Innere Uhr: Warum das Filmjahr von Mai bis Februar geht

Unternehmen rechnen in Geschäftsjahren, die nicht unbedingt etwas mit Kalenderjahren zu tun haben müssen, sondern häufig um ein bis drei Quartale verschoben sind. Ähnlich ist es mit dem großen, weltumspannenden Unternehmen Kino. Dort geht das Jahr, vor allem in Deutschland und Resteuropa, eigentlich nicht von Januar bis Dezember, sondern von Mai bis Februar. Das fällt mir immer mehr auf, jedes Mal wieder, wenn ich versuche, in der letzten Dezemberwoche meine besten Filme des Jahres zu küren und dann denke: Eigentlich müsstest du noch eine Weile warten.

Warum Mai? Im Mai (morgen) starten die Filmfestspiele in Cannes. Sie sind der erste Indikator dafür, welche Filme im Filmjahr 2009 eine Rolle spielen könnten. Beispielsweise wäre da der Eröffnungsfilm, Pixars neues Abenteur Up, der in Deutschland im Juli startet, ein Sommererfolg werden und pünktlich zur Weihnachtszeit in den USA in den DVD-Regalen liegen wird. Auch andere bekannte und preisträchtige (vor allem nichtamerikanische) Regisseure warten in de Regel bis Cannes ab, um ihre neuen Filme vorzustellen. Dieses Jahr sind das beispielsweise Pedro Almodóvar, Jane Campion, Michael Haneke, Ken Loach, Lars von Trier, Michel Gondry und Quentin Tarantino. Cannes ist der Vor-Fühler für Industrie und Journalismus. Nicht selten höre ich im Gespräch mit Kollegen Ende des Jahres den Satz “Ich kann mich nicht mehr gut dran erinnern, den habe ich damals in Cannes gesehen.” Was hier hinterher hochgeschrieben und verkauft wird hat danach eine gute Chance, weiterhin mitspielen zu können. Was nicht so gut wegkommt startet gerne auch erst ein bis mehrere Jahre später (z. B. Steven Soderberghs Che).

Nach Cannes kommt noch Venedig. Dann kommt der langweilige Sommer, der hauptsächlich mit großen Blockbustern bevölkert wird, die zwar viele Leute gucken, die aber Filmkritiker (meistens) eher die Nase rümpfen lassen. Ungefähr im Oktober beginnt dann die “Awards Season”. Jetzt fängt Hollywood an, noch schnell vor Ende des Jahres seine Filme rauszuhauen – natürlich nicht in Europa, sondern meist erstmal in wenigen ausgewählten Kinos in New York und L.A. Trotzdem sind dies dann die Filme, die bei den Kritikern am Ende des Jahres auf den Bestenlisten auftauchen – denn wer erinnert sich noch an die verzögerten Starts aus Januar bis April des Jahres, von denen die meisten längst in unzähligen Preiszeremonien abgefeiert wurden (weil diese ja, wiederum, eigentlich schon im limited release oder auf Festivals Premiere hatten). Dann kommt der Januar, die Golden Globe Verleihung und die Awards all der Gilden in Amerika. Der Februar bringt die Berlinale mit sich, auf der jene Filme gezeigt werden, die irgendwie auch ganz nett sind, sich aber nie Chancen auf die Spitzenplätze am Ende des Jahres erhoffen würden. Und Ende Februar ist dann die Oscarverleihung, Hollywood klopft sich und dem Rest der Welt auf die Schultern und die Filmbranche fällt in einen erschöpften, kurzen Schlaf. Eine Art Power-Nap.

Februar, März und April sind die Monate, in denen es sich in Deutschland häufig am meisten lohnt, ins Kino zu gehen. Dann nämlich hieven die deutschen Verleiher all die Filme ins Kino, die in Hollywood ausgezeichnet wurden. Deren lächelnde Vertreter man mit Statuetten in der Hand anblickte, ohne zu wissen, ob sie den Preis verdient haben, weil man den Film noch nicht gesehen hat. Und hinzu kommen einige der ersten “echten” Filme des neuen Jahres, hauptsächlich die, denen das Zeug zum Sommerblockbuster irgendwie fehlt, weil sie nicht genug Massen-Appeal haben – dieses Jahr zum Beispiel Watchmen und Star Trek.

Und dann, gerade wenn man alles gesehen und verdaut hat und endlich weiß, welche Filme im Vorjahr tatsächlich gut waren, geht das neue Filmjahr los und alle Augen richten sich nach Cannes. In diesem Sinne: Prost! Auf ein neues Filmjahr.

Worte zum Wochenende – 8. Mai 2009

Sein “Star Trek” ist ikonoklastisch, aber er zeugt von tiefem Respekt für den Mythos. Es ist der Film eines Spätgeborenen.

Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung
// Ich bin dein Vater

Immer wenn ich einen rüstigen älteren Herrn wandern sehe, muss ich jetzt denken: Jagdrevier der scharfen Gemsen.

Harald Martenstein, Die Zeit
// Sexsender für Senioren

Noch bekloppter als der Wettbewerb an sich ist der Glaube, dass in ihm auf eine irgendwie halbwegs objektive Weise das beste Lied gewählt würde. Oder werden sollte. Oder werden könnte.

Stefan Niggemeier, Das Fernsehblog
// Stell dir vor, es ist Grand Prix und ich seh nicht hin

Die Strategien der anderen Zeitungen sind doch viel defensiver. Sie entlassen Redakteure, bezahlen den Rest unter Tarif. Unsere Kombination aus Online- und Wochenendzeitung ist vorwärtsgewandt, einfach einleuchtend

John Yemma, im Interview mit dem SZ-Magazin
// C wie Christian Science Monitor

Was taugen Reboots wirklich?

Der Blogger Benjamin Kausch aka Bekay war so freundlich, auf meinen Reboot-Artikel in epd-Film hinzuweisen und sich kurz damit auseinanderzusetzen. Er zeigt “eine gewisse Paradoxie” darin auf, dass die von mir im Artikel konstatierte Ursprungs-Sinnsuche bei Reboots “gerade an sattsam bekannten Franchises (Batman, Bond, Star Trek etc.) umgesetzt und befriedigt” wird. Er schließt damit, dass ich die Hollywood-Reboot-Schwemme für kritikwürdig halte.

Und in der Tat endet mein Artikel mit den Worten:

Dann stellt sich allerdings die Frage, ob es auf Dauer reichen wird, die Popkultur der letzten fünfzig Jahre aufzurühren und umzuschichten. Statt die abgehangensten Heldenepen rückwärts zu lesen, wäre es vielleicht doch eher an der Zeit, neue Helden zu schaffen, die das Kino erobern können. Sie müssen ja nicht aus dem luftleeren Raum stammen, erfolgreiche Buchvorlagen gibt es genug – siehe Twilight. Auf jeden Fall aber kann man sie auf die Leinwand bringen, ohne dass sie allzu viel Gepäck mit sich herumschleppen.

Ein feuriges Plädoyer für neue Stoffe also, dass ich jederzeit wieder so schreiben würde. Dennoch hat mich Bekays Anmerkung nachdenklich gemacht. In erster Linie sollte mein Artikel den momentanen Reboot-Wahn in Hollywood feststellen und darüber nachdenken, was dahinter steckt. Doch obwohl ich ein großer Freund von Originalstoffen bin, und tatsächlich der Meinung bin, dass man nicht ständig nur auf Bewährtes setzen sollte, haben Reboots, Remakes und die ihnen verwandten (und im Artikel ebenfalls behandelten) Prequels durchaus ihre Daseinsberechtigung, ebenso wie Neuinszenierungen am Theater.

Wichtig, so würde ich argumentieren, ist, dass sich im neuen Film die wirtschaftliche Ausbeutung einer etablierten Marke mit so etwas wie einer künstlerischen Vision die Waage hält. Einfacher formuliert: Für den Rückgriff auf Reboot oder Prequel innerhalb eines Franchises sollten sich triftige Gründe finden lassen. Ich will versuchen, diese These an einigen Beispielen zu erläutern.

Als Christopher Nolan 2005 die Batman-Serie übernahm, steckte die Batman-Figur wirklich knietief im Kaugummi. Ehrlich zugegeben habe ich Joel Schumachers Batman and Robin nie gesehen, aber ich habe bis heute noch niemanden getroffen, der sich positiv über den Film geäußert hat. Nimmt man den von mir gesehenen Vorgängerfilm Batman Forever (ebenfalls von Schumacher) als Vorbild, ist nachvollziehbar, warum Nolan gut zehn Jahre später die Notwendigkeit sah, Batman neu zu erfinden: Härter, gröber und zerrissener. In einer Post-9/11-Welt, die sich von der Jubilierung über den Fall des Eisernen Vorhangs in den Neunzigern erholt hat, die Erde erneut in zwei Lager eingeteilt hat, sich in diesem Antagonismus aber wesentlich unsicherer ist, erscheint es sinnvoll, Gotham City von seinem Fantasy-Image zu befreien und ihm den Charakter eines übersteigerten New York (wie ursprünglich) zurückzugeben. Mit The Dark Knight, der ein in jeder Hinsicht perfekt ausgeführter Action-Thriller ist – ob man ihn mag oder nicht, hat Nolan bewiesen, dass sein Reboot zu etwas führt, nämlich zu einer zeitgenössischen und brutalen Spiegelung von politischen und gesellschaftlichen Vorgängen in der überzogenen Welt des Comichelden-Films.

An einem ähnlichen Konzept versucht sich seit einigen Jahren auch das James-Bond-Franchise. Seit Casino Royale ist Bond in einer härteren Origin-Story zu neuem Leben erwacht, immer noch cool, aber nicht mehr lässig-leicht, sondern äußerst verletzbar und als kleines Zahnrad in einer Verstrickung von weltpolitischem und -kapitalistischem Machtgeklüngel. Doch auch wenn Casino Royale wegen seinem Neuigkeitswert, seinen gewissen ironischen Referenzen zum Neustart (“Sehe ich so aus, als würde mich das interessieren?”) und vor allem wegen seiner grandiosen Actionszenen einen gewissen Reiz hatte, so hat sich spätestens mit dem Nachfolger Quantum of Solace bewiesen, dass die Figur aus den neuen Filmen kaum noch als Bond durchgehen kann. Hatte sich James Bond nicht immer und von Anfang an dadurch ausgezeichnet, dass er mit einem Lächeln durch die Welt geht und eben der ist, der am Ende siegt? Der nicht in einem Schwall von schnell geschnittenen Szenen ohne Übersicht untergeht, alles verliert was er liebt und ihm in einem Blutrausch hinterher jagt? Der neue Bond mag etwas näher an Ian Flemings Romanen sein, als Film-Reboot ist er gescheitert. Denn im Endeffekt verraten die neuen Filme die Figur und die über zwanzig Filme umfassende Tradition für eine relativ beliebig wirkende Zeitgeist-Aufbesserung. Und gerade Mark Forster macht es in Quantum of Solace nichtmal besonders gut. Da die Bond-Figur sowieso verschiedene Permutationen durchlaufen darf (ähnlich eines Dr. Who) hätte man mehr Effekt auch ohne Reboot erreichen können.

Dickstes Beispiel für einen überflüssigen Reboot ist wohl The Incredible Hulk. Weil den Marvel-Studios (die fleißig an ihren Avengers puzzeln) Ang Lees Film Hulk zu künstlerisch war, gaben sie kurzerhand einen Reboot in Auftrag, die den Hulk stärker in das neue Marvel-Universum eingliedern soll. Der entstandene Film ist nicht an sich schlecht, so etwas wie eine filmemacherische Vision fehlt ihm aber völlig, er ist weitgehend langweilig und folgt einem Dramaturgieschema F.

Wolverine habe ich noch nicht gesehen, die Kritiken überschlagen sich nicht unbedingt mit Lob. Da der Film aber doch irgendwo außerhalb der bisherigen X-Men-Filme steht und seinen größten Reiz daraus zieht, dass Hugh Jackman in der Filmtrilogie zu der Repräsentation des unverwundbaren Mutanten geworden ist, sehe ich für ein solches Spin-Off immerhin einen triftigen Grund: Die Figur gibt tatsächlich mehr her, als in einem Ensemblefilm herumzuspuken, vor allem wenn man einen so guten Schauspieler hat, der ihr Leben verleihen kann. (Da Wolverine nicht den bisherigen Kanon über den Haufen wirft, zählt er übrigens – genau wie Star Trek – streng genommen nicht als Reboot, sondern als Prequel).

Wie auch schon im Artikel erwähnt, spielen die Terminator-Filme innerhalb des filmischen Markengeflechts eine besondere Rolle, da sie sich durch ihre Zeitmanipulation quasi mit jedem Film automatisch Rebooten. Jeder Film schafft sich selbst eine neue Zukunft, was dem Nachfolger absolute Interpretationsfreiheit für alle Ereignisse auf der Timeline in beide Richtungen gibt. Propagierte Teil II noch “No Fate” – die Zukunft ist noch nicht geschrieben – so wirkte Teil III zwar insgesamt extrem beliebig, endete aber immerhin mit einer erstaunlich konsequenten apokalyptischen Vision. Wie sich Terminator: Salvation aus dem Dickicht befreien will, bleibt abzuwarten, aber immerhin versucht er nicht noch ein viertes Mal die Storyline der ersten drei Filme neu aufzugießen und betritt neuen Boden innerhalb des Kanons. Regisseur McG ist immer für eine Überasschung gut, ich habe also Hoffnungen.

Mit Star Trek neu anzufangen halte ich grundsätzlich auch für eine gute Idee, da die Next Generation-Filme zuletzt auch nichts mehr zu bieten hatten. Der nun startende Film läuft allerdings natürlich ebenso wie die Star Wars-Prequels Gefahr, in die Retcon-Falle zu treten, also ständig die noch nicht geschehene Zukunft neu erklären zu wollen. Die Lektüre einiger Interviews mit den Drehbuchautoren hat mich bisher davon überzeugt, dass man sich im Filmteam über die Stolperfallen von Zeitreise und Co sehr bewusst ist – meine Erwartungen sind also positiv. Trotzdem hätte es gerade Star Trek vielleicht eher gut getan, seine Geschichte weit in die Zukunft der drei 90er-Serien zu verlegen, als sich in den Hollywood-Sinnsuch-Trek einzureihen und mit dem Glitzer des 21. Jahrhunderts eine Serie aus den Sechzigern zu torpedieren. Die Hoffnung hängt zuletzt an JJ Abrams, auf dessen Gespür für interessanten Zeitgeist man sich bisher recht gut verlassen konnte.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich bei den momentanen Reboots Hits und Misses so ziemlich die Waage halten. Einige Filme (besonders auch solche aus der Prequel-Maschine wie Hannibal Rising) haben keine wirkliche Daseinsberechtigung, denn sie dienen wirklich nur einer überflüssigen Markenausschlachtung. Andere bieten tatsächlich einen neuen, zeitgemäßen Blick auf eine Figur, die es wert ist, am Leben erhalten zu werden.

Diese Figuren jedoch, dabei bleibe ich, müssen ergänzt werden durch neue Helden, die nicht nur an die Zeit und den filmemacherischen Trend angepasst werden, sondern die ihr tatsächlich entspringen. Die jüngste der hier diskutierten Figuren ist der Terminator, und selbst der hat inzwischen 25 Jahre auf dem Buckel. Hancock ist ein Beispiel für einen originären Kinosuperhelden, der vielleicht nicht der große Wurf ist, aber immerhin – wie oben beschrieben – kein altes Gepäck mit sich herumträgt.

Worte zum Osterwochenende

If you’re serious about staying in competition with the internet, why don’t newspapers have a huge porn section?

Stephen Colbert, The Colbert Report, in einem Interview mit dem Präsidenten der Newspaper Association of America, John Sturm
// Better Know a Lobby: Newspaper Lobby

Wir alle werden dank des Web 2.0 wieder lernen müssen, MIT unseren Biographien zu leben statt GEGEN sie. Auch deshalb, weil wir sie ja gar nicht mehr ändern können. Jede Biographie ist dabei notwendigerweise fleckig.

Klaus Jarchow, medienlese.com
// Niemand ist ein unbeschriebenes Blatt

Aber von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, da hat Herr Bellut schon Recht, lassen sich wirklich die wenigsten Formate einfach vom Privatfernsehen auf öffentlich-rechtliches Fernsehen übertragen.

Stefan Niggemeier, Das Fernsehblog
// Was sich alles nicht vom Privatfernsehen auf ARD und ZDF übertragen lässt

It does raise questions about the expectations of parameters that people ostensibly think that they put on us as arts, culture and entertainment journalists.

Radiojournalist Jian Ghomeshi, CBC Radio, über ein merkwürdiges Interview mit Billy Bob Thornton
// Joaquin Phoenix II? Billy Bob gives odd interview
// Billy Bob Thornton ‘Blow Up’ on Q TV
[via Language Log]

Auch Mitteldeutschland weiß jetzt: Erde ist tatsächlich rund

Wie so viele andere Blogger (die ich hier gar nicht alle aufzählen kann, exemplarisch verlinke ich mal hierhin) reihe ich mich hiermit mal in den Kreis derer ein, die darüber aufstöhnen, dass immer wieder diverse öffentliche Organe plötzlich entdecken, dass dieses Internet-Dings doch ziemlich gefährlich ist und dass wir am besten alle davor geschützt werden sollten.

Der ein oder andere greift dafür mit Vorliebe zu extremen Schutzmaßnahmen, die meisten begnügen sich aber damit, immer mal wieder zu mahnen und anschließend zu fordern, dass man Kindern beibringen muss, wie man ordentlich damit umgeht, vor allem mit diesem Web 2.0 mit all seinen Foren, Chats und Blogs.

Mir drängt sich in solchen Fällen immer folgender Eindruck auf: Wer hier eigentlich beigebracht bekommen will, wie das Internet funktioniert und wie man sich dort verhalten sollte, sind nicht die Kinder, sondern die überforderten Erwachsenen. Sehr schön demonstrieren lässt sich diese These an einer aktuellen Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der mitteldeutschen Landesmedienanstalten (AML) mit dem Titel “Neue Medienwelten – Neue Anforderungen”.

Wenn man Pressemitteilung (und zugehöriges “Thesenpapier”) liest, wird einem folgendes klar: Die Führungsgremien von drei Landesmedienanstalten (Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen) haben eine Tagung gebraucht, um anschließend mahnend festzustellen: Medienkompetenz ist wichtig. Ach was. Ach so: Auch im Internet. Und vor allem: In unseren immer schlimmer werdenden Zeiten.

Das klingt wie ein Allgemeinplatz, der vielleicht bösartig zugespitzt wurde? Lassen wir das Original zu Wort kommen:

Die Verschmelzung der alten und neuen Medien, die damit verbundene Zunahme des interaktiven und partizipativen Medienumgangs sowie die zeit- und ortsunabhängige Verfügbarkeit der Medien in allen Lebensbereichen in einer globalen Medienwelt eröffnen der Bevölkerung neue Lern- und Erfahrungsräume in Bildung, Arbeit und Freizeit.

Zugleich bringt die Medienentwicklung gesellschaftliche Risiken mit sich, etwa hinsichtlich fragwürdiger ethisch-moralischer Orientierungen in der psychosozialen Entwicklung und Sozialisation Heranwachsender oder hinsichtlich des Umgangs mit privaten Daten in der Online-Kommunikation. Diesen Risiken muss in den Arbeitsfeldern Jugendmedienschutz und Medienkompetenzförderung entgegnet werden.

Die mitteldeutschen Landesmedienanstalten haben in den vergangenen Jahren ihre Aktivitäten in diesen beiden Feldern stets verstärkt und werden ihnen auch in Zukunft einen hohen Stellenwert einräumen.

Und warum ist Medienkompetenz so wichtig. Weil, wie jeder weiß, man im Internet sagen kann, was man will:

Die Formen der Artikulation in Chat, Forum, Blog oder internetbasierten sozialen Netzwerken sind
eine noch junge kulturelle Praxis innerhalb derer sich bislang nur unzureichende Normen, Werte und Verhaltensstandards herausgebildet haben und in denen es, wie in anderen Alltagsbereichen auch in Online-Communities zu Ungerechtigkeiten, zu Beleidigungen und zu Gewaltakten kommt.

Der geneigte Leser möge mich nicht falsch verstehen: Ich halte Medienkompetenz ebenso für wichtig und bin grundsätzlich auch dafür, dem Nachwuchs einen verantwortungsbewussten Umgang mit seinen Daten beizubringen (und mochte zum Beispiel diese Kampagne durchaus), aber: Muss der Zusammenschluss von drei Landesmedienanstalten wirklich ein Thesenpapier herausbringen, um das festzustellen? Und dafür vorher eine Tagung veranstalten?

Die Pressemitteilung und das Thesenpapier der AML besteht aus Feststellungen die enorm allgemein und hinreichend bekannt sind. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass dieses Wissen jetzt auch in den Medienwächterzentralen von Mitteldeutschland angekommen ist. Dass diese versuchen, diese Erkenntnis als neue Erkenntnis zu verkaufen ist allerdings ziemlich peinlich.

Zur Ehrenrettung sollte man hinzufügen, dass die Pressemitteilung auch folgende Neuigkeit enthält: Die AML will zukünftig stärker mit ihrem hessischen Pendant, der LPR Hessen, zusammenarbeiten. Hierzu ließ sich LPR-Direktor Prof. Wolfgang Thaenert zu einer scharfsinnigen Beobachtung hinreißen: “Hessen und Mitteldeutschland haben viele Gemeinsamkeiten”. Ende des Zitats. Genauer kann man es nicht formulieren.

Worte zum Wochenende

Am Ende meiner Show steht ein Wettkönig, den keiner braucht, und der weiß das. Aber bei dir wird ein Superstar geboren, der keiner ist, und es wissen alle außer ihm.

Thomas Gottschalk, in einem offenen Brief an Dieter Bohlen
// Gottschalk vergleicht Bohlen mit King Kong

Let me go on record with this now, while the 3-D bubble is still inflating: Katzenberg, Quittner, and all the rest of them are wrong about three-dimensional film—wrong, wrong, wrong. I’ve seen just about every narrative movie in the current 3-D crop, and every single one has caused me some degree of discomfort

Daniel Engber, Slate
// The Problem With 3-D

“Unsere Aufgabe als Journalisten besteht nicht darin, mit am Tisch zu sitzen, sondern zu berichten und kritische Fragen zu stellen”, heißt es entsprechend unbedarft am Ende von Matthias Trockens Als-Ob-Läuterungs-Editorial. Das unterschriebe man natürlich sofort und gerne – wenn man sich nur sicher sein könnte, dass Attac damit nicht wieder nur die Bösen, sondern auch sich selbst meint. Und das kann man nach dieser Falschausgabe leider nicht.

Katrin Schuster, epd medien
// Embedded bei Attac. Der faule Zauber des Als-Ob

In your teens and twenties you eat a doner, obviously. In your thirties you go posh and healthy, and order and wait for a shish. Then in your forties you go retro, nostalgic and I-want-it-now, and return to doner, with some relief.

Romanautor Michael Marshall Smith in seinem Blog
// 4 Things about Kebabs

Grimmes Märchen

Hans Hoff hat in der heutigen Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift Grau wie Grimme über die Preisvergabe beim diesjährigen Grimme-Preis – man muss fast sagen – abgelästert (wie er es übrigens die vergangenen Jahre auch immer getan hat).

Ich schaue seit zu vielen Jahren zu wenig Fernsehen um sachlich beurteilen zu können, ob es berechtigt ist, die Preisentscheidungen zu kritisieren. Vielleicht gab es tatsächlich bessere Filme, Serien und Sendungen im letzten Jahr, die einen Preis verdient hätten. Wenn dem so ist, dann hätte Hoff vielleicht mal ein paar nennen können. Stattdessen befleißigt er sich auf einer halben Seite, vage Kritik aufeinander zu türmen.

Selten war so ein Murren wie nach der Bekanntgabe der Preisträge in der vergangenen Woche. Von Skandal war da die Rede, von Fehlentscheidungen, von Lethargie im System. Insbesondere die Arbeit der für die Fiktion zuständigen Jury wurde kritisiert, weil wichtige Filme wie etwa Mogadischu auf der Strecke geblieben sind. […] Doch es wurde erstmals öffentlich gefragt, wie es passieren konnte, dass ein Fernsehjahr so mangelhaft abgebildet wurde.

So ein Murren? Meint Hoff seinen eigenen Artikel vom 26. März? Oh, und natürlich den von FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld (“Mogadischu fehlt!”). Außer zwei Medienjournalisten bei zwei großen deutschen Tageszeitungen scheint sich niemand aufgeregt zu haben. Die übergangenen Nominierten nicht, die übergangenen Juroren nicht, die übergangenen Sender nicht.

Es geht Hoff anscheinend hauptsächlich darum, zu betrauern, dass sein persönlicher Lieblingsfilm, Mogadischu dieses Jahr nicht ausgezeichnet wurde. Und das, obwohl in ihm “viele” (aber vielleicht nicht genug…) die “beste Leistung des Fernsehjahres erkennen”.

Um zu beweisen, wie unfair die Jury mit Mogadischu umgesprungen ist, zitiert Hoff aus dem Jury-Bericht meines “epd medien”-Kollegen Michael Ridder (den er sich bemüht, als “Agentur-Journalist” zu deklassieren). In dem steht, dass in der Jury Fiktion Konsens darüber herrschte, dass Mogadischu politisch schwach und dafür Hollywood-mäßig heroisierend war. Heinrich Breloer hätte mit Todesspiel 1997 einen besseren Film zum gleichen Thema gedreht und dafür auch keinen Preis bekommen.

Das stößt Hoff bitter auf: Die “handwerklichen Kategorien”, in denen Breloer und Mogadischu-Regisseur Roland Suso Richter arbeiten, ließen sich nicht vergleichen:

Breloer überwand die Grenzen der Dokumentation, indem er gespielte Szenen einfügte. Suso Richter näherte sich im fiktionalen Genre der Dokumentation, in dem er sich für eine entsprechend ästhetische Optik entschied. […] Wenn man dem Spielfilm Mogadischu eines nicht vorwerfen kann, dann ist es, mit den Mitteln des Spielfilms – der Personalisierung, des Spannungsaufbaus durch Dramaturgie – zu emotionalisieren. […] Auf die politischen Recherchen zum Film haben die Produzenten sich viel gut gehalten, was ihnen von Politikern und Wissenschaftlern bestätigt wurde. Aber das ließ sich sicher anders sehen.

“Wir haben aber viel recherchiert” ist ein gerne gegebenes Argument von Filmemachern, um ihre Filme zu verteidigen. Leider bewertet man als Kritiker aber nicht die Recherche oder die Arbeit, die in einem Film steckt (auch wenn ich manchmal gerne würde), sondern den Film der am Ende dabei rauskommt. Und wenn der schwach auf der politischen Brust ist, bei einem politischen Thema, dann darf man das durchaus kritisieren. Und wenn Breloer in einer anderen Form einen ebenso spannenden und politisch besser austarierten Film geschaffen hat, darf man die Filme anhand dieses Merkmals auch ruhig vergleichen.

Doch Hoff hat noch einen Kritikpunkt. Die Jury “Unterhaltung” ist ihm zu jung.

Warum eigentlich ist die Jury Unterhaltung so verdächtig mit überwiegend jungen Juroren besetzt? Überlässt man denen das ungeliebte Feld Entertainment, das man erst seit kurzem beackert und hofft, dass kein Flurschaden entsteht, weil Unterhaltung per se nicht Grimme-Außergewöhnlich ist? Aus der Politik weiß man, dass man über die gekonnte Besetzung von Ausschüssen oft mehr bewirken kann als durch die in ihnen geführten Debatten.

Wie passt dieses Argument eigentlich damit zusammen, dass Grimme (wie Hoff seit Jahren kritisiert) das Fernsehen nur “verwaltet” und weniger “fordert”, nur “Zeugnisse vergibt”? Sollen daran ausgerechnet die jungen Leute schuld sein? “Man könnte schon viel mehr, wenn man nur wollte”, meint Hoff. Man könnte “die Stärke der Marke nutzen”.

Könnte man. Muss man aber nicht. Das treffende Zitat von Grimme-Chef Uwe Kammann, “Ich kann das Fernsehen nicht über den Preis reformieren”, lässt Hoff unkommentiert im Raum stehen. Was genau Grimme anders machen sollte, welche Sendungen (außer Mogadischu) das Institut zum Beispiel hätte auszeichnen können, sagt Hoff nicht. Stattdessen schimpft er lieber noch ein wenig auf die Juroren, die ihre eigenen Entscheidungen kommentieren.

In der Regel zeichnet ein Preis aus, was existiert. Er schafft nicht eigene Preiskandidaten, um sie hinterher auszeichnen zu können – das wäre totalitär. Nach Ansicht der Jurys und der schweigenden Mehrheit der Kritiker geht der Adolf-Grimme-Preis dieses Jahr wieder an einige herausragende Produktionen – wie immer vor allem der ARD. Mehr besseres Fernsehen wollen wir alle. Die Preise können es nicht aus dem Hut zaubern.

Ich freue mich übrigens besonders, dass die Reihe Mädchengeschichten meiner ehemaligen Kollegen von der 3sat-Filmredaktion ausgezeichnet wurde. Herzlichen Glückwunsch an Katya Mader und Inge Classen.