Das neue Watchever studivzettelt sich

Sie hatten es mit viel Tamtam Anfang der Woche angekündigt und heute haben Sie ernst gemacht. Der Video-on-Demand-Anbieter Watchever, so die Pressemitteilung, “präsentiert sich ab heute im neuen Gewand”. Allerdings riecht dieses neue Gewand ziemlich stark nach Kathodenstrahlröhren und graubraunen Lerchenberger Fluren. Denn die große Innovation ist ausgerechnet genau jenes Problem des traditionellen Fernsehens, dessen sich die Menschheit mit Video on Demand endlich entledigt hatte: Kanäle!

Das neue WATCHEVER macht Videostreaming ab sofort zu einem noch größeren Vergnügen, indem es vorerst 25 speziell zusammengestellte Kanäle mit vielen neuartigen und optimierten Funktionen vereint. Zugeschnitten von renommierten Partner-Studios (unter anderem CBS, BBC, Disney und ZDF Enterprises) sowie dem Expertenteam von WATCHEVER, unterstützen sie den Zuschauer beim Entdecken des vielfältigen Angebots. (Pressemitteilung)

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Fünfundzwanzig “speziell zusammengestellte Kanäle” von “unter anderem CBS, BBC, Disney und ZDF Enterprises”. Klingt für mich irgendwie verdächtig nach Fernsehen! Da haben sich Bewegtbildhinhalte nach Jahrzehnten der Gefangenschaft in Zeit- und Senderkontexten endlich aus allen Fesseln freigestrampelt und ein deutsches Unternehmen kommt an und versucht, den Dschinni zurück in die Flasche zu stecken.

Wie Netflix die Welt übernahm

Zum Rekapitulieren: Netflix beginnt 2008 damit, Filme nicht nur per DVD zu verschicken, sondern sie direkt zum Streamen im Netz anzubieten. Die Idee schlägt ein wie eine Bombe und löst bald das DVD-Verschicken als Kerngeschäft ab. Ja, Sie überlebt sogar den Versuch, die beiden Geschäftszweige zu trennen. Rund fünf Jahre später hat sich Netflix als Marktführer vor allem durch zwei Merkmale profiliert: einen hervorragenden Empfehlungsalgorithmus, der jedem Zuschauer und jeder Zuschauerin erstaunlich gut Filme empfiehlt, die sie mögen, sowie hochwertiger selbst produzierter und damit exklusiver Content, von House of Cards bis Orange is the New Black.

Nach dem Aufstieg von Netflix in den USA entsteht in Ländern wie Deutschland ein Vakuum. Zwar gibt es Streamingdienste wie Maxdome oder Videoload, diese bieten aber nicht den Komfort, die originären Inhalte oder den niedrigen Abonnementpreis, der von Netflix bekannt ist. In dieses Vakuum kracht 2013 Watchever, eine Tochter des französischen Medienkonzerns Vivendi, die erstmals ein Netflix vergleichbares Angebot in Deutschland schafft: Ein fester, günstiger Abopreis und eine komfortable Benutzeroberfläche, die auf den meisten Geräten funktioniert.

Allein, im Herbst 2014 hat Netflix endlich die finanzielle Sicherheit, Lizenzmasse und regulatorische Abnickung zusammen, um auch nach Deutschland zu expandieren. Watchever reagiert mit einer massiven Werbekampagne, doch es hilft nichts. Schon im Februar 2015 hat Netflix viermal so viele Nutzer wie Watchever, deren Marktanteil auf ein Zehntel des Wertes vor dem Netflix-Start gefallen ist. (Damals lag Watchever auch nur knapp hinter Amazon Prime Instant Video, die als Platzhirsch in Deutschland über 30 Prozent des Marktes beherrschen.) Wenn man sich die aktuelle Netflix-Plakatkampagne ansieht, ahnt man auch warum: Netflix bietet Inhalte, die es im Fernsehen nicht gibt. Vor allem Serien, die man bingewatchen kann. Und Watchever bietet jetzt – KANÄLE.

Das letzte Aufbäumen von StudiVZ

Mich erinnert diese Geschichte fatal an die letzten Atemzüge von StudiVZ. Die deutsche Seite stieß damals Mitte der Nuller Jahre ebenfalls in ein Bedürfnisloch jener Deutschen, die Facebook wollten, aber noch nicht haben konnten. Eine kurze Zeitlang konnten sich die Gründer feiern, doch als Facebook weltweit expandierte war ganz schnell Schluss mit lustig, StudiVZ verlor 80 Prozent seiner Nutzer und hat heute nur noch Liebhaberwert.

Doch ein letztes Aufbäumen gab es: Als Facebook seine Weltdominanz begann und StudiVZ seine Felle bereits davonschwimmen sah, warf es sich mit viel Bravura dem deutschen Medien- und Politikmarkt an den Hals. Wo zuvor Datenschutz und Kundenzufriedenheit eher belächelt wurden, verpflichtete man sich plötzlich zu heftiger Selbstkontrolle und versuchte sich etwa im Bundestagswahlkampf 2009 als Plattform politischer Meinungsbildung zu profilieren. “Wir sind das Social Network Made in Germany”, war die Botschaft. “Wir sind Anti-Facebook. Ihr könnt uns vetrauen und wir lassen uns auf euch ein.” Die Menschen wollten aber nicht Anti-Facebook, sie wollten Facebook.

Meiner persönlichen Einschätzung nach steht Watchever in Bälde etwas Ähnliches bevor. Weil sie mit Netflix und Amazon in Sachen schiere Marktmacht nicht mithalten können, versuchen sie sich zu profilieren, indem sie Anti-Netflix werden. Netflix wäre aber nicht so groß geworden, wenn die Leute Anti-Netflix gewollt hätten. Wer Video-On-Demand guckt, will keine Kanäle. Nur Fernsehsender – der Pressemitteilung nach zu urteilen Watchevers wichtigster Partner – wollen Kanäle. Und wer Kanäle will, schaut Fernsehen.

(Expandierte Version eines Facebook-Posts)

Alles auf einmal. Sofort! [Update: Mit Reaktion auf die “Creative Europe”-Zahlen]

Jakob Lass hatte Love Steaks, seinen »Mitte des Studiums«-Film an der HFF Potsdam, nicht zuletzt deshalb ohne Fördergelder gedreht, weil ihn der Bewilligungsprozess zu viel Zeit gekostet hätte. Nach dem Filmfest München im Sommer 2013, wo Love Steaks vier Preise gewann, war der Regisseur damit in der einmaligen Position, einen potenziell erfolgreichen deutschen Film in der Tasche zu haben, der in der Distribution an keine gesetzlichen Vorgaben gebunden war. »Es haben sich einige große Verleiher für den Film interessiert«, sagt Lass, »aber wir haben gedacht: Wir nutzen die Gelegenheit und bringen den Film selbst raus.« Love Steaks startete im März 2014 deutschlandweit mit 33 (digitalen) Kopien im Kino. Ursprünglich wollte Jakob Lass aber viel weiter gehen. Sein Plan war es, den Film mit dem Kinostart im Internet abrufbar zu machen.

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Update: In einem Eintrag auf Programmkino.de weist die Redaktion darauf hin, dass die Zahlen der “Creative Europe”-Studie, die sie “europe creative” nennt und die auch ich in meinem Artikel zitiere, mit Vorsicht zu genießen sind. Die Prozentzahlen aus der Pressemitteilung wirken nämlich nicht mehr so beeindruckend, wenn man die absoluten Zahlen dagegenhält. Speziell der zitierte Zugewinn von bis zu 181 Prozent bedeutet lediglich, dass ein Film 488 Kinobesucher hatte und 881 Downloads dazukamen. Als Zahl natürlich alles andere als repräsentativ. Ich gehe davon aus, dass folgendes Zitat aus der Meldung auch an mich gerichtet ist:

Diese außerordentlich positive Einschätzung aus Brüssel wird mittlerweile von zahlreichen Journalisten zitiert, verbunden mit Kritik an traditionellen Vertretern der Filmwirtschaft. Dabei machen sich diese Journalisten nicht einmal die Mühe, die Studie selbst zu lesen.

Ich muss mich in diesem Fall zu einem Bruch journalistischer Sorgfalt bekennen. Da die Studie erst sehr knapp vor Abgabe des Artikels erschien, habe ich sie tatsächlich nicht ganz gelesen und mich stattdessen auf die Zahlen der Pressemitteilung verlassen. Das war, wie ich jetzt einsehe, ein Fehler.

Mal ganz abgesehen davon, dass die Zahlen natürlich auch für andere Auslegungen kaum repräsentativ sind, ändern sie meiner Ansicht aber nichts an den anderen Sachverhalten, die der Artikel schildert und in dem die “Creative Europe”-Zahlen nur ein Rausschmeißer am Schluss sind. Von den Ereignissen rund um Love Steaks mal abgesehen, bei denen ich wirklich außer Sturköpfigkeit keine andere Motivation dafür feststellen konnte, dass hier ein interessantes Experiment mit merkwürdigen Methoden verhindert wurde (zumindest ist das meine Meinung nach den Gesprächen, die ich geführt habe): Wenn programmkino.de am Ende schreibt,

Bei allen Filmstarts waren die VoD-Downloads also tatsächlich so gering, dass man sich fragt, was die am Modellversuch beteiligten Filmverleiher und VoD-Portale mit der finanziellen Unterstützung in Höhe von 2 Mio. EUR angestellt haben. Mit dem Betrag hätten in Europa 20 Kinos mit einer Anschubhilfe von je 100.000 EUR wiederbelebt oder neu gegründet werden können.

zeigt sich eben doch nur wieder, dass auf Seite mancher Kinobetreiber einfach kein Wille dafür vorhanden ist, irgendetwas zu ändern. Sich hinterher hinzustellen und zu sagen: Haben wir doch eh gesagt, das Geld hättet ihr auch uns geben können, ist die wohlfeilste Methode unter den billigen Kritiken. Ich habe mich im Artikel bemüht, darzustellen, dass “Day-and-date”-Releasing weit davon entfernt ist, ein Allheilmittel zu sein, dem wir alle in die Arme rennen müssen. Aber es existiert und einige Menschen haben gute Erfahrungen damit gemacht, also muss man sich doch als Branche damit auseinandersetzen, vor allem, wenn man gegen die mächtigen Medienkonzerne aus den USA sowieso kaum eine Lobby hat.

Davon abgesehen kaufe ich die reine “Kinos sind wichtig, ohne Kinos wird Film dahinsiechen”-Argumentation, die gebetsmühlenartig in diesen Kontexten wiederholt wird, niemandem mehr ab. Und keine Branche hat einen Anspruch darauf, unverändert durch alle Zeitenwenden hindurch bestehen zu dürfen. Wie so oft empfehle ich ergänzend Rajko Burchardt.

Nicht alles für alle: Was Video-on-Demand-Portale bieten

Einige der heute größten Internetunternehmen – eBay etwa, Google, Facebook und sogar Amazon mit seinem Marketplace – verdanken einen erheblichen Teil ihres Erfolges nicht der Tatsache, dass sie selbst ein bemerkenswertes inhaltliches Angebot geschaffen haben. Sie haben Infrastrukturen gebaut, die es für Produzenten und Nutzer und für Nutzer untereinander einfacher machen, direkt miteinander in Kontakt zu treten, während die Unternehmen mit genau diesem Mittlerdienst ihr Geld verdienen. Das ist nicht überall gewollt – siehe Google und das Leistungsschutzrecht – aber so wird die Struktur des Netzes genutzt, in dem der Weg von A nach B immer gleich weit ist, nämlich exakt einen Klick.

Auch im VOD-Bereich wäre eine solche Infrastruktur genau das, wonach sich wahrscheinlich viele Nutzer sehnen: Ein riesengroßer Online-Video-Supermarkt, in dem man alles gucken kann, was digital existiert und es notfalls direkt vom Erzeuger kauft – wie man das heute im Internet gewohnt ist. Stattdessen kann Serie X nicht auf Portal Y geschaut werden, weil nur Portal Z (das man als Konsument vielleicht gar nicht kennt) die Lizenz besitzt, während Serie A völlig unerreichbar ist, weil Sender B noch darauf wartet, die Lizenz in Deutschland zu verkaufen.

Wer etwas Bestimmtes sucht, muss also im schlimmsten Fall sozusagen erst jeden Laden im Netz abklappern, um am Ende womöglich trotzdem mit leeren Händen dazustehen. Das sind genau jene Zustände aus analogen Zeiten, die das Internet eigentlich abschaffen könnte.

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Filme aus der Steckdose – zum Video-on-Demand-Markt in Deutschland

In einem Interview mit der “New York Times” sprach David Bowie 2002 davon, dass Musik sich in der Zukunft zu einem Gebrauchsgut wie Elektrizität oder Wasser entwickeln werde: etwas, von dem man selbstverständlich davon ausgeht, dass es jederzeit und überall verfügbar ist. Bei Filmen bahnt sich ein ähnlicher Trend an. Legale Streaming-Angebote wie Netflix, die Filme gegen Geld direkt aus dem Netz auf den heimischen Bildschirm beamen, machen als “große Jukebox im Himmel” in den USA bereits ein gutes Drittel des gesamten Internet-Traffics aus.

2012 könnte das Jahr sein, in dem das gleiche Modell langsam aber sicher auch in Deutschland Fuß fasst. Zumindest ist laut GfK der deutsche digitale Leih- und Kaufmarkt für Filme im vergangenen Jahr um rund 50 Prozent gestiegen und konnte damit sogar den gleichzeitigen Rückgang im Geschäft mit DVD und Blu-Ray ausgleichen.

Mittlerweile sind zwölf Prozent des gesamten Video-Leihmarktes digital, kommen also ganz ohne materielle Trägermedien aus. Immer größere Internetbandbreiten und die wachsenden Märkte für Tablet-Computer und sogenannte Smart-TVs, also Fernseher mit Internetanschluss, haben Video-on-Demand für immer mehr Konsumenten, mittlerweile rund 2,1 Millionen in Deutschland, zu einer echten, und vor allem: legalen, Alternative zur Videothek um die Ecke reifen lassen. Die Vorstellung ist ja auch bestechend: Wenn einen spontan die Lust auf einen Film überkommt, muss man nicht mehr auf Öffnungszeiten und begrenzte Sortimente Rücksicht nehmen, nicht mal mehr die Wohnung verlassen. Man wirft einfach Fernseher oder Computer an, bezahlt bargeldlos, und Minuten später flimmert der Wunschfilm über den Bildschirm.

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