Ich weiß selbst manchmal nicht so ganz, wo ich eigentlich als Podcast/Hörfunk-Kritiker stehe. Einerseits verdiene ich etwas Geld damit (und ab nächstem Jahr wahrscheinlich etwas mehr, stay tuned), dass ich Kritiken schreibe, und das Medium ist wahrscheinlich längst das Wichtigste in meinem allgemeinen Lebenswandel, seit ich eine Familie habe und deutlich weniger Filme gucke. Andererseits fehlt mir, je nach Betrachtungsweise, die Lust, die Zeit, das Commitment oder auch der Anreiz, so viel zu hören, dass ich wirklich das Gefühl habe, alles Wichtige zu kennen und entsprechend Bescheid zu wissen.
Mein normales Raster an Podcasts, die ich einfach persönlich gerne höre (manche davon allgemein relevant, andere auf eigene Nischeninteressen bezogen) ist zudem so umfangreich, dass ich kaum die Zeit finde, regelmäßig Produktionen nur aus professionellem Interesse zu hören. Damit sich das für mich lohnt, muss ich schon dafür bezahlt werden. Sagt mir doch mal in den Kommentaren, ob das ein echtes Problem ist, oder ob ich da als jemand, der Vollzeit erwerbsarbeitet und eine Hälfte der familiären Sorgearbeit übernimmt, eventuell auch einen unrealistischen Anspruch habe.
Deswegen fiel es mir dieses Jahr (im Vergleich zum letzten Jahr) auch gar nicht so leicht, zehn Podcasts herauszustellen, die ich bemerkenswert fand – und die nicht in die Kategorie “Podcasts, die schon generell immer ziemlich gut aber kaum neu sind” fallen. Ich versuche, wie immer, daran auch ein paar allgemeine Beobachtungen auch über mein eigenes Hörverständnis festzumachen. Insofern ist diese Liste, wie alle Listen, überhaupt kein absolutes Votum.
Zwei Podcasts habe ich dieses Jahr übrigens aus meinem Podcatcher geschmissen, denn anders geht es nicht, wenn man ab und zu Platz für Neues machen will. Radiolab war mir trotz vieler Experimente und Host-Wechsel irgendwie ein wenig zu vorhersehbar geworden. Und Reply All konnte ich nach dem ganzen Skandal um ihre Arbeitskultur, der sich in der ironischst-denkbaren Weise entlud, irgendwie auch nicht mehr ernstnehmen. Dafür sind einige Shows dazugekommen, die nicht in der Liste auftauchen, aber mich regelmäßig erfreuen, etwa Science Diction von WNYC, VFX Notes/VFX Artifacts von beforesandafters.com und mediasres vom Deutschlandfunk.
Diese Liste ist kein Ranking. Alle Einträge stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Ich hatte, ganz ehrlich, fest damit gerechnet, dass es so kommt, aber der besondere Coup, dass es Max Ost am Ende wirklich gelungen ist, seinen Kuchen sowohl zu behalten (einen kritischen Podcast über Uli Hoeneß zu machen) und zu essen (Uli Hoeneß zu interviewen), ist schon bemerkenswert. Alles weitere steht in diesem Blogeintrag.
This American Life: “Music of the Night after Night after Night”
Die letzte wirklich außergewöhnliche Sendung von TAL ist irgendwie eine Weile her, aber dieses Segment über die Musiker im Orchestergraben von Phantom of the Opera am Broadway, die teilweise seit Jahrzehnten miteinander jeden Abend die gleichen Noten spielen, fand ich eine absolut herausragende Geschichte.
Sexy und Bodenständig: The Alena Arc
Der “Autor*innen-Entlastungspodcast” Sexy und Bodenständig lebt von der Dynamik seiner beiden Beteiligten, Till Raether und Alena Schröder. Während aber Till Raether seit vielen Jahren erfolgreich Bücher in verschiedenen Genres publiziert, hat Alena Schröder dieses Jahr ihren ersten großen Roman, Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid veröffentlicht (ich lese ihn gerade auch endlich und finde ihn sehr gut) und damit prompt einen Bestseller gelandet. Das Nachspiel dieser Geschehnisse, bis zur jetzigen legendären Angst vor dem zweiten Buch, fand ich dieses Jahr sehr spannend zu verfolgen, zumal man es sich ein bisschen zusammenpuzzeln musste, weil Alena (die, wie wir auf Twitter mal feststellten, im gleichen Kaff geboren ist wie ich und auf der Nachbarsschule Abi gemacht hat) im Podcast nicht zu spontanen Gefühlsausbrüchen neigt.
Das Podcast-Ufo: “Hinter dem Mikrofon”
Eine der meistherumgereichtesten deutschen Podcastepisoden dieses Jahr, ist zurecht so berühmt. Ein Laberpodcast als Meta-Musical über die deutsche Podcastlandschaft – ich finde das nicht mal so abwegig, wie anscheinend viele andere Kommentator*innen, die nie eine Joss-Whedon-Serie gesehen haben, aber der zentrale Punkt ist, dass das Ergebnis sehr gut gemacht, also catchy, witzig und dumm-klug ist. Die Ambition zu haben, bei einem solchen Experiment auch all-in zu gehen, und nicht nur etwas Halbgares abzuliefern, finde ich applauswürdig. (Mit Florentin Will war ich übrigens mal bei den Cinematic Smash Bros)
The Sporkful: “Mission Impastable”
Aus dem immer beliebten Genre “Ein Podcast Host verfolgt ein verrücktes Projekt über Jahre, bis er endlich Erfolg hat” kommt diese Mini-Serie des Essenspodcasts The Sporkful, in dem Dan Pashman sich die Mission auferlegt, eine neue Pastaform zu erschaffen, die maximal forkable, sauceable, und toothsinkable ist. Das Tolle an diesen Missionspodcasts ist immer, dass sie am Beispiel eines Kulturguts oft so viele Disziplinen vereinen – Ökonomie, Industrie, Design und eben Kultur – und man am Ende immer schlauer ist, selbst wenn es nicht so amüsant und dramatisch erzählt ist, wie hier. Leider sind die Versandkosten aus den USA so hoch, dass ich “Cascatelli” bis heute nicht probieren konnte.
The Specials: “Bo Burnham’s ‘Inside'”
Bo Burnhams musikalischer Netflix-Film Inside hat sehr viel Lob eingeheimst, wurde aber auch kontrovers diskutiert, nicht zuletzt in Kulturindustrie, dem Podcast, von dem ich ein Teil bin. Was mir wirklich gefehlt hatte, und was ich im Feed des Podcasts Good One im September endlich bekam, war eine detaillierte Analyse des Werks von Leuten, die sich gleichzeitig mit Künstler und Materie sehr gut auskennen und in der Lage sind, eine kritische Distanz zu wahren. Diese Art von nischiger Einordnung, gerade auch für kulturelle Werke, finde ich einen perfekten Einsatzort von Podcasts, denn gerade die Dynamik eines solchen Fachgesprächs ließe sich in einem Artikel niemals herstellen.
Commander Sphere: “The Counter Spell Debate”
Und jetzt mal was noch Nischigeres aus meinem einzigen Hobby, mit dem ich kein Geld verdiene: das Kartenspiel Magic: The Gathering. Dort gibt es dutzende Podcasts, manche ernster und “im Spiel besser werden”-betonter, manche lustiger, aber kaum einen, in dem die Mischung für mich so perfekt stimmt, wie Commander Sphere. An diesem Beispiel habe ich dieses Jahr für mich festgestellt, wie wichtig auch Comfort Food beim Podcast hören ist. Rachel Weeks und Dan Sheehan sind Comedians und zumindest Rachel ist auch eine sehr gute Spielerin. Die meisten Episoden sind einfach nur Takes auf aktuelle Diskussionen, vielleicht etwas witziger als anderswo, aber manchmal nehmen sich die zwei auch explizit eine Sendung voller “Goofs” vor – hier versuchen sie, die besten Namen für Antimagie-Sprüche zu finden, in einer anderen Sendung haben sie alle Hauptfiguren des Magic-Universum danach bewertet, wie gut sie wohl küssen. Ich bin dankbar für diese Art von unaufwändigen Podcasts, die emotional eine Menge ausmachen können.
Schöpfer Malcolm Gladwell und seine Firma Pushkin nennen diesen Interview- und Musikpodcast “Audiobook”, aber ich habe ihn in meinem Podcatcher gehört und er unterscheidet sich auch sonst nur wenig von anderen limitierten Podcast-Serien. Warum ich das bemerkenswert finde, habe ich gerade erst für epd medien aufgeschrieben.
Der Über Podcast vom Deutschlandfunk ist vor gut zwei Jahren als Magazinsendung über Podcasts gestartet und von mir öfter dafür kritisiert worden, dass das Magazinformat dafür sorgt, dass seine Themen häufig nur sehr oberflächlich und ohne klare Haltung diskutiert werden. Inzwischen wurde der Über Podcast produktionstechnisch abgespeckt – nur noch ein (wechselnder) Host, kein Magazin-Korsett mehr – ist aber dadurch schlagkräftiger und meiner Ansicht nach auch relevanter geworden. Das Format passt sich frei dem an, was das Thema braucht (manchmal eine Expert*innen-Gesprächsrunde, manchmal eher einen klassischen Beitrag mit Audiobeispielen und Interviewschnipseln) und trägt stärker die Handschrift seiner Autor*innen Mike Herbstreuth und Christine Watty. Respekt für diese erfolgreiche Häutung.
Was waren eure Podcasts-Highlights 2021? Schreibt es in die Kommentare oder schreibt mir auf einem anderen Kanal. Produktionsfirmen dürfen mich auch gerne in ihre Presseverteiler aufnehmen (manche haben das sogar schon gemacht). Kontakt im Impressum.
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