Popkultur-Simulakren, 2021

Cowboy Bebop, (c) Netflix

Seit ich ihn gelernt habe, beim Schreiben meiner Magisterarbeit vor etwa 15 Jahren, lässt mich der Begriff des Simulakrums nicht mehr los. Ich weiß nicht, ob Jean Baudrillard ihn erfunden oder nur adaptiert hat (und bin gerade zu faul zum Googeln, der Sinn dieser Blogposts soll sein, dass ich sie schnell runterschreibe) und ich weiß auch, dass er sie deutlich politischer aufgeladen hat, als es heute meistens getan wird. Aber ich mag ihn einfach sehr, diesen Gedanken, von einem Zeichen, das auf etwas verweist, was nicht mehr da ist und somit nur noch als leerer Verweis stehen bleibt – wie ein Hyperlink auf eine 404-Seite.

In den vergangenen Jahren habe ich schon oft über Retromanie und reaktionäre Nostalgie geschrieben, aber das, was mir im Jahr 2021 begegnet, halte ich oft für harmloser. Ich denke, es stammt meist aus einer genuinen Liebe für etwas Vergangenes, und dem Wunsch, ihm ein zweites Leben einzuhauchen. Musik-Streaming etwa hat musikalischen Nischen den Weg bereitet, die sehr stark in diesen Topf greifen. Die Musik der Band LeBrock klingt eins zu eins nach Powerballaden und Hairmetal-Hymnen der 1980er, so nah dran, dass man es fast schon für Parodie halten könnte – es ist aber bierernst. Wir leben aber nicht mehr in den 1980ern, sondern 40 Jahre später. Worauf die musikalische Ästhetik der Zeit reagiert hat, etwa den Überhang der Hippie-Ära oder den Maximalismus der politischen Rhetorik, hat sich gewandelt. Somit wird die Musik von LeBrock zum Simulakrum, zum Zeichen ohne Bezeichnetes. (Ich finde sie trotzdem gar nicht schlecht, ehrlich gesagt)

Im Streaming-TV sehen wir etwas Ähnliches. Wir haben darüber unter anderem in der bald kommenden Folge von Kulturindustrie gesprochen, deswegen will ich nicht zu sehr vorgreifen, aber was genau will eigentlich Cowboy Bebop? Wenn man ein kulturelles Produkt remaket, das seinerseits bereits auf alle Lieblingsdinge der Macher*innen verweist, was bleibt dann übrig?`

Die Ästhetik, die entsteht, wenn man diesen Produktionen einerseits genug Geld gibt, um sie stellenweise poliert aussehen zu lassen, andererseits aber auch wieder nicht so viel, um sie wirklich ins Detail zu durchdenken und etwas eigenes schaffen zu können, ist so eine merkwürdige Middlebrow-Hohlheit. Nicht underdog-mäßig genug, um in seiner niedrigen Qualität charmant und roh zu sein (was man evtl. für den Original-Anime argumentieren könnte, aber auch für andere Kultprodukte wie etwa Evil Dead), aber auch nicht so mit Budget zugeschissen, dass es für echte Hochwertigkeit reicht.

Bei The Wheel of Time, von dem ich – so viel Transparenz muss sein – erst eine Folge gesehen habe, verhält es sich meiner Ansicht nach ähnlich. Die Serie ist auf Glamour gebürstet, der ruft “Schau mal, ich bin hochwertig”, es scheint ihr aber an wirklicher Qualität zu fehlen. Die Hauptdarsteller*innen, mit Ausnahme von Rosamund Pike, fallen alle in die Kategorie “Hübsch, aber charakterlos”, für die Ausstattung gilt Ähnliches. Passt aber vielleicht dann auch wieder ganz gut für eine Buchvorlage, die zwar ein großer Fantasy-Erfolg war, sich aber im Rückblick vor allem wie eine Neuverquirlung aller bis dahin bekannten Fantasy-Klischees, von Bibel über Tolkien bis Dune, mit wenigen eigenen Ideen liest.

Das sind sie, die Popkultur-Simulakren von 2021 – Verweise auf Verweise, aber nicht originell und postmodern verspielt, sondern außen poliert und innen hohl. Streaming-Golems, gut genug für Netflix und Amazon Prime.

The Morning Show und Real World Suspense – Is it a thing?

Wir haben am Wochenende die zweite Staffel von The Morning Show auf Apple TV+ beendet. Obwohl es tragisch ist, dass diese Serie, die ich in der ersten Staffel mal sehr unterhaltsam fand (und in der immer noch viele sehr charismatische Schauspieler*innen mitspielen), in der zweiten leider ziemlich random und langweilig geworden ist (Linda Holmes kann besser erklären, warum), hat sie doch einige Gedanken in mir angestoßen.

Denn eine Entscheidung, die ich sehr clever von den Drehbuchautor*innen fand, war, die Staffel in den Wochen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie anzusiedeln. Sie spielen immer wieder sehr geschickt damit, wie fast alle Menschen den Ausbruch in China vor anderthalb Jahren erstmal nicht besonders ernst genommen haben (ich höre ab und zu meinen Podcast vom 11. März 2020 nochmal) und baden geradezu darin, große Menschenmengen und Händeschüttel-Orgien zu zeigen, während wir – das Publikum mitten in der Pandemie – dabei vermutlich jedes Mal zusammenzucken. Die Staffel kulminiert darin, dass einer der Hauptcharaktere selbst COVID bekommt, aber bis dahin spielt die Serie geschickt damit, dass wir uns ständig fragen, wie die anlaufende Pandemie wohl die Handlung beeinflussen wird?

Dazu frage ich mich einmal, ob das die erste Serie ist, die den Corona-Ausbruch auf diese Art thematisiert. (Ich habe mitbekommen, dass Grey’s Anatomy sich auch mächtig ins Zeug gelegt hat, aber dort ist man ja an vorderster Front. Auf die entsprechende Staffel von The Good Fight warte ich sehnsüchtig.) Denn wie wir zum Beispiel noch in Kulturindustrie festgestellt haben, fühlte sich etwa die dritte Staffel von Master of None ja sehr nach “in der Pandemie gedreht” an, thematisierte sie aber gar nicht.

Zweitens frage ich mich, ob diese Art von “Suspense durch Ereignisse aus der echten Welt” ein regulärer Brunnen ist, aus dem TV-Autor*innen schöpfen können und/oder sollten. Bei historischen Filmen ist es ja eigentlich gang und gäbe, dass ein großer Teil der Spannung daraus besteht, dass wir als Publikum wissen, was passieren wird, und uns eigentlich pausenlos fragen, was deswegen den Figuren zustoßen kann. Ist ja auch eine beliebte Quelle für dramatische Ironie, egal ob auf der Titanic (“Gott selbst könnte dieses Schiff nicht versenken”) oder am Vorabend der Machtübernahme durch die Nazis. Aber mit einem so jungen historischen Ereignis fühlte es sich irgendwie anders an – vielleicht auch, weil wir noch nicht auf der anderen Seite sind (“I am tired of being a part of a major historical event“). Und wie so oft endet mein Gedankengang dort – ich finde es weder besonders gut oder schlecht, nur irgendwie bemerkenswert.

Podgast (XIV) – Im “Tropenhaus” zu “Die Unendliche Geschichte”

Schon zum zweiten Mal hat mich meine Techniktagebuch-Freundin Angela in ihren Podcast Tropenhaus eingeladen. Nachdem wir das letzte Mal über Bilderbücher gesprochen haben, ging es diesmal um mein Lieblingsbuch Die unendliche Geschichte.

Wie ich auch im Podcast erzähle, lese ich Bücher selten mehr als einmal, aber Michael Endes Klassiker habe ich sicher fünfmal gelesen, und zwar über mein ganzes Leben verteilt. Es ist ein Text, zu dem ich zurückkehre, um mich zu orientieren, und der mir bisher in jedem Lebensalter etwas anderes gegeben hat. Als Kind mochte ich die spannende Abenteuergeschichte über die Bedeutung von Phantasie. Als junger Erwachsener brauchte ich die Erzählung darüber, sich selbst treu zu sein und angenommen zu werden, wie man ist. Und nun, als End-Dreißiger, ist es vor allem der niemals gerade “Weg der Wünsche”, der mich berührt hat – die Tatsache, dass man seinen Lebensweg nur sehr bedingt planen kann und in der Regel erst weiß, was man als nächstes braucht, nachdem man den Schritt davor genommen hat.

Angela und ich konzentrieren uns im Gespräch dann auch besonders auf diese Phase des Romans in den letzten fünf Kapiteln. Wir sprechen über Bedürfnisse und Wünsche, das wie so oft problematische Mutterbild in der Jugendliteratur und die Bedeutung von Freundschaft für die wichtigsten Schritte im Leben.

Zum Finale von “11 Leben”

Über meine Begeisterung für den Podcast “11 Leben”, in dem der Sportjournalist am Leben von Uli Hoeneß im Grunde auch die Geschichte des deutschen Fußballs der letzten 50 Jahre erzählt, habe ich schon vor einem Jahr oft gesprochen. Jetzt ist der Podcast mit einer Doppelfolge zu Ende gegangen. Dazu hatte ich auf Twitter letzte Woche ein paar Gedanken gesammelt, die ich jetzt hier auch noch einmal (etwas erweitert) wiedergebe.

Ich finde nach wie vor, dass der Podcast ein totaler Triumph ist, und diese letzten zwei Folgen beweisen das noch einmal nachdrücklich. Ich hoffe sehr, dass andere die Möglichkeit haben, sich daran ein Beispiel zu nehmen und ähnlich Gutes zu schaffen! 

Max-Jacob Ost zeigt immer wieder, dass “11 Leben” kein Werk einer einzelnen Person ist, sondern dass es ein Team brauchte, um sich zu reflektieren, sich selbst zu verbessern und die Ressourcen für Recherche und Factchecking zu haben. Ich finde, es ist in der Podcast- und Radiofeaturelandschaft nach wie vor selten, dass diese “Hintergrundarbeit” gewürdigt und sichtbar gemacht wird.

Dennoch trägt “11 Leben” ganz klar die Handschrift von Max-Jacob Ost. Das kann ich wohl sagen auch ohne den “Rasenfunk” und anderes von ihm zu kennen. Das macht “11 Leben” menschlich, nahbar und trotz @audionowde Jingle am Anfang zu einem persönlichen Projekt. Und es zeigt, dass sich ein individueller Stempel und ein Team im Hintergrund, das alles besser macht, überhaupt nicht ausschließen – obwohl im Kulturbetrieb gerne so getan wird, als gäbe es entweder einsame Genies oder verwässerte Werke “by committee”.

“11 Leben” ist knallhart durchrecherchiert. Jede Folge platzt vor Fakten und Quellen. Für mich persönlich ist das immer die Grundlage eines solchen Formats. Wer sich dafür nicht die Zeit nehmen will, hat schon verloren. Trotzdem ist der Podcast nicht trocken oder langweilig (höchstens zwischendurch ganz kurz, wenn viele Ligasaisons nacheinander referiert werden). Max erzählt eine Geschichte, und darin setzt er auch selbst die Schwer- und Wendepunkte. Das macht das Ganze unterhaltsam. 

Ich mag es, dass durch den ganzen Podcast hindurch zum Ausdruck kommt, dass Max für sein Thema brennt, aber nicht bereit ist, sich davon blenden zu lassen. Seine langsame Distanzierung ist sogar Teil des Narrativs – es wird aber nicht negativ dargestellt. Das ist mir deswegen wichtig, weil ich immer noch das Gefühl habe, dass Fandom und Journalismus einander in der Wahrnehmung oft im Weg stehen. Wir brauchen aber beides und wenn es zusammentrifft, entsteht oft Gutes. 

Dass “11 Leben” von Anfang an auch ein Podcast darüber war, wie man einen Podcast macht, mag an der ein oder anderen Stelle etwas wohlfeil gewesen sein, ich fand es aber auch ein Stück Medienkompetenz-Vermittlung und es ermöglichte ein paar nette Running Gags. 

Wie schon die Mutter aller seriellen Recherche-Podcasts, “Serial”, war “11 Leben” kein abgeschlossenes Produkt, sondern hat sich Raum gelassen, auf Entwicklungen durch die Rezeption einzugehen. Das hat für eine komplette Formatveränderung und -verlängerung gesorgt, und im Endeffekt ermöglicht, dass Max immer die Tür für das Ziel offenhalten konnte, was er am Anfang formuliert hatte.

Damit ist ihm natürlich ein großer Coup gelungen. Wenn ich das richtig sehe, ist @GNetzer jetzt der einzige Journalist, der eine kritische Biografie von Uli Hoeneß geschrieben hat und ihn dafür auch interviewen konnte. Ich kann mich nur wiederholen: Man muss sich nicht wirklich für Fußball interessieren, um diesen Podcast zu hören. Er ist Mediengeschichte und ein Blick auf die deutsche Spaßgesellschaft von 1970 bis heute, er ist lehrreich und unterhaltsam und ein gelungenes Porträt. Chapeau!