Rasenball, CUT, What the Wirtschaft?, AIDS-Leugner – Vier Podcast-Kurzkritiken

Ich habe am Wochenende Podcasts gehört und wollte ein paar schnelle Höreindrücke teilen. Als echte Kritiken sollte man diese Texte nicht lesen, da alle Anhörungen (?) noch unvollständig sind, aber ich denke, es reicht für einen allgemeinen Eindruck und jetzt habe ich gerade Zeit zum Schreiben.

Rasenball (Undone/MDR)

Als jemand, der schon 11 Leben gut fand, ist es kein Wunder, dass ich auch hier mit Spannung zuhöre. Nicht, weil ich Fußballfan bin, sondern weil mich die Hintergründe von Entertainment schon immer interessiert haben. Und das Team rund um Patrick Stegemann und Katharina Reckers liefert: Rasenball ist gut strukturiert, lebendig erzählt, bietet genau die richtige Balance aus Szenen, Erklärung und These. Jede Folge hat ein klares Ziel, auf das sie hinarbeitet, gemeinsam entsteht ein rundes Bild. Und als Hörer frage ich mich tatsächlich die ganze Zeit: Ist das jetzt schlimm oder nicht? Falle hin und her zwischen den beiden Ansichten. Das sollte die Mission sein und sie wird rundum erfüllt.

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CUT – Das Silvester, das uns verfolgt (WDR)

Genau das, was ich an Rasenball gut finde, fehlt CUT. Obwohl die Doppel-Moderation gut gewählt ist, wirkt das Projekt erstaunlich uneben. Die Aufgabe ist riesig und es gelingt einfach nicht, sie an einer klaren Linie (man könnte auch sagen: Geschichte) entlang zu erzählen. Zu viele Sprünge, zu viele Themen und Zeitebenen gleichzeitig, Protagonisten kommen und gehen. Bei einer der zentralen Personen weiß man auch nach drei Folgen noch nicht, ob seine Geschichte wirklich auch einen direkten Bezug zum Titel-Ereignis hat oder ob sie nur eine prototypische Flüchtlingsgeschichte sein soll. Dazu ein wirklich verschlimmbesserter Titel: Erstens ein englisches Wort, für das es eine direkte deutsche Übersetzung gegeben hätte, dann ein Relativsatz, und schließlich unnötiger Sensationalismus. Schade.

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What the Wirtschaft? (DLF)

Geil – Planet Money für Deutschland? Leider nicht, eher “beliebige Wirtschaftsthemen im Morningshow-Gewand”. Die erste Folge hat genau eine relativ einfache These: Für Luxusmarken ist Haute Couture vor allem Marketing. Um das zu erklären reichen einige Interviewschnipsel. Den Rest der Zeit verbringen die Hosts damit, miteinander und übereinander hinwegzuquatschen und immer wieder die Metapher hervorzuholen, dass die Branche gemeinsam so viel Geld umsetzt wie ein kleines Land. Wenig Erkenntnisgewinn. Eventuell bin ich zu alt, um Zielgruppe zu sein. Aber eine Folge ist ja auch noch kein Podcast.

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AIDS-Leugner – Der fatale Irrweg der Christine Maggiore (DLF)

Von dieser Dokuserie habe ich tatsächlich erst eine Folge gehört und kann mir daher kaum ein Urteil anmaßen. Drauf gestoßen bin ich allerdings, weil mehrere Kolleg:innen den Podcast empfohlen haben, und ich stimme ihnen bisher zu. In der ersten Folge fand ich den doppelten Hook besonders stark. Erst die Frage mit persönlichem Bezug: Warum unterstützt eine Band wie die Foo Fighters so eine krude Unternehmung, das heißt: wie hat es jemand geschafft, für sein Anliegen so viel Aufmerksamkeit zu bekommen? Dann der direkte Bezug zu aktuellen Geschehnissen: Was wir bei Corona erlebt haben, ist alles andere als neu, aber war vorher kaum bekannt. Das ist einfach stark genug, dass ich weiterhören will, und das braucht es.

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Randnotiz: Hat man sich jetzt auf fünf Folgen als ideale Dokupodcast-Länge geeinigt?

Schrödingers Katze: Paradise Revisited

Das quantenmechanische Gedankenexperiment von „Schrödingers Katze“ postuliert, dass eine Katze gemeinsam mit einem zerfallenden radioaktiven Präparat, einem Geigerzähler und tödlichem Gift in einer Kiste versiegelt wird. Wenn das Präparat zerfallen ist, aktiviert der Ausschlag des Geigerzählers das Gift und tötet die Katze. Ohne Einwirkung von außen, zum Beispiel, indem die Kiste geöffnet wird, ist es unmöglich, festzustellen, ob Schrödingers Katze lebendig oder tot ist – deswegen ist sie beides gleichzeitig. In seinem Hörspiel „Paradise Revisited“ fragt Bodo Traber: Wie fühlt sich eigentlich die Katze dabei?

„Paradise Revisited“ sperrt in einer fiktiven Zukunftsvariante von „Big Brother“ fünf junge Menschen mit der Hoffnung auf einen Millionengewinn für ein Jahr in eine Kapsel. Die Außenwelt kann über Kameras verfolgen, was innerhalb der Kapsel passiert, doch die Kandidatinnen und Kandidaten haben abgesehen von regelmäßigen Essenslieferungen keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Eines Tages finden sie in der Lieferung einen Zeitungsausschnitt versteckt, der von Atombombenexplosionen in Paris und Jerusalem berichtet, was die Produktionsleitung in einer Intervention am nächsten Tag allerdings als Falschmeldung bezeichnet.

Von nun an leben die Menschen in der Kapsel in konstanter Unsicherheit. Ist draußen die Welt untergegangen oder werden sie nur auf die Probe gestellt? Wenn sie wochenlang nur Konserven geliefert bekommen und regelmäßig der Strom ausfällt, ist das dann ein Zeichen dafür, dass sie als die letzten unverseuchten Exemplare der menschlichen Rasse mit Mühe am Leben gehalten werden sollen – oder provozieren die Produzenten von „Paradise“ nur? Schließlich gehen alle Kandidatinnen und Kandidaten leer aus, wenn einer das Experiment abbricht. Die Drogen, die zum Anfang des Experiments noch beim gemeinsamen Träumen helfen sollten, sorgen jedenfalls bald schon dafür, dass die größten Ängste der Insassen manifest werden.

Weiterlesen in epd medien 47/2017
“Paradise Revisited” hören

Der integre Herr Urlaub

Es gibt eigentlich nur zwei Typen von Musikern. Für den ersten Typ ist jedes einzelne Lied ein harter, steiniger Weg. Der zweite Typ kann gar nicht nicht Musik machen. Farin Urlaub, Gitarrist der Band „Die Ärzte“, ist Typ zwei. „Ich kann es nicht anhalten, aus mir kommen Lieder raus“, sagt der 54-Jährige. So viele, dass es jetzt für ein ganzes Album mit 28 bisher unveröffentlichten Songs aus 30 Jahren Musikerdasein gereicht hat.

Das WDR-3-Feature „Schlechte Lieder, die lausig klingen“ bildet so etwas wie die Liner Notes zu „Berliner Schule“, wie Farin Urlaubs Album heißt. Jochen Schliemann und Philipp Kressmann haben sich mit Urlaub, der mit bürgerlichem Namen Jan Vetter heißt, in ein Studio gesetzt und sind das Album mit ihm Track für Track durchgegangen. Das ist zwar nicht „Song Exploder“, der US-Podcast, in dem Künstler dem Moderator Hrishikesh Hirway die Einzelspuren ihrer Songs überlassen und diese kleinteilig auseinandernehmen. Es geht aber in die Richtung, weil es erfreulich viel ums Songschreiben und erfreulich wenig um die zu Genüge erzählten Ärzte-Anekdoten der vergangenen 30 Jahre geht.

Weiterlesen in epd medien 43/2017

Verdammt gutes Radio: “Der Anhalter”

Am 1. Juli verbreitete sich die Nachricht aus Baltimore wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken: Adnan Syed bekommt ein neues Verfahren. Der heute 35-jährige Syed wurde vor 17 Jahren zu lebenslanger Haft wegen des Mordes an seiner Freundin verurteilt. 2014 erfährt die Radioreporterin Sarah Koenig davon, rollt den Fall im Podcast “Serial” wieder auf und schafft damit ein globales Medienphänomen. Über fünf Millionen Menschen, ein bisher ungebrochener Rekord, hören zu, wenn Koenig Woche für Woche neue Fakten präsentiert. Am Ende bleiben erhebliche Zweifel an Syeds Schuld. Und nun, anderthalb Jahre später, haben die Recherchen tatsächlich ein neues Verfahren angestoßen.

Es ist die Hochphase des “Serial”-Booms, im September 2014, als Stephan Beuting am Verteilerkreis in Köln von einem obdachlosen Anhalter angesprochen wird. Er habe Knochenkrebs und sei auf dem Weg nach Zürich, um dort Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Beuting hört sich die Geschichte von Heinrich Kurzrock an, gibt ihm etwas Geld, erwartet nicht, ihn wiederzusehen. Doch als er seinem Kollegen Sven Preger von der Begegnung erzählt, stellen die beiden fest, dass Preger Kurzrock ebenfalls begegnet ist, ein Jahr zuvor, mit der gleichen Geschichte.

Es lässt sich aus der Entfernung schlecht sagen, ob “Serial” die direkte Inspiration für “Der Anhalter” war. Aber wenn, dann war sie auf jeden Fall nicht die schlechteste. “Der Anhalter”, der Heinrich Kurzrocks Lebensgeschichte in fünf Teilen erzählt, ist verdammt gutes Radio.

Weiterlesen in “epd medien” 28/2016