Digitales Kino: Schluss mit dem Materialfetischismus

Dies ist ein Beitrag zur Blog-Parade anlässlich des fünften Geburtstags von “DigitaleLeinwand”. Dort hat Gerold die Frage gestellt: Was hat das Digitale Kino für euch in den letzten fünf Jahren verändert?

Als ich meinen ersten Job antrat, im Januar 2009, konnte ich mein Glück kaum fassen. Mein erstes Gehalt erschien mir unfassbar viel Geld! Ich war Single, wohnte in einer Studentenbude und hatte noch ein Semesterticket, also konnte ich von meinem Gehalt so viel ausgeben, wie ich wollte, für all die Sachen, die ich liebte. Ich musste an keiner CD, keiner DVD, keinem Buch mehr vorbeigehen und mir sagen “Denk lieber noch mal nach, ob du es wirklich brauchst.” Und bald schon füllten sich meine Regale deutlich schneller, als sie das in den Jahren zuvor getan hatten. Ich durfte ja endlich.

Doch mein Job währte nicht ewig. Er war auf ein Jahr begrenzt. Und der nächste dann wieder auf anderthalb Jahre. Und dann zog ich mit meiner Freundin zusammen. Und dann zogen wir nochmal in eine schönere Wohnung. Wir haben irgendwann mal gezählt und kamen gemeinsam auf über 15 Umzüge in weniger als zehn Jahren. Und dabei verfluchte ich (und alle meine Freunde, die mir tapfer jedes Mal halfen) jedes verdammte wunderschöne Coffeetable Book, jede hübsche DVD-Sonderedition, jedes CD-Boxset, was ich mir über die Jahre geleistet hatte. All diese Dinge, die im Regal standen, und die ich nach der ersten Lektüre oder Sichtung ja doch erst zum Umzug wieder bewegte.

Danke, Bruce Sterling

Es war kurz vor meinem letzten Umzug und nachdem ich einen Vortrag von Bruce Sterling gehört hatte, dass ich entschied, Friedrich Schiller zu folgen und mit dem Anhäufen von Kram aufzuhören. Meine Musik kaufe ich (fast nur noch) digital, meine Bücher lese ich (wann immer es sich lohnt) auf dem Kindle. Noch kaufe ich DVDs, weil es im VoD-Dschungel Deutschland meistens immer noch einfacher ist – aber ich sortiere jetzt schon aus, welche Filme ich verschenken werde, sobald ich wieder umziehen muss (wahrscheinlich im Sommer 2015).

Ich habe diese Entscheidung bis heute nicht bereut. All das Gerede von Haptik und “es gibt sie noch, die schönen Dinge” zündet bei mir nicht mehr. Das mag bei Tischen und Küchenmessern relevant sein. Bei Kulturgütern zählt, was drin ist. Und was praktisch ist. Zitate aus Büchern muss ich nicht mehr abtippen, ich kann sie direkt aus der Kindle-App ins Dokument ziehen. Mixtapes muss ich nicht mehr zusammenspulen, ich kann sie per Drag and Drop so lange hin und herschieben, bis sie passen. Ich lese dadurch nicht weniger. Und höre auch immer noch oft genug ganze Alben von Anfang bis Schluss.

Nicht mehr Film, nur noch Kino

Im Kino ist in den letzten fünf Jahren genau das gleiche passiert. Das Kino hat sich entschieden, mit dem Anhäufen von Kram aufzuhören. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Fantasy-Epen die Leinwände regieren, hat es sich gegen Fantasy und für Science Fiction entschieden. Es hat sich entschieden, nicht mehr Film, sondern nur noch Kino zu sein.

Mir ist bewusst, dass die Beweggründe dahinter nicht so idealistisch waren, wie ich das gerade formuliert habe. Mir ist auch bewusst, dass dort, wo das Anhäufen von Kram Sinn der Sache ist – in Archiven – das digitale Kino ein riesiges Problem hat. Mir ist bewusst, dass selbst die beste 4K-Kamera nicht die exakte und doch zufällige Besonderheit reproduzieren kann, die Filmmaterial immer zur großen Party Kino mitgebracht hat wie einen selbstgemachten Salat. Und mir ist auch bewusst, dass wir mit dem Umstieg ins Digitale eine Symbolwelt verlieren – Rollen, Filmstreifen, und so weiter – die Kino über Jahrzehnte repräsentiert hat und noch immer benutzt wird (eine Tatsache, auf die Gerold immer wieder gerne hinweist).

Aber ich halte diese Befreiung vom Kram doch für richtig. Wir befinden uns noch in einer merkwürdigen Zwischenphase derzeit und außerdem wirken die Kräfte des Kapitalismus natürlich so stark wie immer und sorgen dafür, dass vieles bleibt, wie die großen Player es gerne haben. Aber die Utopie existiert und sie existiert nur im Digitalen: Kino, losgelöst von ihrem Medium, losgelöst von Faktoren wie “Kopienanzahl” und “Anfahrtsweg” – jederzeit auf jeder Leinwand, wo immer man es haben will.

Begrenzt nicht die Utopie

Wer dem Rattern des Projektors, der puren Existenz des Filmmaterials, dem Krisseln des Korns hinterherweint, betreibt Fetischismus. Er oder sie ersetzt das Erlebnis Kino durch eine physische Manifestation, die auf einer Ansammlung historischer Zufälle basiert, egal wie bewährt sie sein mag. Er oder sie begrenzt die Utopie dessen, was Kino sein kann. Was Kino werden muss.

In den letzten fünf Jahren hat das Digitale Kino für mich wenig direkt verändert. Aber seine Veränderung ist dieselbe, nach der ich strebe. Noch kaufe ich mir ein Buch wie “The Wes Anderson Collection” als dicken, analogen Schinken. Aber nur, weil es noch kein digitales Gerät gibt, das mir Bilder und Layout in dieser Größe angenehm anzeigen kann. Auf der digitalen Leinwand aber wirkt die Idee Kino für mich genauso beeindruckend wie auf der analogen. Ganz ohne Kram dahinter.

Bild: Flickr Commons

Film Blog Adventskalender – 6 – Gerold von “DigitaleLeinwand”

Gerold Marks schreibt seit 2009 auf DigitaleLeinwand.de über digitales Kino mit den Schwerpunkten 3D, Immersion und Filmmarketing. Als Weihnachtsgeschenke-Tipp empfiehlt er dem Filmfan ausnahmsweise ganz analoge Textilprodukte:

Wie unterscheidet man den Filmfreund vom Filmkenner? Der eine zuckt bei den Begriffen Nostromo, The Slaughteres Lamb, Kobayashi oder Quint’s Shark Fishing mit den Schultern, der andere mit den Mundwinkeln. “Last Exit to Nowhere” bietet mit seiner T-Shirt-Kollektion subtile Erkennungszeichen für wahre Filmgeeks. Als Motiv werden nicht die Filmplakate, sondern charakteristische Logos und Signets aus bekannten bis kultigen Filmen auf die Shirts gedruckt. Ihr habt die oben genannten Beispiele alle erkannt, es handelt sich natürlich um Referenzen aus Alien, An American Werewolf in London, The Usual Suspects und Jaws.

So gekleidet macht man auch auf Junkets oder bei Filmquizzes eine gute Figur. Neben T-Shirts sind auch Tops, Hoodies, Caps und ein paar Poster im Angebot (und das nerdige T-Shirt mit den Roboterfiguren aus Film und Fernsehen von 1927 bis 2012). Letzter garantierter Bestelltag für eine pünktliche Weihnachtslieferung ist Freitag, der 13. Dezember. In diesem Fall ein Glückstag für Filmfans.

© Screenshot Last Exit To Nowhere· Alle Rechte vorbehalten.

(Gerold Marks)

Die deutsche Film-Blogosphäre: Gerold Marks von “Digitale Leinwand”

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Gerold Marks’ Blog hat mich beeindruckt. Nicht nur, weil er sich für die gleichen Themen wie ich interessiert (dieses Blog trägt nicht zufällig den reißerischen Untertitel “über die Zukunft von Film und Medien”), sondern auch, weil er es meiner Ansicht nach prima schafft, auf dem schmalen Grat zwischen professionellem Anspruch und persönlichem Profil entlangzuwandern. “Digitale Leinwand” dürfte für viele Leser vor allem eine Ressource sein, die Infos über digitale Kinotechnologie suchen. Das Blog ist aber auch eindeutig die Visitenkarte seines Eigentümers.

Entsprechend klar sind auch seine Antworten auf meine Fragen, die mir beileibe nicht in allen Mutmaßungen zustimmen.

Beschreibst Du kurz in eigenen Worten, was für ein Blog du schreibst; warum, wie lange schon, wie es dazu kam?

Ich blogge seit sieben Jahren, auf “DigitaleLeinwand” schreibe ich seit fast vier Jahren. Inhalt ist der Shift vom analogen zum digitalen Kino im umfassenden Sinn, also die technische Seite der Digitalisierung an sich, stereoskopische 3D Filme (der eigentliche Motor der globalen Digitalisierung), alternative Inhalte wie Live-Übertragungen von Konzerten, Theateraufführungen oder Events, aber auch Filmmarketing von Social Media bis Augmented Reality.

Der Start von DigitaleLeinwand hatte mehrere Gründe: zum Ende meines Studiums wollte ich die 2007 eingeschlagene Richtung Film und Kino intensivieren. Für meine Diplomarbeit war ich auf der Suche nach einem Thema. Ich wollte mich motivieren (oder zwingen) mit einem kleinen Schnipsel täglichen Text die Angst vor dem Weißen Blatt Papier und der Schreibblockade zu überwinden. Die Bedeutung der Digitalisierung war mir bewusst. Allerdings nicht der daraus resultierende Themenschwerpunkt 3D. Die Nachfrage nach relevanten und inhaltlich korrekten Informationen nach 3D-Filmen und den damit verbundenen Techniken, der Rezeption, der Akzeptanz etc. dieses Formats hat mich dann förmlich überrollt. Das Thema hat sich dann sozusagen einen Schreiber gesucht. Seit 2009 bin ich nun eine der wichtigsten Quellen zum Thema 3D-Film.

Denkst Du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu „dürfen“? (Du hast ja einen).

Nein. Meine Kenntnis des gesamten Konstrukts Film hat sich durch das Bloggen enorm erweitert und geschärft. Viele Film-Blogs fangen mit persönlichen Kritiken an, werden im Laufe der Zeit umfangreicher, professioneller, finden ihren Platz. Ich vertrete einen klaren Standpunkt: jede Meinung zählt. Professionelle Kritiken im klassischen Feuilleton verlieren in den letzten Jahren extrem an Bedeutung; kein Filmpreis, keine Lobeshymnen von Kritikern können den Erfolg eines Films an der Kinokasse garantieren. Sie können sicherlich einen Film in der Flut der Neustarts sichtbar machen. Aber das kann jeder in seinem sozialen Netzwerk, der sich für etwas interessiert. Und manchmal ist das Word of Mouth eines Freundes relevanter als eine verschwurbelte Diskurs-Reflexion. Das ist Inflation und Freiheit zugleich. Jeder ein Kommunikator, fast jeder ein Kritiker. Was nicht heißt, dass jeder ein Experte ist. In meinen Augen hat Berechtigung, was Leser findet, auch wenn es nicht allen gefällt.

Danke für die professionelle Einstufung. Aber im Ernst: ich habe meine Expertise durch das Bloggen erarbeitet und darüber kamen die Anfragen für die Jobs in Produktionsfirmen, von Verleihern und Festivals, Einladungen zu Vorträgen, Moderationen und Interviews zustande. Sozusagen iteratives Lernen und Arbeiten mit der Visitenkarte im Netz.

Kleine Anekdote: nach der Moderation eines großen 3D-Panels kam eine Besucherin auf mich zu und lobte euphorisch meine Arbeit. Sie fand meine Fragen und Ansätze hervorragend, ich sei bestimmt ein Medienjournalist. Ich bedankte mich und erwiderte, dass ich Blogger bin. Ihr Gesicht entglitt, betont von einem ein kurzen „Ach so“, bevor sie sich abwandte und einfach ging.

Du hast dich in deinem Blog auf einen begrenzten Kreis von Themen beschränkt. Wie kam es zu dieser Entscheidung, was steckt dahinter und wie funktioniert es?

Als One Man-Show ist es gar nicht möglich alle 500 Filme des Jahres zu besprechen. Wir konnten im letzten Jahr die Fokussierung einiger Seiten sehen, die genau daraus handeln mussten, der Versuch alles abzudecken überrollte sie. Außerdem kann man in Deutschland vom Bloggen nicht leben. Es geht also trotz eingeschränkter Nische bereits die gesamte Freizeit in das Blog, da man ja auch noch seine Brötchen verdienen muss.

Zudem war ich der Ansicht, dass wir kein weiteres Filmportal mit der gleichen Durchreiche von Inhalten der US-Filmblogs brauchen. Im Sinne des Long Tail habe ich mir eine Nische gesucht, deren Bedeutung ich annahm und die sich bestätigte. Die hat man mir zwar wiederholt versucht abzujagen, aber ich halte mich hartnäckig.

Natürlich ist es sehr schön, wenn man als relevante Quelle erkannt wird, einige Seiten sind aber auch sehr erfolgreich darin, meine Inhalte umfassend zu kopieren und zu veröffentlichen, natürlich weder zitiert noch verlinkt. Da bedeutet, dass noch mehr Potential in meinem Feld steckt, dass es zu beackern gälte, allerdings limitieren meine verfügbaren Ressourcen. Der Tag hat ja nur 28 Stunden …
Früher hatte ich noch den Anspruch auf Vollständigkeit für alle 3D-Filme, da konnte man jeden Schnipsel veröffentlichen, es kam ja nur alle sechs Wochen ein neuer 3D-Film in die Kinos. Bei den aktuell 45 3D-Filmen im Jahr ist es schwieriger, da kommt man kaum hinterher. Zudem hat sich die Nische 3D-Film auch zum normalen Filmfeld entwickelt.

Dein Blog wirkt auf mich so, als wäre es einerseits von privaten Interessen getrieben, als würdest du dich aber bemühen, diese so zu präsentieren, dass der Service-Charakter gegenüber der privaten Meinung überwiegt. Stimmt das und warum hast du dich dafür entschieden?

Deine Wahrnehmung liegt in meiner ganzen bisherigen Arbeit begründet. Ich habe immer benutzerorientiert gearbeitet. In meinem Studium standen sich wissenschaftliche Analyse und kreative Schöpfung gegenüber. Ich wollte auf “DigitaleLeinwand” kein weiteres Filmkritik-Portal hochziehen, sondern über ein Themenfeld informieren. Die Nachfrage war da, weil man das Thema in den klassischen Medien als Spielerei und temporären Hype abtat.

Und auch heute gibt es viel an Aufklärung zu leisten, wie zuletzt das Thema High Frame Rate bewies. Der erste Teil der Hobbit-Verfilmung ist mit einer doppelten Bildfrequenz von 48 Bildern in den Kinos zu sehen- erstmals in der Filmgeschichte. Doch weder der Verleih noch die betreuende Agentur klärten darüber auf, Kinobetreiber waren verunsichert. Das Publikum lechzte nach Informationen. Ich habe mich dem Thema angenommen, Informationen mühsam aggregiert, Kinobetreibern und –Marketingleitern Kooperation signalisiert. Schließlich schrieb mich wohl so ziemlich jeder Kinobetreiber persönlich an. Das Thema war so erfolgreich, dass die Benutzerzahlen explodierten, was sonst im Monat rumkommt, tummelte sich nun an einem Tag auf “DigitaleLeinwand”. Das habe ich vor allem der Verlinkung von großen Seiten wie Heise oder t3n zu verdanken, die innerhalb ihrer Berichterstattung auf meine aktuell gepflegte HFR-Kinoliste verlinkten. Vielleicht liegt es auch an meiner Leserschaft, die nicht nur den Kinogänger im Auge hat, bei mir lesen auch Produzenten, Stereographen oder Verleiher mit.

Du arbeitest mit Sponsored Posts, willst Du dazu was sagen?

Klar. Ich werbe durchgehend auf meinem Blog. Für Filme. Ich schreibe über gelungene Aktionen des Filmmarketings. Ich habe einen werbelastigen Studiengang belegt. Werbung ist für mich absolut kein Problem.

Der Einsatz von Werbung auf “DigitaleLeinwand” hat zwei Gründe: zum einen wollte ich selbst erfahren, ob es möglich ist, mit einem Blog genug Geld zum Leben zu verdienen. Das ist in Deutschland aufgrund der weiter vorherrschenden Geringschätzung von Blogs nur in Ausnahmefällen möglich. Die Einnahmen aus der Blogwerbung, also Bannern, Videos oder Sponsored Posts decken die Kosten für Domain, Server, Traffic, kostenpflichtige Tools und Software und den anfallenden Portokosten für das Verschicken von Gewinnspiel-Preisen etc. Dann reicht es noch im Monat für ein Eis mit der Familie. Überschüsse reinvestiere ich in Erweiterungen und Aktualisierungen. Und wenn dann noch was übrig bleibt, verlose ich unter meinen Lesern zum Bloggeburtstag noch ein paar schöne Dinge.

Zum anderen interessieren mich die Mechanismen der Werbetreibenden auch für meine eigene Arbeit. Wer schaltet wie und wo, wie reagieren die Leser darauf, wie ist die Resonanz. Daraus leite ich Maßnahmen für künftige Aktionen bei einem Auftrag ab.

Viele Verleiher haben verstanden, dass Linkbuilding heutzutage sehr wichtig ist, um in den Suchmaschinen bei Anfragen auch relevant angezeigt zu werden. Wer meine Arbeit mit Material, Informationen und Interviews unterstützt, darf auch mal darum bitten, den Link zur offiziellen Filmwebseite in den Artikel einzubetten. Das ist ein Geben und Nehmen.

Derzeit experimentieren viele Verleiher mit unterschiedlichen Werbeformen innerhalb von Social Networks und Blogs. Da ergeben sich mitunter absurde Zwickmühlen: ein Rezensionsexemplar einer Blu-ray 3D möchte man mir aus Kostengründen nicht zusenden. Dafür schaltet man über eine Agentur auch auf meinem Blog Werbebanner, die den Verleiher letztlich ein Vielfaches der besagten Blu-ray 3D kosten. Zur Kennzeichnung: manche Portale fordern ein „Sponsored Post“ im Titel des Beitrags, was doch sehr abschreckend sein kann. Werbebeiträge sind bei mir aber immer mindestens mit dem Tag Werbung gekennzeichnet.

Wie misst du für dich den Erfolg deines Blogs. Ist dein Blog erfolgreich?

Quantifizierbar: Was habe ich 2009 gejubelt, als 100 Leute am Tag die Seite besucht haben. Danach galt es die Marke der 1.000 Personen am Tag zu knacken, dann galt man schließlich als A-Blogger. Heute erreiche ich im Monat 135.000 Besucher. Wie sage ich immer: für einen deutschen Blog ist das ganz ordentlich, aber ich bin nicht “Spiegel Online” (will ich auch gar nicht sein).

Den in der Presse häufig beschworene Tod der Blogs kann ich nicht bestätigen, bei mir steht alles weiter auf Wachstum. Viel wichtiger ist der Erfolg auf anderen Ebenen: ich darf Interviews mit tollen Persönlichkeiten führen, an die ich sonst nie rangekommen wäre. Ich habe ein spannendes Netzwerk von Film- und Kinofans aufgebaut, das weiter wächst. Man schätzt meine Meinung und meinen Rat, sowohl von Lesern als auch von Kollegen und Experten. Man tauscht sich untereinander aus, wird verlinkt, interviewt, zu Podcasts als Gast eingeladen.

Bei einigen Verleihern muss ich allerdings bis heute betteln, zu Pressevorführungen eingeladen zu werden. Aber ich renne nicht mehr hinterher, wer seine Filme nicht kommuniziert haben will, sollte auch nicht gezwungen werden.

Bekommst Du regelmäßig Feedback auf das, was Du schreibst? Bist Du im Dialog mit Deinen Lesern?

Es lesen sehr viele Menschen mehr aktiv mit, als diejenigen, die sich öffentlich äußern. Feedback erhalte ich auf den unterschiedlichsten Kanälen, die sich immer wieder verlagern. Die Kommentare direkt im Blog werden weniger, dafür innerhalb van Facebook, Google+ und Twitter mehr. Ich bekomme viele E-Mails mit Fragen oder Hinweisen, ab und an gar mal einen Brief.

Immer wenn man zweifelt, wofür oder für wen man das eigentlich macht, spricht mich jemand auf einen Artikel von vor zwei Monaten an, der noch nachwirkt, wo sich was verändert hat. Das ist großartig.
Sehr viele Anfragen stellen Studierende für Diplom/Bacherlor/Master-Arbeiten rund um die Themen 3D, Kino und Digitalisierung. Mitunter wollen sie mich für Interviews als Primärquelle, mitunter als Tippgeber für Kontakte, Links und Material. Das ist sozusagen mein kleiner Bildungsauftrag. Da helfe ich gerne aus, was mitunter sehr zeitintensiv ist. Dafür wird man manchmal mit einer guten Arbeit belohnt, die man auch tatsächlich zu Lesen bekommt (leider keine Selbstverständlichkeit).

Welche Blogs liest Du selbst? Zu welchem Zweck?

Wenn es die Zeit erlaubte, würde ich gerne viel mehr lesen, es gibt ja auch im deutschen Bereich immer wieder neue Entdeckungen! Täglich auf dem Leseprogramm stehen die US-amerikanischen Filmblogs wie “/Film”, Collider oder BleedingCool, die auch unsere Filmnachrichten bestimmen. Du kannst ja mal nebeneinander halten, was in der Nacht auf /Film veröffentlicht wurde, und am nächsten Tag auf den Filmportalen wie “Moviepilot” oder “Filmstarts” und vielen Filmblogs erscheint (ich nehme mich da gar nicht aus). Eigentlich eine Duplikation, die nicht erforderlich wäre. Aber man will dem eigenen Leser ja auch aktuelle Informationen bieten und nicht darauf warten, bis die deutsche Agentur das Thema Wochen später als Meldung bringt. Dann ist es nämlich meist keine mehr.

Im deutschen Feld lese ich regelmäßig die Blogs von Freunden (siehe Blogroll auf meiner Seite) und von für mich interessanten verwandten Nischen, z.B. den “Pixarblog” oder “Animationsfilme.ch”. Natürlich schaue ich auch mal bei den “Fünf Filmfreunden” oder den ButtKicking Babes vorbei, oder bei “Negativ”, die sich durch ihre neu geschärfte Ausrichtung deutlich vom Mainstream abheben.

Dazu noch etliche Blogs aus anderen Themenfeldern wie Technik, Marketing, Transmedia, Kunst, etc.
Zum einen interessieren mich die Nachrichten inhaltlich. Manchmal sind sie auch für mein Blog relevant. Ich will wissen, was meine Freunde aktuell machen, was sie schreiben, sie umtreibt. Natürlich ist man auch immer auf der Suche nach Inspirationen für formale Strukturen, Features oder Erweiterungen des eigenen Blogs, aber das passiert eher beiläufig.

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst Du sie beschreiben?

Die deutschsprachige Filmblogosphäre gibt es, sie ist nur nicht so prominent wie die große amerikanische Schwester. Anscheinend fängt man zunächst als Einzelkämpfer mit seiner Idee an und strampelt in alle Richtungen. Irgendwann verknüpft man sich dann mit den anderen verrückten Filmbloggern.

Wir sprechen ja alle miteinander auf Pressevorführungen oder Festivals, sind in den Social Networks verknüpft, diskutieren in den Barcamps neue Trends. Da entwickeln sich neue Freundschaften, fachlich wie privat. Ich tausche mit diversen Blog-Kollegen Hinweise und Links aus, wenn wir über relevante Dinge stolpern.

Auch technisch ist man gerne bereit, die eigenen Ansätze und Tools zu offenbaren. Hilf ihnen, es selbst zu tun. Geht auch manchmal nach hinten los, z.B. wenn man nach einem eingesetzten PlugIn gefragt wird, das dann letztlich dazu dient auch noch meine Inhalte zu klonen. Nur das gegenseitige intensive Verlinken zueinander hapert in der deutschen Blogosphäre noch ein wenig.

Ist es ein Unterschied, ob man über Arthaus oder Mainstream bloggt?

Die Pole von Arthaus und Mainstream mögen klar sein, aber wo befindet sich die Grenze? Dieser Krieg zwischen E und U ist in meinen Augen unsinnig. Auch die Filmkunst hat ihre filmischen Wurzeln in einer Jahrmarkts-Attraktion; das eine würde ohne das andere nicht existieren. Ich schreibe auf DigitaleLeinwand gerne über Arthaus-3D, davon gibt es nur so wenig. Aber Filme wie Pina, Schiffbruch mit Tiger oder Cave of forgotten Dreams werden dann gerne auch prominenter gefeaturt, um ihnen eine Stimme zu geben.

So wie sich weniger Menschen an der Kinokasse für Programmkino interessieren, ist es auch beim Bloggen, die Artikel werden sicher geringer nachgefragt. Dafür haben die Blogs für das anspruchsvolle Publikum eine gut ausgeprägte Nische mit beständiger Leserschaft. Es ist auch für mich frustrierend, wenn ein lange erarbeiteter Artikel mit viel Rechercheleistung nur ein paar hundert Leser interessiert, das Publikum auf das neue Bild vom nächsten Star Trek-Film aber abfliegt wie Wespen auf Butterkuchen. Kino und Film ist für viele einfach nur Unterhaltung, und eben nur für manche Religion. Aber das ist letztlich auch ganz gut so.

Gibt es im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

Das kann ich nur subjektiv beantworten. Es gibt natürlich die großen bezahlpflichtigen Branchendienste, die zumeist aber auch nur Pressemitteilungen durchjagen und davon profitieren, gut bestückt zu werden. Die drei großen Filmportale streiten mit sehr ähnlichen Inhalten um die Marktführerschaft, wobei sich “Kino.de” immer mehr abseits stellt, “Filmstarts” schnell umfassend produziert und “Moviepilot” aktuell die größere Community hat. Da scheint es noch Luft zu geben, wie der Erfolg der aufstrebenden “Filmjunkies” belegt. Die waren für mich wichtig, als ich mit dem Bloggen begann, heute weiß ich selber, wo die News entstehen.
“Kino-Zeit.de” ist für mich ein echtes Leitmedium, weil sie sich intensiv um den sehenswerten Film kümmern. Dabei behalten sie aber eine positive Grundstimmung auch innerhalb ihrer Filmkritiken bei, was ich sehr schätze.

Apropos: Nichts ist einfacher als das Zerreißen eines Films, vielleicht auch der Grund, warum viele als “Filmkritiker” mit einem Blog starten. Wenn dann ein Film nur noch als Sparringspartner für die Zurschaustellung des Intellekts und der Kenntnis des Kritikers dient, läuft da was verkehrt. Auch ist eine verschwurbelte Ausdrucksweise kein Gütezeichen für Qualität, wir kennen das aus der wissenschaftlichen Forschung, deutsche Wissenschaftstexte sind oft verklausuliert, damit sie nur Ebenbürtige lesen können oder ein schwacher Inhalt kaschiert wird. US-amerikanische Wissenschaftler reden öfter sehr deutlichen Klartext, obwohl die Inhalte komplex und umfassend sind. Möglicherweise ein interkultureller Unterschied, in Interviews erlebe ich deutsche C-Promis auch als deutlich affektierter als amerikanische Oscar-Preisträger.

Ein Leitmedium sollte eigentlich auch “Programmkino.de” sein, die sich aber zu sehr in ihrer Abgrenzung zwischen bösen U- und gutem E-Kino verlieren. Ein ungehobener Schatz ist das Wissensportal der deutschen Filmakademie “Vierundzwanzig.de”, das Insights direkt aus der Welt der Filmeschaffenden bietet. Aber eben keinen Promi-Klatsch.

Wenn Du an der ganzen Sache mit dem Bloggen, wie es momentan läuft, etwas andern könntest, was würdest Du ändern?

Oh, das wäre eine lange Agenda. An einigen Punkten arbeite ich, an anderen gebe ich aktuell als resigniert bis gescheitert auf:

  • Ich hätte gerne mehr Zeit zum Bloggen, um mich intensiver mit Themen beschäftigen zu können.
  • Ich würde gerne effizienter Bloggen durch bessere Systeme und Workflows.
  • Ich würde gerne weniger Werbung schalten, dafür besser bezahlte.
  • Ich wünsche mir eine bessere Vernetzung der Blogger untereinander, vielleicht auch eine Blogger Aid wie „tausche Unterstützung bei Grafik gegen Hilfe beim Code“.
  • Eine bessere Zusammenarbeit zwischen PR-Agenturen und Blogs ist erforderlich.
  • Mehr Kenntnis von Online-Methoden in den klassischen PR-Agenturen. (Übrigens: wenn Social Media unsinnig ist, warum untersagt ihr neuerdings Äußerungen auf Twitter, Facebook und Co. nach den Pressevorführungen?)
  • Verleiher sollten bessere Informations- und Serviceangebote zur Verfügung stellen (manche Presseserver sind im Handling eine Katastrophe!).
  • Is it just me, oder landen meine Mails immer in der Rundablage? Ich wünsche mir kompetente Ansprechpartner bei Verleih oder PR-Agentur, die Fragen auch verlässlich beantworten.
    Und wenn wir schon dabei sind, gehört die Benachteiligung von Onlinern und Bloggern gegenüber den klassischen Kanälen abgeschafft (Bildmotive oder Clips ausschließlich für Print oder TV, Pressevorführungen in OV nicht für Onliner, Stehplätze am letzten Rand vom Teppich etc.)
  • Liebe Veranstalter, wenn ihr mich aufgrund meiner Kompetenz als Blogger einladet, müsst ihr aus mir keinen „Chefredakteur“, „Herausgeber“ oder „Medienjournalisten“ euphemisieren. Ich steh dazu.
    Ich wünsche mir mehr Respekt zwischen Journalisten und Bloggern (schreibt ein Blogger ab, ist es Plagiat, schreibt ein Journalist ab, ist es Recherche. Von dem wöchentlichen Blogger-Dissen auf den Online Zeitungsportalen mal ganz abgesehen.)

    Und zuletzt wünsche ich mir eine Honorierung durch den Leser mit einem größeren Bewusstsein für den Aufwand. Mein Blog ist kostenfrei und soll es auch bleiben. Aber ein Kommentar zum Beitrag, ein Klick auf einen Banner, ein Teilen in den Networks hilft, DigitaleLeinwand auch zukünftig zu erhalten.

    Vier Thesen zur deutschen Film-Blogosphäre

    Es gibt keine deutsche Film-Blogosphäre. Ich habe wochenlang überlegt, wie ich diesen Artikel beginnen soll, unter Lese- und SEO-, unter Ego- und Zielpublikums-Gesichtspunkten, aber letztendlich bringt es ja doch nichts, lange um den heißen Brei herumzureden. Ich bin der Meinung, dass die deutschen Medien zum Thema Film im Netz kaum etwas miteinander verbindet, was unter eine “Sphäre” Platz hätte. Mein Bauchgefühl war das schon länger, aber meine Beobachtungen des letzten halben Jahres und die Interviews, die ich geführt habe, haben es zum großen Teil bestätigt.

    Das hier ist eine Streitschrift. Aber ich will nicht stänkern. Ich will zum Diskutieren anregen, indem ich zwei meiner Leidenschaften verbinde und Medienjournalismus über Filmjournalismus mache, was viel zu selten passiert. Weil ich zur Diskussion anregen will, habe ich meine Meinung auf vier Thesen zugespitzt und lehne mich für’s erste nur auf die Zitate, die sie bestätigen. Ich hoffe natürlich, dass die kommende(n) Woche(n), wenn ich nach und nach auch die vollen Texte der Interviews hier veröffentliche, tatsächlich über die Thesen diskutiert wird und die Bandbreite der Meinungen damit klarer wird.

    Ich weiß, dass – wenn überhaupt – auch auf Facebook und Co. diskutiert werden wird, aber denkt auch daran, dass die zweite Absicht dieser Artikel ist, die deutsche Film-Blogosphäre vielleicht doch noch zu einer zur machen. Hört auf Papa Haeusler.

    These 1: Es gibt keine deutsche Film-Blogosphäre

    Vielleicht ist meine Wahrnehmung schief, und ich verstehe unter einer Blogosphäre das falsche. Für mich ist das Bild des Netzes wichtig, das einzelne Knoten miteinander verbindet, darüber aber eben das der Sphäre, die wie eine Glocke, wie ein Himmelszelt, über allem schwebt. Wenn man von der “deutschen Blogosphäre” spricht, denken doch hoffentlich alle ungefähr an dasselbe. Die deutsche Blogosphäre, das sind die, die sich jedes Jahr auf der re:publica treffen, ihre Gallionsfiguren sind Leute wie Lobo, Beckedahl, Gröner, Häusler, Borchert – unsere digitale Bohème. Die gehören irgendwie zusammen, denkt man sich so. Die reden miteinander und hecken bestimmt gemeinsam einen Plan aus, stecken unter einer Decke vor allem auch gegen die etablierten Printmedien, die uns immer noch erzählen wollen, Bloggen wäre minderwertiges Schreiben.

    Kleinere Blogosphären gibt es wohl auch für bestimmte Themen. Essen. Technik. Gadgets. Medien. Mode. Aber nicht für Film. Zumindest nicht in Deutschland. Im englischsprachigen Raum hat man das Gefühl, dass sich die Blogger untereinander kennen und gleichzeitig jeder für sich und alle zusammen arbeiten. “Ich denke da schwärmend an Comic-Con-Videologs, in denen Autoren von /Film, Collider, First Showing, Joblo und Cinema Blend wie Kumpels zusammenhängen”, schreibt mir Sidney Schering alias Sir Donnerbold. Und fügt dann hinzu: “Das scheint es hier nicht zu geben.”

    In Deutschland gibt es höchstens Cluster. Sozusagen: Mini-Blogosphären. Einen dieser Cluster nennt Ciprian “Chip” David von “Negativ”, die “Berliner Elite”. Christoph Hochhäusler, der selbst ein Teil davon ist (und einer der wenigen deutschen bloggenden Filmemacher), nennt sie natürlich nicht so, antwortet aber mit den gleichen Namen wie Chip auf die Frage, ob es eine deutsche Blogosphäre gibt: “Ja die gibt es. Zwischen new filmkritik (als einer der ältesten Seiten dieser Art in Deutschland) und Cargo und critic.de und Lukas Förster und Thomas Groh und The Wayward Cloud und Eskalierende Träume und auch Revolver natürlich gibt es viele Verbindungen.” Und dann schreibt er, es gebe auch “andere Cluster dieser Art” (daher habe ich mir dann auch den Begriff geborgt).

    Ein weiterer Cluster gruppiert sich zum Beispiel um moviepilot.de. Zu diesem würde ich die “Fünf Filmfreunde” zählen, das größte deutsche Filmblog, und das einzige, das auf meine Kontaktanfrage leider nicht reagiert hat – denn “Batzman” Oliver Lysiak arbeitet bei Moviepilot, ähnlich wie etwa Jenny “The Gaffer” Jecke. Und ich würde auch noch Sascha Brittner von pewpewpew.de dazuzählen, einfach weil er mit seinem Blog ähnlich erfolgreich ist und auf Twitter von den gleichen Luten verlinkt wird (er hat das selber nie gesagt). Und zu Sascha gehört dann wiederum Stefan Rybkowski und ein paar mehr.

    Das “Medienjournal” vereint noch ein paar Leute, die relativ weit weg sind vom “professionellen” Bloggen, aber gerne über Filme im Netz schreiben, die sie mögen, mit seinem “Media Monday”. Kein Wunder also auch, dass Wulf Bengsch von “Medienjournal”, der Meinung ist, dass “die deutsche Filmblogosphäre mehr als quicklebendig ist” und “einen regen Austausch untereinander pflegt”.

    Ich glaube aber, dass das nicht stimmt. Es findet insgesamt kein Austausch statt, sondern eben nur in solchen Clustern, die nur sehr wenig Berührungspunkte haben. Einer der Gründe dafür ist meine These zwei.

    These 2: Den deutschen Netzfilmschreibern fehlen die deutschsprachigen Leitmedien

    Die Frage war eine der kontrovers beantworteten in meinem Mail-Fragebogen. Brauchen wir überhaupt Leitmedien? Ist das Leitmedium einfach “Facebook, Traurig aber wahr” wie Martin Beck meint? Weil dorthin die Diskussion abgewandert ist? Oder sind es einfach die großen amerikanischen Filmseiten wie /film, Twitchfilm oder Collider, von denen alle deutschen Blogs ihre Informationen bekommen (und deren Autoren übrigens – das muss man an dieser Stelle einmal mindestens sagen – bezahlt werden)? Eine definitive Antwort konnte mir jedenfalls niemand geben. Niemand konnte mir eine Seite nennen, die jeder, der in Deutschland über Film bloggt, lesen sollte, einfach aus Prinzip, egal ob er sie gut findet oder nicht (wie etwa turi2 im Medienjournalismus).

    Klar, es geht “nichts an den Fünf Filmfreunden vorbei” (Sascha Brittner), aber die “Fünf Filmfreunde” posten Trailer und Infos weiter über einen sehr begrenzten Radius von Filmen, und die Infos kommen fast immer von den US-Seiten. “Es gibt natürlich beliebte Filmblogs und Aushängeschilder wie die fuenf-filmfreunde.de, über die man garnicht nicht stolpern kann, wenn man den deutschen Film-Blog-Wald durchforstet, wie auch die grossen Filmportale wie Moviepilot.de. Letztere sind jedoch viel zu breit aufgestellt, inhaltlich verwässert und selten mit Charakterköpfen besetzt”, sagt Severin Auer von ANIch. Die Antwort? “Wir brauchen mehr und selbstbewusstere Aggregatoren, die eine Art Portalfunktion übernehmen und vielleicht auch bestimmte Fragen ‘plakatieren’, den Streit organisieren, die Arena dafür bieten”, sagt Christoph Hochhäusler.

    Das einzig Dumme dabei? Die paar Seiten, die es wirklich versucht haben; die wirklich versucht haben, auf einem hohen Niveau umfangreich zu informieren und zu deutschen Leitmedien neben den großen Printmarken zu werden, sind eingeknickt. Martin Beck, der “so eine Art deutsches Twitch” mit reihesieben.de bauen wollte, stellte fest, dass sich das “einfach nicht stemmen ließ”. Und den prominentesten Untergang (inklusive Wiedergeburt) hatte sicherlich “Negativ”:

    “Nach zwei Jahren wurde uns klar, dass ohne angemessene Gehälter die Wenigsten auf Dauer motiviert bleiben, eine immer größer werdende Seite zu betreiben und dass diese Seite sich immer mehr thematisch und qualitativ einem wirtschaftlichen Diktat unterordnet, und sich somit von unserem ursprünglichen Ideal, gut und immer besser über Film zu schreiben, entfernte. Als es klar wurde, dass die wirtschaftliche Ausrichtung in eine Sackgasse führte und das Verfolgen dieses Ziels für einige von uns Selbstdestruktion oder zumindest geistige Stagnation bedeutete, zogen wir die Notbremse.”
    – Ciprian David

    Wir brauchen also einen guten, deutschsprachigen Aggregator. Ein Must-Read-Blog, das die deutsche Film-Blogosphäre irgendwie über ihre Cluster hinweg eint und Diskussionen befeuert. Denn:

    These 3: Die guten Inhalte, die es gibt, werden nicht gefunden

    Als ich damit anfing, die deutschen Netz-Filmschreiber zu vermessen, habe ich mir Blogrankings angeschaut und mich von da an weiter vorgearbeitet. Ich fand einiges, was mir gefiel, einiges, was ich langweilig fand. Aber viel interessanter fand ich, dass ich manchmal Monate später noch auf Blogs stieß, von denen ich noch nie zuvor etwas gehört hatte (und nein, sie waren nicht erst in der Zwischenzeit entstanden).

    Es ist nämlich mitnichten so, dass alle nur entweder private Filmtagebücher führen oder Trailernews von großen US-Seiten abschreiben (wie ich am Anfang dachte). Nein, es gibt Leute, die fantastische Ideen haben, die mit Stills arbeiten wie die Könige, die interessante Meta-Analysen über ganze Genres oder Epochen fabrizieren. Aber eben auch sehr gute Blogs, die auf bestimmte Themen spezialisiert sind. Es gibt sogar etwas, was mir im deutschen Filmjournalismus generell oft fehlt, den “typischen US-Mix aus Wissen und Passion” (Sidney Schering) – den Willen, Service für unerfahrene zu bieten, diesen aber leidenschaftlich rüberzubringen (zu meinen persönlichen Favoriten gehören, auch der Themen wegen, “Digitale Leinwand” und das Blog eben von Sidney Schering, “Sir Donnerbolds Bagatellen”).

    Aber:

    Es gibt regen Austausch auf Plattformen wie Facebook zwischen miteinander bekannten (Online) publizierenden Filmnerds, zu denen ich mich auch gerne zähle. Und natürlich gibt es Blogrolls. Aber es fehlen doch ein wenig die Netzwerkeffekte, was möglicherweise mit der grundlegenden Tendenz in Deutschland zusammenhängt, im eigenen Blog oder Magazin nur wenig die Artikel anderer zu zitieren.
    – Frédéric Jaeger, critic.de.

    Also (und ich kann mich da selber nur mit einschließen): Vertraut nicht auf die Blogrolls, auf die Twitterfeeds und Facebook-Updates. Radikal gesagt: Wer sich nicht zu schade dafür ist, einem neuen Trailer zu Film X einen Blogpost zu widmen (vielleicht auch in der Hoffnung auf Klicks), der kann auch die Arbeit eines Kollegen mit einem Blogpost würdigen. “Natürlich ist es sehr schön, wenn man als relevante Quelle erkannt wird, einige Seiten sind aber auch sehr erfolgreich darin, meine Inhalte umfassend zu kopieren und zu veröffentlichen, natürlich weder zitiert noch verlinkt”, sagt Gerold Marks von “Digitale Leinwand”. “Es ist auch für mich frustrierend, wenn ein lange erarbeiteter Artikel mit viel Rechercheleistung nur ein paar hundert Leser interessiert, das Publikum auf das neue Bild vom nächsten Star Trek-Film aber abfliegt wie Wespen auf Butterkuchen.”

    Es ist ein ewig frommer und ewig unerfüllter Wunsch, dass der harte Journalismus mehr (oder genauso viel) Aufmerksamkeit erfährt, wie der grellste Boulevard. Die deutsche Film-Blogosphäre wird ihn nicht erfüllen können, aber sie kann zumindest ihr bestes geben, Juwelen auszugraben. “Da sind schon einige Perlen dabei, die leider nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen”, sagt Sascha Brittner. Allerdings:

    These 4: Die nervige Trennung zwischen E- und U-Kultur lebt im Netz fort

    Und damit wären wir wieder am Anfang. Einer der Gründe, warum die “Cluster” nicht zueinander finden ist, dass ausgerechnet Film, das Medium, das Pop- und Hochkultur so gut vereint, wie kein anderes, noch immer von verschiedenen Seiten betrachtet wird. Und wer auch immer auf einer dieser beiden Seiten steht, scheint die andere Seite für vernachlässigbar zu halten.

    Das Interessante, aber auch Tragische dabei ist, dass es anders als bei der traditionellen Hoch-/Pop-Demarkationslinie beim Schreiben über Film nicht mehr um das Objekt (also den Film) geht, sondern um das Subjekt, also den Autoren. Es geht also um das E und U innerhalb der Kritik. “Das Publikum ist heute sehr ausdifferenziert, entmischt sozusagen, und das schlägt auf das Kino zurück”, schreibt mir Christoph Hochhäusler. Man kann also die gleichen Genres lieben und trotzdem nicht miteinander reden wollen. Ist das nicht zum Kotzen?

    Mir ist in meinen Interviews zum ersten Mal der Begriff “Stuntschreiber” untergekommen. Martin Beck von “Reihe Sieben” hat ihn benutzt. “Das sind verzwirbelte Typen, die vor allem dadurch auf die Pauke hauen, dass sie a) möglichst viele Fremdwörter in möglichst lange Sätze packen und/oder b) ihre ‘Meinung’ immmer konträr zur kollektiven Empfindung postieren.” Das klingt übel. Es hat mir zwar keiner so gesagt, aber ich habe das Gefühl, dass die andere Seite über die “Fan-Kultur”, die auf der anderen Seite der Linie herrscht, genauso denkt.

    Eine meiner Ursprungs-Thesen, die sich nicht bestätigt hat, ist, dass die Linie zwischen “Profis” und “Amateuren” verläuft, also zwischen denjenigen, die Film oder Medien “gelernt” haben, und denen, die einfach gerne Filme sehen. Ich glaube aber, es ist vielmehr einfach eine Einstellungssache. Ein Mangel an Bereitschaft, andere Sichtweisen zuzulassen. “Reine Filmblogs, noch dazu professionelle oder semiprofessionelle, scheinen mir im deutschsprachigen Raum doch giftiger zueinander zu stehen als US-Seiten”, sagt Sidney Schering.

    Zusammenfassend: Bloggen ist in Deutschland immer noch als Niederes Schreiben verpönt. Im Filmbereich liegt das aber auch daran, dass die Film-Blogger keine Lobby haben und sich auch keine Mühe geben, eine zu bilden. Sie mosern lieber herum, statt sich gegenseitig zu unterstützen. Einfacher wäre das natürlich, wenn jemand voranschreiten würde, den es noch nicht gibt, mit dem sich aber FilmwissenschaftlerInnen und Fanboys und -girls gleichermaßen arrangieren könnten. Vielleicht kommt ein derart messianisches Blog eines Tages des Wegs, vielleicht nicht. Aber es könnte auf jeden Fall besser sein, als jetzt. Oder?

    “Die unhaltbaren Missstände in der Filmpolitik und der Filmkultur fördern hoffentlich die vereinende Kraft zutage, gegen sie aufzubegehren. Das ist eine Utopie, mit der ich mich identifizieren kann: ein Kampf freilich, aber ein gemeinsamer.” – Frédéric Jaeger, critic.de

    Disclaimer: Ich entdecke täglich neue Filmseiten. Es ist also hoffentlich klar, dass es nicht beabsichtigt ist, dass ich manche Ecken der deutschen Filmblogosphäre wahrscheinlich völlig unbeleuchtet gelassen habe. Ciprian David kenne ich persönlich, wir haben ein oder zweimal lose gemeinsam über das Thema diskutiert.

    Meine erste persönliche Bilanz gibt es hier.