Podgast (XV) – Bei Longtake zu “Saint Omer”

Mein Kulturindustrie-Kollege Lucas hat mich in seinen Podcast Longtake eingeladen, um mit mir über Alice Diops Film Saint Omer zu sprechen, den wir beide sehr gut fanden. Es geht um Spiegelungen und Alltagsrassismus, Elterngefühle und Ambiguität, und darum, dass ich mir nie wirklich merken kann, was Wittgenstein alles so geschrieben hat. Viel Spaß beim Hören.

Der lange Weg zur Kulturindustrie

© Image Comics, Netflix, Universum Film

Wer keine Lust auf wehmütige Reminiszenzen hat, einfach vorscrollen bis zur Zwischenüberschrift

Zehn verdammte Jahre ist es her, dass ich meinen ersten Podcast gehört habe. The Guardian Film Weekly hatte ein Danny-Boyle-Interview zu Sunshine, das ich unbedingt hören wollte. Danach war es um mich geschehen. Die Form des “Radio auf Abruf” hat mich sofort fasziniert und zu Film Weekly kamen in den nächsten fünf Jahren mehr Podcasts hinzu: Erst The Guardian Music Weekly, dann der Savage Lovecast und This American Life, dann der /Filmcast. Dann hatte ich irgendwann ein Smartphone und es gab kein Halten mehr. Heute habe ich 38 Podcasts abonniert und höre zusätzlich regelmäßig Einzelfolgen von anderen Podcasts (hauptsächlich wegen Sara Webers Newsletter).

Sieben Jahre ist es her, dass ich meinen ersten Podcast produziert habe. Auf dem eDIT-Festival 2010 zog ich mit meinem frisch gekauften Aufnahmegerät herum und interviewte Filmemacher, schrieb Moderationen und bastelte das ganze zusammen. Ein Jahr später blickte ich mit dem Podcast-Projekt “RePotter” auf die Harry-Potter-Filmreihe zurück. 2014 habe ich fünf Tage lang täglich per Podcast vom Internationalen Trickfilmfestival in Stuttgart berichtet. Aber immer habe ich die entstandenen Produktionen nur hier im Blog veröffentlicht. Es sollten immer nur Experimente sein, kleine Ausprobier-Projekte, aus denen nur ja keine Verpflichtung erwachsen sollte. Ich hatte irgendwie immer Angst vor der eigenen Courage, mich wirklich in die Podcast-Welt hineinzubegeben.

Spätestens seit ich sowohl das Slate Culture Gabfest als auch NPRs Pop Culture Happy Hour höre, hatte ich zum Beispiel den Gedanken, dass man ein solches Format doch auch in Deutschland umsetzen können muss. Kein lockerer Gesprächspodcast, in dem eine Reihe Kumpels frei assoziierend anderthalb Stunden über einen Film sprechen, sondern ein kompaktes Audio-Magazin, zwar mit Persönlichkeit, aber auch mit journalistischem Anspruch. Mitten in dem Sweet Spot, in dem ich meine Podcasts am liebsten mag und den in Deutschland nur wenige Menschen erreichen (wollen). (Augen öffnend für mich dazu: der Vortrag von Ralf Stockmann und Claudia Krell auf der re:publica 2015.)

Aber ach, ich traute mich nicht. So viel Arbeit. Und mir fehlten die richtigen Leute. Zufälligerweise lief keiner gerade rum, der einfach Lust hatte, mich mitzunehmen, und mir die Arbeit abzunehmen. Also tingelte ich stattdessen als Gast von Podcast zu Podcast, immer noch nicht willens, meinen vielen Worten zum Thema endlich Taten folgen zu lassen.

Im Sommer dieses Jahres war ich endlich so weit. Mit Lucas Barwenczik, dessen Artikel bei “kino-zeit.de” ich von Anfang an erstaunlich fand, und Sascha Brittner von “Pew Pew Pew”, mit dem mich seit unserem Interview vor fünf Jahren eine genauso erstaunliche Freundschaft verbindet, kannte ich zwei Leute, die willens waren, mit mir ein entsprechendes Projekt zu wagen. Mir war es aber auch wichtig, mindestens eine Frau im Team zu haben, deswegen war ich sehr froh, als sich Mihaela Sartori bei mir meldete und Interesse bekundete. Sie ergänzt nicht nur unsere jeweiligen (etwas filmlastigen) Hintergründe perfekt, sondern hat auch noch Podcasterfahrung.

Irgendwann hatte ich einen Namen und sogar ein Konzept, und trotzdem hätte ich Mitte August fast doch noch das Handtuch geworfen. Hätten Sascha, Mihaela und Lucas mich nicht irgendwann fast getreten, gäbe es wahrscheinlich immer noch keinen Podcast. Zum Glück haben sie es aber gemacht …

… und deswegen gibt es jetzt einen Podcast und er heißt Kulturindustrie

In der nullten Folge, die jede und jeder außer auf Soundcloud auch in Apple Podcasts und anderen Podcatchern hören kann, sprechen wir über The Circle, Bojack Horseman und den Comic Snotgirl. Obwohl die Aufnahme noch etwas holprig lief und es auf jeden Fall noch Luft nach oben gibt, was unsere Redebeiträge angeht, bin ich unglaublich stolz auf diesen Podcast. Nach meinem langen und schwer erklärbaren Leidensweg bin ich heilfroh, die Anfangshürde genommen zu haben und freue mich jetzt sehr darauf, weiterzumachen.

Kulturindustrie wird/soll zweiwöchentlich erscheinen. In Ausgabe 001, die wir am 24. September aufnehmen und hoffentlich am 26. September veröffentlichen, sprechen wir über Darren Aronofskys Mother!, Dietrich Brüggemanns Tatort “Stau” und das Indiegame The First Tree. Für weitere zwei Wochen später haben wir uns auf jeden Fall Han Kangs Roman Menschenwerk vorgenommen.

Egal ob jetzt oder nach einigen Folgen; Ich bin dankbar für alles konstruktive Feedback. Hier in die Kommentare, auf Twitter oder per Mail an podcast@kulturindustrie.de.

Piq: Das Ende der kinematischen Monokultur

Jedes Jahr um diese Zeit tanzen sie verlässlich durch Branchenblätter und Blogs: die Texte, die wahlweise den Tod oder die Wiedergeburt des Kinos verkünden. Hollywood beendet im September die Blockbuster-Saison – und es sind diese Bewegtbild-Breitenevents, die seit den 70ern, als sie erfunden wurden, für den Zustand des Kinos im Allgemeinen als Anschauungsobjekt herhalten müssen.

2016 war kein besonders gutes Blockbuster-Jahr, es gab einige hochkarätige Flops wie Independence Day: Resurgence und nur wenige erwartbare Hits wie Finding Dory, aber keine Überraschungen wie Mad Max: Fury Road 2015, hinter die sich Kritiker wie Publikum scharen konnten. Lucas Barwenczik versucht im Blog von “kino-zeit.de” (für das ich auch manchmal schreibe) weder in Abgesang oder Apologie einzustimmen. Stattdessen fragt er: Wenn das Breiten-Kino tot sein sollte, was folgt ihm als monokulturelles Event nach?

Lucas bietet an: das weniger breite Kino à la Toni Erdmann, die Serie (nähert sich auch bereits dem Ende ihres Eventzyklus) und das Videospiel, plädiert aber am Ende einfach für eine Kultur, in der am Ende Vieles nebeneinander steht, darunter auch das Kino: “Der ursprüngliche Schock des Kinos, seine umstürzende, weltverändernde Macht, ist einer tiefen Vertrautheit gewichen”, schreibt er. Und das könnte doch auch eine Rettung sein. Ein Gedanke, den man mal in seinem Herzen bewegen kann.

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Essentialismus ist die falsche Waffe gegen YouTube

Erinnert sich noch jemand an Fappygate? Ein völlig bescheuerter und unnötig eskalierter Netzstreit von vor einem Jahr, in dem Sascha Pallenberg und Yasmina Banaszczuk auf Twitter aneinander gerieten und der darin endete, dass Yasmina sich vollständig aus Twitter zurückzog?

Weil der ausufernde, ätzende Sexismus am Ende das wahre Problem war, kann sich wahrscheinlich kaum noch jemand erinnern, worüber die beiden gestritten hatten. Banaszczuk hatte vermutet, dass sich Andreas Rickmann in einem Blogpost an einer ihrer Thesen bedient hatte, ohne sie zu erwähnen. Die These: Bei YouTube passiert Personality-Zeugs, das wir als erste Netzgeneration gar nicht wirklich mitbekommen und das wir nicht ernst genug nehmen.

LeFloid ist ihr Sascha Lobo

Das war vor einem Jahr. Seitdem ist viel passiert. Eine größere Gruppe YouTuber hat sich von ihrem Management losgesagt. Der YouTuber LeFloid hat die Kanzlerin interviewt und bekommt eine eigene Fernsehsendung. YouTube fährt derzeit eine riesige Werbekampagne in Deutschland, in der zwei Gesichter im Vordergrund stehen und nicht das Medium. Kurz: Was Rickmann und Banaszczuk vor einem Jahr noch beklagt haben, dürfte im kollektiven Gedächtnis angekommen sein. YouTuber sind die neuen Blogger. LeFloid ist ihr Sascha Lobo.

Lucas Barwenczik hat auf kino-zeit.de gerade darüber geschrieben, wie YouTuber Filmkritik machen. So, wie sie alles andere auch machen. Sie setzen sich vor eine Kamera und reden drauflos. Und weil Filmkritik für die meisten Menschen nicht gerade Kulturpraxis ist, wie Lucas kurz zuvor in einem anderen Artikel beschrieben hat, besteht diese Kritik vor allem aus der heiligen Dreifaltigkeit Inhaltsangabe, Bewertung, Konsumempfehlung.

Lucas kritisiert, dass die Kritiker auf YouTube ihr Medium nicht besser nutzen. Da haben sie schon Video zur Verfügung, könnten den Film zeigen, statt ihn wie wir Textknechte nur zu beschreiben, und sie machen es nicht. Stattdessen filmen sie sich beim Labern, ergeben zusammen ein “visuelles Vuvuzela-Konzert” – Flachheit, wo Tiefe möglich wäre. (Ich spare den Punkt, dass es in Deutschland keine Fair use-Gesetzgebung gibt und daher das Arbeiten mit Ausschnitten, zum Beispiel für Essay-Kritiken, immer mit deutlich mehr Abmahn-Risiko verbunden ist als anderswo, hier mal bewusst aus.)

Ich kann doch auch nichts damit anfangen

Es ist nicht so, dass ich Lucas’ Sorgen nicht nachvollziehen könnte. Nicht nur, was die Qualität der Filmkritik angeht, obwohl er dort ja nur in einen Chor einstimmt, dem ich als Wiederholer des Mantras “Wenn ihr gute Filmkritik wollt, macht sie selber, aber erhebt keinen Anspruch darauf, dass euch jemand dafür bezahlt” nur bedingt zuhören möchte. Aber ich kann mit YouTube-Vlogging auch überhaupt nichts anfangen.

Und zwar ebenfalls, weil ich es für eine schrecklich inneffiziente Nutzung eines visuellen Mediums halte, sich selbst beim Reden zu filmen. Einen Blogpost kann ich auf dem Handy lesen, während ich im Bus sitze. Einen Podcast kann ich hören, während ich zur Bushaltestelle laufe. Aber um ein YouTube-Video zu sehen, brauche ich sowohl eine Internetverbindung als auch ungeteilte Aufmerksamkeit. Und wenn der Informationsgehalt dann der gleiche wie bei einem Audio- oder Textformat ist, frage auch ich mich: Lesen geht schneller, Hören erlaubt Multitasking. Wann und warum soll ich das gucken?

Beautiful Faces statt Beautiful Minds

Mal ganz abgesehen davon, dass ich alter Sack natürlich keinen Bezug zu den Personen habe, die da reden. Aber in mir glüht auch noch dieser Funke des Blogzeitalters, der mir sagt: Ja ja, damals, als Blogs noch die Revolution waren, da standen noch die Texte im Vordergrund und eben nicht die Persönlichkeiten. Ich lese Blogtexte von Leuten, zu denen ich auch keinen vorherigen Bezug habe oder die hinter einem Pseudonym verschwinden, und ich finde sie trotzdem interessant, weil mich die Argumentation oder der Schreibstil überzeugt. Auf YouTube muss man jetzt plötzlich doch wieder irgendwie attraktiv sein. Statt “beautiful minds” sind jetzt doch wieder oberflächliche “beautiful faces” ein Kriterium.

Doch zum Glück hat das Altesacktum auch Vorteile. Zum Beispiel, dass es einen hoffentlich vor bestimmten Fallstricken bewahrt, über die man zuvor schon mal gestolpert ist. Und es sind diese Fallstricke, die in meinem Denken über YouTube plötzlich in meiner Erinnerung wieder laute Signaltöne abgeben und mich bitten, sie zu beachten.

Kids these Days

Da wäre einmal das “Kids these days”-Phänomen. Jede Generation beschwert sich über diejenige, die ihr nachfolgt. Jede ist der Meinung, dass sie alles selbst besser konnte und dass das, was nachkommt eine verwässerte/pervertierte Version dessen ist, wofür sie noch kämpfen musste/das hart Erarbeitete wieder zunichte macht/die Dinge, die bei uns ja noch einen Sinn hatten, jetzt ins Absurde weiterentwickelt. Manchmal reichen schon zehn Jahre Altersunterschied, um sich so zu fühlen – wie ich immer wieder feststelle, wenn ich Menschen Anfang 20 gegenüberstehe (Als Jahrgang 1983 gehöre ich zu denen, die als letzte in Deutschland noch einen Magister-Abschluss machen konnten, zum Beispiel).

Aber eben weil es ausnahmslos jeder Generation so geht, ist es Quatsch zu denken, dass es genau dieses Mal anders ist (obwohl es immer wieder auch gute Argumente genau dafür gibt). Wer bin ich, dass ich heutigen Jugendlichen vorwerfen darf, dass sie ihr ureigenstens Medium nicht so nutzen, wie ich das gerne hätte? Was unterscheidet mich von den Leuten, die zehn, zwanzig Jahre älter sind als ich und behaupten, Filmkritik in Blogs wäre keine echte Filmkritik? Leuten, die ich gerne zum Ice Bucket Challenge zwangsnachverpflichten würde.

Der zweite Fallstrick ist die Gefahr des Essentialismus. Ich habe eine Magisterarbeit darüber geschrieben, dass manche Filme, die im Computer erschaffene und bearbeitete Bilder nutzen, irgendwie interessanter sind als andere, weil sie die Möglichkeiten der Technologie stärker ausnutzen. Ich persönlich finde diese Filme auch heute noch interessanter, weil ich mich an den Beziehungen zwischen Kunst, Welt und Technik totfaszinieren könnte, aber ich würde nie wieder behaupten, dass sie anderen Filmen überlegen sind. Wenn man einmal damit anfängt, zu glauben, dass man weiß, welche essenziellem Eigenschaften ein Medium, eine Technik, ein Mensch, eine Nation hat, ist man ganz schnell am Rand von sehr tiefen normativen Abgründen, manche von ihnen durchaus gefährlich.

Eigenschaften, die wir gar nicht sehen

Könnte es nicht zum Beispiel sein, dass die Abgefilmter-Rant-Filmkritiken auf YouTube eine Eigenschaft aufweisen, die andere Medien nicht haben? Nämlich dass ich demjeningen, der mir da etwas erzählt, dabei in die Augen sehen kann? “Authentisch” ist das schlimme Wort, das jeder benutzt, wenn er über diese neue Generation von Nischenstars spricht oder schreibt, aber es muss irgendwas dran sein.

In einer wahnsinnig tollen Kritik eines Helene-Fischer-Konzertes tauchte mir mal dieser Gedanke auf, dass die Art von neuartiger Authentizität dazu führt, dass wir als Kulturkritiker diese Gebilde nicht mehr dekonstruieren können. Sie sind so echt und so roh, dass sie sich eigentlich jeder Kritik entziehen. Jede Kritik der Inszenierung wäre eine unfaire Ad-Hominem-Kritik. Und vielleicht ist genau das, was uns so unruhig macht, was uns sagen lässt “Was tun die da eigentlich und warum finden wir keine Maßstäbe dafür?” genau jenes, was ihre Fans mögen. Wir sind nicht diese Fans. Das müssen wir aber auch nicht sein.

Bild via Wikimedia Commons