Gestern bin ich zum ersten Mal seit einem gefühlten Jahrhundert wieder Zeuge eines kollektiven Fernseh-Ereignisses geworden. Die Rede ist natürlich vom Finale des Eurovision Song Contest, bei dem die deutsche Teilnehmerin Lena gewann und so zum ersten mal seit 28 Jahren wieder einen ESC-Titel nach Deutschland holte. Die Euphorie, die über diesen Sieg gestern Nacht durch die Gegend und in die Wohnzimmer schwappte, fand ich erstaunlich.
Casting- und Reality-Shows versuchen genau diesen Effekt seit Jahren immer wieder zu erreichen, aber zumindest nach meinem Gefühl haben sie in ihrem x-ten Aufguss in den verschiedenen Formaten enorm an Gewicht verloren. Nicht zuletzt gibt es zu jedem Castingshow-Finale inzwischen eine Aktion, die versucht, einen anderen Titel (meistens einen alten Rock-Klassiker) durch kollektive iTunes-Käufe so zu pushen, dass er dem Castingshow-Titel den Rang abläuft. Die ganze Vorhersehbarkeit des Kommerzes eines Dieter-Bohlen-Kandidaten, dessen Stern so schnell wieder untergeht, wie er an den Himmel gedrückt wird, war bei Lena Meyer-Landrut irgendwie nicht zu spüren.
Vielleicht lag es daran, dass zur Erschaffung des diesjährigen Grand-Prix-Songs für Deutschland die ARD und die Privatsendergruppe ProSiebenSat.1 erstmals zusammengearbeitet haben. In einem Beitrag für epd medien habe ich diesen Schritt im Juli 2009 bejubelt. Raab und ProSieben, so meinte ich damals, haben die Jugendkompetenz, die der ARD fehlt, während die ARD die Infrastruktur hat, um eine möglichst große Reichweite zu garantieren.
Insofern ist es nur logisch folgerichtig, dass mit der Raab-Kooperation der längst geschehenen Aufsplittung der Märkte endlich Rechnung getragen wird, frei nach Jeff Jarvis, der in seinem Buch „What would Google do?“ für die partikularisierte Medienlandschaft im Zeitalter des Internets die Maxime aufgestellt hat: „Cover what you do best, link the rest.“
Es erfüllt mich mit einer gewissen Genugtuung, jetzt “I told you so” sagen zu können. Mit “Ein bisschen Frieden” hat Deutschland das letzte Mal gewonnen, mit ein bisschen Frieden zwischen den Senderfronten hat Deutschland auch dieses Mal gewonnen, selbst wenn “Satellite” nicht den ersten Platz geholt hätte, denn Raab, die ARD und nicht zuletzt Lena haben Deutschlands Fernsehzuschauer auf erfreuliche Weise geeint. Insofern halte ich es auch für einen guten Schritt, dass in diesem Jahr erstmal die Fußballweltmeisterschaft sowohl auf öffentlich-rechtlichen als auch auf privaten Sendern gezeigt wird.
Ich finde, wir brauchen noch mehr von solchen solidarischen Aktionen, die das ewige Gezänk um Gebührenmilliarden und “Was ist gutes Fernsehen” ein bisschen nivellieren. Es ist nunmal eine Tatsache, dass sich die Gesellschaft immer mehr in Partikularinteressen aufsplittet. Wer dem Rechnung tragen will und trotzdem möglichst viele Menschen ansprechen will, sollte nicht versuchen, alles alleine zu schaffen, sondern dem vermeintlichen Gegner die Hand reichen und Stärken kombinieren. Vielleicht reicht es so auch bei der WM in Südafrika wieder für freudig in Luft dreschende Fäuste quer durch die Republik, wenn Deutschland wichtige Punkte holt.