Beim 2. Evangelischen Medienkongress am 26. und 27. September in Mainz habe ich einen Einführungsvortrag zum Thema Kirche und Social Media gehalten, den ich auf mehrfachen Wunsch hier dokumentiere. Dies ist die leicht veränderte und mit Hyperlinks versehene Form meiner Vortragsnotizen, die Originalfolien verschicke ich bei Interesse gerne per Mail (meine E-Mail-Adresse steht im Impressum).
Der Grund, warum ich hier oben stehe, ist wohl, dass ich bis vor einem guten Jahr der Internetredakteur des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dresden war und dort auch die Social Media Präsenz aufgebaut habe, aber dazu kommen wir später noch. Ich hoffe, dass ich Ihnen für den Einstieg hier einen kleinen Überblick bieten kann, den Sie dann später in den angebotenen Workshops vertiefen können.
Ich habe mir gedacht, ich fange mit nackten Zahlen an und das heißt: Welche Angebote gibt es überhaupt? Also: Wo ist die evangelische Kirche in dem, was man Social Media nennt, überhaupt präsent? Die Evangelische Kirche in Deutschland hat 20 Gliedkirchen und ich habe überprüft, ob die EKD selbst und jede der Gliedkirchen auf den großen sozialen Plattformen vertreten sind. Diese großen Plattformen, das sind Facebook, Twitter, YouTube und GooglePlus. Ich habe diese vier genommen, weil es nun mal die Platzhirsche sind und weil dort die Zahlen am ehesten vergleichbar sind.
Die Zahlen im Vergleich
Ich weiß auch, dass das nicht die einzigen Social-Media-Kanäle sind, die es gibt. Es tut mir auch wirklich leid, wenn ich durch diese Reduktion jetzt zum Beispiel übersehen habe, dass die Sachsen bei Instagram ganz groß sind oder die Bremer bei Foursquare. Aus den großen vier jedenfalls kann man folgende Tabelle bauen:
Sie sehen, da gibt es einige Zahlen, die meisten nicht sehr groß, aber auch viele Leerstellen. Das soll jetzt erstmal überhaupt nicht wertend sein, nur eine Übersicht geben: Manche Teile der evangelischen Kirche in Deutschland machen etwas im Social Web, andere nicht. Das hängt sicher zum Teil auch mit der Größe der Kirche zusammen und damit, ob sie sich die Mitarbeiter leisten möchte, die so etwas betreuen. Aber es hängt eben auch mit der grundsätzlichen Einstellung zum Thema zusammen. Das wird dann auch deutlich, wenn man sich die kirchlichen Werke anschaut.
Da gibt es nämlich überall ganz gute Zahlen, und soweit mir bekannt ist nutzt etwa “Brot für die Welt” das Social Web auch sehr aktiv. Allerdings ist “Brot für die Welt” auch eine national und international agierende Institution – damit ist das Publikum größer und es gibt vielleicht teilweise auch mehr Inhalte, die in diesen sozialen Netzwerken geteilt werden können oder die für mehr Menschen interessant sind – auch wenn sie nicht direkt mit der Amtskirche zu tun haben. Zum Beispiel Nachrichten aus Krisengebieten und Informationen über die Verwendung der Mitgliederspenden.
Und dann gibt es natürlich noch die Speerspitze der evangelischen sozial-medialen Institutionen, evangelisch.de, die ja auch mal der Ort sein sollte, an dem die evangelischen Christen Deutschlands im Netz zusammen kommen sollen. Hat entsprechend auch – im Vergleich – ganz gute Zahlen aufzuweisen, vor allem auf Twitter.
Es gibt natürlich noch einige mehr, die ich jetzt hier nicht aufgeführt habe. „Chrismon“, etwa, oder „Evangelische Häuser“, die zu dem evangelisch.de-Netzwerk gehören. Und es gibt einzelne Personen, z. B. der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, die auch Facebookseiten haben und nutzen! Auf die Zahlen kommen wir später noch einmal zurück. Ich wollte mir jetzt aber erst einmal ein paar dieser gerade gesehenen Angebote – eine relativ willkürliche Stichprobe – genauer mit ihnen anschauen.
Diese Seite ist ein Platzhalter
Wir beginnen mit dem Social-Media-Angebot der Evangelischen Kirche in Deutschland selbst, also der EKD. Die ist überall vertreten. Es gibt eine Facebookseite, einen Twitter-Account und einen YouTube-Channel und die Zahlen sind dort für deutsche Kirchenverhältnisse auch okay – bei Facebook fast 2000 Fans und über 2.500 Follower bei Twitter. Aber es fällt auf, dass es eigentlich keine Interaktion gibt. Also: Der wirklich „soziale“ Aspekt des Social Web wird nicht genutzt.
Die Seiten sind hauptsächlich automatisierte Kanäle, in die Pressemeldungen einlaufen. Der YouTube-Kanal wird auch nur für Videos von Pressekonferenzen und Synoden genutzt.
Aber das ist auch so gewollt, sagt Sven Waske, der Leiter der EKD-Online-Redaktion: “Diese Seiten sind Platzhalter, da die Rechtslage derzeit noch unklar ist. Sie werden künftig in einer Gesamtstrategie neu gefasst.” Man wollte diese Seiten erst einmal besetzen, damit sie kein anderer nutzt, aber es gibt eben noch keinen Konsens darüber, ob und wie man hier ins soziale Netz vorstoßen sollte – und daher gibt es eben erstmal nur diese einseitigen Präsenzen. Immerhin gar nicht verkehrt, dass man auch auf diesem Weg die Pressemitteilungen der EKD abonnieren kann.
Dialog mit der zunehmend atheistischen Netzkultur
Zum Vergleich: Die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) hat ihren gesamten Social Media Auftritt diesen Sommer neu gelauncht. Hier wird redaktionell gearbeitet. Man bemüht sich, auch Verlinkungen auf außen stehende Angebote einzubauen, die die Follower interessieren könnten. Bilder einzubinden. Auf Twitter sieht man, dass auch Retweets und Hashtags benutzt werden. Einige andere Landeskirchen haben übrigens auch Seiten, die redaktionell betreut werden.
Hier kommt es auch zum Dialog. Natürlich wahrscheinlich nie so viel, wie man möchte und auch nicht immer mit den Leuten, mit denen man gerne reden möchte, aber das Medium wird genutzt. Und wenn dann kontroverse Themen behandelt werden, wie jüngst das Thema Beschneidung, kommt es eben auch zu kontroversen Diskussionen – auch mal mit im Netz bekannten Leuten, wie Mario Sixtus, mit dem sich dann aber auch immerhin ein Dialog entspann.
EKiR-Internetbeauftragter Ralf Peter Reimann sagt dazu: “Der Dialog auf Facebook muss auch solche Provokationen aushalten. Unser Ziel ist auch der Dialog mit der zunehmend atheistischen Netzkultur!” Es ist natürlich Spekulation, aber das könnte das sein, was andere vielleicht noch davon abhält, diesen Schritt ins soziale Netz zu machen. Denn all das halst man sich natürlich auch auf, wenn man Social Media macht, und ich habe selbst schon öfter die Erfahrung gemacht, dass Leute wirkliche Probleme mit dieser gewissen Kontrollaufgabe im Kommunikationsprozess haben, die das soziale Netz mit sich bringt.
Ein Tweet-Gebet in der Essensschlange
Dann möchte ich noch kurz ein kleines Sonderprojekt vorstellen, weil es auch dieses Jahr den Webfish-Innovationspreis (Offenlegung: Dort saß ich in der Jury) gewonnen hat: das “Twittagsgebet”, das – wie man am Logo sieht – der Badischen Landeskirche entspringt. Dahinter stand die Frage, wie man ein spirituelles Angebot in einem Twitterkanal unterbringen kann. Entstanden ist ein Twitterkanal auf dem jeden Mittag um 12 Uhr ein Tweet-Gebet gesendet wird, das zum Innehalten einlädt und oft auch auf aktuelle Ereignisse bezug nimmt.
Das ist auch nicht unbedingt interaktiv – hier findet kein Dialog statt – aber das wissen die Macher auch und das ist auch ganz bewusst. “Wir wünschen uns den Nutzer, der mittags in der Essensschlange steht und seine Timeline checkt und sich dann über unseren Tweet freut”, sagt Oliver Weidermann, der Gründer und Koordinator des Twittagsgebets. Das soziale entsteht dann eher dadurch, dass ein Twittagsgebet retweeted werden kann und die Follower es so mit ihren Followern teilen.
Also auch wenn es keine direkte Interaktion gibt, hat man sich hier zumindest wirklich Gedanken darüber gemacht, wie man das Medium auf spezielle Weise einsetzen kann – indem man eben solche Tagesgedanken auf 140 Zeichen eindampft – und das funktioniert ja auch.
Mitten im Hype-Cycle
Der letzte Kandidat, evangelisch.de, hat diesen Herbst seinen dritten Geburtstag gefeiert. Ich habe damals selbst noch im GEP in Frankfurt gearbeitet als evangelisch.de an den Start ging und ich erinnere mich noch gut an die Aufbruchsstimmung die damals dort herrschte. Der Plan war, etwas auf die Beine zu stellen, was die evangelische Kirche endgültig im Internetzeitalter ankommen lässt. Eine Nachrichtenseite mit angeschlossener Community, die aber anders, persönlicher und spiritueller, funktioniert als die weltlichen Medien und damit alle evangelischen Christen in Deutschland anspricht.
Heute sieht das Ganze ein bisschen anders aus. Die Community ist vor ein paar Monaten geschlossen worden. Die wenigen Nutzer die es dort gab, fanden das natürlich sehr schade. Aber im Rückblick konnte evangelisch.de als eigenes soziales Netzwerk einfach nicht bestehen. Die Dinge, die funktioniert haben, etwa eine universelle Anlaufstelle für geistliche Fragen, hat man behalten und sie werden jetzt unabhängig weitergeführt.
Es hat also alles nicht ganz so geklappt wie man sich das vorgestellt hat – und ich finde die Seite jetzt auch optisch nicht mehr so schön und ein bisschen labyrinthisch – aber die Konsequenz ist eben, dass die Redaktion jetzt mit etwas weniger Hype im Rücken weitermacht. Portalleiter Hanno Terbuyken: “evangelisch.de ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wir sind ein Teil des Angebots, ein Knotenpunkt im Verbund christlicher Websites im Netz. Und wir haben einen klaren publizistischen Auftrag und daran hat sich nichts geändert.”
Ich mochte diesen Gedanken eigentlich: Dass man jetzt vernetzter denkt und auch auf der Leitungsebene nicht mehr so stark wie am Anfang der Meinung ist, man hätte jetzt den endgültigen Schlüssel dazu gefunden, wie evangelische Kirche im Netz funktioniert. Und Hanno Terbuyken hat mir dennoch glaubhaft versichert, dass er mit dem, was evangelisch.de im Moment produziert, sehr zufrieden ist.
Ich musste da ein bisschen an den “Gartner Hype Cycle of Emerging Technologies” denken, ein Index, auf dem jedes Jahr aufgezeichnet wird, wo sich entstehende Technologien gerade auf ihrem Erwartungshorizont befinden – und der beginnt eben immer mit einem großen Hype voller zu großer Erwartungen, stürzt dann ab in ein Tal der Desillusionierung (das hatte evangelisch.de vielleicht letztes Jahr) und bewegt sich dann aber stetig auf ein produktives Plateau zu. Es bleibt zu hoffen, das evangelisch.de jetzt auf dem besten Weg dahin ist.
Wenn man jetzt die Zahlen vom Anfang alle mal addiert – ich nehme jetzt mal die Facebook-Zahlen aller Landeskirchen, der EKD und von evangelisch.de – dann kommt dabei eine Zahl knapp unter 8000 heraus. Das ist also die Zahl der Leute, die die offiziellen Facebookseiten der evangelischen Kirche erreicht. Die eigentliche Zahl ist natürlich niedriger, da davon auszugehen ist, dass viele Leute mehrere dieser Seiten geliket haben. Auch die Werke fehlen jetzt in dieser Summe, aber zu denen passt das Motto “I like evangelisch” auch nicht besonders gut, denn ich möchte wetten, das ein Großteil der Bevölkerung weder “Brot für die Welt” noch die “Diakonie” direkt mit der evangelischen Kirche in Verbindung setzt.
Auf Augenhöhe
Vergleichen wir dazu eine Seite namens „evangelisch im Facebook“. Die hat fast halb so viele Fans wie alle anderen zusammen, stammt aber nicht aus einem offiziellen Kanal. Andererseits hat sie die Kurz-URL facebook.com/evangelisch – dort passt also das Vortragsthema am besten. Und dort, soweit ich das beobachten kann, passiert, was auf den meisten anderen Seiten nicht passiert. Bis zu sechs mal am Tag wird ein Impuls gepostet, manchmal ernst, manchmal witzig, und dann wird das weitergegeben und diskutiert – natürlich auch nicht immer nur gut und auch hier treiben sich viele von den Menschen herum, die für die Kirche nach außen hin natürlich nicht gerade das beste Bild abgeben. Aber – hier ist ein echtes soziales Medium am Start. Hier findet so etwas ähnliches wie Gemeinde statt.
Gemacht wird das ganze – das hat im StudiVZ (der ein oder andere erinnert sich noch) angefangen und ist dann auf Facebook umgezogen – von drei Mitgliedern der Evangelischen Studierendengemeinde Stuttgart, Stefan Hartelt, Contanze Borchert und Astrid Lowien. Die drei investieren ehrenamtlich jeder etwa 90 Minuten am Tag, um diese Seite zu pflegen und sich neue Impulse einfallen zu lassen. Und obwohl Stefan Hartelt auch in der Web 2.0-AG der Württembergischen Landeskirche sitzt, bekommen die drei nur ganz verhaltenen Rückhalt von offizieller Seite.
Ich habe sie gefragt, ob sie sich in Konkurrenz zu evangelisch.de sehen. Und als Antwort habe ich von Stefan Harrtest bekommen: “Wir fragen uns immer: wie können wir so professionell sein wie evangelisch.de?” Die drei sind also auch sehr bescheiden, sehen die Profis eher als Vorbild – obwohl sie als Amateure eigentlich viel erfolgreicher sind – und, wie sie erzählen, auch sehr wenig Probleme mit Pöblern haben, und noch nie jemanden sperren oder einen Beitrag löschen mussten, also weitgehend in Frieden gelassen werden.
Ich habe mich gefragt – das ist nur eine These – dass es vielleicht gerade dieses amateurhafte auf Augenhöhe ist, was die Leute zu dieser Seite zieht. Dass sie eben hier nicht Informationen von Profis durchgereicht bekommen. Vielleicht funktionieren Social Networks – zumindest in solchen so privaten und emotionalen Bereichen wie Kirche und Glauben – einfach so, oder zumindest: auch so.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat natürlich auch noch eine sehr erfolgreiche Facebookseite (und auch einen Twitterkanal mit 1200 Followern, da ist evangelisch.de erfolgreicher). Die betreue ich inzwischen natürlich nicht mehr, das macht jetzt meine Nachfolgerin Silke Roß. Wir hatten den Vorteil, dass dort scheinbar eine Meute von Leuten auf uns wartete, die nur noch abgeholt werden musste. Denn im Gegensatz zu den Kirchen, wo ja viele Leute Mitglied sind, aber nur wenige wirklich aktive Mitglieder, sind die Kirchentags-Teilnehmer ja fast alle sehr involvierte Menschen.
Das Nicht-Geheimnis des Kirchentages
Das interessante ist, dass ich seitdem, also seit diese Facebookseite und auch der Twitterkanal für evangelische Verhältnisse so erfolgreich ist, das heißt: seit Frühjahr 2011, schon mehrmals zu ähnlichen Veranstaltungen wie dieser hier eingeladen worden bin, um darüber zu reden, wie wir das gemacht haben. Und ich erzähle dann immer, was wir, dass wir versucht haben, uns auf die Vorfreude zu konzentrieren, damit wir die zwei Jahre zwischen den Kirchentagen überbrücken können. Dass wir einen lockeren, persönlichen, aber nicht flapsigen Ton gewählt haben. Und dass wir versucht haben, auf alles zu reagieren, was uns an Fragen und Kommentaren entgegen kam. Und irgendwie hat das geklappt.
Das heißt: die einzige Social-Media-Expertise, die da eigentlich reingegangen ist, ist meine private Erfahrung im Social Web vor diesem Job, die Berichterstattung darüber, die ich als Medienjournalist leisten durfte, und die Bereitschaft, das Medium und seine Nutzer ernst zu nehmen, nicht nur als Verbreitungskanal, sondern als Plattform. Und kurz nach dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden hatten wir dann plötzlich die 10.000er-Marke überschritten.
Ich habe auch Gespräche geführt mit Werbern und anderen Medienmenschen, denen das alles viel zu konservativ war: zu wenig Provokation, zu wenig viral, nicht spektakulär genug. Aber ich habe immer gedacht, dass die Internetweisheiten, die für Unternehmen gelten, in diesem speziellen Umfeld nicht immer das Richtige sind. Und ob das stimmt oder nicht, dafür sind Sie ja hier, um das zu diskutieren.