Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich in diesem Blog einen Artikel mit dem Titel “Vier Thesen zur deutschen Film-Blogosphäre” veröffentlicht habe. Für mich einer der wichtigsten Artikel, die ich je geschrieben habe, für die deutsche Film-Blogosphäre zumindest ein willkommener Stein des Anstoßes, der in den Wochen danach viel Diskussion generierte.
Doch was ist wirklich passiert, seit mein Artikel erschien? In diesem Jahr habe ich keine Interviews geführt und Statistiken kann ich leider auch nicht vorweisen. Aber ich möchte behaupten, dass ich mich im vergangenen Jahr so ziemlich immer dort bewegt habe, wo etwas mit Film-Blogosphäre passierte und mir deshalb eine Beurteilung der momentanen Situation anmaßen kann. Genau das werde ich also tun.
Es gibt eine deutsche Film-Blogosphäre
Ich will um Himmels Willen nicht behaupten, dass mein Artikel eine Film-Blogosphäre erschaffen hat, wo vorher keine war. Wofür ich mir ein bisschen auf die Schulter klopfe, ist, dass dann doch eventuell einige Leute aufeinander aufmerksam geworden sind, die sich vorher nicht kannten (das war das häufigste Feedback, das ich bekommen habe) und dass einige Aktionen ins Leben gerufen wurden, die versucht haben, auf meinen Artikel aufzubauen. Leider sind einige davon auch wieder versandet, etwa die Facebook-Gruppe und das Blog Film-Blogosphäre, aber die Gründe dafür liegen, anders als ich noch vor einem Jahr gedacht hätte, tiefer als in reiner Ignoranz (mehr dazu gleich).
Ich möchte behaupten: Das reine Interesse an Aktionen wie meinem “Film Blog Group Hug”, dem “Media Monday”, der sichtbarer ist denn je, den oft sehr lebhaften Diskussionen auf Twitter und in der von Merkur Schröder (aka Intergalactic Ape-Man) gegründeten Facebook-Gruppe Deutsche Filmblogger zeigt, dass die deutschen Netzfilmschreiber einander zum großen Teil zumindest kennen. Alles andere hängt vom Willen und vom Engagement jedes Einzelnen ab.
Die “Cluster”, von denen ich das letzte Mal gesprochen habe, gibt es natürlich trotzdem. Ich glaube, dass ich sie inzwischen auch etwas besser differenzieren kann, als noch vor einem Jahr. Der sie verbindende Kleber besteht aus persönlicher Bekanntschaft und einem gemeinsamen Blick auf die Filmwelt und ich habe inzwischen einfach eingesehen, dass sie sich nie alle in einen Topf pressen lassen werden (und wollen). Frei nach Mark Granovetter wird es in diesem Bereich weiter die “Strength of Weak Ties” brauchen, um über die Cluster hinaus Brücken zu bauen, das ist aber okay so.
Einige Deutsche Filmblogcluster
Wie schon gesagt spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, damit publizierende Menschen von außen wahrnehmbare Gruppen bilden. Die Berliner Online-Profis, zum Beispiel, sehen sich, so ist meine Wahrnehmung, persönlich regelmäßig bei Pressevorführungen und schreiben für die gleichen Auftraggeber, etwa Filmstarts.de und kino-zeit.de. Sie sind außerdem, grob geschätzt, alle zwischen Mitte Zwanzig und Ende Dreißig und leben eben zum Teil vom Schreiben oder machen was anderes “mit Medien”. Sie sind durchaus zu trennen von den Berliner Feuilletonisten, die sich eher um Zeitschriften wie “Cargo” und “Revolver” sowie den “Perlentaucher” gruppieren, im Schnitt vielleicht etwas älter sind und auf jeden Fall einen ganz anderen, deutlich arthousigeren und Filmklassiker stärker schätzenden Filmgeschmack haben.
Den Berliner Feuilletonisten nahe stehend, aber doch irgendwie ihr eigenes Süppchen kochend, sind die Trash-Liebhaber. Ich benutze das Wort “Trash” hier sehr weitläufig, weil ich persönlich von diesem Filmsegment absolut keine Ahnung habe. Es geht mir im weitesten Sinne um alle Arten der Exploitation, um abseitiges Genrekino, dessen andauernde Faszination immer noch und immer wieder Liebhaber zusammenschweißt. Gewisse Überschneidungen gibt es wahrscheinlich mit den Engagierten Amateuren, einer recht großen und losen Gruppe, die sich (und ich hoffe, dass ich dafür nicht wieder Prügel beziehe) für mich vor allem dadurch auszeichnet, dass die ihr Zugehörigen meist außerhalb des Bloggens keinerlei professionelle Bindungen zur Film- oder Medienwelt haben. (Es gibt noch mehr Cluster, aber die sind kleiner, manchmal etwas unscharf und ich habe keine guten Namen für sie)
Das mit der “professionellen Bindung” ist für mich nach wie vor eine Demarkationslinie, an der ich einfach nicht vorbei komme. Ich merke es in Alltagsgesprächen ebenso wie im Stil der Texte, die dabei entstehen. Es ist einfach ein Unterschied, ob man gerne und viel Filme guckt, oder ob man sich systematisch und beruflich mit Film beschäftigt. Bei letzterem ist es wiederum fast egal, ob man Filmwissenschaft studiert hat und sich weiter im akademischen oder randakademischen Bereich aufhält, ob man Kinoprogramme kuratiert, Festivals organisiert und sich im Kulturbetrieb bewegt oder ob man als Filmjournalist oder in der Film-PR arbeitet (oder alles drei). Das Verhältnis zu Film als Medium ändert sich einfach, meiner Meinung nach vor allem deswegen, weil man mehr Filme “unfreiwillig” sieht und dadurch seinen eigenen Horizont zwangsweise in unerwartete Richtungen erweitert.
Das Ergebnis ist nicht unbedingt, dass “Profis” auf “Amateure” hinabblicken, ganz und gar nicht. Aber ich stelle immer wieder fest, dass es schwieriger ist, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Und damit ist es natürlich auch schwieriger, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Die Themen und Wahrnehmungen der Filmwelt verschieben sich einfach.
Warum sollte mich deine Kritik interessieren?
Vor einem Jahr habe ich quasi gefordert, damit eine Filmblogosphäre wachsen könne, müssten wir einander mehr lesen. Diese Initiative wurde unter anderem in dem oben erwähnten WordPress-Blog und auch der spontan gegründeten “Film-Blogosphäre”-Gruppe auf Facebook aufgegriffen, die dann vor allem Filmkritiken sammelten. Und in der Tat besteht ein großer Teil der über Film bloggenden Menschen in Deutschland aus Menschen, die einfach eine Filmkritik nach der anderen ins Netz stellen.
Hier nun entfaltet sich am deutlichsten das Dilemma der Filmkritik im Internetzeitalter. Um aus einer einzelnen Filmkritik als Leser einen Wert ziehen zu können, muss man die Autorin kennen. Entweder persönlich oder dadurch, dass man schon einige Texte von ihr gelesen hat. Als mediativer Faktor kann eventuell hinzukommen, dass jemand anderes dafür bürgt, dass die Meinung dieser Person etwas “wert ist”. Bei professionellen Filmjournalisten ist das die Person, die die Autorin dafür bezahlt, dass sie über den Film schreibt.
Dieser Bürge existiert bei Bloggern nicht. Das heißt auf keinen Fall, dass die Meinung deswegen schlechter ist. Es heißt nur, dass ich als Leser mehr Zeit investieren muss, bevor ich mir selbst ein Urteil bilden kann. Und für mich bedeutet das dann wiederum häufig, dass ich mir die Mühe gar nicht erst mache – und ich denke mir, es geht anderen ähnlich. Die Qualität der Texte sinkt ganz und gar nicht, es gibt nur mehr davon und sie sind schwerer zu finden. Und Blogs, die eben nur aus Kritiken bestehen, verlassen meinen Radar.
Ich wünsche mir immer noch ein Leitmedium
Um diese ärgerliche Situation zu verbessern, wünsche ich mir einfach immer noch einen Aggregator, der für mich alles liest und mir eine Auswahl präsentiert. Und damit meine ich eben nicht (Sorry!) die x-te “Der Film hat mir gefallen/nicht gefallen”-Kritik, mit der ich nichts anfangen kann, außer ich bin mit der allgemeinen Meinung der Autorin vertraut. Sondern herausragende Texte, die zur Diskussion anregen und Erkenntnis fördern. Und obwohl es konterintuitiv klingt: Gute Kuratierung führt dazu, dass man mehr liest, nicht weniger. Sie regt dazu an, selber weiter auf Entdeckungsreise zu gehen. Mit anderen Worten: Im Idealfall würden wir einander alle mehr lesen.
Es gibt Seiten, die das im Ansatz machen. Die Facebook-Seiten von Revolver und crew united, zum Beispiel, sind hervorragende Quellen für interessante deutschsprachige Filmartikel – werden jetzt aber auch durch Facebooks neue Reach-Politik ausgehebelt. Film-Zeit veröffentlicht täglich einen Pressespiegel zum Thema Film, in dem immer mehr Blogs auftauchen, den man aber nicht abonnieren kann, weder als Feed noch über Social Media. Von etwas wie “Keyframe Daily” sind wir trotzdem noch meilenweit entfernt.
Mir ist bewusst, dass das eine hohle Klage ist, denn entweder findet sich jemand, der bereit ist, täglich durch die deutschsprachigen Onlinepublikationen zum Thema Film zu sieben, oder eben nicht (Wenn ich irgendwann mal arbeitslos bin, mach ich es). Und sicherlich wäre ein guter Aggregator kein Allheilmittel. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Einfach machen, einfach wollen
Am Ende hilft alles Jammern nichts, man muss einfach machen. Und ich habe eben das Gefühl, dass sich da durchaus was tut und bewegt. Angefangen von den Filmosophen, die sich Gemeinschaft auf die Fahnen schreiben (was sie anfangs nicht gemacht haben), zu den Plänen von Sascha und mir, den “Pewcast” wiederzubeleben und dabei möglichst oft Gäste von überall einzuladen (wie es auch andere Podcasts inzwischen immer häufiger machen). Ich werde außerdem weiterhin nicht ruhen, auf jedem Festival, das ich besuche, zu versuchen, die Menschen hinter den Blogs zu treffen. Denn wenn ich eins gelernt habe ist es, dass in der Blogosphäre nichts so sehr verbindet wie ein persönlicher Kontakt.
Natürlich muss man diese Verbindung wollen. In der “Deutsche Filmblogger”-Gruppe gab es im Dezember eine heftige Diskussion, in der darum gestritten wurde, ob man Kodifizierung und zwangsweise Unter-einen-Hut-Bringung überhaupt braucht. (Wie auch schon damals vor einem Jahr). Die Antwort lautet natürlich: NEIN. Macht doch alle, was ihr wollt. Homogenisierung ist nicht das Ziel. Wer mit dem größten Teil der über Film bloggenden Menschen nichts anfangen kann und will, muss sich mit ihnen nicht beschäftigen. Ich persönlich stelle nur immer wieder eins fest: Es ist eine große Bereicherung für einen selbst, wenn man es – auch gegen alle Vorurteile, die man haben mag – eben doch mal macht.
[Update, 20. Januar. An dieser Stelle ist eine
offizielle Entschuldigung bei Marco Koch vom “Filmforum Bremen” angebracht, der seit langer Zeit schon unermüdlich jede Woche in seinem
Bloggen der Anderen in seinem Interessenfeld genau die Art von Aggregation vornimmt, die ich mir in diesem Artikel wünsche. Ich lese seine Rubrik jede Woche und habe natürlich auch beim Schreiben dran gedacht – und sie dann im Eifer des Gefechts doch vergessen. Entschuldige, Marco!]