Unsortierte Gedanken – Juni 2025 (2)

Blog as if no one is watching

In Arbeitskontexten wird viel Material produziert. Als jemand, der viel im öffentlichen Sektor gearbeitet hat, kenne ich vor allem die Textschlachten von Anträgen und Projektberichten. Vor kurzem habe ich aus dem Beratungsbereich den gräßlichen Ausdruck “Slides schrubben” gelernt, also das Produzieren von vielen Folien für Powerpoint-Decks.

Dahinter steckt leider ganz oft die Simulation von Produktivität, um Rechenschaft abzulegen. Es wird viel Zeit und werden viele Phrasen darin versenkt, dem Geschäftspartner zu beweisen, dass sein Geld sinnvoll angelegt ist, weil ja viel produziert wurde, und seien es nur Worte.

LLMS erleichtern genau diese eigentlich leere Arbeit. Sie können aus Stichpunkten und anderem Rohmaterial viel schneller Texte in der verlangen Form produzieren als ein Mensch das könnte. Meine These ist aber: Die genannten Texte und Präsentationen werden genauso ungerne gelesen wie sie geschrieben werden. Es ist also davon auszugehen, dass die Empfänger die erhaltenen Dokumente ihrerseits wieder in ein LLM werfen und sie sich von diesem zusammenfassen lassen.

Die eine Seite lässt schreiben, die andere lässt lesen. Ist das die Zukunft des Berichtswesens? Oder war das im Grunde schon immer so, es wird nur jetzt erst sichtbar. Ich frage mich vor allem: Was sagt es über die “wahre” und “notwendige” Form von Informationen aus? Wann werden wir aufhören, Informationsgehalt durch Masse zu ersetzen?

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Ich habe festgestellt, dass ich eine merkwürdige Liebe für Songs habe, die sich selbst beschreiben. Meine früheste Erinnerung ist “Memphis Soul Stew” von King Curtis (wenn auch in der Version “Springfield Soul Stew” vom kuriosen Musikalbum der Simpsons), das seine Instrumentalparts wie Zutaten in einem Kochrezept beschreibt (“give me about half a teacup of bass”). Ich höre auch immer wieder gerne Music Instructor’s Cover von Ultravox’ “Hymn”, das genau beschreibt, wie es gemacht ist (“Let’s see how it sounds when we pitch it five notes up”).

Ein weiteres Beispiel: der Song “Poppa’s Blues” aus Andrew Lloyd Webbers Starlight Express, dessen erste zwei Zeilen “The first line of the blues is always sung a second time” lauten. Oder auch den großartigen “Fountains of Wayne Hotline” von Robbie Fulks, in dem der Erzähler die titelgebende Nummer anruft, um sich bei der Komposition helfen zu lassen (“Get a split bar of 4 in there, and push the one. and then we’ll slather the holy hell out of the thing with a semi-ironic Beach Boys vocal pad”). Die Ärzte spielen mit diesem Werkzeug auch immer mal wieder, zum Beispiel im Song “Richtig schön evil” (“Lass dich nicht so häng’ / dies ist der Refrain / richtig schön evil, abartig und pervers / wird’s erst wieder im Vers”).

Kennt ihr noch mehr solche Songs? Es gibt sicher dutzende.

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Ich habe Alanis Morissette live gesehen, Open Air in der Zitadelle in Berlin Spandau. Das Konzert war sehr schön, denn Alanis Morissettes Musik bedeutet mir viel, aber ich habe auch wieder mal gemerkt, dass ich Konzerte dieser Größe nicht leiden kann, insbesondere Open Air. In der Rückschau (Queen bei Live Aid, Robbie Williams in Knebworth) wirken sie immer beeindruckend, aber vor Ort bekommt man, wenn man nicht ewig vor Beginn da ist, einfach nur matschigen Sound mit wummernden Bässen und fehlenden Mitten und keinerlei echte Verbindung zwischen Künstler:in und Publikum, was nach meinem Dafürhalten immer noch der Zweck von Konzerten sein sollte.

Das liegt nicht nur an den Künstler:innen, die mit Kameras statt mit Menschen interagieren und auf ihren riesigen Bühnen so verloren wirken, dass jede Menge Visuals im Hintergrund aufgefahren werden müssen, um von dieser Tatsache abzulenken. Auch Teile des Publikums sind (vor allem bei Mainstream-Künstlern, wenn sie nicht gerade ihre drei größten Hits spielen) zwischendurch über lange Strecken mit anderen Dingen beschäftigt. Irgendwie schade.

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Ich habe Aiki Miras (gerade noch) neuesten Roman Proxi gelesen, eine “Endzeit-Utopie”, jüngst ausgezeichnet mit dem Kurd-Laßwitz-Preis, die mir wie schon zuvor bei Neongrau auf der Ideen-Ebene sehr gut gefallen hat, aber mit deren Sprache ich gekämpft habe.

Postapocalypse Now!

Photo by frank mckenna on Unsplash

Ich habe angefangen, Nevil Shutes Roman On the Beach von 1957 zu lesen, und die ersten Kapitel begeistern mich. Sie zeigen einen postapokalyptischen Alltag, den ich so viel interessanter finde, als alles andere, was ich bisher gesehen habe.

Das Setting des Buchs: Die Nordhalbkugel hat sich per nuklearem Krieg gegenseitig ausgelöscht, aber in Australien sind keine Raketen gelandet und deswegen geht dort das Leben vorerst relativ normal weiter. Strom wird aus Kohlekraft erzeugt, nur Öl gibt es nicht mehr. Also fahren die Menschen seit einigen Jahren kein Auto mehr, sondern Zug, oder sie sind wieder auf Pferdekarren und Fahrräder umgestiegen.

Alle erwarten, dass der Fallout schon irgendwann auf die Südhalbkugel driften wird und auch in Australien alles vergiftet, aber das dominante Gefühl ist ein “neues Normal”. Amerikanische Soldaten, die zufällig in Australien stationiert waren, und jetzt ihrer Heimat und ihren verstorbenen Frauen hinterherweinen, werden eher als nerviges Ärgernis gesehen.

Das typische postapokalyptische Setting von Mad Max bis The Walking Dead gefällt sich eher darin, die Menschen auf ein urtümliches Niveau zurückzuwerfen, um zu verhandeln, ob unsere Spezies im Kern sozial oder eigennützig ist. Solche Szenarien eignen sich auch dafür, individuellen Heroismus wieder stärker ins Zentrum zu rücken und spannende Abenteuergeschichten zu erzählen. Als alternatives postapokalyptisches Setting ist im digitalen Zeitalter noch das Matrix-Szenario dazugekommen: Die Menschheit entflieht ihrer desolaten realen Welt durch fantastische virtuelle Welten.

Ich habe noch nicht viel Cli-Fi gelesen, aber gerade im Jugendbuch wird die Welt nach der Klimakatastrophe häufig eher als Kulisse für die genannten Abenteuergeschichten genutzt.. So verhält es sich etwa bei Sarah Raischs All That’s Left und bei Ursula Poznanskis Cryptos. Auch Paolo Bacigalupis The Windup Girl hat zwar ein sehr fantasievolles Worldbuilding, erzählt aber im Kern eine klassische Sci-Fi-Geschichte. Kim Stanley Robinsons The Ministry for the Future hat noch einmal einen anderen Ansatz und schreibt die Chronik der abgewendeten Katastrophe, oft eher aus der Vogelperspektive.

Die vergangenen Jahre haben eines noch einmal deutlich gezeigt: Wenn es wirklich zur Katastrophe kommt, egal ob durch Klima oder Atomkrieg, werden die meisten Menschen versuchen, ihr bisheriges Leben so nahtlos wie möglich aufrechtzuerhalten, bis es zu spät ist. Dieser Limbus-Zustand einer unverbesserlichen Menschheit, zu träge für echte Veränderungen, fasziniert mich.

Ich würde gerne mehr aus solchen Zwischenzukünften lesen, in denen die Welt leicht verschoben ist, aber die Menschen sich einfach an ein neues Normal angepasst haben. Wie eben während einer Pandemie, eines Extremwetter-Zeitalters oder während einer Energiekrise. Wir befinden uns schon fast in einer postapokalyptischen Welt. Wenn wir in ein paar Jahren die Gradziele des menschgemachten Klimawandels gerissen haben, werden wir dort endgültig angekommen sein. Und es wird eben keine Mad Max-Wüstenei sein, sondern die gleiche Erde wie zuvor, nur deutlich unangenehmer.

Ich habe erst wenige Kapitel von On the Beach gelesen und weiß noch nichts darüber, wie das Buch weiter- und ausgehen wird. Angesichts der Tatsache, dass die Hauptfigur ein Marineoffizier ist, der drauf und dran ist, in einem U-Boot aufzubrechen, befürchte ich Schlimmes und Tragisches. Aber der Anfang dieses 65 Jahre alten Romans beschreibt das Gefühl unserer nahen Zukunft besser als alles, was ich bisher kannte. Plus ça change.

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