Die Achtziger sind meine Problemdekade.
Meine Eltern sind mittlere Babyboomer. Als Angehörige des Jahrgangs 1952 waren sie 1968 gerade so nicht alt genug, um den ganzen Rummel vollständig mitzuerleben und nicht jung genug, um von ihren Eltern mitgerissen zu werden. Meine Mutter erzählt gerne, dass sie eine Mao-Bibel und ein Che-Guevara-Poster besaß, aber auch nicht genau wusste, warum sie “Ho-ho-ho-chi-minh” rief. Mein Vater hing zu seiner Abizeit gern in Freiburger Studentenkneipen rum und spielte Schach, aber dann wurde er trotzdem Zeitsoldat, um Wartesemester für sein Medizinstudium zu sammeln. Woodstock oder “Hair” – das war irgendwie ein Traum, aber keine wirkliche Realität.
Und dann haben sie beide nicht studiert. In den Siebzigern waren sie mehr damit beschäftigt, sich kennenzulernen und sich ein selbstständiges Leben zu schaffen – unabhängig von ihren Eltern. Ich hab sie nie gefragt, wo sie 1977 waren, als der Punk ausbrach. Aber dass sie es nie erwähnt haben, spricht eigentlich auch für sich.
Meine Fünf war keine Anti-Establishment-Geste
Und in den Achtzigern – nun, da haben sie Kinder bekommen, mich und meine Schwester. Da war der Popkultur-Zug dann endgültig abgefahren. Als Jahrgang 1983 sitze ich fett in der Mitte der Generation Y – die uncoole Stiefgeschwister-Generation der Generation X und der nervige ältere Cousin der Millennials. Als “Nevermind” erschien war mir noch nicht klar, dass meine gerade erhaltene Fünf in Schönschrift in der dritten Klasse eine Anti-Establishment-Geste sein könnte. Die Achtziger waren für mich nicht Postpunk und Gothic, sie waren das, was meine Eltern sich an Kultur in die Kinderkriegjahre hinübergerettet hatten: Andrew Lloyd Webber und Chris de Burgh.
Und deswegen hatte ich Zeit meines Lebens Schwierigkeiten, die Achtziger zu verstehen – jene Dekade, die von gefühlt allen Menschen, die auch nur ein bisschen älter sind als ich, endlos verehrt wird. 1982 oder 1984 – der beste Filmsommer aller Zeiten (USA)! Rip it up and start again (UK)! Ich will Spaß, ich geb Gas (Deutschland)!
Mein Popleben beginnt 1992
Die Achtziger, vor allem die frühen Achtziger, waren überall, wo ich hinsah, aber sie waren mir unendlich fern. Ich habe nicht einmal die deutsche Einheit so richtig mitbekommen. Mein Popleben beginnt irgendwie 1992 mit 2 Unlimited, Glitzerstickern und “Rhythm is a Dancer”, Jan Böhmermann hat das zuletzt gut auf den Punkt gebracht.
Klar, ich mochte E.T. und Back to the Future auch. Aber als ich als Teenager begann, selbst in der Zeit zurückzureisen und die Genre-Filmgeschichte zu entdecken, stieß ich in den Achtzigern ohne ältere Geschwister immer wieder auf Granit. Während sich mir sonnendurchflutete Hippiefabeln und ihre Nachwehen problemlos erschlossen (ganz wirkungslos waren die Beatles-Platten meines Vaters dann doch nicht), waren Filme zwischen 1980 und 1989 irgendwie merkwürdig. Dunkel. Schräg. Escape from New York – da erkannte man gar nichts! Blade Runner – ein Haufen kauderwelschiges Gelaber!
Albträume bis heute
Time Bandits, Legend, Labyrinth, The Dark Crystal, The Lost Boys – selbst die Filme, die ich streckenweise mochte, schienen wie aus einer anderen Welt zu sein. Viele Zeichentrickfilme aus den 80ern, etwa von Don Bluth und Prä-Katzenberg Disney – The Great Mouse Detective, The Secret of NIMH – sind fucking weird, man! Ich warte bis heute darauf, All Dogs go to Heaven noch einmal zu sehen, der mir damals merkwürdige Albträume bescherte.
Das war alles so anders als meine prägenden Filme: Jurassic Park, Terminator II, Toy Story, The Matrix – deutlich heller ausgeleuchtete, weniger synthie-lastige Märchen über Menschen und ihre Spielzeuge. Nicht so ein merkwürdiger Quatsch wie David Lynchs Dune.
Noch bis weit in meine Studienjahre hinein dachte ich, ich würde die Achtziger nie richtig verstehen. Metallica würden für mich ihre Karriere immer mit dem schwarzen Album begonnen, Yes ihre mit “Going for the One” beendet haben.
Die Rückkehr
Dann aber wurden die Menschen 35, die die Achtziger als Kinder erlebt hatten. Und begannen Mitte der 2000er damit, ihre Kindheit zu remaken. Plötzlich waren die Achtziger wieder da. Egal ob Transformers, Indiana Jones, Tron, Die Hard oder Super 8; Turtles, My little Pony, Conan, Robocop und und und. Das Internet half als ewige Wiederkäu-Nostalgie-Maschine dabei, jeden noch so kleinen Geburtstag zu feiern und sich zurückzusehnen in alte Zeiten. In der Musik wurden an jeder Ecke die Synthies wieder ausgepackt. JUGENDLICHE TRUGEN WIEDER VOKUHILAS!
Aber irgendwie passte es auch. In den Achtzigern war die Welt durch den kalten Krieg in zwei Lager gespalten, nach 9/11 war sie es wieder. In den Achtzigern regierten rücksichtsloses Gewinnstreben und gelebte Maßlosigkeit, jetzt auch. Die Angst vor dem Terror war wieder da. Die Furcht vor Maschinen, die uns überlegen sind, ließ sich perfekt aufs Internet übertragen. Statt Tschernobyl eben Fukushima. Der einzige Unterschied liegt darin, dass man sich zusätzlich noch vor der ewigen Wiederkehr des Gleichen fürchtet.
Als Kind der hippie-dippie Neunziger – Love Parade, Schnullis, “Weil ich’n Mädchen bin” und so weiter – begann ich um 2010 herum endlich zu verstehen, was die Achtziger ausgezeichnet hatte. Dieses Gefühl des Tanzes auf dem Vulkan, der Katastrophe vor Augen, der Beinahe-Sehnsucht nach dem Weltuntergang, die sich auch im Kino plötzlich wiederfand, das alles leuchtete mir plötzlich ein.
Barocke, unpolitische Wiedergeburt
Ich fing deswegen nicht plötzlich an die Smiths zu hören, denn schließlich waren das hier ja nicht die Achtziger selbst, sondern ihre barocke, unpolitische Wiedergeburt. Aber plötzlich bekamen Alben wie “90125” oder “Human Racing” einen anderen Klang. Was mich vorher abgestoßen hatte, erschien mir jetzt plötzlich gerade schön. Filme wie Beetlejuice, The Terminator oder Who Framed Roger Rabbit, die ich gesehen und gemocht, aber nicht gefühlt hatte, entfalteten eine neue Ebene. Ich konnte etwas wie The Adventures of Buckaroo Banzai Across the 8th Dimension sehen und irgendwie nachempfinden.
Wir können auf Remakes und Nostalgie-Kultur schimpfen, so viel wir wollen. Aber manchmal braucht es genau diese Appropriation durch die rosa Brille anderer Menschen, um die Vergangenheit selbst zu erfahren. Manchmal reicht nicht der Text allein, es braucht den Metatext, der die Bedingungen, unter denen der Text entstand, wieder herbeibeschwört. Erst wenn wir beginnen unsere eigene Vergangenheit zu remaken, können unsere Nachfolger beginnen, zu verstehen, was sie für uns bedeutete.
Schön, dass am Ende die Nostalgie gewinnt. Der BadassDigest-Artikel war mir dagegen viel zu zynisch und böse. Hallo? Es sind die 80er! Warum sollte man nicht seine persönliche Kinomagie nach außen tragen wollen? Und dann noch gegen “Die Goonies” wettern… ;)
Interessant, was da die 3-4 Jahre früher ausmachen. Zwar kann ich dich ein bisschen verstehen, weil ich auch etwas brauchte, bis sich mir bspw. die Vibes des Synthie-Pop erschlossen, der abends im Radio lief, wenn ich mal nicht zu einer Hörspielkassette einschlafen wollte, aber sonst habe ich die 80er noch mit meinem Raider gefrühstückt. Gerade filmisch ist dies vermutlich ganz einfach deshalb möglich, weil das, was wir nicht direkt in den 80ern fragmentarisch aufsammelten, dann in Fernsehen und Videothek allgegenwärtig war. Dafür bin ich mit der 80er Nostalgie inzwischen soweit fortgeschritten, daß ich eher die 90er aus den Bruchstücken zusammen sammeln kann, die vom Höhepunkt von Sturm und Drang nicht aus den grauen Zellen getrieben worden sind. Und am besten versteht man Dinge ohnehin erst, wenn man sie mit Abstand betrachtet. Dann kann man ihnen manchmal auch eine ganz neue Bedeutung beimessen, die man zu ihrer Zeit noch gar nicht erkannt hat.
Was bei mir sicherlich auch etwas ausmachte, ist, dass mein Fernsehkonsum sehr lange sehr streng geregelt war. Ich habe die 80er-Filme also nicht schon als Kind ständig gesehen; hatte keine Videokassetten, die ich immer wieder geschaut habe (eine Geschichte, die man von Filmfreaks ja immer wieder hört). Aber mit deinen Worten zum Abstand hast du auch sicher recht.
Schön, dieses Jahrzehnt, das für mich als Angehörigen der Generation deiner Eltern und damit längst Erwachsenen nicht soo prägend war, durch deine Augen zu betrachten. Allerdings habe ich es als (am Anfang noch) Student an der FU Berlin und freier Journalist im Gegensatz zu deinen Eltern sehr politisch erlebt. Und was die Kultur und vor allem die Musik angeht: Ich weiß noch sehr gut, wie ich – von einem anderen Musikplaneten herüberschauend, als Musikwissenschaftler aber auch sehr neugierig – den Aufbruch des Punk und die Jahre danach erlebt habe.
Lieber Achim, ich mache jede Wette, dass die generelle Sozialisation einen großen Unterschied macht. Wenn meine Eltern in Berlin gelebt oder etwas kulturelles studiert hätten, hätten sie mit Sicherheit Dinge anders wahrgenommen oder weitergegeben. Meine Frau ist mein Jahrgang und war beim Mauerfall vor Ort. Das prägt. Ich hoffe nur, dass ich meinen Kindern irgendwann mal ein facettenreiches Bild meiner Generation vermitteln kann – und dass es sie interessiert.