Bild: Warner Bros.
Rock. Man möchte meinen, mit einem Soundtrack von Bon Jovi bis Foreigner und dem Wort “Rock” im Titel, habe Adam Shankmans 80er-Jahre-Revival genug Fels um die Pyramiden von Gizeh in Lebensgröße neu aufzuschütten. Doch neu arrangiert im bombastischen “Night of the Proms”-Stil, überschüttet mit Synthesizern und Kompression, dargeboten von Stimmen der Castingshow-Generation, scheint jede noch so kleine Scharte der Originalsongs abgewetzt. “Wanted: Dead or Alive” ist damit eindeutig nur noch eins: dead.
Musical-Feeling. Gar nicht so dumm wäre es, zu hoffen, dass dieser zuckrige Überzug wenigstens für eine ordentliche Portion Broadway-Glamour sorgt. Aber irgendwann muss jemand mal festgestellt haben, dass man selbst auf ein Mashup von “I love Rock and Roll” und “Hit me with your best shot” nur schwer tanzen kann. Die Folge: Lahme bis nicht vorhandene Choreografien, die im Schnittchaos verdient untergehen. Wenn Busby Berkeley das noch erleben könnte …
Sex. Regelmäßig fällt dieses Wort in “Rock of Ages”. Als Anklagepunkt der von Catherine Zeta-Jones angeführten Protesttruppe, als Essenz seines Erfolgs aus dem Mund von Tom Cruises Tyler-Rose-Jovi-Amalgam Stacee Jaxx.* Doch selbst in der explizitesten Beischlafszene des Films muss die von Malin Akerman gespielte Rockjournalistin ihren BH anlassen. Das Spießertum, das Shankman noch im John-Waters-Musical Hairspray so treffend wie komisch anprangerte, hat in Rock of Ages obsiegt. Mothers, no need to hide your daughters, es ist nur eine weitere, mit Retropaste überzogene Franchisefolge von High School Musical. Typisch dafür, wie wenig ernst der Film Sex überhaupt nimmt, auch dieser Dialog: “Ich arbeite als Stripperin in einer Bar.” – “Ich bin Mitglied einer Boyband.” – “Okay, du hast gewonnen.”
Nostalgie. Die Haare, die Klamotten, die backsteingroßen Telefone, die Songs: Wie Archäologen, die versuchen, eine untergegangene Zivilisation aus deren Artefakten zu rekonstruieren, haben die Filmemacher alles zusammengetragen, was vermeintlich die Ära ausmachte, in deren überhöhter Version ihre Geschichte spielt. Die Aura dieser Ära jedoch – dreckiger, düsterer und dennnoch irgendwie schöner – haben sie irgendwo am Wegesrand vergessen. Übrig bleibt nur das übliche Zeichen ohne Bezeichnetes und ein ebenso leeres Gefühl in den limbischen Systemen der Zuschauer.
Eine Seele. Journeys “Don’t stop believing” ist gewissermaßen Drehbuchgrundlage (“Just a small town girl …”) und zentrale Hymne dieses Films, der sich anschickt, die wahre Religion des Rock vor den dunklen Mächten des Pop zu bewahren. Doch woran soll man noch glauben, wenn die selbsternannten Priester längst selbst einen Deal mit dem vermeintlichen Teufel geschlossen haben und eine unverhohlene filmische Manifestation von “The Man” als Neues Testament darreichen. Dann lieber zum zehnten Mal This is Spinal Tap gucken. Dort wird der bizarre Pomp und Circumstance jener Spätauswüchse des Rock ‘n’ Roll auch lächerlich gemacht, aber er wird wenigstens ernst genommen. Wie heißt es in “Don’t stop believing”? “Some were born to sing the blues.” Ja, und andere halt nicht.
*Cruise, der als reale Persönlichkeit mindestens genauso umstritten ist wie seine Filmfigur Stacee Jaxx, ist das einzig Sehenswerte an Rock of Ages. In seinen Szenen schillert manchmal für Sekundenbruchteile etwas von der Hassliebe durch, die man zu 80s-Bombastorock gefälligst zu pflegen hat.