Wie ich ganz alleine die deutsche Filmblogosphäre erschuf (Update: Mit Video)

Handyfoto: Christian Steiner, Second Unit

Den Folgenden “Lightning Talk” habe ich heute auf der re:publica-Konferenz im Rahmen der Media Convention gehalten. Nachhören kann man ihn bereits auf voicerepublic.com (ab Minute 11:30) ungefähr. Video folgt wahrscheinlich/hoffentlich bald gibt es auf YouTube. Gesprochen habe ich manche Sachen ein kleines bisschen anders ausgedrückt. Für die Folien suche ich mir noch einen Weg, sie zur Verfügung zu stellen. Überhaupt werde ich diesen Post in den nächsten Tagen noch “hübsch” machen.

Hallo. Als ich letztes Jahr hier war, hat mir mein Kollege Jannis Kucharz vom „Netzfeuilleton“ gesagt, die Essenz eines guten re:publica-Vortrags sei „Overpromise and Underdeliver“. Am Titel meines Talks könnt ihr sehen: Ich habe mir mindestens mal den ersten Teil zu Herzen genommen. Was den Rest angeht – das dürft ihr dann gleich beurteilen.

Die re:publica ist daran schuld, dass ich heute hier bin. Nicht nur, weil sie mich eingeladen haben, hier zu sprechen. Sondern weil ich in den letzten Jahren immer neidisch drauf geguckt habe. Auch auf die Menschen, die sich hier treffen. Die Netzgemeinde. Die Blogosphäre. Oder wie immer man das nennen will.

Von der re:publica ging immer so ein Gefühl von Gemeinschaft aus, das ich an meinem Ende des Internets nie so richtig gespürt habe. Ich habe in meinem Blog „Real Virtuality“ über Film gebloggt und ich wusste, dass es andere Menschen gibt, die auch über Film bloggen. Aber ich kannte diese Menschen nicht. Und ich fühlte mich nicht als Teil einer Gemeinschaft.

Wenn ich in die USA geschaut habe, hab ich gesehen, wie sich dort die Filmbloggerinnen und Blogger – die natürlich auch allesamt Nerds sind – alle gegenseitig zu kennen schienen. Sie machten Podcasts miteinander. Sie treffen sich auf Festivals. Sie sind sogar Teil einer „Online Film Critics Society“.

Und auch in Deutschland, zum Beispiel bei den Foodbloggerinnen, bei den Elternbloggern oder bei den Medienbloggerinnen, hatte ich immer das Gefühl, dass diese Menschen jeder für sich arbeiten, aber auch Teil einer Gemeinschaft sind. Und zwar einer Gemeinschaft, die sehr netzkulturspezifisch ist – durchaus auch in Abgrenzung von den Printschreibern, worüber ich jetzt hier gar nicht urteilen will.

Ich habe nicht nur Filmwissenschaft, sondern auch Publizistik studiert, also war mir klar, dass ich mich dem ganzen nur über eine Art Studie nähern kann. Ich hab deswegen vor zweieinhalb Jahren zehn Filmblogger interviewt und nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl gefragt. Das ganze habe ich dann in einem Artikel zusammengefasst, der als erste These hatte: Es gibt keine deutsche Filmblogosphäre.

Die Resonanz hat mich völlig überrollt. Am erstaunlichsten fand ich, dass die meisten mir zustimmten. Ich hatte unter anderem behauptet, dass es keine Leitmedien gibt, die von allen gelesen werden. Und dass es keine guten Aggregatoren gibt, mit denen man aufeinander aufmerksam gemacht werden kann. So bleibt jeder in einer sehr kleinen Blase gefangen. Wir interessieren uns nicht genug füreinander. Was auch bedeutet: Es interessiert sich auch sonst keiner für uns.

Unter anderem kam in der Diskussion auch auf, dass Deutschland einfach kein Filmland sei. Ich hatte das etwas anders ausgedrückt, und meine Vermutungen haben sich seitdem eigentlich nur bestätigt. Ich glaube, dass es unter den Menschen, die über Film bloggen, ein paar Grenzlinien gibt, die sie voneinander trennen. Es gibt nämlich manche, die Film sehr ernst nehmen. Die Film eher als Kunst wahrnehmen, die man auch so behandeln sollte. Und die deswegen auch eher abseits vom Mainstream ihr Futter suchen und den Mainstream auch so ein bisschen verachten. Und dann gibt es viele, die Film eher als Unterhaltung sehen. Die gerade den Mainstream feiern und bevorzugt bei großen Blockbustern ihren inneren Geek loslassen. Und denen die erste Gruppe ziemlich versnobt vorkommt.

Auf der anderen Seite gibt es jene, die das Bloggen nur zum Spaß betreiben, weil sie ein Ventil für ihre Gedanken gefunden haben. Und es gibt jene, die mit Film auch irgendwie ihr Geld verdienen und einen entsprechenden Professionalitätsgrad haben. Diese Profi-Amateur-Linie gibt es, glaube ich, nicht nur bei Filmblogs.

Gemeinsam führen die beiden Linien zu einem Koordinatensystem. Und in diesem Koordinatensystem kann man eigentlich jedes Filmblog in Deutschland ganz gut verorten.

Das hier sind nur die Blogs, die ich regelmäßig lese – woran man gut sieht, wo meine Interessen tendenziell liegen. Aber das alles bedeutet auch, dass Film – anders vielleicht als Essen oder Autos oder Social Media – selbst von Menschen, die sich damit befassen, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Einmal bitte Hand heben, wer in seinem Teil der Blogosphäre so ähnliche Linien wahrnimmt.

Foto: Thomas Wiegold, Augengeradeaus, CC-BY-NC 2.0

Jedenfalls: Nachdem ich alle Rückmeldungen gelesen hatte, fiel mir einer meiner Lieblingsaufsätze wieder ein, von dem bestimmt viele hier schon mal gehört haben. „The Strength of Weak Ties“ von Mark Granovetter, in dem im Grunde erklärt wird, warum lose Verbindungen zwischen Menschen für das Entstehen von Netzwerken so wichtig sind. Diese Weak Ties bilden nämlich die Brücke zwischen verschiedenen kleinen Gruppen mit Strong Ties und sorgen dadurch dafür, dass Informationen von außen leichter hineinfließen können.

Und plötzlich wurde mir klar, dass ich jetzt all diese Weak Ties besaß, weil fast jeder und jede meinen Artikel gelesen hatte. Es meldeten sich Menschen bei mir aus Filmblog-Ecken, die ich trotz meiner vorherigen Suche noch gar nicht wahrgenommen hatte.

Einzelne Bloggerinnen und Blogger fingen an, aktiv Orte zu schaffen, an denen sich Über-Film-im-Netz-Schreibende treffen konnten. Und weil persönliche Kontakte Zusammenhalt immer noch mal besser zementieren als Facebook-Gruppen – siehe re:publica – gab es auf der Berlinale 2013 auch das erste Filmblog-Treffen.

Immer wieder bekomme ich auch Rückmeldungen von Leuten die sagen:
„Bäh, Blogosphäre, brauche ich alles nicht.“
„Ich will nicht Teil einer Bewegung sein.“
„Wollt ihr mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“
„Leitmedium? Das klingt irgendwie nach Leitkultur.“
Und dann denke ich immer: Menno – ich will euch doch gar nichts vorschreiben, ich will doch nur, dass eure guten Texte gelesen werden. Aber ich habe auch einige Male ernsthaft daran gezweifelt, ob ich überhaupt das richtige will. Ob meine Vorstellung von Gemeinschaft vielleicht doch etwas zu sehr zu Gleichmacherei führen könnte.

Das geile ist aber, dass es gar nicht mehr an meinen Vorstellungen hängt. Das ganze Projekt hat längst eine Eigendynamik bekommen. Filmblogtreffen werden jetzt auch organisiert, ohne dass ich dabei bin, wie hier unten rechts auf dem Filmfest in München.

Eine Gruppe von Filmbloggern hier aus Berlin hat Themenmonate wie den #Horrorctober ausgerufen, denen sich inzwischen auch ganz viele Leute anschließen. Bei denen sie sogar von größeren Websites wie der VOD-Community MUBI unterstützt werden. Es springen zum Teil neue Aggregatoren aus dem Boden und alte werden neu wahrgenommen.

Trotzdem braucht die Filmblogosphäre weiter Pflege. Es braucht Zeit, bis die Linien nicht mehr als Grenzen verstanden werden, sondern als Achsen dieses Koordinatensystems, in dem wir uns alle bewegen. Ich bemühe mich deswegen, meine Weak Ties weiter zu knüpfen. Ich stelle in meinem Blog regelmäßig andere Ecken der Filmblogosphäre vor. Und an Orten wie hier werbe ich für uns Filmbloggerinnen. In der Hoffnung, dass ihr uns wahrnehmt. Und in der Hoffnung, dass wir uns öfter zusammentun, um mehr Einfluss zu haben.

Für mich hat in alledem aber eine wichtige Erfahrung gesteckt. Wer Gemeinschaft will, darf nicht darauf warten, dass sie von selbst entsteht. Wir müssen selbst diejenigen sein, die in der Blogosphäre, dier Netzgemeinde, wie immer man uns nennen will, die einzelnen Blasen zusammenfügen. Je größer wir unsere Blasen machen, desto besser. Und falls sich einer oder zwei, drei von euch mal in eurer Ecke des Netzes irgendwie isoliert fühlen, kann ich euch auch nur raten, eure eigene Blogosphäre zu schaffen. Für mich war es das beste, was ich bisher gemacht habe.

Und weil ich‘s versprochen habe. Als Finaler Twist hier meine Meinung zu Spoilern. Ja, man kann. Aber man muss nicht, wenn man seine Mitmenschen gern hat.

Ich bitte darum, die Position der einzelnen Blogs im Diagramm nicht überzubewerten. Danke.

Nachtrag, 8.5., 14.30: Mein T-Shirt stammt aus dem Merch-Store der Band 65daysofstatic, die zum Filmklassiker Silent Running vor drei Jahren einen neuen Soundtrack geschrieben haben (daher die Drohne aus dem Film mit der Zahl 65). Ich habe Keyboarder Paul Wolinski zu seiner Beziehung zur Science Ficion letzten Herbst interviewt.

Comicfilmsprache: Slow-Motion = Splash Page

Im Pewcast habe ich es schon einmal erwähnt: Ich glaube, Joss Whedon versucht in The Avengers: Age of Ultron die Bildsprache von Comics auf eine neue Art in die Bildsprache von Filmen zu übersetzen.

Whedon ist nicht der erste, der sich darum bemüht. Ang Lee hat in Hulk schon einmal versucht, Panels durch ungewöhnliche Schnitttechnik in Filmbildern zu spiegeln. Auch Zack Snyders Watchmen mit seinem “Motion Poster”-Vorspann und seinen snydertypischen Speed Ramps kann als ein Vorläufer gelten.

Eine der Techniken, mit denen Comics Handlung in Bilder übersetzen, sind die sogenannten Splash Pages und Spreads, in denen gerade in Action-Situationen der Leserin ein Gesamtüberblick über das Geschehen gegeben wird. Wie in einer Art Wimmelbild hat dabei meist jede Figur die Gelegenheit, ihre eigene kleine Aktion auszuführen oder sich zumindest gut in Pose zu werfen. Splash Pages findet man häufig am Anfang und am Ende von Heften, Spreads in der Mitte.

Whedon versucht nun in Age of Ultron mindestens zweimal, das Prinzip dieser Splash Pages, in denen man als Leser ein Festmahl für die Augen geboten bekommmt, in die Filmwelt zu übertragen, indem er komplexe Einstellungen montiert und diese in Zeitlupe ablaufen lässt. Nur durch die Zeitlupe hat man als Zuschauerin die Gelegenheit, alle Einzelposen und das Gesamtbild wahrzunehmen.

Der erste der beiden Shots war auch im Trailer zu sehen, stammt aus der Eröffnungssequenz und liegt glücklicherweise bereits als GIF vor.

Das Bild ist eindeutig aus mehreren Shots zusammenkomponiert – wenn es nicht sogar komplett digital ist. Im entscheidenden Moment verlangsamt es sich enorm, so dass man perfekt die unterschiedlichen Angriffsposen von Black Widow, Thor und Hawkeye im Hintergrund sowie Iron Man, Cap und Hulk im Vordergrund studieren kann (diese Reihenfolge sagt natürlich auch etwas über die Hierarchie der Avengers aus).

Das kann man jetzt zum Beispiel vergleichen mit diesem Spread aus dem “Infinity Gauntlet”-Comic, dessen Verfilmung uns ja noch bevorsteht.

© Marvel

Ein zweites Mal nutzt Whedon die Taktik im Endkampf gegen Ultron, als (SPOILER) die Avengers gemeinsam das zentrale Kontrollpanel gegen Ultrons Schergen verteidigen. Auch hier verlangsamt sich das Geschehen plötzlich und wir bekommen zu sehen, dass jeder der Avengers in seinem Quadranten gerade eine Kampfdrohne auf seine typische Weise ins Nirwana schickt.

[Nachtrag, 19.11 Uhr, Marvel hat den Shot für eine Promo auf Instagram genutzt]

Vergleichbar etwa mit diesem großen Panel aus “Age of Ultron”, dem Comic.

© Marvel

In gewisser Weise entwickelt Whedon damit auch seine berühmte Kreisfahrt aus dem ersten Teil weiter.

Wie immer, wenn ich Theorien über Comics habe, frage ich meinen befreundeten Comic-Experten Jochen Ecke um Rat. Der antwortete mir in mehreren Tweets:

Yep! Reveling in objects and bodies and their meaning and the emotions they evoke: sure is very splash pagey. Not the same, but close enough. Has its own advantages because it’s (occasionally) real bodies, real people. Impossible to replicate certain compositions and the complete lack of fixed duration in comics, though.

Für die Zukunft würde es mir völlig reichen, einen großen Kampf in fünf bis zehn solcher bewegten Panels zusammengefasst bekommen, statt ewig dabei zuzuschauen, wie Pixel aufeinanderprallen.

Sind euch ähnliche Techniken in anderen Filmen aufgefallen?

Podgast (VIII)

Mit Sascha habe ich über Age of Ultron gesprochen.

Mit dem Kinostart von Marvels Avengers: Age of Ultron hat die diesjährige Blockbustersaison endgültig begonnen. Iron Man, Captain America, Hulk, Thor und eine ganze Reihe an alten und neuen Helden müssen sich dieses Mal der künstlichen Intelligenz Ultron stellen, die die Menschheit auslöschen will, um den Planeten zu retten. Zusammen mit Pew-Freund Alex Matzkeit von Real Virtuality streite ich mich im neuen PewCast ganz gemäßg dem kommenden Civil War darüber, ob Joss Whedons One-Liner noch zeitgemäß sind, ob der Film einen Plot hat, wieso das CGI trotz der hohen Produktionskosten in seiner Qualität so schwankt und ob es eine Rolle spielt, dass die Avengers am Ende gewinnen.

Auf zum Pewcast.

Das fliegende Auge – Kameradrohnen im Film

Die Avengers kommen ihrer Clubsatzung zufolge nur zusammen, wenn es einen Schurken zu bekämpfen gilt, den ein Superheld alleine nicht meistern kann. Beim Titelschurken des neuesten Films Avengers: Age of Ultron scheint das der Fall zu sein. Der Film folgt nicht ganz der origin story aus den Comics, was Ultrons Entstehung angeht – dort war es der im Juli ins Kino fliegende Ant-Man Hank Pym, der den Roboter baut. Stattdessen ist Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr.) jetzt Ultrons Erschaffer, doch die prometheische Geschichte ist dieselbe: Bevor Ultron zur Bedrohung wird, sollte er Iron Man eigentlich mal Arbeit abnehmen und gemeinsam mit einer Armee kleinerer Roboter selbstständig die Welt retten. Die ultimative Superheldendrohne.

Fast schon ironisch, dass die für Comicfilme mittlerweile üblichen Szenen der großräumigen Zerstörung amerikanischer Großstadtstraßenzüge vielleicht teilweise von einem Vorgänger Ultrons gefilmt wurden. Drohnen, die mit einer Kamera am Bauch aufsteigen und die Welt aus der Vogelperspektive filmen, sind in den vergangenen zwei Jahren an Filmsets zu regelmäßigen Besuchern geworden.

Weiterlesen auf epd-film.de

Die atmosphärischen Reisen des Alex Garland

Der “sense of wonder”, das verwirrte Staunen über das Ungesehene und vielleicht auch Unbegreifliche, gehört zu den Ur-Momenten der Science-Fiction. Oft sind es diese Momente, in denen die Science-Fiction sowohl über den Pulp, dem sie entstiegen ist, hinauswächst, als auch der Gefahr entrinnt, zum reinen, in Erzählung gepressten Nerdmonolog zu werden

Einige von Alex Garlands Werken, zu denen inzwischen Romane, Originaldrehbücher, Drehbuchadaptionen und jetzt ein Film namens Ex Machina gehören, sind eindeutig dem Science-Fiction-Genre zuzordnen. Andere kommen zwar ohne dessen offensichtlichste Elemente aus, enthalten aber dennoch Spurenelemente zum Beispiel des “sense of wonder”.

Weiterlesen auf “kino-zeit.de”

Das Marvel-System – Fünf Parallelen zwischen Marvel Studios und dem klassischen Hollywood

Screenshot aus dem Marvel Studios Logo

Wenn The Avengers: Age of Ultron diesen Donnerstag in Deutschland ins Kino kommt (und eine Woche später in den USA), wird er vermutlich wieder große Mengen Zuschauer ins Kino locken. Wenn man den ersten Reaktionen von Fans und Kritikern glauben kann, ist es Joss Whedon, Kevin Feige und ihrem Team erneut gelungen, Comic-Motive und die Ansprüche des Mainstream-Filmgeschmacks zu einem stimmigen Ganzen zu verquirlen. Ähnlich wie schon bei den letzten Marvel-Filmen darf man sich vermutlich wieder auf eine gewisse Gleichförmigkeit und jede Menge Explosionen einstellen, aber immerhin kann man diesmal wieder auf Joss-Whedon-Dialoge hoffen.

In den knapp fünf Jahren, in denen ich mich jetzt mit den Filmen und Arbeitsmethoden von Marvel Studios beschäftige, musste ich immer wieder an eins der interessantesten filmhistorischen Bücher zurückdenken, das ich je gelesen habe. In “The Genius of the System” zeichnet Thomas Schatz eine Chronik der “goldenen Ära” von Hollywood in den 1930er und 1940er-Jahren und versucht dabei, die Dynamiken zu erklären, die dafür sorgten, dass die Zeit und ihre Filme heute als so kanonisch wahrgenommen werden.

Die Ansichten von Thomas Schatz, insbesondere seine Fixierung auf die zentrale Rolle einzelner Produzentenfiguren wie Irving Thalberg und Louis B. Mayer, sind nicht unwidersprochen. Sie schaffen aber einen interessanten Filter, um auf das heutige Hollywood zu blicken, mit seinem fragmentierten und internationalen Markt und all den Problemen, die inzwischen jeder von Kevin Spacey bis Steven Soderbergh schon angeprangert hat. Marvel Studios und, in Verlängerung, Disney sind einer der wenigen nun schon seit Jahren konstant erfolgreichen Player in diesem Markt und ich möchte argumentieren, dass dies unter anderem mit einer Rekurrierung auf klassische Hollywood-Methoden zusammenhängt.

Ich habe mir fünf Aspekte herausgepickt. Sicher lassen sich mehr finden oder einige ineinanderschieben, wenn man möchte.

1. Zentrale kreative Kontrolle

Wie weiter oben schon erwähnt dreht sich eine der zentralen Thesen von “The Genius of the System” um die Arbeit einzelner Männer. Studiofunktionäre, die die kreative und die geschäftliche Seite des Filmemachens gleichzeitig im Blick hatten, sehr direkt im Entstehungsprozess involviert waren und in einigen Fällen vermutlich mehr als “Autoren” des resultierenden Films gelten können als die im Vorspann aufgeführten Regisseure. Das prominenteste Beispiel ist sicher Louis B. Mayer bei Gone with the Wind. Solche Figuren gibt es heute nur noch vereinzelt, etwa Harvey “Scissorhands” Weinstein.

Bei Marvel aber kommt Kevin Feige, dem Präsident von Marvel Studios, auf jeden Fall eine ähnliche Rolle zu. Obwohl jeder Film einen Regisseur hat, der in gewissen Bahnen seinen eigenen Stil entwickeln darf (wie zuletzt bei Guardians of the Galaxy gesehen); obwohl über Feige der CEO von Marvel Entertainment, Ike Perlmutter steht und obwohl es ein Marvel Creative Committee gibt, das über die Charaktere insgesamt wacht – Feige ist der Boss. Zumindest muss man das aus all den Interviews und Porträts folgern, die seine zentrale Kontrollinstanz betonen. Was passiert, wenn man nicht dem Feige-Pfad folgt, konnte man letztes Jahr im Mai beim Rausschmiss von Edgar Wright erleben.

Es ist diese zentrale kreative Kontrolle aller Marvel-Produkte, welche die stattfindende komplexe Entwicklung eines transmedialen Erzähluniversums überhaupt erlaubt. Und sie ist es auch, die dafür sorgt, dass diese alles in allem eben doch wie aus einem Guss wirken, ob man das gut findet oder nicht

2. Langzeitverträge

Im alten Hollywood wurden Stars nur in zweiter Linie vom Publikum erkoren. Das Star-System der Studios funktionierte vor allem deswegen, weil die Schauspieler fest angestellt waren. Es gab kein Agenten-System wie heute und es gab ganz sicher keine Verträge, in denen einzelne Stars unfassbar hohe Gagen für manche Filme verlangen konnten. Klar, die größten Stars waren trotzdem sehr gut bezahlt – schließlich hätten sie jederzeit zu einem anderen Studio wechseln können – aber wenn sie einen Vertrag unterschrieben hatten, gehörten sie ihrem Arbeitgeber.

Genau wie heute bei Profifußballern und ihren Vereinen, bestimmte das Studio darüber, wann ein Star wie eingesetzt wurde. Das Studio kontrollierte auch das Image seiner Stars, bestimmte darüber, welche Details aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit dringen durften und formte Nachwuchstalente mitsamt neuen Namen und Historien wie Golems aus Ton. Das alles war nicht einmal besonders geheim – Filme wie George Cukors What Price Hollywood von 1932 stellten es sogar relativ ehrlich da.

Ganz so schlimm ist es bei Marvel nicht. Aber das Studio ist dafür bekannt, besonders knausrige Verträge zu schließen, die ihre Talente gleichzeitig für eine ungewöhnlich hohe Anzahl Filme an Marvel binden. Samuel L. Jackson unterschrieb vor Iron Man einen Vertrag für unerhörte neun Filme, die meisten Schauspieler haben Fünf- oder Sechs-Film-Deals. Der Grund zeigte sich im Tohuwabohu anlässlich des Auslaufens von Robert Downey Jr.s Vertrag nach Iron Man 3. Wenn der Marktwert eines Stars, wahrscheinlich sogar durch die Marvel-Filme selbst, steigt, hat er keinen Hebel, um ein besseres Salär herauszuschlagen.

Wer sich weigert, fliegt – zum Beispiel Terrence Howard, der Rhodey in Iron Man spielte. So kann Marvel langfristig mit ihren Stars planen, ohne dass ihnen die Fixkosten bei ihren ohnehin schon teuren Filmen um die Ohren fliegen. Alternativ könnte man argumentieren, dass nicht die Schauspieler, sondern die Figuren die Stars sind (wie die problemlosen Umbesetzungen einiger Rollen zeigen), was ebenfalls für Planungssicherheit sorgt.

© Disney

3. Kontrollierte Stoffentwicklung

Rund um den Release von Guardians of the Galaxy im vergangenen Jahr konnte man anhand der Person von Nicole Perlman, ausgewiesene Drehbuchautorin des Films, einiges über das Marvel Writer Program erfahren. Im Scriptnotes Podcast erklärt sie:

[T]he concept was you joined for one year and if they liked you and you liked them, you could come back for a second year. […] We each had an office and we each had our project that we had chosen. […] [And we were being paid a] weekly salary […]. [I]t’s a bit of a Faustian deal because they own you. For two years I was off the radar. I wasn’t allowed to take meetings. I wasn’t allowed to pitch on anything.

Perlman sagt auch, dass sie die Zeit nicht als unterdrückerisch empfunden hat, weil die Atmosphäre nicht negativ war. Wahrscheinlich ist es in einem klassisch freiberuflichem Job wie dem Drehbuchschreiben auch mal ganz angenehm, nicht nur vom eigenen Erfolg abhängig zu sein. Dennoch ist ein solches Arrangement ein weiterer Rückgriff auf das alte Hollywood-System, dessen Drehbuchautoren natürlich genauso wie seine Stars fest bei den Studios angestellt waren, wenig bis keine Rechte an ihrem eigenen Werk besaßen und beispielsweise keine Tantiemen erhielten.

Das Writer Program von Marvel wurde inzwischen eingestellt, aber es ist nur ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr das System des Studios auf die Kontrolle seiner Stoffe und seines Personals setzt. Gerade im Drehbuchbereich verhindert ein solches Vorgehen die üblichen Geschichten von Turnarounds und “Development Hells”, in denen Stoffe von Eigentümer zu Eigentümer wandern, bis sie am Ende kaum noch wiedererkennbar sind.

4. Zugehörigkeitsgefühl

In der vergangenen Woche war der Cast von Avengers in der Talkshow “Jimmy Kimmel Live” zu Gast. Am Herumalbern der Schauspieler untereinander, darunter einige der am besten bezahlten und am höchsten gehandelten Hollywoodstars dieser Tage, konnte man sehen, wie sehr sie auch hinter der Kamera zu einer Art Superheldenteam geworden sind.

Eine ähnliche Tonlage hört man auch sonst immer wieder in Interviews zu Marvel-Filmen heraus. Ein positiver Nebeneffekt der oben skizzierten Kontrollstrategien scheint darin zu liegen, dass die Menschen, die an Marvel-Projekten beteiligt sind, auf eine Art und Weise zusammenwachsen, wie es in der heutigen Filmwelt sehr selten geworden ist. Dadurch, dass Schauspieler immer wieder zusammen arbeiten, können sie sich auf eine Art und Weise aneinander gewöhnen, wie es sonst nur an Theatern, in lang laufenden Fernsehserien und in Filmen, die in Mittelerde spielen, der Fall ist. Das schafft nicht nur eine Kameradschaft untereinander, sondern auch eine gewisse Loyalität gegenüber dem gemeinsamen Arbeitgeber.

Marvel scheint sich um seine Leute zu kümmern und ist nicht nur aus Kostengründen an langfristigen Zusammenarbeiten interessiert. Das Drehbuchautorenteam Christopher Markus und Stephen McFeely oder die Regiebrüder Joe und Anthony Russo haben für Marvel schon diverse Projekte realisiert und wurden auch bereits für die Arbeit an den restlichen Avengers-Filmen verpflichtet, basierend auf ihrer bisherigen Arbeit für das Studio. So entsteht eine Identifikation zwischen Menschen und Marke, die man anderswo vergeblich sucht, die im klassischen Hollywood aber durchaus üblich war – zumindest solange Angestellte nicht mit ihren Studiochefs aneinander gerieten.

© ABC

5. Markenaufbau

In den 1930er und 1940er Jahren waren die Hollywood-Studios vertikal integriert. Sie kontrollierten nicht nur Filmproduktion und Filmverleih, wie heute, sondern besaßen auch ihre eigenen Kinoketten, denen sie das Programm diktieren konnten. Ein Urteil des obersten Gerichtshofs leitete 1948 die Zerschlagung dieser Studiomodelle ein. Da die Studios also zu einem deutlich geringeren Teil vom Markt abhängig waren als heute – Menschen gingen noch deutlich häufiger ins Kino, und sie schauten sich (meistens) eben an, was die Kinos, die den Studios gehörten, ihnen vorsetzten – fiel es ihnen, gemeinsam mit dem Star-System, auch deutlich leichter, ihre Marken zu kultivieren.

Im klassischen Hollywood waren die Studionamen synonym mit einer bestimmten Art von Film. Warner Bros. war zum Beispiel das “härteste” Studio, mit Krimis und Gangster-Filmen; MGM war das Äquivalent zu einem teuren Luxushotel, voller aufwändiger Produktionen mit vielen Stars. Wer könnte heute noch sagen, was ein typischer MGM- oder Warner-Bros-Film ist? Die Studios gehören multinationalen Konzernen wie Viacom (Paramount) oder Comcast (Universal) und ihre Logos sind so austauschbar geworden wie Köpfe auf einer Elektrozahnbürste. Disney hat sich mit einer konsequenten Firmenpolitik gegen diese Angleichung gewehrt und Marvel scheint sich eine Scheibe von seinem Mutterkonzern abgeschnitten zu haben.

Ich würde behaupten, dass Marvel Studios die einzige Comicverfilmungs-Firma ist, die es in den letzten zwei bis drei Jahren, seit dem Erfolg von Avengers geschafft hat, dass das allgemeine Publikum ihre Filme mit der dahinterstehenden Marke identifiziert. Schuld daran sind all die oben aufgeführten Taktiken und der regelmäßige Output von miteinander verwobenen Filmen, die diese Zusammengehörigkeit klar machen. Obwohl Filme mit Spider-Man oder den X-Men ebenfalls ein Marvel-Logo im Vorspann haben, werden sie nicht mit den Marvel-Studios-Filmen in einen Topf geworfen. (Uns steht also eine herrliche Verwirrung bevor, wenn Spider-Man jetzt ins MCU integriert wird.)

Der Vorteil einer starken Dachmarke? Sie sorgt für einen Vertrauensvorschuss bei allem, was noch kommt. Sie stärkt das Zugehörigkeitsgefühl (siehe oben) nicht nur auf der Produktionsseite, sondern auch bei den Fans. Auf dem Comicmarkt ist “Marvel vs. DC” seit Jahrzehnten die Arena des zentralen Zugehörigkeits-Kampfes. Im Kino entwickelt es sich gerade ähnlich, aber wenn wir Marvel sagen, meinen wir in der Regel Marvel Studios und nicht The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro. Marvel Studios kann behaupten, Ant-Man käme von den “Machern der Avengers“, auch wenn die beiden Filme wahrscheinlich nur sehr wenig Personal teilen.

Eins der anderen Studios in Hollywood, dass diese Identifikationsbasis geschaffen hat, gehört ebenfalls zu Disney. Pixar ist im Gegensatz zu DreamWorks Animation eine Marke, mit der ich als Zuschauer etwas positives verbinde. Und der ich deswegen auch mal einen Fehltritt verzeihe.

Zustimmung? Ablehnung? Weitere Gedanken? Dafür hat dieses Blog eine Kommentarfunktion.

Auf der Straße tanzen

In Noah Baumbachs Film Frances Ha (2012) gibt es eine Schlüsselszene, in der Frances die New Yorker Straßen entlangläuft und dabei tanzt.

Als ich den Film vor zwei Jahren sah, musste ich eine Weile überlegen, warum mir diese Bilder so bekannt vorkamen. Erst während der Konzeption meiner Kritik fiel es mir mit ein bisschen Followerpower wieder ein. Inklusive ihrem Musikeinsatz, David Bowies “Modern Love“, handelt es sich bei der Szene um eine direkte Hommage an Leos Carax’ Mauvais Sang von 1986.

Doch der Gedanke dahinter reicht noch tiefer zurück. Die Straße und der Gehweg als Bühne. Die reine Fortbewegung, die “Ambulation”, wie man sie besonders gebildet nennen kann, wird zur Performance, zum Pulsieren eines inneren Beats, zum Ausdruck der Musik in unserem Kopf.

In Musicals ist die Straßenbühne ein Klassiker. Von Singing in the Rain (1952), in der sie zum Schauplatz für endloses Glück wird …

… über West Side Story (1961), wo sich auf ihr die gegenseitigen Drohgebärden Bahn brechen …

bis zur Eröffnung von Hairspray (2007), in der die Hauptfigur auf dem Schulweg ihre Weggefährten ansingt mit “Good Morning Baltimore”.

Und erst die unzähligen Musikvideos, in denen Menschen ihre Performance auf dem Bürgersteig ausleben. Michael Jacksons “Billie Jean“, The Verves “Bittersweet Symphony“, Björks “It’s Oh, so Quiet“. Der Film Girl Walk // All Day. Die Straße ist Bühne. Dort zu tanzen, während wir unseres Wegs gehen, liegt uns im Blut.

Warum zähle ich das alles auf?

Weil ich es selbst ständig tue.

Wenn ich unterwegs bin, habe ich fast immer Musik auf den Ohren. Und ich kann nicht Musik hören, mich dabei bewegen, und mich nicht mit der Musik bewegen. Je nachdem, wie beobachtet ich mich gerade fühle, singe ich entweder mit (unterschiedlich laut) oder ich spiele diverse Luftinstrumente (als Drummer natürlich besonders gerne Luftschlagzeug, aber auch mein Luftbass und mein Luftpiano können sich sehen lassen).

Manchmal tanze ich sogar ein bisschen. Das kann beim Akzentuieren der “Punches” in der Musik durch Gesten wie Luftfäuste oder kleine Explosionen mit den Fingern anfangen, beim Wippen vom einen Fuß auf den anderen an der Fußgängerampel weitergehen und sich an besonders guten Tagen auf tatsächliches Hin- und Herhüpfen, Umkreisen von Pfosten und Springen auf Steinformationen ausweiten. Oder ich renne einfach mal ein paar hundert Meter im Rhythmus, wenn es in meinen Ohren gerade mal besonders auf die Zwölf geht. Nicht ganz so graziös wie Frances Ha natürlich, aber mit Überzeugung.

Ich erzähle das, weil ich mir wünschen würde, dass es mehr Leute machen würden. Kopfhörer sind heute überall im Straßenverkehr, aber die meisten Menschen starren trotzdem wie Zombies aus ihnen hervor. Ich glaube, nicht, dass sie alle Podcasts hören. Sie scheinen einfach nur nicht das Bedürfnis zu spüren, die Musik, die sie hören, nach außen zu tragen.

Manchmal jedoch, sehe ich wenigstens wie jemand mit dem Kopf wippt. Wie jemand lautlos die Lippen im Text bewegt. Wie jemand auch nur das Gesicht in einer Pose verzieht, die besagt, dass dieser Mensch gerade die Musik spürt, die ihm im Kopf dröhnt. Ich lächle dann nur in mich hinein und rufe nicht: “Tanz, tanz, denk an Frances Ha!” Aber ich weiß zumindest, dass ich nicht alleine bin.

„Korridor links, letzte Tür rechts“: Im Labyrinth der Asterix-Filme

© Studio Canal

Louis Clichy und Alexandre Astier gelingt in ihrem Film Asterix im Land der Götter etwas Besonderes: Dem gewöhnungsbedürftigen 3D-Look zum Trotz besitzen die unbeugsamen Gallier, ihre Gegenspieler und Alliierten, einen Charme, wie man ihn seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in Asterix-Verfilmungen gesehen hat. Der Ursprung dieses Charmes mag darin liegen, dass Clichy seine Lehrjahre unter anderem bei Pixar absolviert hat. Dem US-Studio gelang es schließlich in der Vergangenheit, von alten Spielzeugen bis quadratischen Robotern so ziemlich jedem Wesen eine computeranimierte Seele abzutrotzen.

Vielleicht aber haben sich Clichy und Astier auch sehr bewusst auf den Geist von Asterix-Erfinder René Goscinny besonnen. Dessen Geschichten lag bis zu seinem Tod 1977 bei allem satirischen Biss immer eine besondere Güte inne. Ein Humor, der stets ins Schwarze traf, aber selten verletzte.

Vielleicht lag es daran, dass Goscinny selbst so ein großer Zweifler an seinen Fähigkeiten war und deswegen nie aus einer Haltung der Arroganz heraus schrieb. Albert Uderzo, seinem Freund und Co-Erfinder der Gallier, gelang es lange Zeit, diesen gütigen Geist auch nach Goscinnys Tod in die Comics zu retten. Und auch wenn diese spätestens ab den Neunzigern ebenfalls an Qualität verloren: Asterix blieb auch dreißig Jahre nach dem Tod seines geistigen Vaters, wer er immer gewesen war.

Die animierten Abenteuer des gallischen Kriegers erzählen allerdings eine ganz andere Geschichte – wenn auch eine, die erschreckend wenig dokumentiert und erforscht wurde. Fast immer muss man sich auf nicht direkt belegbare Aussagen verlassen, wenn man etwas über die Asterix-Zeichentrickfilme erfahren will. Außer Fernsehdokumentationen und Pressetexten gibt es eigentlich kein Material. Ich will mich trotzdem an einem Überblick versuchen.

… und zwar drüben, im “Kinderfilmblog”

Dank an Rochus für Redaktion und Publikation

Quotes of Quotes (XXVII) – David Ehrlich on Marvel Movies

Film Critic David Ehrlich recently sized up the Marvel movies in the “Slate” Movie Club. Even though I liked the films as such, I cannot say I disagree, especially on Winter Soldier.

The thing that struck me most about superhero movies this year was their desperate need for validation, and how eager superhero movie fans were to help them achieve it. It began with the hilarious notion that Captain America: The Winter Soldier is a political thriller (let alone a relevant one) just because the film’s plot explicitly involves politics. Also, Robert Redford. Captain America: The Winter Soldier is, of course, a Marvel movie, and that’s a category that is mutually exclusive to all others. Guardians of the Galaxy isn’t a space opera, it’s a Marvel movie. Thor: The Dark World isn’t a … um … hmmm … well, whatever it isn’t, it’s definitely a Marvel movie. The studio has become a genre unto itself, one that banally flattens whatever other modes are absorbed into its spectacle.

The assembly line mentality that snuffed out Edgar Wright’s Ant-Man can be felt in every overdetermined story beat and unctuously endearing character (Groot gimmicked his way out of trouble, but Rocket Raccoon was my ’Nam), and so whenever anyone suggests that Marvel movies are even remotely “weird,” it always sounds to me like they’re trying to convince themselves. An adorable humanoid tree voiced by Vin Diesel in a role that neatly fulfills the exact same function as the Hulk in The Avengers? How will America be able to handle it!?
– David Ehrlich, “Slate” Movie Club

Die Missverstandenen. Das Kino der Wachowskis.

© Warner Bros.

Jupiter Ascending

Ich habe bis zum letzten Drittel von Jupiter Ascending gebraucht, bis ich mir sicher war. Dort wird ein Charakter gefoltert, und zwar, indem sich ihm auf einer Streckbank eine Maschinerie nähert, wie sie ineffektiver nicht sein könnte. Viele kleine Zahnräder, Klingen und Sägeblätter an mechanischen Ärmchen bewegen sich auf das Gesicht der Figur zu – ungefähr so, wie sich ein zehnjähriges Kind die Foltermethoden eines Bösewichts vorstellt. Also logisch: wer immer das hier inszeniert hat, kannn das alles gar nicht ernst meinen.

Ich hätte mir auch schon früher sicher sein können, an den dutzenden Stellen, wo Jupiter Ascending jeden Anspruch auf “ernsthafte” Science Fiction aufgibt und sich voll und ganz Elementen von Farce und Groschenheftromanze oder einfach nur dem Gefühl hingibt, eines Nachts alleine im Spielparadies eingesperrt zu sein und die epischste, grenzenloseste Geschichte aller Zeiten zu spielen, ohne dass einem jemand reinredet.

© Warner Bros.

Jupiter Ascending

Mit Terry Gilliam ist eigentlich alles gesagt

Als Mila Kunis’ Jupiter Jones entschieden hat, dass sie den königlichen Familienanspruch antreten will, von dem ihr Channing Tatums Wolfmensch-“Splice” erzählt hat, muss sie sich in der Hauptstadt des galaktischen Reiches durch eine absurde Bürokratielawine kämpfen, um am Ende von einem nur entfernt menschlichen Wesen ihre Beurkundung abzuholen. Gespielt wird dieser Notar von Terry Gilliam. Und damit ist eigentlich alles gesagt.

Wären die Dinge nur ein wenig anders gelaufen, Andy und Lana Wachowski könnten heute auch Terry Gilliam sein. Filmemacher, deren waghalsige Fabeln von der Liebe zur “Weirdness” und von ihrem Einfallsreichtum leben, von der Transgression und von dem Gefühl, etwas zu sehen, was man als Zuschauer niemals ganz durchdringen wird. Und deren Filme es gleichzeitig extrem schwer haben würden, überhaupt zu entstehen, weil jeder Finanzmensch weiß, dass sie kaum massenmarkttauglich sind.

Das explosive Zeitgeistgemisch

Bound, der erste Film der Wachowskis, war so ein Film. Klein, übersehbar, schon allein durch seine homosexuelle Lovestory mit BDSM-Einschlag irgendwie grenzüberschreitend, aber eindeutig mit einer starken Autor_innenstimme gesegnet. Doch dann schufen die Geschwister The Matrix und damit einen der wichtigsten und größten Blockbuster des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der Cool und Weird auf so explosive Weise zu einem Zeitgeistgemisch verband, dass ihnen in der Folge so ziemlich alles zugetraut wurde.

Darin liegt der Fehler, und das ist auch der Grund, warum man vielen Filmliebhabern (inklusive mir) über die letzten 15 Jahre langsam dabei zuschauen konnte, wie sie von Wachowski-Fans zu Wachowski-Apologeten werden mussten. Die Wachowskis sind keine Blockbuster-Filmemacher. Sie sind Underground-Künstler mit einem eigentlich sehr beschränkten Rezipientenkreis, die sich durch den Matrix-Erfolg eher zufällig den Blockbuster mit neunstelligem Budget als ihr Medium ausgesucht haben.

Was zur Hölle haben sie sich gedacht?

Lange war die Frage “Was zur Hölle haben die sich eigentlich dabei gedacht?” nur schwer zu beantworten, weil die Geschwister notorisch öffentlichkeitsscheu waren und sich weigerten, ihre Filme zu erklären. Erst als sie für ihr Herzensprojekt Cloud Atlas 2013 an der Seite von Tom Tykwer ihre Fördergelder rechtfertigen mussten, wagten sie sich regelmäßig vor Mikrofone, und wenn man ihnen zuhört merkt man, dass hier ganz bestimmt keine abgebrühten Hollywood-Business-Faschisten am Werk sind wie Zack Snyder, auch keine einfachen Kellerkind-Nerds, denen man endlich den streng kontrollierten Schlüssel zur Franchise-Schatzkiste gegeben hat wie Joe und Anthony Russo, sondern Gegenkultur-Ästheten, die es irgendwie schaffen, immer wieder Mäzene zu finden, die bereit sind, ihnen große Summen Geld zu geben, um ihre wahnwitzigen Pop-Art-Projekte umzusetzen.

Mit diesem Wissen muss man alle ihre Filme, insbesondere aber alle Filme nach The Matrix lesen. Die beiden Matrix-Sequels Matrix Reloaded und Matrix Revolutions sind in dem Sinn keine Filme, sie sind Teil eines megalomanischen Worldbuilding-Projekts, das die Grenzen zwischen Film, Videospiel, transmedialer Rhizom-Erzählung und Medienkunst-Installation bewusst verschwimmen lässt.

© Warner Bros.

Matrix Reloaded

Das sind keine Filme

Deswegen wirken einige der spektakulären Setpieces aus den beiden Filmen eher wie Videospiel-Level, deswegen gibt es mehrere Charaktere, die keine klare Funktion im Voranschreiten des Plots zu erfüllen scheinen, deswegen endet Reloaded in einem gigantischen Cliffhanger, dessen philosophische Implikationen in Revolutions niemals wirklich aufgelöst werden. Das sind keine Filme, es sind sehr teure poststrukturalistische Meditationen – und ähnlich wie in weniger teuren poststrukturalistischen Meditationen der Vergangenheit kann man sich dabei nicht immer sicher sein, ob dahinter wirklich Substanz steckt oder der einfache Versuch, die Grenzen des Behauptbaren auszutesten.

Speed Racer, Film drei nach Matrix, ist eine der besten Übersetzungen des Zeichensystems und der Kinetik japanischer Comic- und Trickfilmkultur in den westlichen Realfilm, die man jemals sehen wird. Man muss die Rennszenen aus Speed Racer nur mit denen aus einem Streifen wie Rush vergleichen, um zu merken, welcher Film die Essenz eines Hochgeschwindigkeitsrennens wohl besser verstanden hat. Bei den Wachowskis werden Autorennen zu einer Metapher einerseits für einen brutalen Gladiatorenkampf, andererseits für den Eintritt in eine andere Welt ähnlich der Stargate-Sequenz am Ende von 2001: A Space Odyssey.

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Speed Racer

Die Überschreitung aller Regeln

Die simplistischen, bonbonfarbenen Szenen, die diese Rennen verbinden, die man kaum Handlung nennen kann und die nicht im herkömmlichen Sinne von “runden” Charakteren bevölkert werden, dienen nur dazu, die Überschreitung aller Kinoregeln irgendwie narrativ zu legitimieren. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Vorlage für Speed Racer eine japanische Nachmittagsserie namens “Mach Go Go Go” ist, und dass im japanischen Mediensystem andere Regeln gelten als in Hollywood, wie etwa Henry Jenkins im Interview mit Ian Condry und Mark Steinberg herausgearbeitet hat.

John Gaeta, mit dem die Wachowskis im Visual-Effects-Bereich seit The Matrix immer wieder zusammengearbeitet haben, war 2008 mit Speed Racer auf dem Frankfurter eDIT-Festival zu Gast und ich erlebte, wie er sich einem fast schon feindseligen Publikum stellen musste, von dem er sich grundlegend missverstanden fühlte. Verzweifelt versuchte Gaeta zu verteidigen, dass es beim Filmemachen manchmal um mehr gehen sollte, als nur um eine zufriedenstellende Erzählung, nämlich um neue Arten sich künstlerisch auszudrücken, manchmal auch jenseits des Erklärbaren. Man kann daher Speed Racer, ähnlich wie den Matrix-Sequels, vorwerfen, dass er kein guter Hollywood-Film ist, ein Erlebnis ist er aber allemal.

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Speed Racer

“Zweimal alles, bitte”

Cloud Atlas, mit dem sich die Wachowskis gemeinsam mit Tom Tykwer 2012 nach einer längeren Pause zurückmeldeten, ist deutlich zugänglicher als Speed Racer, aber ein A-bis-Z-Film ist er deswegen noch lange nicht. Wichtiger als die einzelnen Handlungsstränge der sechs Erzählungen aus David Mitchells Matrjoschka-Roman, die der Film verwebt und selbst wichtiger als die universelle Message von Befreiung, Zeitenwende und Läuterung, die Cloud Atlas vor sich herträgt, scheint es den Filmemachern auch hier wieder zu sein, möglichst viele Elemente in ein einzelnes Gesamtkunstwerk zu packen.

“Zweimal alles, bitte”, scheint Cloud Atlas zu sagen, wenn er Postapokalypse, Kolonialismus, Science-Fiction, Romanze, Farce, Thriller, Spiritualität, ethnische und Geschlechteridentität und musikalische Philosophie in einen Drei-Stunden-Film presst. Mich persönlich hat dieser schillernde, sich ständig verändernde Rubikswürfel von einem Kinoprojekt extrem angesprochen, mit seinen Hollywood-Stars, die hinter den platonischen Ideen ihrer Charaktere zu verschwinden versuchen, doch vielen anderen Kritiker_innen war auch Cloud Atlas in seiner In-Your-Face-ness, die er trotz seiner vielen Ebenen besitzt, irgendwie zu flach.

© X-Filme

Cloud Atlas

Eine Verschwendung von 175 Millionen Dollar

Es ist dieser Vorwurf der letztendlichen Flachheit, die sich auch Jupiter Ascending wieder gefallen lassen muss. Der kritische Konsens, sowohl unter Filmkritiker_innen als auch beim Publikum scheint zu sein, dass Jupiter Ascending extravagant designt ist und sehr viel Spaß machen kann, wenn man ihn nicht ernst nimmt (wie er ja – siehe oben – meiner Meinung nach auch nicht verstanden werden will), aber letztendlich einfach auch irgendwie eine völlig behämmerte Verschwendung von 175 Millionen Dollar darstellt.

“We’re sort of oddities in that we keep making original movies”, sagt Lana Wachowski im Interview mit dem “L.A. Times”-Blog “Hero Complex”. Kommentator_innen haben ihr und ihrem Bruder längst vorgeworfen, dass Jupiter Ascending wohl kaum ein echtes “Original” sei, da es sich schamlos an allem bedient, was vor ihm kam, nicht zuletzt auch an The Matrix. Der wahre Punkt, auf den sie hinauswill, aber liegt im zweiten Teil ihrer Aussage, in dem sie feststellt, wir seien heute “more excited about a story we know the ending to” – wie das zunehmende Zurückgreifen von Hollywood auf Quellen, die sich bereits bewährt hätten, beweise.

© Warner Bros.

Jupiter Ascending

Die Legitimation der Missverstandenen

Die zentrale Frage ist, ob es wirklich genug ist, wenn sich Andy und Lana Wachowski und diejenigen, die ihre Arbeit schätzen, auf die Position der “Missverstandenen” zurückziehen. Brauchen Filme, die so viel Geld kosten und sich in vielerlei Hinsicht eben auch den Anstrich von Hollywood-Blockbustern und nicht von exzentrischen Kunstprojekten geben, eine Legitimation durch den Massenmarkt? Oder besitzen sie nur dann ein Existenzrecht, wenn sie besser ins Bild des kämpfenden Auteurs passen wie bei Gilliam oder den beiden Davids Lynch und Cronenberg, dessen eXistenZ gerne als die “bessere” Matrix-Verfilmung bezeichnet wird?

In jenem filmischen Barock, in dem wir uns zurzeit befinden, sollten meiner Ansicht nach auch die Wachowskis einen Platz finden können, hinter deren ästhetischen Vexierspielen sich manchmal vielleicht nicht unbedingt eine tiefere Wahrheit versteckt. Vielleicht ist das neugeborene Fernsehen, in dem sie als nächstes die Serie Sense8 auf die Welt loslassen, inzwischen eher ihr Medium. Wir werden sehen, was am Ende der Matrix wartet, wo der “Architect” es vielleicht immer noch am besten ausgedrückt hat:

Your life is the sum of a remainder of an unbalanced equation inherent to the programming of the matrix. You are the eventuality of an anomaly, which despite my sincerest efforts I have been unable to eliminate from what is otherwise a harmony of mathematical precision. While it remains a burden to sedulously avoid it, it is not unexpected, and thus not beyond a measure of control.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er dabei von Neo oder von den Wachowskis spricht.

© X-Filme

Cloud Atlas