Vier Filme, Vier Regisseure – Wieviel Autorenschaft verträgt ein Franchise? (mit Infografik)

© 20th Century Fox

Weil Franchise-Filme immer mehr den Mainstream-Hollywood-Betrieb übernehmen, stellt sich zunehmend die Frage, inwiefern Regisseure mit einer deutlichen individuellen Handschrift in das System hineinpassen. Schließlich versuchen die großen Studios seit der Blockbuster-Ära immer wieder, “besondere” Regisseure für ihre Filmreihen zu gewinnen, um aus einem generisch erscheinenden Instrument einzigartige Noten herauszukitzeln.

Solche Experimente können gelingen. Manch ein Regisseur scheint so gut zu einem Franchise zu passen, dass man es zeitweise ganz und voller Enthusiasmus mit seinem Stil identifiziert – man denke an die Batman-Filme von Tim Burton und Christopher Nolan oder die Bourne-Episoden von Paul Greengrass. Es gibt Fälle, bei denen einzelne Filme aus einer Reihe positiv herausstechen, gerade weil sie individuell gefärbt sind – Alfonso Cuaróns Harry-Potter-Beitrag.

Sie können aber auch nach hinten losgehen. Marc Forster und das James-Bond-Franchise waren in Quantum of Solace bespielsweise eindeutig kein gutes Paar. Und auch über die Chemie von Ang Lee und Hulk lässt sich sicherlich diskutieren.

Interessant ist, dass uns die Filmgeschichte gleich zwei langlebige Franchises geschenkt hat, denen kein einzelner Regisseur seinen Stempel aufdrücken konnte. Im Gegenteil: Ihr Merkmal ist es beinahe geworden, dass sie versuchen, ihr Quellenmaterial mit jeder Folge durch neue Augen zu sehen – und durchaus nicht durch irgendwelche Augen. Sowohl Alien als auch Mission: Impossible bestehen (bisher) aus jeweils vier Filmen, inszeniert von vier Regisseuren, die meisten von ihnen namhaft und innerhalb des Hollywoodsystems auch als “Autoren” anerkannt.

Mich interessierte, ob man die individuelle Prägung eines Films mit dessen finanziellen Erfolg korellieren kann. Und ich nehme es gleich vorweg: die relativ banale Antwort lautet Nein. Während dem Alien-Franchise zuviel Autorenschaft eindeutig geschadet hat, konnte Tom Cruises Actionfilmserie mit ihrem untypischsten Film am meisten Geld scheffeln:

Auf der Y-Achse der Grafik findet sich das US-Einspielergebnis der jeweiligen Filme, hochgerechnet auf heutige Ticketpreise. Auf der X-Achse ein von mir vergebener “Autoren-Index”, der ausdrücken soll, wie stark der Film von seinen Machern geprägt ist und wie speziell er sich dadurch anfühlt. (Update, 23.9.: Der Index ist mit Humor zu nehmen)

Aber der Reihe nach:

Der Prototyp

Grundsätzlich sollte man festhalten, dass Franchising nur dann möglich scheint, wenn der Ursprungsfilm nicht schon so speziell ist, dass man sich schwer vorstellen kann, den Stoff in eine neue Richtung zu drücken. Dass aus David Lynchs Dune nie eine Filmserie wurde, ist sicher kein Zufall.

Sowohl Ridley Scotts Alien als auch Brian De Palmas Mission: Impossible besitzen genug Individualität, um aus dem Einheitsbrei Hollywoods herauszustechen, sie gehören aber beide nicht unbedingt zu den persönlichsten Filmen der beiden Regisseure. Alien ist etwa längst nicht so introspektiv wie Blade Runner und Ridley Scott noch relativ unerfahren. Und Brian De Palma hatte gerade mit Carlito’s Way quasi Scarface II gemacht und war vielleicht ganz froh, mal wieder einen richtigen Hollywood-Mainstream-Film zu inszenieren.

Beide Filme trafen jedenfalls eine Art Sweet Spot, der sie nicht nur zu großen Geldmaschinen machte, sondern auch zu Startrampen für erfolgreiche Fortsetzungen.

Der Topper

Die Fortsetzung muss immer größer sein als das Original. Auch in diesen beiden Franchises trifft diese Regel gnadenlos zu. James Cameron machte aus Scotts klaustrophobischem Horrorthriller ein gigantisches Science-Fiction-Action-Spektakel und schuf damit den in Fankreisen wohl beliebtesten, weil (sind wir mal ganz ehrlich) wichsvorlagigsten Film der Serie (nicht sexuell, nur in Sachen Ballerei und genereller Badassery). Und John Woo drehte in M:I-2 einfach alle Verstärker auf Elf und verwandelte De Palmas Spionage-Vexierspiel in ein relativ sinnfreies Explosionsfest mit Tauben.

Beide Filme gehören zu den bestverdienensten Instanzen ihrer Serien, doch dahinter scheint mir eher die positive Erwartungshaltung an eine Fortsetzung zu liegen als individueller Stilwille. Denn während De Palmas Film eindeutig eine deutliche Abkehr vom Prototypen darstellt und sogar dem Protagonisten einen völlig neuen Look verpasst, ist Camerons Anpassung subtiler und vor allem auf der thematischen Ebene zu finden.

Der Mutige

Wenn man als Filmstudio zweimal hintereinander erfolgreich war, scheint sich beim dritten Mal der Drang breitzumachen, etwas Neues zu versuchen. Bei den beiden Franchises in diesem Artikel führte das jeweils zu einem deutlich erfolgloseren, vielleicht aber auch zum interessantesten Film der Serie.

David Finchers Alien 3 ist mittlerweile einer dieser Legendenfilme. Der erste Spielfilm eines mittlerweile als genial verehrten Regisseurs, der im Kampf um die kreative Kontrolle zerrieben wurde. Für eine Neubewertung lohnt es sich, den Videoessay “The Unloved” anzusehen und ich persönlich liebe seinen Stil, doch es lässt sich nicht abstreiten, dass der Film innerhalb des Alien-Kosmos nur bedingt funktioniert.

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Mission: Impossible 3 ist ebenfalls ein Spielfilmdebüt, und zwar von J. J. Abrams. Abrams kam vom Fernsehen und ist hier eindeutig noch auf Bewährung – seine inzwischen legendären Lens Flares etwa sind sehr spärlich eingesetzt. Ähnlich wie Cameron bei Aliens schafft es Abrams aber, sich der Serie inhaltlich überzustülpen. Das Kurtzman-Orci-Abrams-Drehbuch ist eine typische Mystery Box, gleichzeitig ist Ethan Hunt hier erstmals ein Familienmensch (eigentlich ungewöhnlich für eine so chamäleonhafte Figur) und sein Gegenspieler ist ein nihilistischer Businessman/Killer.

Der Vierte

Ein Franchise muss schon sehr erfolgreich sein, damit es auf vier Filme kommt. In den hier untersuchten Fällen entschied der vierte Film darüber, ob es weitere Fortsetzungen geben würde – wie im Fall von Mission: Impossible oder ob nicht eher ein Reboot angesagt wäre, wie bei Alien.

Alien: Resurrection ist eine so merkwürdige Kreatur, wie man sie nur selten findet. Die Markenzeichen von Drehbuchautor Joss Whedon und Regisseur Jean-Pierre Jeunet springen einen geradezu an. Die Einstellungen, Farbwelten und das Knautschgesichter-Casting von Jeunet; die Dialogzeilen und Figurenkonstellationen von Whedon. Aus der Schizophrenie von Drehbuch und Regie – Whedon hat mehrfach öffentlich erklärt, dass Jeunet seine Worte völlig falsch interpretiert hat – ergibt sich eine zwar filmwissenschaftlich interessante Spannung, aber leider kein wirklich guter Film, der entsprechend auch an den Kinokassen völlig versagte.

Während Alien also immer seltsamer wurde, ging Tom Cruise den Weg der Konsolidierung. Ghost Protocol, der vierte der Mission-Filme, ist vor allem solide. Brad Bird in seinem ersten Realfilm kadriert und erzählt präzise, sorgt für einige spektakuläre Setpieces und schafft damit einen gelungenen Actionthriller, aber “besonders” ist der Film eher nicht. Das wichtigste aber: er war erfolgreich genug, um einen fünften Film hervorzubringen. Mission: Impossible 5 unter der Regie von Christopher McQuarrie soll nächstes Jahr ins Kino kommen.

Alien hingegen kehrte mit Prometheus schließlich an seine Wurzeln zurück – zu Regisseur Ridley Scott und zu einer Zeit vor dem ersten Film. Das Ergebnis war durchwachsen. Sigourney Weaver, die ähnlich wie Tom Cruise irgendwann die treibende Kraft hinter den Filmen wurde, hat zum Ausdruck gebracht, dass sie Ellen Ripley gerne noch ein würdigeres Ende verschaffen würde. Sie müsste nur den richtigen Regisseur dafür finden. Die Frage bleibt aber: Wieviel Individualismus braucht es dafür?

5 Dinge, die Rock of Ages nicht hat

Tom Cruise als Stacee Jaxx in Rock of Ages

Bild: Warner Bros.

Rock. Man möchte meinen, mit einem Soundtrack von Bon Jovi bis Foreigner und dem Wort “Rock” im Titel, habe Adam Shankmans 80er-Jahre-Revival genug Fels um die Pyramiden von Gizeh in Lebensgröße neu aufzuschütten. Doch neu arrangiert im bombastischen “Night of the Proms”-Stil, überschüttet mit Synthesizern und Kompression, dargeboten von Stimmen der Castingshow-Generation, scheint jede noch so kleine Scharte der Originalsongs abgewetzt. “Wanted: Dead or Alive” ist damit eindeutig nur noch eins: dead.

Musical-Feeling. Gar nicht so dumm wäre es, zu hoffen, dass dieser zuckrige Überzug wenigstens für eine ordentliche Portion Broadway-Glamour sorgt. Aber irgendwann muss jemand mal festgestellt haben, dass man selbst auf ein Mashup von “I love Rock and Roll” und “Hit me with your best shot” nur schwer tanzen kann. Die Folge: Lahme bis nicht vorhandene Choreografien, die im Schnittchaos verdient untergehen. Wenn Busby Berkeley das noch erleben könnte …

Sex. Regelmäßig fällt dieses Wort in “Rock of Ages”. Als Anklagepunkt der von Catherine Zeta-Jones angeführten Protesttruppe, als Essenz seines Erfolgs aus dem Mund von Tom Cruises Tyler-Rose-Jovi-Amalgam Stacee Jaxx.* Doch selbst in der explizitesten Beischlafszene des Films muss die von Malin Akerman gespielte Rockjournalistin ihren BH anlassen. Das Spießertum, das Shankman noch im John-Waters-Musical Hairspray so treffend wie komisch anprangerte, hat in Rock of Ages obsiegt. Mothers, no need to hide your daughters, es ist nur eine weitere, mit Retropaste überzogene Franchisefolge von High School Musical. Typisch dafür, wie wenig ernst der Film Sex überhaupt nimmt, auch dieser Dialog: “Ich arbeite als Stripperin in einer Bar.” – “Ich bin Mitglied einer Boyband.” – “Okay, du hast gewonnen.”

Nostalgie. Die Haare, die Klamotten, die backsteingroßen Telefone, die Songs: Wie Archäologen, die versuchen, eine untergegangene Zivilisation aus deren Artefakten zu rekonstruieren, haben die Filmemacher alles zusammengetragen, was vermeintlich die Ära ausmachte, in deren überhöhter Version ihre Geschichte spielt. Die Aura dieser Ära jedoch – dreckiger, düsterer und dennnoch irgendwie schöner – haben sie irgendwo am Wegesrand vergessen. Übrig bleibt nur das übliche Zeichen ohne Bezeichnetes und ein ebenso leeres Gefühl in den limbischen Systemen der Zuschauer.

Eine Seele. Journeys “Don’t stop believing” ist gewissermaßen Drehbuchgrundlage (“Just a small town girl …”) und zentrale Hymne dieses Films, der sich anschickt, die wahre Religion des Rock vor den dunklen Mächten des Pop zu bewahren. Doch woran soll man noch glauben, wenn die selbsternannten Priester längst selbst einen Deal mit dem vermeintlichen Teufel geschlossen haben und eine unverhohlene filmische Manifestation von “The Man” als Neues Testament darreichen. Dann lieber zum zehnten Mal This is Spinal Tap gucken. Dort wird der bizarre Pomp und Circumstance jener Spätauswüchse des Rock ‘n’ Roll auch lächerlich gemacht, aber er wird wenigstens ernst genommen. Wie heißt es in “Don’t stop believing”? “Some were born to sing the blues.” Ja, und andere halt nicht.

*Cruise, der als reale Persönlichkeit mindestens genauso umstritten ist wie seine Filmfigur Stacee Jaxx, ist das einzig Sehenswerte an Rock of Ages. In seinen Szenen schillert manchmal für Sekundenbruchteile etwas von der Hassliebe durch, die man zu 80s-Bombastorock gefälligst zu pflegen hat.