Was taugen Reboots wirklich?

Der Blogger Benjamin Kausch aka Bekay war so freundlich, auf meinen Reboot-Artikel in epd-Film hinzuweisen und sich kurz damit auseinanderzusetzen. Er zeigt “eine gewisse Paradoxie” darin auf, dass die von mir im Artikel konstatierte Ursprungs-Sinnsuche bei Reboots “gerade an sattsam bekannten Franchises (Batman, Bond, Star Trek etc.) umgesetzt und befriedigt” wird. Er schließt damit, dass ich die Hollywood-Reboot-Schwemme für kritikwürdig halte.

Und in der Tat endet mein Artikel mit den Worten:

Dann stellt sich allerdings die Frage, ob es auf Dauer reichen wird, die Popkultur der letzten fünfzig Jahre aufzurühren und umzuschichten. Statt die abgehangensten Heldenepen rückwärts zu lesen, wäre es vielleicht doch eher an der Zeit, neue Helden zu schaffen, die das Kino erobern können. Sie müssen ja nicht aus dem luftleeren Raum stammen, erfolgreiche Buchvorlagen gibt es genug – siehe Twilight. Auf jeden Fall aber kann man sie auf die Leinwand bringen, ohne dass sie allzu viel Gepäck mit sich herumschleppen.

Ein feuriges Plädoyer für neue Stoffe also, dass ich jederzeit wieder so schreiben würde. Dennoch hat mich Bekays Anmerkung nachdenklich gemacht. In erster Linie sollte mein Artikel den momentanen Reboot-Wahn in Hollywood feststellen und darüber nachdenken, was dahinter steckt. Doch obwohl ich ein großer Freund von Originalstoffen bin, und tatsächlich der Meinung bin, dass man nicht ständig nur auf Bewährtes setzen sollte, haben Reboots, Remakes und die ihnen verwandten (und im Artikel ebenfalls behandelten) Prequels durchaus ihre Daseinsberechtigung, ebenso wie Neuinszenierungen am Theater.

Wichtig, so würde ich argumentieren, ist, dass sich im neuen Film die wirtschaftliche Ausbeutung einer etablierten Marke mit so etwas wie einer künstlerischen Vision die Waage hält. Einfacher formuliert: Für den Rückgriff auf Reboot oder Prequel innerhalb eines Franchises sollten sich triftige Gründe finden lassen. Ich will versuchen, diese These an einigen Beispielen zu erläutern.

Als Christopher Nolan 2005 die Batman-Serie übernahm, steckte die Batman-Figur wirklich knietief im Kaugummi. Ehrlich zugegeben habe ich Joel Schumachers Batman and Robin nie gesehen, aber ich habe bis heute noch niemanden getroffen, der sich positiv über den Film geäußert hat. Nimmt man den von mir gesehenen Vorgängerfilm Batman Forever (ebenfalls von Schumacher) als Vorbild, ist nachvollziehbar, warum Nolan gut zehn Jahre später die Notwendigkeit sah, Batman neu zu erfinden: Härter, gröber und zerrissener. In einer Post-9/11-Welt, die sich von der Jubilierung über den Fall des Eisernen Vorhangs in den Neunzigern erholt hat, die Erde erneut in zwei Lager eingeteilt hat, sich in diesem Antagonismus aber wesentlich unsicherer ist, erscheint es sinnvoll, Gotham City von seinem Fantasy-Image zu befreien und ihm den Charakter eines übersteigerten New York (wie ursprünglich) zurückzugeben. Mit The Dark Knight, der ein in jeder Hinsicht perfekt ausgeführter Action-Thriller ist – ob man ihn mag oder nicht, hat Nolan bewiesen, dass sein Reboot zu etwas führt, nämlich zu einer zeitgenössischen und brutalen Spiegelung von politischen und gesellschaftlichen Vorgängen in der überzogenen Welt des Comichelden-Films.

An einem ähnlichen Konzept versucht sich seit einigen Jahren auch das James-Bond-Franchise. Seit Casino Royale ist Bond in einer härteren Origin-Story zu neuem Leben erwacht, immer noch cool, aber nicht mehr lässig-leicht, sondern äußerst verletzbar und als kleines Zahnrad in einer Verstrickung von weltpolitischem und -kapitalistischem Machtgeklüngel. Doch auch wenn Casino Royale wegen seinem Neuigkeitswert, seinen gewissen ironischen Referenzen zum Neustart (“Sehe ich so aus, als würde mich das interessieren?”) und vor allem wegen seiner grandiosen Actionszenen einen gewissen Reiz hatte, so hat sich spätestens mit dem Nachfolger Quantum of Solace bewiesen, dass die Figur aus den neuen Filmen kaum noch als Bond durchgehen kann. Hatte sich James Bond nicht immer und von Anfang an dadurch ausgezeichnet, dass er mit einem Lächeln durch die Welt geht und eben der ist, der am Ende siegt? Der nicht in einem Schwall von schnell geschnittenen Szenen ohne Übersicht untergeht, alles verliert was er liebt und ihm in einem Blutrausch hinterher jagt? Der neue Bond mag etwas näher an Ian Flemings Romanen sein, als Film-Reboot ist er gescheitert. Denn im Endeffekt verraten die neuen Filme die Figur und die über zwanzig Filme umfassende Tradition für eine relativ beliebig wirkende Zeitgeist-Aufbesserung. Und gerade Mark Forster macht es in Quantum of Solace nichtmal besonders gut. Da die Bond-Figur sowieso verschiedene Permutationen durchlaufen darf (ähnlich eines Dr. Who) hätte man mehr Effekt auch ohne Reboot erreichen können.

Dickstes Beispiel für einen überflüssigen Reboot ist wohl The Incredible Hulk. Weil den Marvel-Studios (die fleißig an ihren Avengers puzzeln) Ang Lees Film Hulk zu künstlerisch war, gaben sie kurzerhand einen Reboot in Auftrag, die den Hulk stärker in das neue Marvel-Universum eingliedern soll. Der entstandene Film ist nicht an sich schlecht, so etwas wie eine filmemacherische Vision fehlt ihm aber völlig, er ist weitgehend langweilig und folgt einem Dramaturgieschema F.

Wolverine habe ich noch nicht gesehen, die Kritiken überschlagen sich nicht unbedingt mit Lob. Da der Film aber doch irgendwo außerhalb der bisherigen X-Men-Filme steht und seinen größten Reiz daraus zieht, dass Hugh Jackman in der Filmtrilogie zu der Repräsentation des unverwundbaren Mutanten geworden ist, sehe ich für ein solches Spin-Off immerhin einen triftigen Grund: Die Figur gibt tatsächlich mehr her, als in einem Ensemblefilm herumzuspuken, vor allem wenn man einen so guten Schauspieler hat, der ihr Leben verleihen kann. (Da Wolverine nicht den bisherigen Kanon über den Haufen wirft, zählt er übrigens – genau wie Star Trek – streng genommen nicht als Reboot, sondern als Prequel).

Wie auch schon im Artikel erwähnt, spielen die Terminator-Filme innerhalb des filmischen Markengeflechts eine besondere Rolle, da sie sich durch ihre Zeitmanipulation quasi mit jedem Film automatisch Rebooten. Jeder Film schafft sich selbst eine neue Zukunft, was dem Nachfolger absolute Interpretationsfreiheit für alle Ereignisse auf der Timeline in beide Richtungen gibt. Propagierte Teil II noch “No Fate” – die Zukunft ist noch nicht geschrieben – so wirkte Teil III zwar insgesamt extrem beliebig, endete aber immerhin mit einer erstaunlich konsequenten apokalyptischen Vision. Wie sich Terminator: Salvation aus dem Dickicht befreien will, bleibt abzuwarten, aber immerhin versucht er nicht noch ein viertes Mal die Storyline der ersten drei Filme neu aufzugießen und betritt neuen Boden innerhalb des Kanons. Regisseur McG ist immer für eine Überasschung gut, ich habe also Hoffnungen.

Mit Star Trek neu anzufangen halte ich grundsätzlich auch für eine gute Idee, da die Next Generation-Filme zuletzt auch nichts mehr zu bieten hatten. Der nun startende Film läuft allerdings natürlich ebenso wie die Star Wars-Prequels Gefahr, in die Retcon-Falle zu treten, also ständig die noch nicht geschehene Zukunft neu erklären zu wollen. Die Lektüre einiger Interviews mit den Drehbuchautoren hat mich bisher davon überzeugt, dass man sich im Filmteam über die Stolperfallen von Zeitreise und Co sehr bewusst ist – meine Erwartungen sind also positiv. Trotzdem hätte es gerade Star Trek vielleicht eher gut getan, seine Geschichte weit in die Zukunft der drei 90er-Serien zu verlegen, als sich in den Hollywood-Sinnsuch-Trek einzureihen und mit dem Glitzer des 21. Jahrhunderts eine Serie aus den Sechzigern zu torpedieren. Die Hoffnung hängt zuletzt an JJ Abrams, auf dessen Gespür für interessanten Zeitgeist man sich bisher recht gut verlassen konnte.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich bei den momentanen Reboots Hits und Misses so ziemlich die Waage halten. Einige Filme (besonders auch solche aus der Prequel-Maschine wie Hannibal Rising) haben keine wirkliche Daseinsberechtigung, denn sie dienen wirklich nur einer überflüssigen Markenausschlachtung. Andere bieten tatsächlich einen neuen, zeitgemäßen Blick auf eine Figur, die es wert ist, am Leben erhalten zu werden.

Diese Figuren jedoch, dabei bleibe ich, müssen ergänzt werden durch neue Helden, die nicht nur an die Zeit und den filmemacherischen Trend angepasst werden, sondern die ihr tatsächlich entspringen. Die jüngste der hier diskutierten Figuren ist der Terminator, und selbst der hat inzwischen 25 Jahre auf dem Buckel. Hancock ist ein Beispiel für einen originären Kinosuperhelden, der vielleicht nicht der große Wurf ist, aber immerhin – wie oben beschrieben – kein altes Gepäck mit sich herumträgt.

Worte zum Wochenende

Am Ende meiner Show steht ein Wettkönig, den keiner braucht, und der weiß das. Aber bei dir wird ein Superstar geboren, der keiner ist, und es wissen alle außer ihm.

Thomas Gottschalk, in einem offenen Brief an Dieter Bohlen
// Gottschalk vergleicht Bohlen mit King Kong

Let me go on record with this now, while the 3-D bubble is still inflating: Katzenberg, Quittner, and all the rest of them are wrong about three-dimensional film—wrong, wrong, wrong. I’ve seen just about every narrative movie in the current 3-D crop, and every single one has caused me some degree of discomfort

Daniel Engber, Slate
// The Problem With 3-D

“Unsere Aufgabe als Journalisten besteht nicht darin, mit am Tisch zu sitzen, sondern zu berichten und kritische Fragen zu stellen”, heißt es entsprechend unbedarft am Ende von Matthias Trockens Als-Ob-Läuterungs-Editorial. Das unterschriebe man natürlich sofort und gerne – wenn man sich nur sicher sein könnte, dass Attac damit nicht wieder nur die Bösen, sondern auch sich selbst meint. Und das kann man nach dieser Falschausgabe leider nicht.

Katrin Schuster, epd medien
// Embedded bei Attac. Der faule Zauber des Als-Ob

In your teens and twenties you eat a doner, obviously. In your thirties you go posh and healthy, and order and wait for a shish. Then in your forties you go retro, nostalgic and I-want-it-now, and return to doner, with some relief.

Romanautor Michael Marshall Smith in seinem Blog
// 4 Things about Kebabs

Oscarnachbetrachtung

Mit dem Ergebnis der Oscars kann, so denke ich, jeder Filmjournalist zufrieden sein. Auch wenn ich Slumdog Millionaire persönlich nicht für den besten Film des Jahres 2008 halte, hat hier doch zumindest ein wirklich guter Film gewonnen – von einem Regisseur (Danny Boyle), der seit Jahren immer wieder clevere, mutige Filme aus allen Genres realisiert hat, allen voran seine beiden SF-Ausflüge 28 Days Later und Sunshine. Und auch für seine globale Vision hat der Film seine acht Oscars verdient. Mit Sean Penn wurde bei den Darstellern überraschend nicht Mickey Rourke ausgezeichnet, aber dennoch eine solide und wiederum mutige Performance geehrt, und Kate Winslet hat in The Reader vielleicht nicht ihre beste Rolle gespielt, ist aber prinzipiell eine Schauspielerin, die jeden Film veredeln durch ihre Beteiligung veredeln kann.

Unverständnis rief bei mir nur der Oscar für den besten Nebendarsteller hervor, der an Heath Ledger ging. Unabhängig davon, dass sich darüber streiten lässt, ob Ledgers Performance nun die beste der fünf Nominierten war, halte ich postume Preise in einem Konkurrenzumfeld generell für Unfug. Dass man eine gute Leistung auch nach dem Tod des Betroffenen noch anerkennt ist eine Selbstverständlichkeit. Aber selbst davon abgesehen, dass der tragische Tod einer Person ihr bei Juroren vermutlich generell ein paar Sympathiebonuspunkte einbringt, bewirkt die Verleihung eines Preises an jemanden, der nicht mehr am Leben ist schlicht, dass sich (in diesem Fall vier) lebendige Menschen, die ebenfalls gute Leistungen erbracht haben, nicht über einen Preis freuen können – obwohl sie vermutlich mehr davon gehabt hätten. Gerade die Entscheidungen der Academy gelten inzwischen kaum noch jemandem als ernsthafte Prämierung der “besten” Leistungen, sind aber nach wie vor einer der größten “Selling Points” in der Filmindustrie für die zukünftige Karriere von Schauspielern, Produzenten und anderen Filmschaffenden. Josh Brolin oder auch Michael Shannon, dessen Auftritt in Revolutionary Road zu den besten Momenten des Films gehört, hätten ihren Oscar also vielleicht etwas besser gebrauchen können, als Ledger (der auch vor The Dark Knight, spätestens seit Brokeback Mountain, schon ein “gemachter” Schauspieler war).

Glückwunsch übrigens an den einzigen deutschen Gewinner des Abends, Jochen Alexander Freydank für seinen Kurzfilm Spielzeugland. Ein Film mit Nazis und kleinen Kindern – ich denke, er wusste, dass er damit bei der Academy gute Chancen haben würde.