Real Virtualinks 28/16

Dokumentarfilme: Mal eben die Welt verbessern

Erinnerte mich an Diskussionen, denen ich in einem früheren Job öfter zuhören durfte. Matthias Dell sehr pointiert über Filme wie Tomorrow und die Austauschbarkeit ihrer Weltverbesserungsphilosophie bei gleichzeitig fehlendem künstlerischen Anspruch.

Vom Über-Blick zur Superzeitlupe

ARD und ZDF haben dieses Jahr zur EM erstmals die Möglichkeit geboten, Spiele online über verschiedene fixe Kameras ohne Bildregie zu verfolgen. Was das jeweils mit unserer Wahrnehmung des Spiels macht hat Till Kadritzke bei “critic.de” sehr treffend dargelegt. Die Trainer-Cam macht das Spiel zum Werk eines Autors, die Spidercam zu einem chaotischen Hin- und Herspringen des Balls, die Taktik-Cam zu einem Schachspiel. Das alles sagt nebenher viel aus über Filmemachen im VR-Zeitalter. Unbedingt lesen!

How to Write a History of Writing Software

Matthew Kirschenbaum hat ein Buch über die Geschichte des Computers als Schreibgerät geschrieben und erzählt im Interview ein Best Of seiner Erkenntnisse und Anekdoten. Wie haben Autoren den “Word Processor” angenommen und wie hat es ihre Arbeitsweise verändert? Was waren John Updikes letzte Worte, die er noch auf einer mechanischen Schreibmaschine geschrieben hat – steht alles in diesem tollen Artikel.

High-Rise

Ein paar Gedanken von mir auf Letterboxd zu Ben Wheatleys Hochhausdings.

Was ich höre

Das Album von Roine Stolt und Jon Anderson, Invention of Knowledge (erwartbar, aber hörbar). Die wirklich sehr gute WDR5-Featurereihe Der Anhalter. Und völlig verfallen bin ich Radiolabs Spinoff-Podcast More Perfect über den Supreme Court.

Verdammt gutes Radio: “Der Anhalter”

Am 1. Juli verbreitete sich die Nachricht aus Baltimore wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken: Adnan Syed bekommt ein neues Verfahren. Der heute 35-jährige Syed wurde vor 17 Jahren zu lebenslanger Haft wegen des Mordes an seiner Freundin verurteilt. 2014 erfährt die Radioreporterin Sarah Koenig davon, rollt den Fall im Podcast “Serial” wieder auf und schafft damit ein globales Medienphänomen. Über fünf Millionen Menschen, ein bisher ungebrochener Rekord, hören zu, wenn Koenig Woche für Woche neue Fakten präsentiert. Am Ende bleiben erhebliche Zweifel an Syeds Schuld. Und nun, anderthalb Jahre später, haben die Recherchen tatsächlich ein neues Verfahren angestoßen.

Es ist die Hochphase des “Serial”-Booms, im September 2014, als Stephan Beuting am Verteilerkreis in Köln von einem obdachlosen Anhalter angesprochen wird. Er habe Knochenkrebs und sei auf dem Weg nach Zürich, um dort Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Beuting hört sich die Geschichte von Heinrich Kurzrock an, gibt ihm etwas Geld, erwartet nicht, ihn wiederzusehen. Doch als er seinem Kollegen Sven Preger von der Begegnung erzählt, stellen die beiden fest, dass Preger Kurzrock ebenfalls begegnet ist, ein Jahr zuvor, mit der gleichen Geschichte.

Es lässt sich aus der Entfernung schlecht sagen, ob “Serial” die direkte Inspiration für “Der Anhalter” war. Aber wenn, dann war sie auf jeden Fall nicht die schlechteste. “Der Anhalter”, der Heinrich Kurzrocks Lebensgeschichte in fünf Teilen erzählt, ist verdammt gutes Radio.

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Das Disney-Franchise, das besser ist, als du denkst

Als ich den “Disney Fairies” das erste Mal begegnete, fragte ich mich zum wiederholten Male, wie ein einzelner Konzern gleichzeitig das Beste und das Schlimmste im Filmbusiness in sich vereinen kann. Ich saß 2012 in der Wochenend-Matinee eines Multiplexes, um mir Merida anzusehen, einen Film aus einem Studio, das über die letzten 20 Jahre den Goldstandard des Animationsfilms in der westlichen Welt neu definiert hat. Zuvor musste ich jedoch den Trailer des Tinker-Bell-Films Das Geheimnis der Feenflügel ertragen, der mir auf den ersten Blick wie die niederste Variante der gleichen Kunstform erschien: Computeranimation als billige Lösung, um kitschiges filmisches Fast Food, hergestellt aus den verwässerten Zutaten eines 60 Jahre alten Zeichentrickklassikers, an kleine Mädchen zu verkaufen.

Dass die Walt Disney Company für beide Filme verantwortlich zeichnet, ist und bleibt ein Paradox. Aber gerade der augenscheinliche Schund, den die Firma regelmäßig parallel zu ihren respektierten Großprojekten produziert, zieht mich immer wieder an, weil er so schrecklich erfolgreich ist. Ich habe Geld ausgegeben, um High School Musical 3 im Kino zu sehen, einfach weil ich erfahren wollte, warum eine Filmreihe Teenager in ihren Bann schlägt, die vor allem für ihre keusche Klischeeverbreitung berüchtigt ist. Die Antwort ist einfach: Keusche Klischees wurden schlicht noch nie in solcher Perfektion verbreitet. Etwas Ähnliches erwartete ich auch, als ich mich irgendwann dann doch hinsetzte, um mir Tinker Bell anzuschauen. Erstaunlicherweise aber fand ich … mehr.

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Real Virtualinks 27/16

The Secret to Sequels Is In the Details

Der ausbleibende Erfolg von Independence Day: Resurgence hat diese Woche in der amerikanischen Filmautorenlandschaft einiges Nachdenken zu Sequels losgetreten. Christopher Campbell stellt bei “Film School Rejects” die These auf, dass Sequels vor allem dann funktionieren, wenn sie neue Charaktere vorweisen können und nennt Finding Dory als Positivbeispiel. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich finde das eher … fischig.

I have found a new way to watch TV, and it changes everything

Spoiler: Der “New Way” ist beschleunigtes Gucken. Jeff Guo fährt einiges an Wissenschaft über Wortgeschwindigkeiten und Co auf, um seine These zu stützen, und ich bin bereit, ihm zu folgen, solange es um Effizienz und evtl. auch veränderte Kulturtechnik geht. Am Ende aber bemüht er Henry Jenkins, um daraus irgendwie ein Argument über Empowerment und Fan Interaction zu machen, bei dem ich die Segel streiche. Eine Fernsehsendung schneller zu sehen, zurückzuspringen etc., wie man es evtl. mit einem Buch machen würde, hat für mich nur wenig mit einem Reclaiming des Formats zu tun. Trotzdem: Lesenswerter Text, vielleicht auch nur, um sich mal richtig dran aufzureiben.

Kulturpragmatismus

Dirk von Gehlen versucht, ein neues Wort zu etablieren. Ich weiß nicht, ob ihm das gelingen wird, aber die Geisteshaltung dahinter ist mir schon mal sympathisch. Das Techniktagebuch bemüht sich auch darum, mehr zu beschreiben als zu deuten – auch eine pragmatische Haltung, die sich auch explizit gegen Rants richtet. Ich hoffe, ich finde in den nächsten Tagen mal die Zeit, darüber ausführlicher schriftlich nachzudenken. Den “Shruggie” finde ich – im Gegensatz zu Dirk – übrigens das falsche Symbol dafür. Es guckt mir zu gleichgültig.

Was ich höre

KT Tunstall hat eine neue EP namens “Golden State” mit zwei ganz ordentlichen Songs, “Evil Eye” und “All or Nothing”. In meiner Recherche für die Kino-Zeit-Kolumne, die nächste Woche erscheint, bin ich aber noch auf einer Arbeit von ihr gestoßen, die sie nicht selbst geschrieben hat. “Float” aus dem Neverbeast-Soundtrack, und dort strahlt ihre tolle Stimme noch ein bisschen mehr. KT war seit “Drastic Fantastic” nicht mehr in Deutschland auf Tour. Es wird Zeit!