Im Fan-Dilemma – Wie sich Filme wie Warcraft von ihrer Authentizität zerstören lassen

© Legendary Pictures

Es wird viel magisch gereist in Warcraft. Weltentore transportieren ganze Armeen von A nach B, Greifen tragen Krieger auf ihrem Rücken von Stadt zu Stadt, Teleportationssprüche erlauben Einzelpersonen oder kleinen Gruppen in einem Lidschlag von einem Hotspot zum anderen zu wechseln. Das leuchtet ein, nicht nur weil Fantasy-Narrative generell häufig die Fernreise als Plotmotor nutzen. Sondern auch weil die schnelle Bewegung von Ort zu Ort eine wichtige Mechanik eines Massive Multiplayer Online Roleplaying Games ist.

Die dort bespielten Welten sind so groß, dass sie Millionen von spielenden Menschen Platz bieten und jedem von ihnen eine echte Wahl lassen, was er als nächstes tun will. Wer möchte, kann die immensen Distanzen in Echtzeit laufend zurücklegen (und manch einer tut dies auch), aber für viele Spieler kommt diese Art von langweiliger Freizeitgestaltung nicht in Frage. Ein Greifenritt, ein magisches Portal, das dürfte vielen World of Warcraft-Spielern bekannt vorkommen. Genauso die äußere Form der gewirkten Zaubersprüche oder der exakte Aufbau von Locations wie Stormwind oder Karazhan, die seit Jahren als quasireale Räume im digitalen Äther existieren. Warcraft, der Film, ist durch und durch authentisch. Es ist das Werk eines Fans.

Textual Poachers

Fans stehen im popkulturellen Diskurs zurzeit häufig im Rampenlicht. Waren sie früher als überambitionierte Minderheit verlacht, zu denen man als Schöpfer_in zwar nett sein sollte, die aber für den großen Erfolg eines künstlerischen Produkts nur eingeschränkt wichtig sind, haben Produzenten und Marketingabteilungen heute erkannt, dass Fans im Internetzeitalter einflussreiche Meinungsführer_innen sein können. Wer ihre Unterstützung hat, kann damit im Fluss kultureller Gespräche viel bewegen. Wissenschaftler_innen wie Henry Jenkins haben darüber hinaus in Büchern wie Textual Poachers dargelegt, wie aktiv Fans inzwischen daran teilhaben, den Kosmos des verehrten Werkes positiv mitzugestalten und neu zu interpretieren, oft entlang ungeahnter ideologischer Linien.

Auf der anderen Seite haben gerade die vergangenen Jahre immer wieder die dunkle Seite von Fantum hervorgekehrt. Erst letzte Woche brodelte es wieder in der Popkultur-Filterbubble, als der kontroverse US-Blogger Devin Faraci, bezugnehmend auf einen anderen Artikel, das Fantum mal wieder als “kaputt” bezeichnete, weil es sich kampagnenmäßig organisiert, um Filmemachern die eigene Sichtweise aufzuzwingen. Faraci vergleicht Hashtag-Kampagnen wie #GiveElsaAGirlfriend – Disney soll der Frozen-Heldin ein Coming Out schenken – und die lautstarke Wutwelle gegen das bald startende Ghostbusters-Remake mit der Figur Annie Wilkes aus Stephen Kings Roman Misery. Wilkes kidnappt dort einen Autor, um ihn zu zwingen, eine Geschichte nach ihren Wünschen fortzuschreiben.

Die Linie ist unscharf

Was die Forschung von Autor_innen wie Jenkins zwar andeutet, aber was im allgemeinen Diskurs gerne verloren geht, ist allerdings, dass die Trennlinie zwischen Fans und Schöpfern in den letzten zwanzig Jahren zunehmend unschärfer geworden ist. Seit die Kulturindustrie endgültig dahinter gekommen ist, dass es lukrativer ist, bekannte kreative Marken endlos fortzusetzen, als neue zu erfinden, sind auch immer mehr Menschen, die ihre Beziehung mit diesen Marken als (minderjährige) Fans begonnen haben, heute selbst in einer Position, wo sie schöpfend tätig werden. (Ja, das ist ein Thema, das mich fasziniert – ich habe es schon öfter hier im Blog beleuchtet.)

Dieser Aufstieg vom einstigen Fan zum heutigen Schöpfer ist an sich überhaupt nichts Neues. Die Autoren der Nouvelle Vague waren Fans von Filmemachern wie Alfred Hitchcock, bevor sie selbst zu Filmemachern wurden. Kevin Smith und Quentin Tarantino haben auf ihrer Identität als Fans große Teile ihrer Karriere aufgebaut. In den großen US-Comicverlagen übernahmen bereits in den 1980er Jahren ehemalige Fans das Ruder bei Superheldenserien und schufen einige der ikonischsten Inkarnationen.

Fantum als Rechtfertigung

Der Unterschied zu heute ist, dass diese Identität als Schöpfer-Fan lange Zeit noch kein Qualitätsmerkmal für sich darstellte. Ambitionierte Fans wagten irgendwann den Schritt auf die andere Seite des Schreibtisches und gut. Es gab, zumindest im breiten Diskurs, kein Narrativ, das besagte, dass Fans am besten wissen, wie mit ihren Held_innen umgegangen werden sollte. Es gab noch keine Notwendigkeit, sich gegenüber denjenigen, deren Ränge man verließ, anschließend mit der eigenen Ahnentafel als Fan zu rechtfertigen, als “einer von uns”, der ganz sicher die richtigen Entscheidungen treffen wird. Es gab noch keine Star Wars-Prequels, die einer Nation von Fans scheinbar vor Augen führten, dass ursprüngliche Schöpfer eben nicht wissen, welche Fortschreibung ein geliebter Parakosmos “verdient” hat.

Bei Warcraft wurde sichergestellt, dass nur die richtigen Leute das Sagen hatten. Die Vergangenheit warnt durch absurde Freakprojekte wie Super Mario Brothers zu genüge davor, was passiert, wenn Videospielfirmen ihre Welten in die Hände derer geben, die keinen Gamer-Stammbaum vorweisen können. Duncan Jones, der Regisseur, betont in jedem Interview, wie viel Zeit er selbst mit den verschiedenen Warcraft-Inkarnationen verbracht hat. Die Spielefirma Blizzard war eng an der Produktion des Films beteiligt – vier von zwölf im Abspann genannten Produzenten (Nicholas S. Carpenter, Chris Metzen, Michael Morhaime und Paul W. Sams) sind Blizzard-Funktionäre.

Mythische Authentizität

Marvel Studios hat einen großen Teil seines Images darauf aufgebaut, dass dort die Menschen die Filme machen, die auch schon die Comics gemacht haben. Und diese gleiche mythische Authentizität umgibt auch Warcraft – jedoch mit einem katastrophalen Ergebnis. Dem Film scheint genau jene Distanz zu fehlen, die Fans häufig nicht haben. Er ist nicht nur eine schamlose, reverse-engineerte Hommage an einen Urtext und versucht, dessen Effekt zu replizieren, wie es die verspäteten Fortsetzungen des letzten Jahres – von Jurassic World bis Star Wars VII – taten. Warcraft ist ein Werk, das außerhalb eines Reenactment-Kontextes nicht funktioniert. Seine Locations, Charaktere und Effekte mögen noch so genau ihren Dependancen aus den Videospielen entsprechen, sie besitzen dennoch kaum nachvollziehbaren Motive oder Handlungsbögen. Das Drehbuch beginnt mit einer Geschichte, die ganz am Anfang des Warcraft-Kanons steht, als sei es vor allem darum gegangen, eine bebilderte Enzyklopädie herzustellen und keinen unterhaltenden Film, der für sich stehen kann.

Zum Vergleich lohnt es sich durchaus, einen Blick auf einen anderen Film zu werfen, der dieses Jahr von der Kritik in Grund und Boden geschrieben wurde und um den ebenfalls Fan-Diskurse kreisen. Hinter Batman v Superman: Dawn of Justice (und davor hinter Man of Steel) steckt der bewusste Versuch, einen Film außerhalb der landläufigen Wahrnehmung der Titelcharaktere zu gestalten. Weil das vielen Fans nicht gefiel, hat Regisseur Zack Snyder im Laufe der Zeit einen erstaunlichen Wandel durchgemacht, von einem “Ich wollte gerne mal was anderes probieren” hin zu einem “Ich bin ein viel besserer Fan als ihr alle”. Die Glaubwürdigkeitsdebatte scheint in diesem Bereich irgendwann jeden in die Knie zu zwingen.

Von der Werktreue erdrückt

Batman v Superman ist aus diversen Gründen ein ähnlich schlechter Film wie Warcraft, aber man kann ihm immerhin nicht vorwerfen, keine eigene Persönlichkeit zu haben. Der Stilwille von Snyder und seinem Drehbuchautor David Goyer ist in jedem seiner über-epischen Bilder und Plotwendungen erkennbar. Batman v Superman läuft sehenden Auges in das Fan-Fegefeuer, aber er nimmt dabei jeden seiner titanischen Schritte mit stolzgeschwellter Brust.

Warcraft hingegen wirkt wie das Bauprojekt eines Fürsten, der sich auf seinen Reisen in einem fernen Land in ein wunderschönes Schloss verliebt hat. Nachdem er wieder zu Hause ist, befiehlt er seinem Hofstaat, den Steinbruch ausfindig zu machen, aus dem die Steine des geliebten Schlosses stammten. Er lässt Straßen bauen, damit Arbeiter von dort zu ihm reisen können. Er liest alles, was er finden kann über die Geschichte und Kultur des Landes, in dem er zu Gast war. Doch als er mit dem Bau beginnen will, hat er nicht nur vergessen, wie das Schloss aussah. Er hat auch vergessen, warum es ihm eigentlich gefiel. Mich lässt der Eindruck nicht los, dass in Warcraft irgendwo ein interessanter Film verborgen liegt, der allerdings vom Wunsch seiner Fans nach Werktreue zerdrückt wurde.

Der sichere Kern

Disney scheint in diesem Wechselspiel aus Fan-Authentizität und Umformung für ein neues Medium und ein anderes Publikum den Dreh raus zu haben. Die Marvel Studios-Filme, zuletzt Civil War, gefallen en gros sowohl Hardcore Fans als auch der breiten Zuschauerschaft. Sie scheinen das aber vor allem dadurch zu tun, dass sie eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden haben, der weder auf stilistischer noch auf Plot-Ebene große Risiken eingeht. Auf keinen Fall darf der sichere “Kern” verloren gehen, der das Franchise groß gemacht hat: ein leichtfüßiger Ton und ein Reigen gut identifizierbarer Helden. Bei der frisch wieder aufgenommenen Star Wars-Serie sieht es genauso aus. Die größte Meldung, die in der vergangenen Woche durch die Geek-Blogosphäre geisterte, lautete, dass größere Teile von Rogue One, den ersten für sich stehenden Star Wars-Film von Regisseur Gareth Edwards, neu gedreht werden sollen. Angeblich sollte der Film dadurch stärker an die gewohnte Star Wars-Gußform angepasst werden, aus der sich ja auch J. J. Abrams mit The Force Awakens nur sehr wenig gelöst hatte. (Diverse Quellen haben diese Lesart dementiert.)

Die Frage ist, wie lange ein solcher Selbstbezug noch aufrechterhalten werden kann. Zynische Menschen könnten an dieser Stelle sicher sagen, dass es doch genau unserer Natur entspricht, immer wieder den gleichen, anspruchslose Brei vorgesetzt zu bekommen. Und in der Tat hat Warcraft zum Beispiel in China, wo das MMORPG besonders beliebt ist, diverse Rekorde gebrochen (vielleicht nicht ganz selbstverschuldet). Aber langfristig kann das nicht die gesamte Zukunft des populären Kinos sein. Es scheint sie ja zu geben, jene Filmemacher_innen, die genug Distanz zu ihrem eigenen Fantum besitzen, um zu wissen, dass Authentizität alleine nicht reicht, um einen Film gut zu machen. Wenn von denen jetzt noch ein oder zwei ihren bisherigen Erfolg nutzen würden, um auch mal ein paar mutigere Schritte zu wagen, wäre das ja schon ein Anfang.

Die Geschichte des V – Warum wir Helden gegeneinander antreten lassen

© Warner Bros.

Als Batz das Zitat twitterte, konnte ich es kaum glauben: David Goyer hat 2005 in der “L.A. Times” gesagt: “‘Batman Vs. Superman’ is where you go when you admit to yourself that you’ve exhausted all possibilities.” Heute, elf Jahre später, steht er als Koautor auf dem Plakat von Batman v Superman: Dawn of Justice.

Das Zitat stammt natürlich aus einer Zeit als der moderne Superheldenfilm noch am Anfang stand. Damals gab es noch kein Marvel Cinematic Universe, keinen Avengers-Film, keine zwei einander treffenden X-Men-Generationen in Days of Future Past. Das Superheldenkino hatte noch nicht angefangen, die Erzählmechanismen von Comics für sich zu apropriieren. Ist an Goyers Satz trotzdem etwas dran? Immerhin ist “Batman vs. Superman” ja doch ein bisschen was anderes als die Superhelden-Teams, die wir inzwischen aus Marvelfilmen kennen, und die wir mit Suicide Squad und Justice League bald auch von DC bekommen werden. Hier tun sich – zumindest laut Titel – nicht zwei Helden zusammen, um gemeinsam einen Big Bad zu bekämpfen, sondern sie treten gegeneinander an.

A Bit of Circus Hoopla

“It’s somewhat of an admission that this franchise is on its last gasp”, sagt Goyer in dem “L.A. Times”-Artikel weiter – und tatsächlich scheint das eine populäre Meinung zu sein. Filme mit einer Konfrontation zweier bekannter Charaktere im Titel sind der letzte Strohhalm, wenn einem nichts Besseres mehr einfällt. Auch Tim Robey vertritt diese Ansicht im “Telegraph”: “Traditionally, these face-offs are devised when both brands are at something of a low ebb, and need a bit of circus hoopla drummed up to get bums back on seats.”

Als Beispiele führt Robey die gesamte Filmgeschichte an. Von den ersten “Meets” Filmen aus dem Hause Warner Bros., die ihre Horror-Ikonen gegeneinander antreten ließen (Frankenstein Meets the Wolfman) über King Kongs diverse Gegner in den 60er Jahren bis zu moderneren Hahnenkämpfen wie Alien vs Predator oder Freddy vs Jason. Die Kraft der zwei Franchises wird beschworen, wenn eine alleine nicht mehr trägt. Das neueste Beispiel heißt The Ring vs. The Grudge.

Ultimate Showdown of Ultimate Destiny

Aus rein wirtschaftlicher Sicht also alles klar. Aber man muss sich nur mal umsehen, um festzustellen, dass Geldüberlegungen auf keinen Fall der einzige Grund dafür sind, dass es Filme mit “Vs” im Titel gibt. Die Nerdkultur ist voll mit Debatten darüber, wer in einem hypothetischen Kampf gewinnen würde. Und nicht nur die Fantasy-SciFi-Nerdkultur. Der YouTube-Kanal Epic Rap Battles of History hat das Konzept mit dem Battle-Rap-Element der Hip-Hop-Kultur kombiniert. Der Film Rocky Balboa beginnt damit, dass Sportkommentatoren einen Computer einen ebensolchen hypothetischen Kampf simulieren lassen, was vor allem in der US-Sportwelt heutzutage ständig passiert. Ultimate Showdowns of Ultimate Destiny sind überall.

Der Ursprung liegt natürlich im Fandom, und deswegen ist es auch kein Wunder, dass Sport neben Nerdkultur das zweite große Spielfeld für Vs-Kämpfe ist. Schon im sprichwörtlichen Sandkasten haben wir als Kinder unsere Actionfiguren gegeneinander gehauen oder mit Quartett-Karten Autos und andere Dinge verglichen. Wer ein “echter” Fan ist, entscheidet sich aber irgendwann für einen Verein oder für eine Figur und verteidigt deren Ehre bis aufs Blut. “Superman ist besser!” – “Batman ist besser!” – “Anscheinend gibt es nur einen Weg, herauszufinden, wer recht hat.” Und schon haben wir einen Vs.-Film.

Hinzu kommt, davon bin ich noch immer fest überzeugt, unsere Sehnsucht nach einem alles verbindenden fiktionalen Universum. Eigentlich kann Superman Batman nicht treffen, weil beide in unterschiedlichen Comicreihen zu Hause sind. Aber wäre es nicht cool, wenn sie sich treffen könnten? Dann könnten sie auch gegeneinander kämpfen … und schwupps haben wir Crossovers und fiktionale Universen.

Der salomonische Kanon

Das wichtigste Element des letzten Punktes ist die Verbindlichkeit. Schafft der Verlag, das Filmstudio, der TV-Sender den Crossover selbst, dann ist das Ergebnis des Kampfes mehr als nur eine hypothetische Nummernspielerei oder eine epische Fanfiction. Es ist Kanon, mit offiziellem Siegel: So würde der Kampf ausgehen. Für fanatische Anhänger gibt es nichts, was vermeintlich befriedigender ist, in letzter Instanz aber immer zu Frust führen muss.

Denn natürlich, und das ist das letzte interessante Element, wird sich niemals eine offizielle Stelle dazu bringen, einen Vs-Kampf endgültig zu entscheiden. Die Mächte des Kanons wären schön blöd, wenn sie eins der beiden miteinander konfrontierten Franchises erst durch eine endgültige Niederlage beleidigen und dann durch Nicht-Fortsetzung verlieren würden. Und deshalb gehen titanische Vs-Kämpfe am Ende immer zu einem gewissen Grad unentschieden aus. (Es folgen Spoiler bis zum Ende des Absatzes) Der Kampf zwischen Godzilla und King Kong wird von einem plötzlichen Erdbeben unterbrochen und Godzilla stürzt zwar ins Meer, aber tot ist er nicht (wie dutzende Fortsetzungen beweisen). Jason hat Freddy den Kopf abgeschlagen, dieser zwinkert aber noch. Die Predators gewinnen den Kampf, aber einer von ihnen ist der nächste Wirt für eine neue Alien-Generation. Thors Hammer trifft Captain Americas Schild, aber beide werden zurückgeschleudert. Und so weiter und so weiter.

Das ist alles sehr salomonisch und es scheint die einzige Art zu sein, diese Konflikte, nach denen nicht nur geldgierige Studioheinis sich sehnen, auszufechten. Am Ende wollen wir nämlich gar nicht wissen, wer gewinnt. Wir wollen nur den Kampf sehen. Und wir wollen die Option, ihn jederzeit zu wiederholen.

Danke an Denis Krick und Jörg Buttgereit für die Vorgespräche.

Die Welt ist nicht genug – Man of Steel und Hollywoods episches Problem

© Warner Bros. Pictures

Richard Lesters Film Superman II von 1980 hat in Sachen Plot eine ganze Menge mit Man of Steel gemeinsam. Der kryptonische General Zod, der die Zerstörung Kryptons übelebt hat, weil er in einem außerplanetarischen Gefängnis saß, gelangt mit seinen Spießgesellen zur Erde, die er – in gewohnt zodscher Überheblichkeit – übernehmen will. Clark “Superman” Kent kann das natürlich nicht zulassen. Im Finale des Films (Spoiler) lockt er Lex Luthor, Zod und Co in seine Festung der Einsamkeit am Nordpol und besiegt sie, indem er ihre Arroganz geschickt gegen sie einsetzt.

Auch Man of Steel (Noch mehr Spoler) endet mit einer Konfrontation zwischen Kal-El und Zod. Die beiden smashen und crashen sich durch Metropolis, um schließlich in einem Bahnhof zu landen, wo Superman Zod mit einem Ruck das Genick bricht, um zu verhindern, dass dieser einer unschuldigen Familie schadet. Ein persönlicher Kampf, könnte man meinen. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, braucht Man of Steel zuvor eine andere Szene, in der Zod und seine Kryptonier begonnen haben, die Erde mit ihrem Raumschiff zu terraformen. Metropolis wird von Erdstößen erschüttert. Superman muss das Gegenstück des Raumschiffs am anderen Ende der Welt zerstören. Lois Lane versucht in einem Bomber ein schwarzes Loch zu erzeugen. Zod verfolgt sie in einem 20.000 Jahre alten kryptonischen Raumschiff, das eine Brutkammer enthält, mit deren Hilfe – gemeinsam mit dem in Supermans Zellen enthaltenen Informationen – Krypton auf der Erde wieder auferstehen kann.

Hektische Dringlichkeit

Es ist bereits einiges geschrieben worden über Man of Steels Zerstörungsorgie in der letzten halben Stunde. Über das PG-13-Problem und die nicht enden wollende Referenzierung von 9/11. Thomas Groh bringt den Stein des Anstoßes (oder des Jubels) für viele Kritiker in seinem Text (in dem sich noch mehr gute Links finden) auf den Punkt, wenn er schreibt

[J]ene Inseln, in denen Superman eins mit sich (oder allein bei sich) ist und die man aus früheren Superman-Adaptionen kennt, weichen einem allumfassenden Modus hektischer Dringlichkeit, der sich auch an der unstet verwackelten Kameraführung ablesen lässt.

Doch es ist gar nicht unbedingt nur die Zerstörungswut und der “Let’s get Loud”-Gestus, an dem Man of Steel meiner Ansicht nach krankt. Das viel größere Problem ist, dass er einfach insgesamt zu gigantisch ist. Auch in Superman II gibt es eine Schlacht um Metropolis, und wären Computer 1980 zu den gleichen Leistungen in der Lage gewesen, wie heute, hätte diese sicherlich auch anders ausgesehen. Der Clou ist aber vielmehr, dass Superman II am Ende eigentlich eine kleine, persönliche Geschichte erzählt, obwohl Zod die Welt bedroht. Man of Steel versucht das gleiche, er will im Kern die Coming-of-Age-Geschichte von Superman erzählen, doch dabei schleppt er zahllose Expositionssequenzen und endlose Massen an Mythologie mit sich herum, die ihn wie ein tonnenschweres Gewicht hinunterziehen. Dort wollen ihn Zack Snyder und Christopher Nolan natürlich auch haben. Schließlich sind beide dafür bekannt, Gewicht mit Gravitas zu verwechseln.

Das Einkaufszentrum reicht nicht mehr

Die Geschichte von Man of Steel ist sehr einfach. Doch Snyder, Nolan und Drehbuchautor David Goyer brauchen einen langen, feurigen Prolog auf Krypton, eine beliebig wirkende Reihe von expositorischen Flashbacks, ein Hologramm von Russell Crowe, eine Entführung auf das kryptonische Raumschiff, jede Menge kryptisch (pun intended) erklärendes Kauderwelsch (“Wir konnten den Phantomgenerator in einen Hyperantrieb umbauen.”) und den oben beschriebenen Dreifach-Showdown, um sie zu erzählen. Und man beginnt trotzdem immer nur dann, tatsächlich etwas zu fühlen, wenn sich Zod und Kal-El wieder persönlich gegenüberstehen.

Ende vergangenen Jahres habe ich das neo-barocke Hollywoodkino am Beispiel des Hobbit noch gelobt. Doch dieser Blockbuster-Sommer ist drauf und dran, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Hollywood ist einfach zu episch geworden. Filme – selbst effektlastige Blockbuster – waren mal gut darin, große Geschichten in kleinen Kosmen zu erzählen. Derzeit passiert genau das Gegenteil: Nicht nur Superman muss verhindern, dass die ganze Welt zerstört wird. Wo Zombiefilmen früher ein Einkaufszentrum reichte, um ihre Parabel zu errichten, muss es heute schon ein ganzer World War Z sein. Und Guillermo del Toros Pacific Rim folgt der Logik: Wir werden von gigantischen Monstern angegriffen? Dann müssen wir wohl selbst gigantische Monster bauen.

Der perfekte Sturm

Die gleiche schwanzbeißende Logik scheint Hollywoods Studiobossen durch die Hirne zu kreisen. Wenn Filme schon 200 Millionen Dollar pro Stück kosten müssen, dann müssen die Geschichten und Setpieces, auch größer sein, als alles bisher dagewesene. Mindestens Global. Besser noch Galaktisch. Sicher, Schauwerte sind einer der größten Spaßspender im Sommerkino. Und Worldbuilding kann in unserer transmedialen Welt eine Menge Spaß machen. (Einschub: Ich mochte den Einfall eigentlich, aus Man of Steel einen Science-Fiction-Film zu machen, statt immer nur die bekannten Superheldenkühe zu melken.) Aber hinter allem muss etwas stehen, zu dem man als Zuschauer einen Bezug aufbauen kann. Sonst bleibt selbst der perfekte Sturm in seinem Wasserglas gefangen.

Edgar Wrights Film Scott Pilgrim vs the World wurde damals mit der wunderschönen Tagline “An Epic of epic Epicness” beworben. In dem Film geht es darum, dass ein junger Mann sich damit abfinden muss, dass seine Freundin eine sexuelle Vergangenheit hat. Aber auch eine so banal wirkende Prämisse kann eben manchmal zum epischen Kampf werden. Dafür muss nicht immer gleich die ganze Welt vor der Zerstörung stehen.