J. J. Abrams und die Gefahr des Simulacrums

Irgendwie ist, seit “TMZ” Bilder vom Set von Star Wars: Episode VII geleakt hat, die Geek-Welt ein bisschen hoffnungsvoller geworden. Da steht ein Millennium Falcon rum (was eigentlich gar nicht verwunderlich ist) und überhaupt dominiert der Eindruck, dass J. J. Abrams und sein Team sich sehr bemühen, den Geist der Originaltrilogie einzufangen. Nicht zuletzt, weil sie viel auf praktische Effekte setzen, wie man auch in dem Charity-Video sehen konnte, das Abrams offiziell vom Set geschickt hat.

Findige Spezialisten haben festgestellt, dass einige der Setbauten auf den geleakten Fotos verdächtig nach alten Design-Entwürfen des 2012 gestorbenen Production Artists Ralph McQuarrie aussehen. Okay, könnte man meinen, Abrams gibt sich also wirklich Mühe, den Geist von 1977 (oder 1980) herbeizurufen. Das passt zu vorausgehenden Entscheidungen: Das Ersetzen von Drehbuchautor Michael Arndt durch Lawrence Kasdan (der Empire und Jedi mitgeschrieben hat) und das gerüchteweise herumgerissene Drehbuch, in dem Luke, Leia und Han nunmehr nicht nur einen Gastauftritt haben sollen, sondern eine tragende Rolle. Mit anderen Worten: Star Wars VII wird so “Original”, das glaubt ihr gar nicht.

Zwei Vergleichsfilme

Das ist insofern interessant, als das man zwei vorhergehende Filme Abrams’ als Vergleich heranziehen kann. In Star Trek sah sich der Bad-Robot-Chef einer ähnlichen Situation wie jetzt gegenüber: Er sollte eine schlummernde Filmmarke wieder zum Leben erwecken. Abrams entschied sich für einen genialen Taschenspielertrick: Er rebootete die bekannte Erzählung, ohne die Kontinuität der alten dadurch aufzuheben. Dazu brauchte er Wurmlöcher, Leonard Nimoy und eine Menge zugedrückter Augen, aber es klappte. Am Ende hatte er mit Star Trek einen Film erschaffen, der sich frisch und neu anfühlte, ohne die Original-Filme und -Serien zu verwässern. (Als Negativ-Gegenbeispiel vergleiche man die Wucht der Star Wars Prequels).

Der zweite Vergleichsfilm ist Super 8 – Abrams’ Hommage an die Filme von Steven Spielbergs Firma Amblin in den 80ern, wie E.T. und The Goonies. Wie Abrams in Interviews immer wieder betonte war Super 8 als eine Art direkte Emulation des Amblin-Geistes zu verstehen und deswegen hatte er auch alle Zutaten: Er spielte in den 80ern, mit Schulkindern, die BMX-Fahrräder fahren und auf ein Monster treffen, dass sich als gar nicht so monströs entpuppt. Dazu natürlich Lens Flares und jede Menge “Spielberg Faces”.

Viele Kritiker waren sich nach Super 8 einig: Der Film ist nicht schlecht, aber er probiert ein bisschen zu sehr, ein Amblin-Film zu sein – und wirkt dadurch irgendwie hohl, wie ein perfekter Golem ohne Innenleben. Es reicht eben nicht, alles genauso zu machen, wie das große Vorbild. Wirklich großen Filmen liegt ein Funke inne, der sie einzigartig macht – die besondere Seele des Regisseurs und die daraus erwachsene Vision. Star Trek – man kann von ihm halten, was man will – hatte das.

Running the Asylum

J. J. Abrams befindet sich in der Situation vieler heutiger Filmemacher, die das Wiki “TV Tropes” “Running the Asylum” nennt. Die Fans übernehmen bei ihrem ehemaligen Fandom plötzlich selbst die Leitung, als würden die Irren anfangen, das Irrenhaus zu leiten. “Any sufficiently advanced franchise is indistinguishable from fan fiction”, lautet der zusammenfassende Satz. Daraus folgt aber, dass hier plötzlich eine Fan Fiction entsteht, die auf keinen zu verehrenden Text mehr verweist, sondern selbst Text ist. Jean Baudrillard nannte ein solches “Zeichen ohne Bezeichnetes” ein Simulacrum. Und diese Gefahr sehe ich auch bei Star Wars.

Abrams hat oft darüber gesprochen, wo seine Allianzen liegen. Dass er Star Wars liebt und Star Trek nur respektiert. Dass er vor allem deswegen Interesse an Star Trek hatte, weil es halt das “next best thing” nach dem tot geglaubten Star Wars war. Dass er Star Trek “ein bisschen mehr wie Star Wars” wirken lassen wollte. Jetzt hat er seinen Wunsch bekommen – er darf endlich Star Wars machen. Als die Entscheidung damals fiel, kommentierte Trek-Fan Jordan Hoffman pointiert: “I feel like J.J. Abrams took me out to the prom but left with the hotter girl.

Ganz sicher

Und jetzt scheint es so, als wolle J. J. Abrams dem heißen Mädel auch ganz doll beweisen, dass er seiner würdig ist, damit es mit ihm schläft. Dass er genau wie George Lucas sein kann, nur ohne die infantilen und sonstigen problematischen Neigungen, die seit Jedi die Serie geplagt haben. Er will ganz sicher gehen, dass er alles richtig macht – ein bisschen wie Bill Murray in Groundhog Day, als er versucht den perfekten Tag zu konstruieren. Wir wissen: darin liegt nicht die Lösung – am nächsten Morgen singt Cher immer noch “I got you, Babe.”

Wahrscheinlich unterschätze ich Abrams. Er wird um die Gefahren der Total-Emulation bis zum Simulacrum wissen. Ein Freund wies mich auf Facebook darauf hin, dass etwa McQuarries Entwürfe in der Vergangenheit auch in anderen Ecken des Star Wars-Universums wertvolle Stützen für tolle Geschichten waren. Vielleicht wird Episode VII ein Lieblingssessel, nicht originell, aber angenehm durch seine Vertrautheit. Aber Vorsicht ist geboten. Bryan Singer kann nach Superman Returns ein Lied davon singen, was die Folge ist, wenn man sich zu sehr bemüht, an Vergangenes anzuknüpfen. In X-Men: Days of Future Past hat er bewiesen, dass er aus der Erfahrung gelernt hat und dass es wichtiger ist, sich “gefühlt” mit dem Vorhergegangenen in einer Linie zu bewegen. Vielleicht hat Abrams auch aus Super 8 gelernt. Wollen wir es hoffen.

Bild: Joi, CC-BY 2.5

Star Wars – Ein Flächenbrand

© Lucasfilm

Schon in gut zwei Jahren wird J. J. Abrams’ neue Star Wars-Episode über uns hereinbrechen. Worum es gehen wird, was passiert, darüber schweigt sich Abrams, der gerade Star Trek Into Darkness promotet, derzeit noch aus. Der Ball sei ihm gerade erst zugespielt worden, da könne man noch nicht viel über die Aufstellung erzählen.

Auf “The Wrap” fand sich diese Woche ein sehr interessanter Artikel, der erzählt, dass Abrams Star Trek gerne in ein “multi-platform experience that spanned television, digital entertainment and comic books” verwandelt hatte. Daran gehindert wurde er dadurch, dass die Merchandising-Rechte des Gesamtkonstrukts Star Trek zwischen zwei Firmen, CBS (Originalserie) und Paramount (Filme), aufgeteilt sind – und beide sich schwer tun, an einem Strang zu ziehen.

Die Konsequenz folgt natürlich auf dem Fuße:

As for Disney’s grand “Star Wars” plan, it’s sounding an awful lot like the one Abrams once envisioned for “Star Trek.” There will be television properties, theme park rides and spin-off films all centered around the new trilogy that Abrams will oversee.

Ambivalente Gefühle

Sascha hat die ambivalenten Gefühle bereits aufgeschrieben, die sich in einem reflektierten Fan ausbreiten, wenn er daran denkt, in spätestens zwei Jahren auf allen Kanälen permanent mit Star Wars bombardiert zu werden. Ein Film pro Jahr, Spin-Offs, Comics, Fernsehen und und und. Ein Flächenbrand enormen Ausmaßes und ohne absehbares Ende.

Das Marvel Cinematic Universe, ebenfalls bei Disney, funktioniert im Grunde ähnlich und wird an dieser Stelle von mir immer wieder gefeiert. Zwei Filme pro Jahr, eine Fernsehserie, Comics, Spielzeug und Merchandising sowieso. Ein Musterbeispiel an transmedialem Storytelling. Auch Lord of the Rings und jetzt der Hobbit fahren einen Film pro Jahr auf, mit jeder Menge Brimborium drumherum. Doch irgendwie fühlt sich das Ganze trotzdem anders an.

Eine andere Tradition

Vielleicht liegt es daran, das Star Wars aus einer anderen Tradition stammt. Klar, George Lucas hat das moderne Merchandising quasi erfunden. Dank des Extended Universe (in dem ich mich persönlich nicht auskenne) gab es nie einen Mangel an Star Wars-Manna, wenn man welches brauchte. Aber eigentlich bedeutet das Star Wars-Modell doch: Ein Film – und dann wieder drei Jahre warten. Das war bei den Originalfilmen so (die ich im Kino natürlich nicht erlebt habe) und bei den Prequels auch: Man hatte drei Jahre Zeit, The Phantom Menace zu verdauen. Und als Attack of the Clones kam, hatte man fast schon wieder vergessen, wie enttäuschend der Film war. Oder man hatte genug Zeit gehabt, ihn sich schönzugucken. Und ist wieder ins Kino.

Diese Tradition wird Abrams jetzt wohl durchbrechen und es wird interessant sein, zu sehen, ob Star Wars damit zu einem anderen Biest wird. Star Wars Mk. 1 waren drei kanonische Filme und ein Haufen Spielzeug. Star Wars Mk. 2 waren sechs kanonische Filme, eine Fernsehserie (“The Clone Wars”) und ein Haufen Spielzeug. Wird Star Wars Mk. 3 ein Sperrfeuer aus Medien, die alle gemeinsam eine epische Geschichte erzählen, oder werden die “Episoden” weiterhin einen so herausragenden Status genießen?

Das Event als Dauerzustand

Das vormalige Event wird jedenfalls zum Dauerzustand – was natürlich aus Marketingsicht einen ganzen Haufen Sinn ergibt. In seiner viel beachteten Rede auf dem San Francisco Film Festival hat Steven Soderbergh erst vor kurzem auf das absurde Diktat des Marketings hingewiesen, das inzwischen in Hollywood herrscht. Es kostet so viel Geld, einen einzigen Film ins Kino zu bringen, dass es mehr Sinn ergibt, auf wenige gigantische Dampfwalzen zu setzen, als auf viele kleine Menschen mit Sprengstoff, um einen Block zu sprengen, sozusagen.

$10 million movie, 60 million to promote it, that’s 70, so you’ve got to gross 140 to get out. Now you’ve got $100 million movie, you’re going spend 60 to promote it. You’ve got to get 320 to get out. How many $10 million movies make 140 million dollars? Not many. How many $100 million movies make 320? A pretty good number, and there’s this sort of domino effect that happens too. Bigger home video sales, bigger TV sales, so you can see the forces that are sort of draining in one direction in the business.

Es dürfte einige Millionen sparen, wenn man nicht alle drei Jahre wieder neue Aufmerksamkeit für ein Franchise herbeitrommeln muss, sondern sich einfach in die noch relativ frische Erinnerung der Zuschauer einklinkt – die schließlich erst vor einem halben Jahr die DVD gekauft haben, während ihre Kinder sowieso die ganze Zeit die Story zwischen den Episoden in Comics und Videospielen erleben.

Pixarifikation und Inzest

Auch mein Lieblingsregisseur Danny Boyle hat sich vor kurzem zum Zustand der Filmindustrie geäußert und (wohl zurecht) ihre “Pixarifikation” beklagt. Die angesprochenen Veränderungen in Distribution und globaler Kinolandschaft haben dazu geführt, dass große Filme ein möglichst breites Publikum ansprechen müssen, um überhaupt Geld zu machen. Falls also jemand darauf hofft, dass Abrams’ Star Wars in irgendeiner Form “erwachsener” wird als Lucas’ Prequels, sollte sie die Hoffnung lieber ziemlich zurückschrauben.

Sie ist nach wie vor absurd, diese Geschichte, und doch wahrscheinlich irgendwie das, was immer passiert: Der Film, der alle Regeln brach, ist selbst zur Blaupause für eine ganze Industrie geworden. Und wie beim Ergebnis von mehreren Generationen Inzest besteht für jedes neue Kind die Gefahr einer schrecklichen Missbildung. Als Medienbeobachter ist es faszinierend, dabei zuzusehen. Als Fan kann man wohl nur der Macht vertrauen, dass noch genug neues Genmaterial im Universum vorhanden ist, um auch einen Flächenbrand lebendig zu halten.

(hat tip: Max)

Drei Anmerkungen zum Disney-Lucasfilm-Deal

Disney hat Lucasfilm für 4 Milliarden Dollar gekauft und die Welt steht Kopf. Okay, vielleicht nicht die Welt, aber zumindest meine Twitter- und Facebook-Timeline. Einige gute Witze und einige Entsetzensschreie waren dabei, die ausführlicheren Analysen werden sicher im Laufe des Tages eintrudeln – das Feld überlasse ich gerne den Experten. Doch für diejenigen, die ihre Kindheit nun endgültig im Müllschlucker verschwinden sehen, hier drei Dinge, die mir gestern abend im Kopf herumschwirrten:

1. Disney und Lucasfilm waren sich immer schon sehr nah

Dieser Kauf kommt nicht aus dem Nichts. Wer das glaubt, war zum Beispiel noch nie in einem Disney-Themenpark, wo die “Star Tours”-Attraktion schon seit Jahrzehnten zur festen Ausstattung gehört. Crossovers von Star-Wars-Charakteren mit Disney-Charakteren sind ein alter Hut. Aber auch inhaltlich standen sich die beiden Firmen immer schon nahe. Man sollte bei allem Fandom nicht vergessen, dass Star Wars im Grunde auch nur ein Märchen ist, dass George Lucas modernes Merchandising quasi erfunden hat und dass Disney doch wahrscheinlich nichts ruinieren kann, was die Prequels nicht schon längst in die Lavagruben von Mustafar geschüttet haben.

2. Disney ist mehr als Mickey Mouse

Es ist Unsinn, den Disney-Konzern auf niedliche Cartoons und eine zuckersüße Weltsicht zu reduzieren. Sicher, er hat im letzten Jahrzehnt solche Abscheulichkeiten wie High School Musical und Hannah Montana hervorgebracht und sein Kerngeschäft ist nach wie vor Familienunterhaltung, die nicht gerade für ihre Edginess berühmt ist. Aber Disney hat in den vergangenen Jahrzehnten auch Pixar groß gemacht und Filme wie Pirates of the Caribbean produziert. Und was sie Marvel ermöglichen konnten, seit sie den Verlag gekauft haben, kulminierend in den fantastischen Avengers, sucht Seinesgleichen. Natürlich sind sie ein gieriger Großkonzern, aber ihre kreative Seite ist nach wie vor bemerkenswert.

3. Sie haben die Chance, es diesmal richtig zu machen

Bis 2015 soll Star Wars: Episode VII entstehen, was vielen Leuten Angst einjagt. Doch: George Lucas wird nur noch als “Creative Consultant” mit an Bord sein, nachdem er gerade noch eine Steißgeburt wie Detours auf den Weg gebracht hat. Dieses Ergebnis sollte uns doch eher Hoffnung machen, dass jetzt alles gut wird. Lucas, visionäres Genie aber schrecklicher Drehbuchautor und Regisseur, wird endlich vom Thron gestoßen und überlässt denjenigen die Zügel, die Star Wars wirklich zu schätzen wissen. Ob mit Disney im Rücken oder nicht, es bietet sich nun die einmalige Chance, die Schmach der Episoden I-III auf der Kinoleinwand wiedergutzumachen. Und das sollte doch ein Grund zum Feiern sein.

Stuff I learned this week – #3/11