Sollte ich irgendwann mal dem Print endgültig den Rücken kehren und mein “epd film”-Abo kündigen, ich glaube, ich würde stattdessen regelmäßiger “critic.de” lesen (wenn ich überhaupt mal Kritiken lesen würde, bin ja mehr so der Meta-Film-Mensch). Klar, bei der Autorenliste sind die Texte natürlich nicht nur gelegentlich etwas verkopft, aber – so merkwürdig das klingt – ich finde, das ganze wird ausgeglichen durch das ruhige und klare Design der Seite und die außergewöhnlich gute Navigierbarkeit.
“critic.de” hat (ähnlich wie “Moviepilot”) meiner Ansicht nach das Zeug zum “Leitmedium” (einen Begriff, den ich bald noch einmal näher erläutern werde, weil er viele schlechte Assoziationen geweckt hat). Zumindest ist klar: Wenn hier mal was passiert, erfährt es filmnetzweite Beachtung – zurecht. Mehr davon!
“critic.de”-Chef Frédéric Jaeger hat bereits kommentiert, dass er sich in meiner “Beschreibung nicht wieder[findet]”, aber ich glaube, da haben wir uns (wahrscheinlich aufgrund meiner Zuspitzung) missverstanden. Seinen Interview-Aussagen kann ich mich jedenfalls zu großen Teilen anschließen.
Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was ihr bei critic.de macht, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?
Bei critic.de betreiben wir seit 2004 Filmkritik, wie wir sie verstehen. Filmkritik ist eine Haltung und eine journalistische Textgattung, die Haltung ist mir um Längen wichtiger. Angefangen hat es aus Verdruss über bestehende, konservative und marktschreierische Onlinemagazine und aus dem Vergnügen daran, etwas eigenes aufzubauen. Die Unabhängigkeit von ökonomischen Interessen bei der Gestaltung unseres Magazins war einer der Grundsätze. Der zweite, Film als Ausdrucksform oder Sprache zu betrachten (mehr denn als Vehikel), stammt sicherlich maßgeblich aus dem Filmwissenschaftsstudium, das viele Autoren verbindet. Ein dritter Grundsatz kam erst über die Jahre hinzu: Wir wollen uns einsetzen für eine Filmkultur in Deutschland, die ein Selbstbewusstsein jenseits von Quartalszahlen und Oscarnominierungen kennt, die sich weder hinter öffentlich-rechtlichen Relevanzkriterien (Themenfilme, leichtverdaulich aufbereitet und quotenfixiert) versteckt, noch einer sogenannten Professionalisierung hinterherhechelt, die fast immer an Unvermögen und fehlenden Mitteln scheitern muss (gute Beispiele sind zuletzt Til Schweiger und Oskar Roehler, die auch immer die Qualität ihres “Handwerks” glauben betonen zu müssen). Wir treten ein für eine Filmkultur, die gleichermaßen experimentell, forschend und lustvoll ist.
Auch wenn ihr von der Form nicht hundertprozentig blogähnlich seid, empfinde ich euch als Blog. Wie seht ihr euch selbst?
An guten Blogs schätze ich, dass die Autoren voll und ganz einstehen für ihre Meinung, sich nicht in journalistische Distanz oder Anonymität zurückziehen. Als Medium, das sich insbesondere durch Meinungsartikel, persönliche Freiheiten und Engagement definiert, sind wir also wirklich kaum unterscheidbar von Blogs. Dass wir formal (d.h. technisch) kein Blogsystem haben, ist sicherlich irrelevant. Wichtig ist uns aber, ganz wie bei redaktionell organisierten Blogs, dass wir uns in der Redaktion überlegen, welche Filme, Regisseure und Themen wir ins Zentrum rücken möchten, und darüber mit unseren Autoren kommunizieren. Allerdings ist das nicht streng hierarchisch zu verstehen. Viele schöne und wichtige Artikel entstehen, weil die Autoren selbst die Idee dazu haben. Last but not least gibt es bei uns einen ausführlichen Redigierprozess, in dessen Zuge wir auch oft zu mehreren über die Erstfassungen gucken und sie diskutieren und mit dem Autor zusammen überarbeiten. Das ist vor allem wichtig bei Einsteigern, aber dazu kommen wir in der nächsten Frage.
Viele von euren Autoren werden anderswo auch für’s Schreiben bezahlt oder haben Filmstudiengänge studiert. Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu “dürfen”?
Das Schöne ist ja, dass es keine Instanz gibt, die die Lizenz zum Kritiker oder Blogger erteilt. Zum Glück, denn sonst würden uns sicherlich Stimmen fehlen, die etwa Zeitungsredakteuren nicht stromlinienförmig genug wären. Nur: Übung beim Schreiben und Sehen ist wichtig, und das passiert nicht von alleine. Erst in der Kommunikation mit anderen lernen wir es besser zu machen, auch die Filme einzuordnen und zu “lesen”. Weil uns so etwas wie die filmische Perspektive, der Zugriff auf Fiktion und Welt, sowie deren Vermittlung als ganz zentral erscheinen, würde ich durchaus für eine filmische Bildung plädieren. Die muss nicht über Universitäten laufen, aber am obsessiven Sehen, Lesen und Schreiben führt nichts vorbei.
Was ist euer Ziel mit critic.de, und wonach wählt ihr eure Themen aus?
Abgesehen von unseren weiter oben genannten Grundsätzen verfolgen wir sicherlich mehr unterschiedliche Ziele, als Autoren für critic.de schreiben. Zweifelsohne steht im Zentrum die Kommunikation und Übersetzung unserer Leidenschaft, unserer persönlichen Entdeckungen, unserer Thesen und Ansätze ins Schriftliche. In Zeiten wachsenden (kommerziellen) Drucks auf die Kritik, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, wollen wir freilich auch ein Gegengewicht darstellen. Im Alltag motiviert unsere Entscheidung für bestimmte Themen allerdings immer das persönliche Interesse. Es muss klar sein, dass wir weder Filme bevorzugen, weil sie kleine Budgets haben, noch große Produktionen für ihr Kapital benachteiligen. Arthaus oder Festivalfilme sind nicht besser als Genrebeiträge. Im Zweifelsfall rücken wir gerne Ränder ins Zentrum, aber die kritische Auseinandersetzung mit Mainstream ist hierzulande ebenso marginal und förderungsbedürftig.
Hast du den Eindruck, dass es darüber hinaus so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?
Das fällt mir schwer zu beurteilen. Es gibt regen Austausch auf Plattformen wie Facebook zwischen miteinander bekannten (Online) publizierenden Filmnerds, zu denen ich mich auch gerne zähle. Und natürlich gibt es Blogrolls. Aber es fehlen doch ein wenig die Netzwerkeffekte, was möglicherweise mit der grundlegenden Tendenz in Deutschland zusammenhängt, im eigenen Blog oder Magazin nur wenig die Artikel anderer zu zitieren. Neben film-zeit.de fehlt vielleicht auch ein Aggregator, der den Austausch anregen könnte.
Würdest du mir zustimmen, wenn ich behauptete, dass ihr eines der Leitmedien innerhalb der Film-Netz-Sphäre seid? Ein Ort, den zumindest irgendwie alle kennen und wahrnehmen?
Mit meinem Verständnis des Netzes verträgt sich der Begriff des Leitmediums schlecht. Wenn man so will, sind die Leitmedien Google und die Aggregatoren. Als Knotenpunkt würde ich uns allerdings schon gerne sehen. Jedenfalls sind solche Rückmeldungen von Kollegen durchaus ein Ansporn, die Arbeit, die wir uns machen, fortzusetzen und critic.de immer weiterzuentwickeln. Für 2013 haben wir zum Beispiel eine große Blattkritik geplant, wo wir Kollegen und interessierte Filmemacher einladen wollen, mit uns gemeinsam über Schwächen und Stärken von critic.de zu diskutieren und über die Zukunft nachzudenken.
Gibt es in ebendieser Film-Netz-Spähre so etwas wie eine Grenze zwischen Arthaus-Liebhabern und Mainstream-Liebhabern? Falls ja, gibt es Berührungspunkte?
Eine solche Trennung gehorcht lediglich einer Marktlogik, die Filme in Segmente unterteilt und Zielgruppen zuspricht. Mit der Bedeutung von Filmen für den einzelnen Zuschauer hat das wenig zu tun. Eine sinnvollere Grenze ließe sich vielleicht zwischen denjenigen ziehen, die Filme als Konsumwaren verstehen, die mehr oder weniger den Durst stillen oder satt machen, und denjenigen, die versuchen, Filme zu verstehen. Ich glaube zwischen diesen beiden Gruppen gibt es recht wenig Berührungspunkte, nur manchmal eher zufällig durch persönliche Bekanntschaften, und da führt die Kommunikation ohnehin meistens zu Missverständnissen.
Wie regelmäßig und wie wertvoll ist das Feedback, das ihr von euren Lesern bekommt?
Feedback gibt es viel und von unterschiedlichster Seite. Wertvolle Rückmeldungen (die über Lob oder Leid hinausgehen) sind rar, und Diskussionen entstehen zu selten. Die wichtigsten Impulse kommen tatsächlich aus persönlichen Gesprächen mit Lesern, für die wir sehr dankbar sind.
Welche Blogs (über Film und drumherum) liest du selbst? Zu welchem Zweck?
Ich lese viel und nicht alles regelmäßig. Gerne auch auf Englisch oder Französisch. Einen Zweck verfolge ich beim Lesen nicht. Um nur ein paar deutsche Blogs zu nennen: “Eskalierende Träume”, “Filmtagebuch”, “Dirty Laundry”, “Revolver”, “Perlentaucher”, Cargo, “Wayward Cloud”, “Artechock”, “Getidan”. Und doppelt so viele habe ich sicherlich gerade ausgelassen. Beim Lesen orientiere ich mich im Übrigen öfter an einzelnen Autoren als an Publikationsorganen.
Wie würde der Komplex “Schreiben über Film im Netz” in einer perfekten Welt aussehen?
Perfekte Welten widerstreben mir. Nach der Logik der geringsten Widerstände dürfte ich nicht in Deutschland über Film als Kunstform schreiben wollen. Die unhaltbaren Missstände in der Filmpolitik und der Filmkultur fördern hoffentlich die vereinende Kraft zutage, gegen sie aufzubegehren. Das ist eine Utopie, mit der ich mich identifizieren kann: ein Kampf freilich, aber ein gemeinsamer.