Mein Kind ist inzwischen in dem Alter, wo wir ihm zutrauen, auch mal ganze Filme zu schauen. Einer davon, der zuvor auch schon per Buch und Soundtrack ausführlich vorbesprochen wurde ist Moana (2016), der außerhalb der USA Vaiana heißt, von John Musker und Ron Clements aus dem Hause Disney. Beim erneuten Sehen fiel mir etwas auf, und als ich den Film bei Letterboxd loggen wollte, stellte ich fest, dass es mir schon beim ersten Mal aufgefallen war. Es ist eine der großen Stärken des Films: Moana hat einen sehr geradlinigen Heldenreisen-Quest-Plot.
Moana ist die Nachfolgerin des Chiefs auf einer pazifischen Insel. Das einst fischreiche Riff der Insel wird immer weniger ergiebig, aber die Inselbewohner weigern sich, sie zu verlassen. Moana, die sich seit ihrer jüngsten Kindheit vom Ozean angezogen fühlt, findet heraus, dass ihre Vorfahren Seefahrer waren, die von Insel zu Insel zogen, unter dem Segen der Fruchtbarkeitsgöttin Te Fiti. Doch seit der Halbgott Maui auf einem seiner Diebeszüge Te Fitis “Herz” stahl und den Feuerdämon Te Ka gegen die Inselbewohner aufgebracht hat, sind die Ozeane nicht mehr sicher. Gegen den Willen ihres Vaters macht sich Moana auf einem Boot auf, um Maui zu finden und das Herz zurückzubringen. Der Ozean hilft ihr dabei und lässt sie trotz Unbeholfenheit nicht ertrinken. Maui stellt sich als großmäuliger Egoist heraus, der keinen Bock auf die Mission hat und Moana nicht als ebenbürtig akzeptiert. Doch in einer Reihe von Konfrontationen, unter anderem mit einer riesigen Krabbe, die Mauis magischen Fischhaken gestohlen hat, beweist sie ihren Mut. Gemeinsam reisen sie zu Te Ka und erkennen, dass sich hinter dem Dämon die aus dem Gleichgewicht gebrachte Te Fiti verbirgt. Sie geben das Herz zurück und heilen Te Fiti. Moana kehrt als erfahrene Seefahrerin zu ihrem Clan zurück und beginnt ein neues Zeitalter der Seefahrerei.
Es ist in den vergangenen 30 Jahren extrem aus der Mode gekommen, solche einfachen Plots, die einst als der heilige Gral der Drehbuchstruktur galten, eins zu eins umzusetzen. So einfach kann man es sich ja nicht mehr machen, ist schließlich einer der Leitsätze der Postmoderne. Deswegen gehört heutzutage in den Werkzeugkasten der Plotstrukturen mindestens eine unvorhersehbare Wendung, die alles bisher geglaubte auf den Kopf stellt, oder – noch wichtiger – ein deutliches Hinterfragen der Held*innen-Figur. Diese darf längst nicht mehr einfach “auserwählt” sein, stattdessen gehört die gesamte psychologische Komplexität des Freien Willens gründlich hinterfragt.
Cleverness als Formel
Ich will nicht sagen, dass ich das schlecht finde. Es war in den 1990er Jahren an der Zeit dafür. Inzwischen ist die Cleverness bezüglich des Quest-Plots aber auch selbst schon zu einer Formel geworden. Man kann inzwischen fest davon ausgehen, dass wann immer Filme im ersten Akt etablieren, dass irgendetwas vorherbestimmt ist, sich im dritten Akt sicher zeigen wird, dass alles ganz anders ist – die wahre Liebe, etwa, die Prinzessin Anna rettet, ist nicht die eines Mannes, sondern die ihrer Schwester Elsa. Gleichzeitig haben die Filmemacher*innen aber häufig keine wirklich gute oder klare alternative Aussage, verstricken sich in Wischi-Waschi-Relativitäten oder müssen die Glaubwürdigkeit der Handlungsentwicklung sehr auf die Probe stellen, um an dem Punkt anzukommen, den sie erreichen wollen. An manchen Stellen scheint die Subversion der Erwartungen wichtiger geworden zu sein, als die Folgerichtigkeit der Handlung.
Worauf ich hinauswill: Ein traditioneller Quest-Plot ist verdammt befriedigend. Es gibt einen klaren Auftrag. Es gibt Proben, die bestanden werden wollen. Es gibt eine klare Auflösung. Es gibt dennoch immer auch Überraschungen. Natürlich verschiebt sich das Ziel des Auftrags zwischendurch. Verbündete stellen sich als Gegner heraus und umgekehrt. Te Ka ist kein Dämon, sondern nur die Herz-vermissende Te Fiti. Doch am Ende ist die Mission erfüllt und Held*in und Welt verändert. Mir ist klar, dass das mit Blick auf unsere Welt nicht sehr realistisch ist, aber es sorgt für eine deutlich befriedigendere Geschichte.
Eine Geburtstagstorte für Mando
Bei der aktuellen Staffel The Mandalorian, deren vierte Folge, die heute erscheint, ich noch nicht gesehen habe, hat mich der ähnlich simple Plot, der seit Folge 1 gesponnen wird, hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Irritation. Er erinnerte mich ein wenig an das Kinderbuch Eine Geburtstagstorte für die Katze, das aber auch nur eine alte Formel variiert: Petterson will Kuchen backen, stellt fest das er kein Mehl mehr hat. Also will er in die Stadt fahren, um neues zu holen, aber sein Fahrrad hat einen Platten. Um an das Flickzeug zu kommen, muss er in seinen Schuppen, doch der Schlüssel ist verschwunden. Um an den Schlüssel zu kommen, muss er einen Stier ablenken, der im Weg steht usw. Jedes Hindernis gebiert in seiner Überwindung ein neues. Am Ende jedoch lässt sich die ganze Kette zurückverfolgen und der Kuchen wird gebacken.
So ähnlich kommt es mir bei Mando auch vor. Er will nach Mandalore, um in den Quellen zu baden, doch der Planet ist verseucht. Also braucht er einen Roboter, doch dessen Schaltkreise sind kaputt. Also braucht er neue Schaltkreise, doch die gibt es nicht mehr. Am Ende von Folge 3 hatte er es mit einigen Hindernissen tatsächlich geschafft, in den Quellen zu – naja – baden. Der Auftrag ist eigentlich erfüllt, doch dahinter steht natürlich der größere Auftrag, die Mandalorianer wieder zu vereinen. Wird The Mandalorian seinen Quest-Plot fortsetzen? Oder wird alles noch viel komplizierter?