Willkommen zu den vermutlich letzten Höreindrücken für dieses Jahr! Es geht um New Work, Deutschland und die Beatles. Und wer mir übrigens schon immer mal ins Gesicht sagen wollte, was von meinen Kurzkritiken zu halten ist: ich bin am 22. und 23.11. auf dem “So Many Voices” Podcastfestival in München. Sehen wir uns?
Nein to Five (Fora/brandeins)
Wer sich Plakatwerbung für seinen Podcast an jeder Litfaßsäule in Berlin leistet, dachte ich mir, muss schon sehr davon überzeugt sein, dass er gut ist. Ich fand aber eher, dass es sich um ein mittelmäßiges Interviewformat mit mittelmäßigem Sound handelt, in dem man nie den Namen des Hosts erfährt, auch wenn die Themen gar nicht so uninteressant sind. Mich würde wirklich interessieren, wie der ROI für die Plakatkampagne war.
Lösch alles, Bro! (ZDF Frontal/hauseins)
Hier haben mir viele Einzelteile gefallen: Musik und Sound Design (bin aber gegenüber Joscha Grunewald auch immer biased), die ganze Idee, Textnachrichten dramatisch von guten Schauspielern einsprechen zu lassen und auch die Inszenierung als ein bisschen cooles Gangsterdrama (statt als Investigativ-Pose) mochte ich eigentlich. Nur dramaturgisch fiel alles für mich ein bisschen auseinander. Ich musste mich hart motivieren, Folge 2 überhaupt zu hören, in der es dann aber plötzlich viel interessanter wurde, und der wahre Kern der Story rund um Crypto-Messenger, Datenschutz und europäische Polizeiarbeit zum Vorschein kam, in dem die Bros eigentlich nur Nebencharaktere sind.
German Dreams (DLF)
Migrantische Erfahrung in Deutschland erzählt anhand von einzelnen Geschichten, dramaturgisch durchdacht, sympathisch und nahbar, mit Hosts, die angenehm persönlich sprechen. Manchmal ein bisschen viel Händchenhalten durch Fakten-Wiederholung und am Ende oft ein merkwürdiger Werbeblock für’s deutsche Sozialsystem, aber insgesamt ein schönes Projekt, dem ich viele Hörende wünsche.
Becoming the Beatles – Die Hamburger Jahre (NDR Kultur)
Ich hatte keine hohen Erwartungen für etwas, das so aussieht, als wollte noch mal jemand zwanghaft den “regionalen Dreh” für eine tausendfach erzählte Geschichte ansetzen. Aber heidewitzka! hat mich Ocke Bandixen überzeugt. Aus seiner Narration spricht so viel persönliche Leidenschaft, dass ich nach wenigen Minuten hooked war. Es ist so angenehm, wie transparent er seine Motivation, seine Materiallage, seine Arbeit macht, während er das Hamburg von 1960 lebendig werden lässt. Belohnt wird er dann auch gleich in Folge 1 mit einer Knaller-Zufallsszene. Große Empfehlung für alle, die ein Herz für die Beatles haben, auch sie glauben, alles schon zu wissen (wie ich).
Tag: Hauseins
Thüringen 2024, Shell Game, Judging Amanda Knox, 130 Liter: Vier Podcast-Kurzkritiken
Eigentlich wollte ich im Sommer keine Höreindrücke schreiben, aber dann kamen doch ein paar neue Produktionen des Wegs. Heute geht es um Explainer, KI und True Crime.
Thüringen 2024: Was wäre, wenn? (Hauseins/Verfassungsblog)
Ein brennendes Thema. Eine sehr gute Herangehensweise, die Gefahren in Thüringen über Bedrohungsszenarien greifbar zu machen. Mit Steffi Groth eine erfahrene und sehr sympathische Host. Klingt aber trotzdem hart nach Hausaufgaben. Ich sehe zwei Gründe: Erstens geskriptete Interviews mit den Co-Hosts vom Verfassungsblog, die dadurch, dass sie Ablesen, leicht ins Leiern kommen (Mein Vorschlag: Entweder echte Co-Moderation oder echte Interviews). Zweitens sehr lange O-Töne von Expert:innen (oft dazu noch im Konjunktiv!) ohne einordnende oder zusammenfassende Einschübe. Alles keine Dealbreaker, erhöht aber die Komplexität und Trockenheit.
Shell Game (Evan Ratliff)
Indieproduktion des Journalisten (Wired, Longform), in dem er seine eigene Stimme klont, in diversen Experimenten auf die Welt (bisher: Kundenservice, Scammer, Selbstgespräche) loslässt und laut über seine Beobachtungen nachdenkt. Dicht und unterhaltsam erzählt. Hat die persönliche Komponente, die ich für solche Formate unerlässlich finde, wie schon öfter an dieser Stelle erwähnt. Vergegenwärtigt noch mal, wie weit KI im Audio-Bereich schon gekommen ist.
Judging Amanda Knox (Undone/Der Spiegel)
Ich habe Khesrau Behroz ja letzte Woche für LÄUFT interviewt, und alles was in dem Gespräch steckt, ist im Grunde auch mein Eindruck. “Judging Amanda Knox” ist, wie immer bei Undone, erzählerisch auf höchstem Niveau. Khesrau und Alexandra Berlin ergänzen sich auch sehr gut. Die Musik ist diesmal wirklich ein deutlicher Charakter. Aber ich finde diese Meta-Reflexion (diese Woche erscheint Episode 4, in der über True Crime reflektiert wird, in den freien Feeds) nicht so tugendhaft, wie sie tut, weil mir eine klare These oder ein Richtungsvorschlag an ihrem Ende fehlt. Khesrau hat Großes für den Schluss in Episode 8 angekündigt. Ich werde auf jeden Fall noch dranbleiben.
130 Liter: Streit um unser Trinkwasser (DLF)
Ein großes Thema mit moderner Haltung aber zeitlosen Mitteln erklärjournalistisch heruntergebrochen. Mir haben vor allem die Reportage-Elemente gefallen, in denen Protagonist:innen vor Ort zu Wort kommen und Reporter:innen auch DInge berichten können, die sie sehen oder erleben. Das macht alles viel greifbarer, gibt einem dieses Radio-Gefühl und hat bei mir viele positive Erinnerungen etwa an “Planet Money” geweckt. Ein bisschen traurig finde ich das allgemeine Musik- und Sounddesign, aber so isses halt: Deutschlandfunk’s gonna deutschlandfunk.
Crashkurs, Nach der Kohle, Hopeful News, Goodbye Stranger – Vier Podcast-Kurzkritiken
Ab dreimal ist es Tradition: Es folgen wieder vier kurze Höreindrücke von neuen Podcasts aus den letzten zwei Wochen.
Crashkurs – Wirtschaft trifft Geschichte (DLF)
Ich finde es immer hilfreich, einen weiten Blick auf aktuelle Themen zu wagen, und Crashkurs enttäuscht hier nicht. Mit einem erklärenden Ansatz wird auf derzeit kursierende Wirtschaftsthemen und die historische Dimension etwa von Inflation, Arbeitszeit und Wohnungsnot geschaut. Dabei machen die vielen Zeitsprünge manchmal ein wenig schwindelig, aber die wichtigen Lektionen bleiben trotzdem haften. Ich habe zwei Hoffnungen: Erstens, dass der Claim “Es war alles schon mal da, wenn auch anders” irgendwann auch mal auf der Meta-Ebene hinterfragt wird und zweitens, dass der Podcast und Host Sandra Pfister noch ein bisschen besser die Balance zwischen Podcast-Lässigkeit und Deutschlandfunk-Seriösität finden – dort knirscht es nämlich manchmal noch ein bisschen.
Nach der Kohle (detektor.fm)
Die Struktur fällt zuerst auf. Statt sechs Folgen zwischen 35 und 45 Minuten gibt es zwölf halb so lange. Eine Idee, die es sich lohnt auszuprobieren. Die große Geschichte wirkt dadurch aber doch stark zerstückelt. Folge 1, die eigentlich nur eine Art längere Einstiegs-Szene ist, hängt, zum Beispiel, ziemlich in der Luft. Folge 2 und 3 habe ich hintereinanderweg gehört und fühlte mich deutlich besser abgeholt – werde also den Rest wahrscheinlich lieber nach Abschluss bingen. Die zentrale Frage der Produktion – “Was ist eigentlich Strukturwandel?” – ist auf jeden Fall klar definiert, und ich hoffe, dass sie später noch als Ganzes angegangen wird und sich nicht nur fragmentarisch aus Einzelgeschichten zusammensetzt. Joana Voss ist eine gute Reporterin und Host, aber in dieser Meinung bin ich befangen, weil ich schon einmal kurz, aber sehr positiv, mit ihr zusammengearbeitet habe.
Hopeful News (Hauseins)
Ich war wirklich bereit, mein zynisches Herz von diesem Gute-Nachrichten-Format erweichen zu lassen, aber ich muss leider zugeben, dass ich fast nichts daran mag. Vom Titel über die klimpernde Musik und das Sounddesign tue ich mich schon mit der Aufmachung schwer. Aber wirklich schwierig wird es bei der Struktur: Krampfhaft eine gute Nachricht für jeden Wochentag zu präsentieren, finde ich bemüht. Dazu ist immer noch ein Gast im Podcast, der/die aber über die Reichweitenerhöhung hinaus keine wirkliche Aufgabe hat, außer das Gehörte relativ egal zu kommentieren und von Nicole Diekmann zerschmeichelt zu werden. Warum bringt die Gästin nicht wenigstens eine eigene gute Nachricht mit? Und um einmal Erbsen zu zählen: Tracy Chapmans Song heißt “Fast Car” und nicht “Fast Cars” und sie hat dafür keinen Emmy, sondern einen Grammy gewonnen. Stecken solche Flüchtigkeitsfehler auch in den anderen Meldungen?
Goodbye Stranger (DLF)
Podcast kann auch künstlerische, persönliche Doku sein. Gibt es gefühlt noch viel zu wenig. Hier war ich anfangs skeptisch und fühlte mich nicht angesprochen, aber die Autor:innen Felizitas Stilleke und Conrad Rodenberg, die ihren “verlorenen” Vätern nachspüren (einer ist vor 14 Jahren gestorben, der andere hat Demenz), haben mich mit jeder Folge mehr in ihre Geschichte hineingezogen. Ab und an etwas zu viele Stilelemente aus dem künstlerischen Hörspiel (Warum immer Flüster-Klangmontagen?!), aber ansonsten ein fantastischer Audio-Essay.