Casting Couch

Nicht genug damit, dass RTL ernsthaft meint, mit einer Sendung wie Mission Hollywood jetzt auch noch für äh… Schauspieler eine Castingshow anbieten zu müssen. Geradezu besorgt war ich darüber, heute zu lesen wie Silke Burmester, die ich für eine sehr gute Kritikerin halte, das alberne Machogehabe der Sendung, in der die Kandidatinnen als erste Bewährungsprobe erstmal Orgasmen (When Harry Meets Sally), lesbische Küsse (Cruel Intentions) und Striptease (9 1/2 Weeks) nachspielen mussten, bei Spiegel Online auf auch noch zynisch gutheißt:

Es wäre naiv, sich über diese Darstellung aufzuregen. Im Gegenteil, es ist lobenswert, wenn das Fernsehen die Realität so klar und wahrhaftig abbildet: Die gönnerhafte Pose bleibt ein gesellschaftlich anerkanntes Erfolgsmodell. Und wahr bleibt auch: Männer können einen groß rausbringen. Man muss ihnen nur das richtige Fleisch zeigen.

Sie mag mit den letzten drei Sätzen voll und ganz recht haben. Nur das mit der Naivität verstehe ich nicht. Aufregung über solche Darstellung, selbst wenn sie der Realität entspricht, sollte meiner Meinung nach absolute Pflicht sein. Es mag wie ein Allgemeinplatz klingen, aber ist nicht Aufregung – immer, immer und immer wieder – der erste Schritt, um die mediale Verhökerung und Degradierung von Frauen zu sexuellen Objekten vielleicht irgendwann in ferner Zukunft mal zu verändern? Oder müssen wir erst warten bis die nächste Castingshow Germany’s Next Top-Hooker sucht?

Baby Borrowers

Inzwischen wurde “Erwachsen auf Probe” der Presse und den Kritikern gezeigt. Die Reaktionen in den Feuilletons fallen gemischt aus, alle sind sich einigermaßen einig, dass Fernsehmacher und besorgte Kritiker nicht die gleiche Sprache sprechen.

Wer mal einen Eindruck davon bekommen will, wie die Serie gedreht wurde, wird auf den Seiten der BBC fündig. Die haben die ganze Diskussion schon hinter sich und zeigen inzwischen schon Baby Borrowers on Holiday. Der Beitrag zeigt ein recht interessantes “Behind The Scenes”.

Die Empörung der Unwissenden III

Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu verfolge ich nach wie vor die Debatte um die geplante RTL-Doku-Soap “Erwachsen auf Probe”. Immer mehr Leute melden sich zu Wort, die – ich kann es nicht oft genug sagen – noch keine Sekunde der Sendung gesehen haben und sich auch hartnäckig bemühen, alle RTL-Statements zu ignorieren. Die ZAK, Aufsichtskommission der Landesmedienanstalten, hat gestern eingegriffen und allen, die nach Verbot schreien, einen Dämpfer verpasst: Wer etwas vorher verbieten will (ohne dass tatsächlich geltendes Recht verletzt wurde) betreibt Zensur. Am Freitag will RTL eine Folge der Serie seinen Kritikern zeigen – und hinterher mit ihnen diskutieren. Man darf gespannt sein.

Alle weiteren Reaktionen finden sich zusammengefasst online in meiner gestrigen epd-Medien-Meldung.

Worte zum Osterwochenende

If you’re serious about staying in competition with the internet, why don’t newspapers have a huge porn section?

Stephen Colbert, The Colbert Report, in einem Interview mit dem Präsidenten der Newspaper Association of America, John Sturm
// Better Know a Lobby: Newspaper Lobby

Wir alle werden dank des Web 2.0 wieder lernen müssen, MIT unseren Biographien zu leben statt GEGEN sie. Auch deshalb, weil wir sie ja gar nicht mehr ändern können. Jede Biographie ist dabei notwendigerweise fleckig.

Klaus Jarchow, medienlese.com
// Niemand ist ein unbeschriebenes Blatt

Aber von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, da hat Herr Bellut schon Recht, lassen sich wirklich die wenigsten Formate einfach vom Privatfernsehen auf öffentlich-rechtliches Fernsehen übertragen.

Stefan Niggemeier, Das Fernsehblog
// Was sich alles nicht vom Privatfernsehen auf ARD und ZDF übertragen lässt

It does raise questions about the expectations of parameters that people ostensibly think that they put on us as arts, culture and entertainment journalists.

Radiojournalist Jian Ghomeshi, CBC Radio, über ein merkwürdiges Interview mit Billy Bob Thornton
// Joaquin Phoenix II? Billy Bob gives odd interview
// Billy Bob Thornton ‘Blow Up’ on Q TV
[via Language Log]

Grimmes Märchen

Hans Hoff hat in der heutigen Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift Grau wie Grimme über die Preisvergabe beim diesjährigen Grimme-Preis – man muss fast sagen – abgelästert (wie er es übrigens die vergangenen Jahre auch immer getan hat).

Ich schaue seit zu vielen Jahren zu wenig Fernsehen um sachlich beurteilen zu können, ob es berechtigt ist, die Preisentscheidungen zu kritisieren. Vielleicht gab es tatsächlich bessere Filme, Serien und Sendungen im letzten Jahr, die einen Preis verdient hätten. Wenn dem so ist, dann hätte Hoff vielleicht mal ein paar nennen können. Stattdessen befleißigt er sich auf einer halben Seite, vage Kritik aufeinander zu türmen.

Selten war so ein Murren wie nach der Bekanntgabe der Preisträge in der vergangenen Woche. Von Skandal war da die Rede, von Fehlentscheidungen, von Lethargie im System. Insbesondere die Arbeit der für die Fiktion zuständigen Jury wurde kritisiert, weil wichtige Filme wie etwa Mogadischu auf der Strecke geblieben sind. […] Doch es wurde erstmals öffentlich gefragt, wie es passieren konnte, dass ein Fernsehjahr so mangelhaft abgebildet wurde.

So ein Murren? Meint Hoff seinen eigenen Artikel vom 26. März? Oh, und natürlich den von FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld (“Mogadischu fehlt!”). Außer zwei Medienjournalisten bei zwei großen deutschen Tageszeitungen scheint sich niemand aufgeregt zu haben. Die übergangenen Nominierten nicht, die übergangenen Juroren nicht, die übergangenen Sender nicht.

Es geht Hoff anscheinend hauptsächlich darum, zu betrauern, dass sein persönlicher Lieblingsfilm, Mogadischu dieses Jahr nicht ausgezeichnet wurde. Und das, obwohl in ihm “viele” (aber vielleicht nicht genug…) die “beste Leistung des Fernsehjahres erkennen”.

Um zu beweisen, wie unfair die Jury mit Mogadischu umgesprungen ist, zitiert Hoff aus dem Jury-Bericht meines “epd medien”-Kollegen Michael Ridder (den er sich bemüht, als “Agentur-Journalist” zu deklassieren). In dem steht, dass in der Jury Fiktion Konsens darüber herrschte, dass Mogadischu politisch schwach und dafür Hollywood-mäßig heroisierend war. Heinrich Breloer hätte mit Todesspiel 1997 einen besseren Film zum gleichen Thema gedreht und dafür auch keinen Preis bekommen.

Das stößt Hoff bitter auf: Die “handwerklichen Kategorien”, in denen Breloer und Mogadischu-Regisseur Roland Suso Richter arbeiten, ließen sich nicht vergleichen:

Breloer überwand die Grenzen der Dokumentation, indem er gespielte Szenen einfügte. Suso Richter näherte sich im fiktionalen Genre der Dokumentation, in dem er sich für eine entsprechend ästhetische Optik entschied. […] Wenn man dem Spielfilm Mogadischu eines nicht vorwerfen kann, dann ist es, mit den Mitteln des Spielfilms – der Personalisierung, des Spannungsaufbaus durch Dramaturgie – zu emotionalisieren. […] Auf die politischen Recherchen zum Film haben die Produzenten sich viel gut gehalten, was ihnen von Politikern und Wissenschaftlern bestätigt wurde. Aber das ließ sich sicher anders sehen.

“Wir haben aber viel recherchiert” ist ein gerne gegebenes Argument von Filmemachern, um ihre Filme zu verteidigen. Leider bewertet man als Kritiker aber nicht die Recherche oder die Arbeit, die in einem Film steckt (auch wenn ich manchmal gerne würde), sondern den Film der am Ende dabei rauskommt. Und wenn der schwach auf der politischen Brust ist, bei einem politischen Thema, dann darf man das durchaus kritisieren. Und wenn Breloer in einer anderen Form einen ebenso spannenden und politisch besser austarierten Film geschaffen hat, darf man die Filme anhand dieses Merkmals auch ruhig vergleichen.

Doch Hoff hat noch einen Kritikpunkt. Die Jury “Unterhaltung” ist ihm zu jung.

Warum eigentlich ist die Jury Unterhaltung so verdächtig mit überwiegend jungen Juroren besetzt? Überlässt man denen das ungeliebte Feld Entertainment, das man erst seit kurzem beackert und hofft, dass kein Flurschaden entsteht, weil Unterhaltung per se nicht Grimme-Außergewöhnlich ist? Aus der Politik weiß man, dass man über die gekonnte Besetzung von Ausschüssen oft mehr bewirken kann als durch die in ihnen geführten Debatten.

Wie passt dieses Argument eigentlich damit zusammen, dass Grimme (wie Hoff seit Jahren kritisiert) das Fernsehen nur “verwaltet” und weniger “fordert”, nur “Zeugnisse vergibt”? Sollen daran ausgerechnet die jungen Leute schuld sein? “Man könnte schon viel mehr, wenn man nur wollte”, meint Hoff. Man könnte “die Stärke der Marke nutzen”.

Könnte man. Muss man aber nicht. Das treffende Zitat von Grimme-Chef Uwe Kammann, “Ich kann das Fernsehen nicht über den Preis reformieren”, lässt Hoff unkommentiert im Raum stehen. Was genau Grimme anders machen sollte, welche Sendungen (außer Mogadischu) das Institut zum Beispiel hätte auszeichnen können, sagt Hoff nicht. Stattdessen schimpft er lieber noch ein wenig auf die Juroren, die ihre eigenen Entscheidungen kommentieren.

In der Regel zeichnet ein Preis aus, was existiert. Er schafft nicht eigene Preiskandidaten, um sie hinterher auszeichnen zu können – das wäre totalitär. Nach Ansicht der Jurys und der schweigenden Mehrheit der Kritiker geht der Adolf-Grimme-Preis dieses Jahr wieder an einige herausragende Produktionen – wie immer vor allem der ARD. Mehr besseres Fernsehen wollen wir alle. Die Preise können es nicht aus dem Hut zaubern.

Ich freue mich übrigens besonders, dass die Reihe Mädchengeschichten meiner ehemaligen Kollegen von der 3sat-Filmredaktion ausgezeichnet wurde. Herzlichen Glückwunsch an Katya Mader und Inge Classen.

Fans versuchen GIGA zu retten

Zurzeit arbeite ich an einer Meldung über die Bemühungen der Community von giga.de, das Fortbestehen ihres Senders zu sichern. Konkret geht es vor allem darum, doch einfach die ARD zu fragen, ob sie das Format nicht in irgendeiner Weise fortführen will. Die Meldung erscheint erst morgen, doch ich habe für die Recherche ein E-Mail-Interview mit einem besonders aktiven Mitglied im Rettungskampf geführt. Und da habe ich mir gedacht: Wofür sollte dieses Blog hier denn besser geeignet sein, wenn nicht, um solche durchaus interessanten Dokumente auszuwerten, die in der knappen Berichterstattung sonst untergehen würden.

Mein Interviewpartner war Dirk, der im Forum als “TheTool” auftritt. Er hat dort den konkreten Vorschlag gemacht, GIGA der ARD anzubieten, weil die sich schließlich keine Sorgen um Werbeeinnahmen machen muss. Sein Thread ist inzwischen über 200 Seiten lang, der Enthusiasmus der Community nimmt kein Ende.

Wie kamst du auf die Idee?

Als ich von der Einstellung Gigas gehört habe, war ich erst einmal ein bisschen deprimiert. Von Freitag bis Sonntag las ich die verzweifelten Rettungsversuche einiger Personen im Giga-Forum. Ich dachte mir aber da bereits dass solch eine Aktion, wenn sie Erfolg haben sollte, sehr durchdacht sein müsste. Ausserdem müsste eine Idee hinter ihr stehen, die langfristig für Erfolg sorgt.

Da die öffentlich-rechtlichen Sender nunmal durch unsere GEZ-Gebühren finanziert sind und Premiere Giga aufgrund wegbrechender Werbeeinnahmen eingestellt hat, kam mir in den Sinn, dass man die ARD davon überzeugen müsste ein eigenes tägliches Programm im Stil von Giga zu entwerfen, oder wenn möglich Giga als TV-Programm für einen ihrer vielen Spartenkanäle zu übernehmen.
Im Endeffekt dachte ich dass dieses Sendekonzept zu der ARD, die ja bekanntlich seit längerer Zeit schon versucht ein jüngeres Publikum zu erreichen, passen würde und habe es einfach auf einen Versuch ankommen lassen.

Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Mittlerweile sind wir mit dieser Aktion so weit, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Mehrere tausend Community Mitglieder haben bereits ihre Mail an die ARD abgesendet, um die Verantwortlichen dadurch dazu zu bringen sich näher mit dem Thema auseinander zu setzen.
Seit Anfang der Woche erhalten wir massive Unterstützung seitens verschiedener Medien. Sowohl kommende Radiointerviews z.B. mit Radio Fritz als auch die die Berichterstattung auf Webseiten wie z.B. Spiegel Online und Chip.de trägt dazu bei, dass unsere Aktion nicht ungehört verhallt.

Gab es bisher irgendeine ernstzunehmende Reaktion von den angeschriebenen Sendern – also nicht aus den Zuschauerredaktionen, sondern von irgendwo anders? Oder von Seite von GIGA?

Seitens des GIGA Teams gab es in Form eines Foreneintrags eine erste Reaktion. Darin zeigt sich die GIGA-Crew mehr als nur begeistert über unsere Aktion.
Ansonsten halten sich bisher alle offiziellen Stellen recht bedeckt, aber ich bin zuversichtlich dass sich das bald ändern wird.

Was glaubt ihr tatsächlich bewegen zu können? Ist das alles ein frommer Wunsch, der ein bisschen Wirbel machen soll, ein letztes Aufbäumen, oder glaubt ihr tatsächlich, dass irgendwas passieren wird?

Zu allererst steht natürlich der Wunsch die Community und den Sender zu erhalten.
Da wir bei allen Wünschen aber alle auch realistisch bleiben müssen, hoffen wir mit unserer Aktion die Verantwortlichen der ARD dazu zu bringen, sich zumindest mit einem Digital Entertainment Konzept wie Giga auseinander zu setzen und dies zu diskutieren. Sollte allein nur das geschehen, wäre es in der deutschen TV-Geschichte sicherlich ein einzigartiger Erfolg der zeigen würde welch enorme Kraft in einer großen Community wie dieser steckt und welche Dinge gerade auch junge Menschen mit einer friedlichen Aktion bewegen können, wenn sie ein gemeinsames Ziel haben für das es sich zu kämpfen lohnt.

Der Sender GIGA wird ja sowieso nicht weiterbestehen, höchstens als Sendung könnte das Konzept überleben – oder auch nur die Webcommunity, würde dir das reichen?

Nein, definitiv nicht. Ich bin mit meiner Idee nicht angetreten um einzig und allein die Webseite zu erhalten. Natürlich freue ich mich wenn die Community weiter bestehen würde und werte auch das als Erfolg, da in der momentanen Situation ja sowohl der Sender als auch die Community aufgelöst werden sollen. Trotzdem ist es unser erklärtes Ziel auch ein begleitendes TV-Programm zu erhalten. Online-Communities gibt es viele, aber gerade diese Mischung aus Web und TV und die absolute Interaktivität zwischen beiden Medien war genau das, was den Reiz von Giga ausgemacht hat und dieses Zusammenspiel war einmalig in der deutschen Medienlandschaft.

Was ist als nächstes geplant? Wie stehen eure Hoffnungen? Habt ihr vor das ganze vom anarchischen Community-Aufschrei aus irgendwie zu “professionalisieren”? Investoren zu suchen etc. um zumindest die Community am Leben zu erhalten?

Wie Stephan Borg, der Geschäftsführer von Giga, bereits in seiner Mitteilung vom letzten Freitag klar gemacht hat, sucht Giga momentan selbst nach Möglichkeiten zumindest die Community zu erhalten. Daher sind von unserer Seite derzeit keine Aktionen in dieser Richtung geplant. Wir konzentrieren uns ganz darauf mit unserer Aktion so viel Aufmerksamkeit in den Medien und der Bevölkerung zu erlangen dass die ARD, die sich bis zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht dazu geäussert hat, sich dem Thema Digital Entertainment nicht länger verschließen kann und auf unsere Anfragen zumindest mit einer Stellungnahme reagieren muss.

Eine weitere Professionalisierung der bestehenden Aktion, sofern sie denn nötig ist, schließe ich zu diesem Zeitpunkt nicht vollkommen aus und habe mir auch bereits Gedanken gemacht wie es weitergehen könnte. Allerdings möchte ich dazu an dieser Stelle noch nichts verraten und erst einmal die Reaktion der ARD abwarten.

Abschließend möchte ich mich noch bei der gesamten Giga Community für das wirklich großartige und wahnsinnige Engagement bedanken. Ohne euch würde diese Aktion nicht dort stehen wo sie jetzt ist. Ihr habt gezeigt dass ihr etwas bewegen könnt wenn ihr alle mit vereinten Kräften agiert und das ist etwas worauf jeder von euch stolz sein kann. The Future is you!