re:publica von Herzen – Ein Bericht in vielen Absätzen und sechs Tweets

Weil in diesem Bericht über meine dritte und die insgesamt zehnte re:publica wahrscheinlich sowieso irgendwann Snapchat vorkommen muss, schaffe ich das lieber gleich zu Anfang aus dem Weg. Und zwar mit einer Geschichte, die schon eine halbe Woche vor der re:publica passiert ist. Auf dem Social-Media-Tag der EKHN habe ich Wolfgang Loest über Snapchat sprechen hören. Er hat berichtet, wie er sich die App von seinen Konfirmanden hat erklären lassen. Und dann hat er einen eigenen User angelegt (“snap.church”) und die Konfis einen Adventskalender per Snapchat gestalten lassen. Jeden Tag hat ein anderes Kind den Kanal bespielt.

Wie Wolfgang das so erzählte, merkte man, dass er mit vollem Herzen dahinter stand. Für ihn war Snapchat ein Kommunikationskanal mit dessen ursprünglichen Nutzer_innen und durch die Zusammenarbeit mit ihnen fand so eine Art gegenseitiges Empowerment statt. Die Kinder lehrten ihn, wie sie diesen Kanal nutzen und er zeigte ihnen Wertschätzung, weil er bereit war, ihr Medium auf ihre Art ernst zu nehmen. Und obwohl ich in den Wochen zuvor dutzende Stimmen sowohl dazu gesammelt hatte, wie Snapchat als ein journalistisches One-To-Many-Kommunikationstool am besten genutzt werden sollte, als auch wie neu und (für meine Generation) ungewohnt Teenager darüber kommunizieren – erst in dem Moment, wo ich Wolfgang zuhörte machte es bei mir irgendwie “Klick!”. Eben weil man in seiner Perspektive weder Kalkül noch anthropologische Verwunderung spürte, sondern nur Herz.

Mit Herz meine ich Überzeugung, die aus einem guten Ort strömt. Aus dem Willen heraus, etwas zu verbessern, Menschen näher zusammen zu bringen, Liebe (so kitschig das klingen mag) zu verbreiten. Die Überzeugung, dass auch Wissen und Geld und Ruhm und Ehre im Endeffekt eigentlich nur Mittel zu diesem Zweck sind. Und nach der Aufregung des Neuen auf meiner ersten re:publica und den etwas stressigeren Gedanken der zweiten, hatte ich dieses Jahr irgendwie schnell raus, dass “Herz” wohl das sein würde, was von der re:publica bei mir bleibt.

Das Thema zog sich durch die ganze Veranstaltung. Schon Johnny Haeusler erzählte bei der Eröffnung etwas von “Post Love, Not War”. Es ging viel um Hass und was man dagegen tun kann (was vor allem Liebe zu sein scheint). Aber es war auch in meinem privaten Umgang mit den drei Tagen in der Station irgendwie ein Leitmotiv.

Am ersten Tag zum Beispiel hatte ich viele Sessions im Kalender, die zu Themen gehörten, mit denen ich mich hier im Blog, im Beruf, im Leben ohnehin täglich auseinandersetze. Einige davon auf der Media Convention zu Journalismus, andere im “Labore:tory” zu Virtual Reality, wieder andere zu Netzthemen. So richtige Begeisterung wollte bei mir aber partout nicht aufkommen. Fast alles, was dort gesagt wurde, hatte ich so oder so ähnlich schon einmal anderswo gehört oder gelesen. Das frustrierte mich enorm und so war ich froh, dass mich irgendwann einfach zwei Menschen mitnahmen zu Tom Hillenbrand, der über Überwachung im 17. Jahrhundert sprach und mich damit völlig begeisterte.

Das Coole war, dass man Tom auf der Bühne so richtig anmerkte, dass er zwar einerseits inzwischen ein gewiefter Bestsellerautor (Drohnenland) ist, dass er sich aber gleichzeitig wie ein Schneekönig darüber freute, auf das Phänomen der Postinterzeption überhaupt gestoßen zu sein und es mit uns teilen zu können. Ähnlich ging es mir dann auch wieder abends bei der Glorreichen Rückkehr des Sascha Lobo™. Ich habe Sascha immer dafür geschätzt, dass er zwar gelungen mit Ironie umgehen kann, dass man seinen Worten aber immer anmerkt, dass sie aus tief sitzenden Überzeugungen geformt sind. Wenn er die vollgepackte Stage 1 mehrfach laut “TROTZDEM!” rufen lässt, ist das zwar natürlich auch irgendwie ein effektiver Stunt für die Kameras, aber ich nehme ihm ab, dass dieses Trotzdem wirklich etwas ist, woran er mit blaise-pascalscher Überzeugung glaubt. Deswegen habe ich gerne mitgerufen.

In den folgenden Tagen stellte ich immer wieder fest, dass dies auf der re:publica mein eigentliches Ziel sein sollte: Sessions zu finden, in denen Menschen – unabhängig vom Thema – aus dem Herzen sprechen. Zum Glück habe ich sie mit diesem neuen inneren Kompass auch immer wieder gefunden. Bei Anne Schüßler, die über Science-Fiction nachdenkt. Bei Claudia Krell und Ralf Stockmann, die ganz vorne dabei sind, die Podcast-Szene miteinander zu vernetzen und angehenden Podcaster_innen beim Start zu helfen. Bei Dominik Stockhausen (Sonar) und Johan Knattrup Jensen (Doghouse), die sich im VR-Bereich sowohl mit kleinen analytischen Schritten vorantasten, wie ich es tun würde (Dominik), als auch für ihre eigene radikale Vorstellung von Kunst einstehen, auch wenn sie ein bisschen eitel und abgekupfert ist (Johan).

Auch bei Jeff Kowalski, der natürlich ein aalglatter amerikanerischer Unternehmer ist, dessen Vortrag zielgerichtet auf Statements wie “In the future, we won’t have to learn tools, tools will learn us” zuläuft. Der aber auch eine Zuschauerfrage nach der Dialektik der Aufklärung damit beantwortete, dass er in den gleichen bewusst keine dystopische Visionen eingebaut habe, weil er glaubt, dass das mit dazu führe, das sie passieren (quasi der Plot von Tomorrowland, mit dem man nicht einer Meinung sein muss, dessen Kraft mir aber trotzdem imponiert).

Bei Randall Munroe fühlte ich das alles anders als Felix Schwenzel nicht so sehr, ich fand seinen Vortrag doch eher eine Buchverkaufsshow. Dafür aber wieder bei Jens Scholz (“LARPs in der politischen Bildung”), Journelle (“Das Internet hat mich dick gemacht”) und auch bei meinen Co-Autorinnen und -Autoren vom Techniktagebuch bei unserem “Live Let’s Play” über die Tücken diverser Benutzeroberflächen, das verspätet starten musste, weil unsere sorgsam ausgetüftelte und mehrfach geprüfte Präsentationsstrategie dann natürlich auf der Bühne technisch nicht funktionierte.

Schließlich spürte ich Herz bei all den vielen zwischenmenschlichen Momenten mit den Menschen, die die re:publica nicht “als Bildungsurlaub mitnehmen”, weil sie als “Social-Media-Manager bei Siemens” arbeiten (Sascha Lobo), sondern weil sie dem Digitalen in ihrem Leben eine gewisse Bedeutung zumessen. Und mit diesen Menschen spricht man (also ich) dann, wenn man sie einmal im Jahr sieht, auch gar nicht unbedingt über Snapchat oder Virtual Reality oder Netzneutralität. Sondern darüber, wie es ihnen geht, was in ihrem Leben wichtig ist, wie sie an den Ort gekommen sind, wo sie sich gerade befinden. Warum sie genau dieses Lied beim Karaoke singen wollen, wie sich das anfühlte, als die Panama Papers veröffentlicht wurden, und warum Princes Tod sie bewegt hat.

Von diesem Herz hat man dann hoffentlich am Ende der drei Tage so viel gespürt, dass es ein bisschen reicht für die Zeit danach. Wahrscheinlich nicht für das ganze Jahr bis zur nächsten re:publica (leider), aber mindestens für ein paar Wochen, in denen man sich so intensiv wie sonst nie daran erinnert, woran das eigene Herz hängt und wie man dieses Herz ein bisschen an andere weitergeben kann.