersuchungswert, weil es ein geiles, fantasievolles Hobby ist. Auch wenn Charakterbögen und Facebookprofile einander nicht gleichen würden. (Tom Hillenbrand hat auf diese Frage zähneknirschend gesagt, dass ich ein bisschen Recht haben könnte. Konrad Lischka war weniger nachgiebig.)

Auch Netzgemeinden brauchen Utopien

Dabei sein und dazugehören. Das Thema zog sich irgendwie durch viele Veranstaltungen, die ich auf der re:publica besuchen durfte. Teresa Bücker sprach in ihrem Vortrag “Burnout & Broken Comment Culture” am Mittwoch morgen davon, wie leicht es durch digitale Werkzeuge geworden ist, sich einer Sache anzuschließen und sich einer Bewegung zugehörig zu fühlen. Und wie schwierig es gleichzeitig ist, dabei zu bleiben, wenn man von den vorher dagewesenen sofort und ständig dafür kritisiert wird, dass man alles falsch macht. Quod Erat Demonstrandum. Inklusion bedeutet eben nicht nur, für die Entrechteten zu kämpfen. “Do you only care about the bleeding crowd? How about a needing friend?” hieß es schon 1969.

Ich bleibe dabei: Zugehörigkeitsgefühl zu Gruppen, Gemeinde, das ist etwas Gutes. Es stiftet gemeinsame Identität. Gemeinsame Identität kann etwas erreichen. Das ist meine Ansicht in meiner fortlaufenden, wenn auch kuscheliger gewordenen Filmblogosphären-Kampagne. Und es steckt zum Beispiel hinter der Tatsache, dass ich mich als Europäer begreife – um mal ein ganz anderes Beispiel zu bemühen. Manchmal mehr, als als Deutscher. Was uns eint, sollte immer stärker sein, als was uns trennt. Nur so lassen sich gemeinsame Utopien entwickeln. Wir brauchen Utopien. Auch die Netzgemeinde. Gerade jetzt, wo unsere heile Welt durch den Überwachungsskandal starke Risse bekommen hat.

Clanwirtschaft

Am Dienstagnachmittag der re:publica sprach Susanne Mierau über die gesellschaftliche Bedeutung von Elternblogs. Der Online-Elternclan, meinte sie, sei auch Ersatz für das nicht mehr vorhandene Clan- und Gemeinschaftsleben der vorindustriellen Menschen. Dort haben sich immer mehrere Frauen und Männer gemeinsam um Kinder und auch um Eltern gekümmert. Zur Zeit des Vortrags war ich noch voll auf dem High, endlich bei meiner Netzgemeinde angekommen zu sein. Aber den Gedanken eines Online-Clans finde ich auch jetzt noch sehr sympathisch.

Die letzte Veranstaltung, die ich auf der re:publica besucht habe, war übrigens noch einmal ein Vortrag von Yasmina am Donnerstagmorgen. Es ging um Fandoms und ihre Schlussfolgerung war im Grunde, dass man sich heute nicht mehr dafür schämen muss, Fan zu sein. Na also, dann. Ich bin Fan der Netzgemeinde. Auf geht’s!

P. S.: Wenn ich mir noch eine Sache rauspicken müsste, die ich grundsätzlich an der re:publica kritisieren möchte, dann­, dass mir viele Vorträge zu sehr an der Oberfläche blieben (vielleicht wegen des Sponsors Microsoft Surface? Ja ja), sobald es um kulturelle Themen ging, die nicht mehr nur mit Computern und Social Media zu tun hatten. Vielleicht saß ich auch nur in den falschen Veranstaltungen, aber ich finde man darf doch ein gewisses Niveau bei Publikum und Rednern voraussetzen, oder? Man darf doch ruhig auch mal Wissenschaft bemühen. Also auch Geisteswissenschaft. Zu Fandom etwa gibt es seit vielen Jahren eine blühende Forschungslandschaft. Das kann man dann in einem Vortrag zum Thema ruhig mal erwähnen. Gehört für mich auch zu Recherche dazu, dass man das wahrnimmt. Und dass man Fritz Langs urdeutschen Film Metropolis nicht “Mietwoppolis” ausspricht auch. Zumindest wenn man als Deutscher in Deutschland auf einem Podium über Science-Fiction spricht. Oder ist letzterer Gedanke zu tümelnd?

A Brave New Galaxy – Ein Gespräch zum Ende des Star Wars Expanded Universe

Als ich las, dass sich Disney/Lucasfilm vom Star Wars Expanded Universe verabschieden werden, war mir klar, dass es eine Person gibt, mit der ich darüber ausführlich reden sollte. Kurze Zeit später standen Sascha von Pew Pew Pew und ich uns auch schon im Instant Messenger gegenüber. Ein Gespräch über enttäuschte Hoffnungen, faszinierende Kanonisierungen und erwartungsvolle Zukunftsblicke.

Alex: Lass mich mal kurz zusammenfassen, was bisher geschah. Eigentlich schon mit Beginn der Star Wars-Filme, aber spätestens nach Return of the Jedi beginnen verschiedene Autoren, das Star Wars-Universum mit weiteren Geschichten zu füllen – in Büchern, Comics und Videospielen. Die Krux dabei ist, dass sie nicht nur Geschichten erzählen, die die Filme nicht tangieren, sondern durchaus auch mit den Charakteren aus den Filmen arbeiten, beispielsweise schreiben die “Thrawn”-Trilogie von Timothy Zahn und viele andere Bücher die Geschichte nach “Jedi” fort, schaffen gewissermaßen ihre eigenen Episoden 7 bis 9 und darüber hinaus. Lucas und Lucasfilm verdienen gut daran, mahnen aber auch immer, dass das “Expanded Universe”, wie es bald heißt, nicht kanonisch ist, sondern dass nur die Filme Evangelium sind. Als Lucas beginnt, mit den Prequels und Clone Wars selbst neue kanonische Geschichten im Star Wars Universum zu erzählen, übernimmt er manche Teile des Expanded Universe (zum Beispiel den Charakter Aayla Secura oder Kashyyyk, den Wookieplaneten) in seinen Kanon, andere nicht. Und jetzt, wenn J. J. Abrams und seine Leute selbst die Geschichte nach Jedi fortschreiben wollen, stehen sie natürlich vor dem Problem, dass sie überlegen müssen, inwieweit sie das Expanded Universe einbeziehen. Wofür haben sie sich entschieden?

Sascha: Abrams, Kasdan und die neu etablierte Lucasfilm Story Group, die in Zukunft die Kontinuität der neuen Filme und Geschichten überwachen werden, haben sich für einen reinen Tisch entschieden. 31 Jahre nach dem Release von Episode VI sind die Schauspieler nicht mehr in der Lage ihr Alter zu verbergen, weshalb die Filme, sofern sie Luke, Leia und Han involvieren sollten, den Sprung 30 Jahre in die Zukunft nach Return of the Jedi wagen müssen. Gleichzeitig wurde die Rückkehr von Peter Mayhew bereits vor der dieswöchigen, offiziellen Pressemitteilung bestätigt. Wer im Expanded Universe also etwas bewandert ist und eins und eins zusammenzählen kann, der wusste es spätestens dann; Lucasfilm lieferte dennoch offiziell Stellung vor dem Casting Announcement: Das Expanded Universe ist tot. Es spielt keine Rolle mehr bei der Kreation dieser neuen Filmtrilogie. Die alten Geschichten sollen dennoch weiter zugänglich bleiben, sie werden lediglich unter dem “Legends”-Banner veröffentlicht, um das alternative Universum kenntlicher zu machen. Dennoch ist selbst diese Ankündigung in ihrer Bedeutung für das gesamte Expanded Universe etwas schwammig. Man spricht hier davon, dass die neuen Filme, die nach Jedi spielen, “nicht die gleichen Geschichten erzählen werden”.

Das Expanded Universe ist jedoch wesentlich größer und älter als viele Unwissende glauben. Es besteht nicht nur aus der Weiterführung der Biographien der “großen Drei”, sondern erzählt selbstständige Geschichten, die bis 35.000 vor die Schlacht um Yavin zurückreichen. Als Fan dieser Galaxis und all ihren Geschichten könnte ich mir jetzt Hoffnung machen und den Reboot lediglich auf die Zeit nach der alten Trilogie verorten, aber die Etablierung eines neuen Teams, der Pressemitteilung inklusive dem Video klingt für mich nach einem gesamten Neustart. Michael Arndts ursprünglicher Drehbuchentwurf soll angeblich einen größeren Fokus auf die Solo/Skywalker-Kinder gerichtet haben, ähnlich wie die späteren Bücher, aber von ihm ist in der Pressemitteilung nicht einmal mehr die Rede und die nun vorgestellten Schauspieler passen mit ganz wenigen Ausnahmen und einem zugedrückten Auge auch nur so halb zu existierenden Charakteren. Also werden wohl auch die EU-Fans im Kino überrascht werden. It’s a brave new galaxy.

Alex: Meinst du, der Grund dahinter ist, dass die Filmemacher sich so fühlten, als wären sie schon zu festgelegt durch das, was unzählige Autoren vor ihnen geschrieben haben? Ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwer gewesen wäre, sozusagen erzählerische “weiße Flecken” zu finden, in denen man noch Geschichten hätte spinnen können, die zugleich konsistent und überraschend gewesen wären. Zumindest wenn die Episoden-Filme irgendwie an das Vorhergehende anknüpfen sollen.

Sascha: So ist es, zweifellos. Es ist ja nicht nur so, dass man diese “weißen Flecken” in den ohnehin vollen Biographien der Figuren erst mal finden müsste, sondern sich auch die galaktischen Hintergründe vor Augen führen muss. Das EU besteht ja nicht nur aus weiteren Abenteuern mit Luke, Leia und Co., sondern aus ähnlich großen Events wie dem galaktischen Bürgerkrieg, der im Großen und Ganzen nur zu einer weiteren Phase in der Historie dieser turbulenten Galaxie verblasst. 30 Jahre nach den alten Filmen wäre gerade kurz nach der Invasion der Yuuzhan Vong, einer extragalaktischen, technophoben Rasse auf Kreuzzug, die nicht in der Macht zu spüren sind und durch ihre biologischen Raumschiffe, Waffen und Terraformingmaschinen das Antlitz der Galaxie für immer verändert haben. Weiterhin starben mehrere bekannte Figuren, am prominentesten war wohl der Abgang von Chewbacca zum Beginn dieser Invasion, was jedoch von Lucas selbst so beordert und abgesegnet wurde. Diese Vorgänge zu adaptieren, wäre schwierig; neue Geschichte in diesem Universum dann mit gewisser narrativer Freiheit zu konzipieren, wird aber zur Unmöglichkeit. Das notwendige Maß an Exposition und Hintergrundinformationen, die der normale Zuschauer benötigen würde, brächten den eigentlichen Plot, der mit seiner leichtfüßigen und traditionsreichen (Stichwort: Campbell) Abhandlung die Massen begeisterte, zum Halt. Dann doch lieber alles auf Null, das EU als alternatives EU branden und mit einer neuen Timeline und Figuren eine originelle Geschichte erzählen.

Alex: Das Krasse (und für mich interessante) ist halt, dass wir es hier nicht nur mit einem konzeptionellen Reboot zu tun haben, wo die Geschichte einer bekannten Figur beendet und neu begonnen wird, wie wir es aus Superhelden-Comics kennen oder aus den letzten Jahren aus Filmserien wie James Bond oder Star Trek – also eine Neu-Erzählung einer bekannten Legende, angepasst an die heutige Zeit. Sondern dass hier eine merkwürdige Kanon-Verschiebung vorgenommen wird. Ein großer Schatz an Geschichten, Figuren und Historie, der zwar offiziell nie als voll kanonisch galten, aber doch von allen irgendwie als “wahr” oder zumindest doch als lieb und teuer wahrgenommen wurden, wird mit einem Schlag zur Apokryphe erklärt und vom Tisch abgeräumt. Ich kann mir vorstellen, dass das für die Fans nicht gerade einfach ist, die jetzt seit dreißig Jahren mit dem Expanded Universe leben.

Sascha: Ja, in der Tat. Ich muss dir auch ganz ehrlich sagen, dass ich froh darüber bin, dass wir dieses Gespräch erst jetzt, ein paar Tage nach der Ankündigung führen. Bei Star Wars schalten sich die rationale Gedanken bei mir in den ersten zehn Minuten nach einer Meldung ab. Ein bisschen hilft aber auch der großartige Cast für den neuen Film, diese Wunden zu besänftigen, aber es tut schon weh, dass jetzt plötzlich alles keine Rolle mehr spielt. Gut, das tat es vorher auch nicht – zumindest, wie du sagst, nicht offiziell. Aber es so auszudrücken wird der über die letzten 20 Jahre existierenden und funktionierenden Infrastruktur auch nicht gerecht. Auch wenn George Lucas’ Kanon, also die Filme und zwei Serien (Clone Wars und jetzt bald Rebels) stets als offiziell galten, gab es ein Ranking unterschiedlicher Ebenen des Erzählens.

Ähnlich wie im Marvel Cinematic Universe wird jetzt nicht jede Kleinigkeit von Agents of SHIELD in den Filmen aufgefangen, die als meistgesehenes Medium immer wieder höchste Priorität genießen, aber es wird sich um die internarrative Kontinuität bemüht. Ganz ähnlich verhielt sich das für Lucasfilm, das EU und die Holocron Database, die um 2000 ins Leben gerufen wurde, um Ordnung zu wahren und die unterschiedlichen Verläge, Autoren und Geschichten in Einklang zu halten. Es gibt mehrfache Überschneidungen, Retcons und Beispiele, wie Lucas sich vom EU inspirieren ließ und wie er wiederum Entscheidungen für das EU direkt traf. Er deutete zwar immer darauf hin, dass es sich um zwei abgegrenzte Universen handelte, aber in Wirklichkeit ergaben diese auf einem narrativen Level absoluten Sinn ohne Widerspruch.

Und das war immer das Schöne an der Star Wars-Galaxie. Wenn man lediglich die Filme genießen wollte, diese eine Geschichte, dann konnte man dies tun. Aber wer die Augen aufmacht, merkt schnell, dass Lucas – und das war ein großer Teil seines Erfolges – ein Universum erschuf, das entgegen vieler Konkurrenten schmutzig, abgenutzt und in sich stimmig war. Dort haben Menschen und Aliens gelebt, und das seit Jahrtausenden. Sie haben Geschichten, Ereignisse und mythologiches Potential für die Gesamtunternehmung. So wichtig Anakin Skywalker und seine Familie für den Untergang der Republik, als auch später des Imperiums, gewesen sein mag, davor und danach gibt es auf dem Zeitstrahl viele “weiße Flecken”.

Das war auch der ursprüngliche Reiz des ersten Star Wars MMORPGs, “Star Wars Galaxies”. Der Spieler konnte normale Berufe erlernen, Gilden gründen, Rohstoffe abbauen, Handel betreiben, eine Stadt gründen, ein Haus bauen und einrichten, Tiere dressieren, Planeten erkunden — und, und, und. Wer sich für das EU und die Galaxie an sich interessierte, lebte einen Traum. Ich persönlich schrieb, inspiriert von vielen Jugendbüchern (damals “Jedi Academy”) an einer Figur, die auf Alderaan aufwuchs und später der Rebellion beitrat. In “Star Wars Galaxies” wurde sie zum Leben erweckt. Erst wesentlich später konnten einige Auserwählte Jedi werden, sodass diese Spieler zu lebenden In-Game-Einhörnern wurden. Nach den “New Game Enhancements” gab es drastige Kürzungen bei den Berufen. Plötzlich gab es nur noch neun statt wie vorher dreißig – und man konnte auch von Anfang an Jedi werden, was zu einem stetigen Anstieg der frei herumlaufenden Jedi/Sith-Bevölkerung führte und schlussendlich den Kanon dieser Zeit (Ein Jahr nach der Schlacht um Yavin) verletzte. Was die Entwickler damals, in der Hoffnung neue Spieler ans Land zu ziehen, taten, widersprach jedoch dem Wunsch vieler Spieler, einfach nur ein normales Leben in ihrer Lieblingsgalaxie als Rebell, Farmer oder Stormtrooper zu führen. Natürlich sind die großen ikonischen Merkmale von Star Wars über die Sith, Jedi und ihre Untertanen und Werkzeuge definiert, aber der wirkliche Reiz des Expanded Universes war für viele Fans, dass man abseits dieser modernen Mythen alltägliche Helden als auch eine glaubhafte Welt wiederfand.

Alex: Für mich ist deine Geschichte jedenfalls ein Beweis dafür, dass genau dieses lückenlose Ineiandergreifen von verschiedeneren Erzählformen – egal ob mit Hierarchie oder nicht – einer der Reize ist, die von modernen Erzählkosmen ausgehen. Und wenn, wie jetzt, eine “Executive Decision” fällt, die ein so vielfältig ausgestaltetes Universum zersplittert (Mark J. P. Wolf, der Autor von “Building Imaginary Worlds” würde von einem hohen Grad an “Completeness” und “Saturation” sprechen), dann nimmt man Fans natürlich auch einen der Reize, sich darin zu Hause zu fühlen. Stattdessen steigt das Gefühl, dass man eben doch nur als Konsumvieh missbraucht wird.

Nun ist ja zum Glück anscheinend noch nicht alle Hoffnung für das Expanded Universe verloren. Autor Timothy Zahn, von dessen “Thrawn Trilogy”ich immerhin auch den ersten Band gelesen habe (neben Videospielen meine bisher einzige Berührung mit dem EU) hat ja geschrieben, dass er glaubt, dass selbst unter der neuen Ägide das EU weiterleben kann und wird, solange die neuen Filme ihm nicht regelmäßig und auf breiter Front widersprechen.

[W]e authors are masters of spackle, back-fill, and hand-waving. For example, if Ghent appears in the movies but never mentions Thrawn, I can argue that he simply doesn’t want to talk about that era, or else has completely forgotten about it.

Wie siehst du den Ausblick für die Zukunft?

Sascha Dazu müsste Thrawn erst einmal in der Welt von Abrams und Kasdan existieren. Wie gesagt, ich bin inzwischen relativ offen und fröhlich eingestimmt, aber um ganz ehrlich zu sein befand ich mich vor rund zwei Jahren wirklich im Frieden mit meinem Fandom. Star Wars ist so ein enorm wichtiger Teil im Leben von so vielen Leuten, teilweise hat er sie auch dazu inspiriert selbst schöpferisch im Bereich von Film und Fernsehen zu werden, dass ich es immer bedauerte, dass die Prequels diesen Mythos so verwässert haben. Natürlich kann man das auch auf die EU-Romane, Comics und Spiele beziehen, aber die waren optional.

Abrams wird mit Sicherheit einen besseren Job machen, als Lucas das mit den Prequels gelang, aber grundlegend wird an diesem Mythos doch irgendwo gerüttelt. Am liebsten war mir da der Status Quo von vor zwei Jahren, bei dem Hardcorefans weiter gefüttert wurden, und die Filme an sich unangetastet blieben. Jetzt verändert sich alles und wir haben keinerlei Informationen, wie sich das alles auf dieses neue EU auswirkt. Ein Indikator für die Zukunft könnte jedoch die neue Pressemittelung über vier bald erscheinende Romane sein, die allesamt von Stammautoren des früheren EU verfasst werden. Überraschen tun diese Veröffentlichungen mich also weder vom Autor, dem Cover oder dem Inhalt, da alles nach erwartbaren Geschichten aus dem EU klingt. Gleichzeitig behält auch Dark Horse weiterhin die Comic-Lizenz und wird seine Geschichten 130 Jahre nach bzw. 25.000 Jahre vor den Filmen veröffentlichen.

So einschneidend die Entscheidung auf den ersten Blick also auch ausgesehen haben mag, es bleibt ziemlich Vieles vorerst beim Alten – zumindest für die Zeit vor der alten Trilogie. Die Hoffnung von Zahn teile ich jedoch nicht. Ich denke nicht, dass Abrams oder Kasdan große Kenntnisse besitzen, noch Respekt gegenüber dem EU hegen und eine komplett neue Geschichte erzählen werden. Die werden eine Punkt weit in der Zukunft beackern und es den EU-Autoren überlassen, die weißen Flecke in der Timeline zu füllen. Hoffentlich mit komplett neuen Figuren und Abenteuern ohne verfälschte Quasi-Adaptionen. Daher wünsche ich mir für die Zukunft, dass zum Beispiel die Tochter von Han und Leia (höchstwahrscheinlich gespielt von Daisy Ridley) nicht Jaina heißen wird, nur weil es im EU so mal war. Dann soll das bitte ein eigenständiger Charakter werden. Ähnlich sehe ich das mit allen anderen Referenzen. Auf zu neuen Fronten – so schmerzhaft das auch ist.

Zum gleichen Gespräch auf “Pew Pew Pew”

MCU: Markus & McFeely über Arbeitsweisen, Quesada über die Netflix-Shows

Oh boy, oh boy! Spätestens seitdem der Plot von Captain America: The Winter Soldier Elemente enthielt, die sich auf das ganze Marvel Cinematic Universe (und insbesondere die Agents of S.H.I.E.L.D.-Fernsehserie) durchschlägt und -schlagen wird, fangen auch andere Menschen, die sich nicht schon seit vier Jahren mit dem Thema beschäftigen, an, Fragen zu stellen.

Zum Beispiel Ben Blacker, der in seinem Nerdist Writers Panel letzte Woche die Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely zu Gast hatte. Marcus und McFeely gehören mit Kevin Feige und Joss Whedon sicherlich zu den wichtigsten Architekten des MCU. Sie haben die Drehbücher zu Captain America und Winter Soldier geschrieben und waren an beiden Thor-Drehbüchern beteiligt. Entsprechend konnten sie im Podcast einiges von Interesse darüber sagen, wie die Arbeit am MCU vor sich geht.

Etwa über die Arbeit an Captain America: The First Avenger im Gefüge des MCU:

What was nice is that, by nature of being period, we came before everybody else, whether or not we were coming out before everybody else. We didn’t have to accomodate anybody. We didn’t have to be: Oh, they’re doing that in Thor. We’re 50 years prior to that, who cares?

Über das Pflanzen von Samen für spätere Filme.

If I was writing a standalone movie, things would tie up neatly. You wouldn’t make reference to things that aren’t going to resonate anywhere else. You wouldn’t have Howard Stark if there wasn’t a Tony Stark in a whole different section of it. It’s this sort of opportunity to take things that you would have to do anyway for the movie, you would need a scientist, or a mentor … to kind of draw the threads that everything connects. For things like Winter Soldier, we knew it existed (…) so we did things to Bucky in the first movie …

Sie beschreiben außerdem, dass sie von den großen Planungen für das Universum wenig wissen und sich um ihren einzelnen Film kümmern und nur einzelne Vorgaben bekommen. Etwa, dass Kevin Feige sagt: “I think it’s okay to take down S.H.I.E.L.D.”

Über die Rolle des “Marvel Creative Committee”, in dem auch Joe Quesada sitzt, sagen sie unter anderem:

They get to weigh in and we (…) don’t talk to them particularly and (…) Kevin [Feige] will filter their notes down (…). In some ways, they are the keepers of the bottom line standards of the characters.

Der ganze Podcast ist äußerst hörenswert, weil die beiden auch sehr sympathisch sind. Es geht viel um Cap 2, aber zum Beispiel auch um die “Agent Carter”-Fernsehserie, die derzeit noch in der Entwicklung ist und für die das Team den Pilotfilm geschrieben hat.

Fat Men on Cap Men

Joe Quesada, der Chief Creative Officer von Marvel Comics hingegen, war in Kevin Smiths “Fat Man on Batman“-Podcast zu Gast. Der Podcast ist längst nicht so informativ wie der oben beschriebene – er besteht zu großen Teilen aus Kevin Smith, wie er Winter Soldier lobt – aber zwischendurch lässt Quesada ein paar dokumentierwürdige Sätze fallen.

Unter anderem beschreibt er, dass zum Start der S.H.I.E.L.D.-Fernsehserie logischerweise bereits feststand, dass die Organisation S.H.I.E.L.D. am Ende nicht mehr existieren würde. Die Schauspieler hingegen wurden im Dunkeln gelassen. Fies!

Schließlich geht es noch um die für 2015 geplanten Marvel-Serien für Netflix, “Luke Cage”, “Jessica Jones”, “Daredevil” und “Iron Fist” auf die dann ebenfalls eine Teamup-Serie, “Defenders” folgen soll. Die Seite “Comicbook.com” hat die interessantesten Zitate gut zusammengefasst.

Abgesehen davon, dass die Netflix-Serien ebenfalls Teil des MCU sein werden und es spannend zu sehen sein wird, ob auch hier Crossover-Potenzial zu den Filmen genutzt wird (Mein Tipp: Wahrscheinlich sehr sehr wenig), denke ich ist die interessanteste Entwicklung, über die man nachdenken muss, der Faktor der Synchronität. Wenn die Serien in Gänze erscheinen, aber miteinander korrespondieren und verbunden sind, fällt der zeitliche Faktor der Crossovers wie bei Comics oder linearen TV und Film-Releases weg.

Angenommen also, ein Ereignis tritt ein, das alle vier Serien beeinflusst. In welcher Reihenfolge gucke ich sie dann am besten? Erst Serie A komplett, dann Serie B, dann C, dann D? Oder jeweils eine Folge von A, B, C und D? Oder eine andere Reihenfolge, die jemand vorschlägt – ähnlich wie die Machete-Reihenfolge von Star Wars?

Es bleibt spannend im MCU.

In eigener Sache: Bitte um Feedback zur ITFS-Berichterstattung

Falls es irgendjemand nicht mitbekommen hat, weil er oder sie jetzt erst dazugestoßen ist: Ich habe in der vergangenen Woche vom Internationalen Trickfilmfestival Stuttgart einen täglichen Podcast hier im Blog und einen täglichen Bericht auf kino-zeit.de veröffentlicht.

Das Ganze war für mich auch eine Herausforderung an mich selbst. Ich habe noch nie richtige Festivalberichterstattung gemacht und wollte es mal ausprobieren. Ich hatte streckenweise Spaß dabei, habe aber auch manchmal ziemlich mit Termindruck, Schlafmangel und sonstigen Widrigkeiten, die wahrscheinlich dazu gehören, zu kämpfen.

Die große Frage, die sich für mich nun stellt, ist: Soll ich das jemals wieder machen? Größere Projekte dieser Natur lohnen sich für mich persönlich im Endeffekt (und im Unterschied zu einfachen Blogposts) nach dem ersten Mal nur, wenn sie ein Publikum finden. Daher würde ich mich sehr über ein kurzes Feedback freuen – in den Kommentaren, per Mail oder über das soziale Netzwerk eurer Wahl.

Ich erhoffe mir vor allem Antworten auf folgende Fragen: War das Angebot zu viel, zu wenig oder genau richtig? Habt ihr die Podcasts überhaupt gehört? Fandet ihr sie interessant und würdet ihr sie wieder hören? Wenn nein, warum nicht? Ergibt diese Art von nicht-regelmäßigem Podcast überhaupt einen Sinn? Was würdet ihr eventuell lieber sehen?

Wenn ihr euch die Zeit nehmt, bin ich euch sehr dankbar.