Der Weg der zwölf Macbeths: The Scottish Play in/on Film

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To The Lighthouse” ist eins der wenigen Filmblogs, in dem ich auch die Kritiken lese. Das liegt an seiner Autorin, die es für mich wie kaum jemand anderes in der Blogosphäre schafft, sehr klug und wissend über Filme zu schreiben, ohne dabei zu formelhaft oder versnobt zu werden. Außerdem schätze ich die Systematik, mit der sie sich manchmal durch Filmografien guckt und dann darüber schreibt. Als sie sich mal wieder auf Twitter darüber lustig machte, dass sich außer ihr niemand für Macbeth-Verfilmungen interessiert, habe ich ihr widersprochen und sie gebeten, doch die Bilanz ihrer schottischen Odyssee als Gastbeitrag für “Real Virtuality” umzuschreiben – mit einem Ausblick auf die anstehende Verfilmung von Justin Kurzel, die diese Woche in Cannes Premiere feiert. Das Ergebnis ist wunderbar geworden. Ihr solltet auch “To The Lighthouse” lesen.

Ein Gastbeitrag von Lena Leuchtturm

Shakespeare! Fassbender! Cotillard! Drei Namen, die einzeln genommen schon ein Versprechen sind, deren Kombination aber ein perfektes Zusammenspiel künstlerischer Talente und Stärken erwarten lässt und mir daher bereits seit 2013 feuchte Träume beschert – seit ich von der Existenz eines gewissen Filmprojektes erfuhr. Nun endlich, zwei Jahre später, feiert Regisseur Justin Kurzels Version der Königsmörder-Tragödie Macbeth bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere.

Die Wartezeit vertrieb ich mir allerdings sinnvoll – mit einer Rückschau. Denn eine Frage stellte sich mir: Braucht die Welt tatsächlich eine weitere Inszenierung eines Stücks des meistverfilmten Autors überhaupt? Die IMDb listet eine unüberschaubare Anzahl Film- und Fernsehtitel unter dem Stichwort „Macbeth“. 12 davon sah ich mir an (von Regisseuren wie Orson Welles, Akira Kurosawa, Béla Tarr und Roman Polanski) und kann bereits jetzt mit Gewissheit antworten: Aber selbstverständlich braucht sie sie!

Feingefühl für Gewalt

Jede Verfilmung hat ihren eigenen Wert. Macbeth-Inszenierungen sind seit der Stummfilmzeit in jeglicher Qualität und für verschiedenste Zielgruppen verfügbar, von texttreuen Lebendigwerdungen bis zu freihändigen Modernisierungen, und jede einzelne lehrt uns etwas über Shakespeares Stück, über Welt- und Menschenbilder und über filmische Ausdrucksmittel. Ich habe Shakespeare durch die Augen anderer gesehen und gerade Differenzen brachten neue Erkenntnisse. So bewies etwa die aufgrund ihrer Banalisierung von Gewalt ärgerlichste Verfilmung von Geoffrey Wright mit Sam Worthington durch ihr mangelndes Feingefühl eben jenes Feingefühl bei Shakespeare. Denn sein Macbeth ist eher Gewaltstudie als Metzelfilm.

Geoffrey Wrights Macbeth (2006)

Macbeth (ein Titel, der einem Fluch nach nicht in Theatern ausgesprochen werden soll – Auftritt „The Scottish Play“) ist Shakespeares kürzeste Tragödie. Dadurch ist sie eine sehr kompakte, dichte und auf den ersten Blick eindeutige, die von einer hoffnungslosen, deterministischen, von Krieg, Verrat und Ehrgeiz geplagten Welt erzählt, in der Befreiung durch einen abgeschlagenen Kopf erlangt wird. Inspiriert durch die Prophezeiung dreier Hexen und die Überredungskünste seiner Frau, mordet sich der einfache Krieger Macbeth zum König und Tyrannen hoch, was zunächst den Verstand und schließlich das Leben des Ehepaars Macbeth fordert. Dennoch lässt sich die Aussage nicht auf die Formel “Macht korrumpiert” herunterbrechen. Macbeths Vorgänger Duncan schien ein guter König und dessen Sohn Malcolm verspricht es ebenfalls zu werden. Eindeutiger ist: Wer aus unlauteren Gründen zur Herrschaft kommt, der ist kein guter Herrscher. Nicht Macht selbst korrumpiert, sondern die Mittel, die gewählt werden. Der Mensch ist sein eigenes Verderben, weil er niemals zufrieden ist.

Neben dieser Einsicht entdeckte ich durch die Verfilmungen aber auch noch ganz andere Anlagen in der Geschichte. Besonders umgetrieben hat mich immer wieder die Frage nach dem freien Willen, die sogar ein größerer Antrieb der Handlung zu sein scheint als die der Machtgier. Man darf den Stein des Anstoßes nicht vergessen: die Hexen, die Macbeth erst die Flausen in den Kopf setzen. Wie die einzelnen Macbeths mit diesem gepflanzten Gedanken umgehen, ist stets einer der spannendsten Momente der Verfilmungen. Folgen sie nur einem vermeintlichen Schicksal oder wählen sie ihren Weg selbstbestimmt? Die einen stolpern mehr durch ihren vorherbestimmten Weg, angeleitet von ihren Frauen, die anderen entscheiden bewusst selbst, reflektieren, hadern mit den Konsequenzen und nehmen sie dann doch in Kauf. Davon ableiten lassen sich Weltbilder zwischen Determinismus und einem Recht des Stärkeren.

Schauplätze

Es geht um Individuum und Kollektiv. Macbeth bringt durch sein unrechtmäßiges Tun die natürliche Ordnung durcheinander. Bereits die Schauplätze der Filme vermitteln jedoch unabhängig davon das Bild einer Welt, die chaotisch, mitleidlos, gewalttätig ist und Macbeth gleichgültig gegenübersteht. Sie zeigen kalte, klaustrophobische, dunkle Burgen und manchmal zum Staunen schöne, aber unbeteiligte, gar feindselige oder Macbeths Grausamkeit spiegelnde Natur. Die Regisseure setzen dies geschickt in Genre-Anleihen um: Vom Expressionismus durch harte Winkel und lange Schatten bei Orson Welles (1948), Film Noir in Joe MacBeth von Ken Hughes (1955), Mafiafilm im indischen Maqbool von Vishal Bhardwaj (2003), bis zum überstilisierten Actionfilm in Geoffrey Wrights Macbeth (2006).

Orson Welles als Macbeth, 1948

Die Rettung Schottlands durch Malcolm ist dann auch nur bedingt erleichternd, sie wird mit einem abgeschlagenen Kopf bezahlt und mit einer ungewissen Zukunft – oder bei Polanski (1971) mit dem Beginn eines neuen Kreislaufs von Verführung und blindem Ehrgeiz. Manche Macbeths wirken in ihrer Degeneration zwar monströser als andere, sie bestätigen aber meist nur ihr Umfeld und das, was sie gelernt haben (insbesondere die Gangsterbosse in den modernisierten Thrillern), schließlich beginnt die Handlung mit einem Krieg.

Ausdehnung

Unterschiede zeigen sich besonders in der Ausdehnung der gezeigten Welt. Die Überschaubarkeit des Schauplatzes und der Statisten machen die Verfilmungen zu intimen psychologischen Studien (besonders Philip Cassons Abfilmung einer Theaterinszenierung mit Ian McKellen und Judi Dench von 1979), zu taktischen Kriegsdramen (Kurosawas Das Schloss im Spinnwebwald von 1957) oder zu real durchaus möglichen Thrillern (die schwarze Komödie Scotland, Pa. von Billy Morrissette von 2001). Shakespeares kompaktes Stück konzentriert sich auf essenzielle Entscheidungen und Antriebe. Es lässt viel Spielraum zur Interpretation, wodurch es leicht transponierbar und in verschiedene Kontexte einsetzbar ist.

Akira Kurosawas Interpretation von 1957

Die Modernisierungen spielen dennoch meist im Gangstermilieu (oder kurioserweise im kulinarischen Umfeld – in Scotland, Pa. und in der Fernsehproduktion ShakespeaRe-Told: Macbeth von 2005 mit James McAvoy als Koch), wodurch sie Herrschaft mit Gewalt und Unmoral gleichsetzen. Selbst der edle König wird dann zum Verbrecher (zum führenden sogar) und Macbeth selbst vor allem zum ehrlosen Verräter.

Darsteller

Nicht nur die Textumsetzung bestimmt aber die Aussage, sondern vor allem auch das Schauspiel, die Haltung, die Extraversion, die Dynamik der unterschiedlichen Macbeth-Darsteller. Selbst wenn sie teilweise denselben Text sprechen, sind es doch zwölf völlig eigenständige Macbeths: in sich gekehrte, lebensmüde Macbeths (Orson Welles), patente Krieger (Toshirō Mifune), smarte Emporkömmlinge (Jon Finch), intellektuelle Zweifler (Ian McKellen), etwas dümmliche Tollpatsche (James Le Gros), Wahnsinnige (z.B. James McAvoy), Sadisten (Sam Worthington), Tyrannen (Patrick Stewart). Kaum einer genießt seine teuer bezahlte Macht, doch bei den einen ist das Einschreiten des Gewissens nachvollziehbarer als bei anderen.

Das ist ein weiterer entscheidender Unterschied: Die einen tragen den Anstoß zum Verrat in sich, die anderen müssen mühsam überredet werden. Gegeben ist der Wille zur Macht allen, es ist nur eine Frage der Zugänglichkeit. Am Ausmaß der Grausamkeiten ändert das aber wenig. Dennoch ist natürlich auch das Verhalten nach Machtergreifung nicht uninteressant. Bei manchen schlägt sofort die egoistische Paranoia durch, andere werden zum tyrannischen Machiavelli, wieder andere verlieren gar die Lust am Leben.
Und wir bleiben stets bei ihnen, erleben den wackligen Aufstieg und sicheren Fall direkt an der Seite des unlauteren Herrschers mit, die Gier nach mehr, die Paranoia und Selbstvergewisserung, das Verzweifeln an den eigenen Taten und Ängsten. Der Endkampf mit Macduff wirkt dann meist wie ein letztes Aufbäumen des müden Regenten, der Anhänger und Frau längst verloren hat. Einst ein aufrechter Mann, weichen Güte, Verstand und Lebenslust aus ihm, mit jedem Mord ein wenig mehr.

Roman Polanskis Macbeth (1971)

Frauen

Eine besondere Herausforderung für die Filme ist die schwer umzusetzende Ambivalenz der manipulativen, aber sensiblen, selbst beeinflussbaren Lady Macbeth, welche nicht immer vollständig glaubhaft, aber stets doch sehr komplex dargestellt wird. Sie erlebt Macbeths Zustände wie in gesteigerter Form. Ihr Ehrgeiz und ihre Kälte sind größer, später aber dafür auch ihr Leiden an der eigenen Schuld. Die Darstellerinnen sind meist zarte, elegante Wesen oder Femmes fatales, deren Entschlossenheit überrascht und deren Wahnsinn umso herzzerreißender ist.

In manchen Verfilmungen, besonders in Joe MacBeth, erscheint Lady Macbeth als der geeignetere, patentere, durchsetzungsfähigere Herrscher, durch ihr Geschlecht aber von der Rolle ausgeschlossen, in anderen (bei Rupert Goold mit Patrick Stewart) wird sie Opfer von Macbeths zunehmendem Jähzorn. Das schottische Stück ist auch eine Geschichte über die Geschlechter in einer patriarchalen Gesellschaft, in der das Weibliche mit Schwäche gleichgesetzt wird und ausgetrieben werden muss, zugunsten von Ehrgeiz und Rache. Durch diese Kälte und Herzlosigkeit wird aber nur ständig Gewalt mit Gewalt vergolten. Es gibt keine Barmherzigkeit. Lady Macbeth ist also im falschen Körper geboren, vielleicht aber auch nur zur falschen Zeit (wobei die modernen Ladys es auch nicht leichter haben mit ihren Männern) und deswegen in diesem unauflöslichen inneren Zwiespalt gefangen.

Whither should I fly?
I have done no harm. But I remember now
I am in this earthly world, where to do harm
Is often laudable; to do good sometime
Accounted dangerous folly: why then, alas,
Do I put up that womanly defence,
To say I have done no harm?

Shakespeare Re:Told (2005)

Schein und Sein

Nicht zuletzt sind all diese Filme Reflektionen über des Lebens Bühne, über Schauspiel, Schein und Sein Macbeths, über die Macht von Ideen und Vorstellungen, über Wunsch und Wirklichkeit, das Latente und das Manifeste, das besser nur ein Wunsch geblieben wäre. Macbeth hadert mit den Bildern in seinem Kopf, er halluziniert Dolche und seine blutenden Opfer, wird aber stets von seiner Frau angehalten, eine Maske der Unschuld zu tragen – ideale Anliegen für eine Übertragung ins Schattenspiel Film.

Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury

Der Schöpfer, Shakespeare, die Regisseure und Darsteller sind Spieler, Gaukler, die jeweils einen Macbeth festlegen, nur um vom Nächsten revidiert und vorgeführt zu werden. Es gibt keinen endgültigen Macbeth, nicht mal Shakespeares selbst. Und damit auch keine endgültigen Aussagen über Ehrgeiz, Macht und Vorsehung.

Rupert Goold, 2001

So sehe ich selbst nach einem Dutzend Verfilmungen noch die Lücke, in die Justin Kurzel stoßen kann, um sich einen Platz im Macbeth-Kanon zu sichern. Bereits der Debütfilm des Australiers ist eine Studie über Gewalt und Verführung: In Snowtown lockt ein Serienmörder einen misshandelten Teenager in seine Gewaltspirale – von Kurzel mit einem unnachgiebigen, distanzierten Blick eingefangen.

Und wieder Gewalt

Gewalt spielt natürlich in vielen der bisherigen Macbeth-Inszenierungen eine große Rolle, besonders bei Polanski und Wright, aber eher als Kontext und Schauwert und nicht unter dem so sezierenden Blick, den Kurzel mitzubringen scheint. Sein Macbeth könnte die Machtstudie auf Basis von Gewalt werden, die ich bisher noch vermisst habe. Gewalt befördert Macbeth an seinen erstrebten Platz, erst ihre Maßlosigkeit bringt ihn zu Fall. Der neuste Macbeth spielt dem Stück gemäß im Mittelalter, wurde im rauen Schottland und unter Verwendung der Originalverse gedreht und verspricht nicht nur dadurch eine vergleichsweise realistische, wenig zimperliche Herangehensweise an die sinistren Themen. Gerade auch Hauptdarsteller Michael Fassbender, der meist eine latente, konzentrierte, gequälte Aggression ausstrahlt, bringt dazu die nötige mimische Intensität mit, die auch leicht die bedeutungsschweren Verse tragen kann. Marion Cotillard an seiner Seite wird ihn ohne Frage gekonnt verführen und schließlich wunderschön leidend zugrunde gehen.
So oder so wird Justin Kurzels Film dem Prisma Macbeth eine weitere Fläche und damit einen weiteren Blickwinkel hinzufügen, wodurch das Stück und seine Themen noch vielfältiger brechen, reflektieren und strahlen … signifying (almost) everything!

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Wie ich ganz alleine die deutsche Filmblogosphäre erschuf (Update: Mit Video)

Handyfoto: Christian Steiner, Second Unit

Den Folgenden “Lightning Talk” habe ich heute auf der re:publica-Konferenz im Rahmen der Media Convention gehalten. Nachhören kann man ihn bereits auf voicerepublic.com (ab Minute 11:30) ungefähr. Video folgt wahrscheinlich/hoffentlich bald gibt es auf YouTube. Gesprochen habe ich manche Sachen ein kleines bisschen anders ausgedrückt. Für die Folien suche ich mir noch einen Weg, sie zur Verfügung zu stellen. Überhaupt werde ich diesen Post in den nächsten Tagen noch “hübsch” machen.

Hallo. Als ich letztes Jahr hier war, hat mir mein Kollege Jannis Kucharz vom „Netzfeuilleton“ gesagt, die Essenz eines guten re:publica-Vortrags sei „Overpromise and Underdeliver“. Am Titel meines Talks könnt ihr sehen: Ich habe mir mindestens mal den ersten Teil zu Herzen genommen. Was den Rest angeht – das dürft ihr dann gleich beurteilen.

Die re:publica ist daran schuld, dass ich heute hier bin. Nicht nur, weil sie mich eingeladen haben, hier zu sprechen. Sondern weil ich in den letzten Jahren immer neidisch drauf geguckt habe. Auch auf die Menschen, die sich hier treffen. Die Netzgemeinde. Die Blogosphäre. Oder wie immer man das nennen will.

Von der re:publica ging immer so ein Gefühl von Gemeinschaft aus, das ich an meinem Ende des Internets nie so richtig gespürt habe. Ich habe in meinem Blog „Real Virtuality“ über Film gebloggt und ich wusste, dass es andere Menschen gibt, die auch über Film bloggen. Aber ich kannte diese Menschen nicht. Und ich fühlte mich nicht als Teil einer Gemeinschaft.

Wenn ich in die USA geschaut habe, hab ich gesehen, wie sich dort die Filmbloggerinnen und Blogger – die natürlich auch allesamt Nerds sind – alle gegenseitig zu kennen schienen. Sie machten Podcasts miteinander. Sie treffen sich auf Festivals. Sie sind sogar Teil einer „Online Film Critics Society“.

Und auch in Deutschland, zum Beispiel bei den Foodbloggerinnen, bei den Elternbloggern oder bei den Medienbloggerinnen, hatte ich immer das Gefühl, dass diese Menschen jeder für sich arbeiten, aber auch Teil einer Gemeinschaft sind. Und zwar einer Gemeinschaft, die sehr netzkulturspezifisch ist – durchaus auch in Abgrenzung von den Printschreibern, worüber ich jetzt hier gar nicht urteilen will.

Ich habe nicht nur Filmwissenschaft, sondern auch Publizistik studiert, also war mir klar, dass ich mich dem ganzen nur über eine Art Studie nähern kann. Ich hab deswegen vor zweieinhalb Jahren zehn Filmblogger interviewt und nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl gefragt. Das ganze habe ich dann in einem Artikel zusammengefasst, der als erste These hatte: Es gibt keine deutsche Filmblogosphäre.

Die Resonanz hat mich völlig überrollt. Am erstaunlichsten fand ich, dass die meisten mir zustimmten. Ich hatte unter anderem behauptet, dass es keine Leitmedien gibt, die von allen gelesen werden. Und dass es keine guten Aggregatoren gibt, mit denen man aufeinander aufmerksam gemacht werden kann. So bleibt jeder in einer sehr kleinen Blase gefangen. Wir interessieren uns nicht genug füreinander. Was auch bedeutet: Es interessiert sich auch sonst keiner für uns.

Unter anderem kam in der Diskussion auch auf, dass Deutschland einfach kein Filmland sei. Ich hatte das etwas anders ausgedrückt, und meine Vermutungen haben sich seitdem eigentlich nur bestätigt. Ich glaube, dass es unter den Menschen, die über Film bloggen, ein paar Grenzlinien gibt, die sie voneinander trennen. Es gibt nämlich manche, die Film sehr ernst nehmen. Die Film eher als Kunst wahrnehmen, die man auch so behandeln sollte. Und die deswegen auch eher abseits vom Mainstream ihr Futter suchen und den Mainstream auch so ein bisschen verachten. Und dann gibt es viele, die Film eher als Unterhaltung sehen. Die gerade den Mainstream feiern und bevorzugt bei großen Blockbustern ihren inneren Geek loslassen. Und denen die erste Gruppe ziemlich versnobt vorkommt.

Auf der anderen Seite gibt es jene, die das Bloggen nur zum Spaß betreiben, weil sie ein Ventil für ihre Gedanken gefunden haben. Und es gibt jene, die mit Film auch irgendwie ihr Geld verdienen und einen entsprechenden Professionalitätsgrad haben. Diese Profi-Amateur-Linie gibt es, glaube ich, nicht nur bei Filmblogs.

Gemeinsam führen die beiden Linien zu einem Koordinatensystem. Und in diesem Koordinatensystem kann man eigentlich jedes Filmblog in Deutschland ganz gut verorten.

Das hier sind nur die Blogs, die ich regelmäßig lese – woran man gut sieht, wo meine Interessen tendenziell liegen. Aber das alles bedeutet auch, dass Film – anders vielleicht als Essen oder Autos oder Social Media – selbst von Menschen, die sich damit befassen, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Einmal bitte Hand heben, wer in seinem Teil der Blogosphäre so ähnliche Linien wahrnimmt.

Foto: Thomas Wiegold, Augengeradeaus, CC-BY-NC 2.0

Jedenfalls: Nachdem ich alle Rückmeldungen gelesen hatte, fiel mir einer meiner Lieblingsaufsätze wieder ein, von dem bestimmt viele hier schon mal gehört haben. „The Strength of Weak Ties“ von Mark Granovetter, in dem im Grunde erklärt wird, warum lose Verbindungen zwischen Menschen für das Entstehen von Netzwerken so wichtig sind. Diese Weak Ties bilden nämlich die Brücke zwischen verschiedenen kleinen Gruppen mit Strong Ties und sorgen dadurch dafür, dass Informationen von außen leichter hineinfließen können.

Und plötzlich wurde mir klar, dass ich jetzt all diese Weak Ties besaß, weil fast jeder und jede meinen Artikel gelesen hatte. Es meldeten sich Menschen bei mir aus Filmblog-Ecken, die ich trotz meiner vorherigen Suche noch gar nicht wahrgenommen hatte.

Einzelne Bloggerinnen und Blogger fingen an, aktiv Orte zu schaffen, an denen sich Über-Film-im-Netz-Schreibende treffen konnten. Und weil persönliche Kontakte Zusammenhalt immer noch mal besser zementieren als Facebook-Gruppen – siehe re:publica – gab es auf der Berlinale 2013 auch das erste Filmblog-Treffen.

Immer wieder bekomme ich auch Rückmeldungen von Leuten die sagen:
„Bäh, Blogosphäre, brauche ich alles nicht.“
„Ich will nicht Teil einer Bewegung sein.“
„Wollt ihr mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“
„Leitmedium? Das klingt irgendwie nach Leitkultur.“
Und dann denke ich immer: Menno – ich will euch doch gar nichts vorschreiben, ich will doch nur, dass eure guten Texte gelesen werden. Aber ich habe auch einige Male ernsthaft daran gezweifelt, ob ich überhaupt das richtige will. Ob meine Vorstellung von Gemeinschaft vielleicht doch etwas zu sehr zu Gleichmacherei führen könnte.

Das geile ist aber, dass es gar nicht mehr an meinen Vorstellungen hängt. Das ganze Projekt hat längst eine Eigendynamik bekommen. Filmblogtreffen werden jetzt auch organisiert, ohne dass ich dabei bin, wie hier unten rechts auf dem Filmfest in München.

Eine Gruppe von Filmbloggern hier aus Berlin hat Themenmonate wie den #Horrorctober ausgerufen, denen sich inzwischen auch ganz viele Leute anschließen. Bei denen sie sogar von größeren Websites wie der VOD-Community MUBI unterstützt werden. Es springen zum Teil neue Aggregatoren aus dem Boden und alte werden neu wahrgenommen.

Trotzdem braucht die Filmblogosphäre weiter Pflege. Es braucht Zeit, bis die Linien nicht mehr als Grenzen verstanden werden, sondern als Achsen dieses Koordinatensystems, in dem wir uns alle bewegen. Ich bemühe mich deswegen, meine Weak Ties weiter zu knüpfen. Ich stelle in meinem Blog regelmäßig andere Ecken der Filmblogosphäre vor. Und an Orten wie hier werbe ich für uns Filmbloggerinnen. In der Hoffnung, dass ihr uns wahrnehmt. Und in der Hoffnung, dass wir uns öfter zusammentun, um mehr Einfluss zu haben.

Für mich hat in alledem aber eine wichtige Erfahrung gesteckt. Wer Gemeinschaft will, darf nicht darauf warten, dass sie von selbst entsteht. Wir müssen selbst diejenigen sein, die in der Blogosphäre, dier Netzgemeinde, wie immer man uns nennen will, die einzelnen Blasen zusammenfügen. Je größer wir unsere Blasen machen, desto besser. Und falls sich einer oder zwei, drei von euch mal in eurer Ecke des Netzes irgendwie isoliert fühlen, kann ich euch auch nur raten, eure eigene Blogosphäre zu schaffen. Für mich war es das beste, was ich bisher gemacht habe.

Und weil ich‘s versprochen habe. Als Finaler Twist hier meine Meinung zu Spoilern. Ja, man kann. Aber man muss nicht, wenn man seine Mitmenschen gern hat.

Ich bitte darum, die Position der einzelnen Blogs im Diagramm nicht überzubewerten. Danke.

Nachtrag, 8.5., 14.30: Mein T-Shirt stammt aus dem Merch-Store der Band 65daysofstatic, die zum Filmklassiker Silent Running vor drei Jahren einen neuen Soundtrack geschrieben haben (daher die Drohne aus dem Film mit der Zahl 65). Ich habe Keyboarder Paul Wolinski zu seiner Beziehung zur Science Ficion letzten Herbst interviewt.

Comicfilmsprache: Slow-Motion = Splash Page

Im Pewcast habe ich es schon einmal erwähnt: Ich glaube, Joss Whedon versucht in The Avengers: Age of Ultron die Bildsprache von Comics auf eine neue Art in die Bildsprache von Filmen zu übersetzen.

Whedon ist nicht der erste, der sich darum bemüht. Ang Lee hat in Hulk schon einmal versucht, Panels durch ungewöhnliche Schnitttechnik in Filmbildern zu spiegeln. Auch Zack Snyders Watchmen mit seinem “Motion Poster”-Vorspann und seinen snydertypischen Speed Ramps kann als ein Vorläufer gelten.

Eine der Techniken, mit denen Comics Handlung in Bilder übersetzen, sind die sogenannten Splash Pages und Spreads, in denen gerade in Action-Situationen der Leserin ein Gesamtüberblick über das Geschehen gegeben wird. Wie in einer Art Wimmelbild hat dabei meist jede Figur die Gelegenheit, ihre eigene kleine Aktion auszuführen oder sich zumindest gut in Pose zu werfen. Splash Pages findet man häufig am Anfang und am Ende von Heften, Spreads in der Mitte.

Whedon versucht nun in Age of Ultron mindestens zweimal, das Prinzip dieser Splash Pages, in denen man als Leser ein Festmahl für die Augen geboten bekommmt, in die Filmwelt zu übertragen, indem er komplexe Einstellungen montiert und diese in Zeitlupe ablaufen lässt. Nur durch die Zeitlupe hat man als Zuschauerin die Gelegenheit, alle Einzelposen und das Gesamtbild wahrzunehmen.

Der erste der beiden Shots war auch im Trailer zu sehen, stammt aus der Eröffnungssequenz und liegt glücklicherweise bereits als GIF vor.

Das Bild ist eindeutig aus mehreren Shots zusammenkomponiert – wenn es nicht sogar komplett digital ist. Im entscheidenden Moment verlangsamt es sich enorm, so dass man perfekt die unterschiedlichen Angriffsposen von Black Widow, Thor und Hawkeye im Hintergrund sowie Iron Man, Cap und Hulk im Vordergrund studieren kann (diese Reihenfolge sagt natürlich auch etwas über die Hierarchie der Avengers aus).

Das kann man jetzt zum Beispiel vergleichen mit diesem Spread aus dem “Infinity Gauntlet”-Comic, dessen Verfilmung uns ja noch bevorsteht.

© Marvel

Ein zweites Mal nutzt Whedon die Taktik im Endkampf gegen Ultron, als (SPOILER) die Avengers gemeinsam das zentrale Kontrollpanel gegen Ultrons Schergen verteidigen. Auch hier verlangsamt sich das Geschehen plötzlich und wir bekommen zu sehen, dass jeder der Avengers in seinem Quadranten gerade eine Kampfdrohne auf seine typische Weise ins Nirwana schickt.

[Nachtrag, 19.11 Uhr, Marvel hat den Shot für eine Promo auf Instagram genutzt]

Vergleichbar etwa mit diesem großen Panel aus “Age of Ultron”, dem Comic.

© Marvel

In gewisser Weise entwickelt Whedon damit auch seine berühmte Kreisfahrt aus dem ersten Teil weiter.

Wie immer, wenn ich Theorien über Comics habe, frage ich meinen befreundeten Comic-Experten Jochen Ecke um Rat. Der antwortete mir in mehreren Tweets:

Yep! Reveling in objects and bodies and their meaning and the emotions they evoke: sure is very splash pagey. Not the same, but close enough. Has its own advantages because it’s (occasionally) real bodies, real people. Impossible to replicate certain compositions and the complete lack of fixed duration in comics, though.

Für die Zukunft würde es mir völlig reichen, einen großen Kampf in fünf bis zehn solcher bewegten Panels zusammengefasst bekommen, statt ewig dabei zuzuschauen, wie Pixel aufeinanderprallen.

Sind euch ähnliche Techniken in anderen Filmen aufgefallen?

Podgast (VIII)

Mit Sascha habe ich über Age of Ultron gesprochen.

Mit dem Kinostart von Marvels Avengers: Age of Ultron hat die diesjährige Blockbustersaison endgültig begonnen. Iron Man, Captain America, Hulk, Thor und eine ganze Reihe an alten und neuen Helden müssen sich dieses Mal der künstlichen Intelligenz Ultron stellen, die die Menschheit auslöschen will, um den Planeten zu retten. Zusammen mit Pew-Freund Alex Matzkeit von Real Virtuality streite ich mich im neuen PewCast ganz gemäßg dem kommenden Civil War darüber, ob Joss Whedons One-Liner noch zeitgemäß sind, ob der Film einen Plot hat, wieso das CGI trotz der hohen Produktionskosten in seiner Qualität so schwankt und ob es eine Rolle spielt, dass die Avengers am Ende gewinnen.

Auf zum Pewcast.

Das fliegende Auge – Kameradrohnen im Film

Die Avengers kommen ihrer Clubsatzung zufolge nur zusammen, wenn es einen Schurken zu bekämpfen gilt, den ein Superheld alleine nicht meistern kann. Beim Titelschurken des neuesten Films Avengers: Age of Ultron scheint das der Fall zu sein. Der Film folgt nicht ganz der origin story aus den Comics, was Ultrons Entstehung angeht – dort war es der im Juli ins Kino fliegende Ant-Man Hank Pym, der den Roboter baut. Stattdessen ist Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr.) jetzt Ultrons Erschaffer, doch die prometheische Geschichte ist dieselbe: Bevor Ultron zur Bedrohung wird, sollte er Iron Man eigentlich mal Arbeit abnehmen und gemeinsam mit einer Armee kleinerer Roboter selbstständig die Welt retten. Die ultimative Superheldendrohne.

Fast schon ironisch, dass die für Comicfilme mittlerweile üblichen Szenen der großräumigen Zerstörung amerikanischer Großstadtstraßenzüge vielleicht teilweise von einem Vorgänger Ultrons gefilmt wurden. Drohnen, die mit einer Kamera am Bauch aufsteigen und die Welt aus der Vogelperspektive filmen, sind in den vergangenen zwei Jahren an Filmsets zu regelmäßigen Besuchern geworden.

Weiterlesen auf epd-film.de

Die atmosphärischen Reisen des Alex Garland

Der “sense of wonder”, das verwirrte Staunen über das Ungesehene und vielleicht auch Unbegreifliche, gehört zu den Ur-Momenten der Science-Fiction. Oft sind es diese Momente, in denen die Science-Fiction sowohl über den Pulp, dem sie entstiegen ist, hinauswächst, als auch der Gefahr entrinnt, zum reinen, in Erzählung gepressten Nerdmonolog zu werden

Einige von Alex Garlands Werken, zu denen inzwischen Romane, Originaldrehbücher, Drehbuchadaptionen und jetzt ein Film namens Ex Machina gehören, sind eindeutig dem Science-Fiction-Genre zuzordnen. Andere kommen zwar ohne dessen offensichtlichste Elemente aus, enthalten aber dennoch Spurenelemente zum Beispiel des “sense of wonder”.

Weiterlesen auf “kino-zeit.de”

Das Marvel-System – Fünf Parallelen zwischen Marvel Studios und dem klassischen Hollywood

Screenshot aus dem Marvel Studios Logo

Wenn The Avengers: Age of Ultron diesen Donnerstag in Deutschland ins Kino kommt (und eine Woche später in den USA), wird er vermutlich wieder große Mengen Zuschauer ins Kino locken. Wenn man den ersten Reaktionen von Fans und Kritikern glauben kann, ist es Joss Whedon, Kevin Feige und ihrem Team erneut gelungen, Comic-Motive und die Ansprüche des Mainstream-Filmgeschmacks zu einem stimmigen Ganzen zu verquirlen. Ähnlich wie schon bei den letzten Marvel-Filmen darf man sich vermutlich wieder auf eine gewisse Gleichförmigkeit und jede Menge Explosionen einstellen, aber immerhin kann man diesmal wieder auf Joss-Whedon-Dialoge hoffen.

In den knapp fünf Jahren, in denen ich mich jetzt mit den Filmen und Arbeitsmethoden von Marvel Studios beschäftige, musste ich immer wieder an eins der interessantesten filmhistorischen Bücher zurückdenken, das ich je gelesen habe. In “The Genius of the System” zeichnet Thomas Schatz eine Chronik der “goldenen Ära” von Hollywood in den 1930er und 1940er-Jahren und versucht dabei, die Dynamiken zu erklären, die dafür sorgten, dass die Zeit und ihre Filme heute als so kanonisch wahrgenommen werden.

Die Ansichten von Thomas Schatz, insbesondere seine Fixierung auf die zentrale Rolle einzelner Produzentenfiguren wie Irving Thalberg und Louis B. Mayer, sind nicht unwidersprochen. Sie schaffen aber einen interessanten Filter, um auf das heutige Hollywood zu blicken, mit seinem fragmentierten und internationalen Markt und all den Problemen, die inzwischen jeder von Kevin Spacey bis Steven Soderbergh schon angeprangert hat. Marvel Studios und, in Verlängerung, Disney sind einer der wenigen nun schon seit Jahren konstant erfolgreichen Player in diesem Markt und ich möchte argumentieren, dass dies unter anderem mit einer Rekurrierung auf klassische Hollywood-Methoden zusammenhängt.

Ich habe mir fünf Aspekte herausgepickt. Sicher lassen sich mehr finden oder einige ineinanderschieben, wenn man möchte.

1. Zentrale kreative Kontrolle

Wie weiter oben schon erwähnt dreht sich eine der zentralen Thesen von “The Genius of the System” um die Arbeit einzelner Männer. Studiofunktionäre, die die kreative und die geschäftliche Seite des Filmemachens gleichzeitig im Blick hatten, sehr direkt im Entstehungsprozess involviert waren und in einigen Fällen vermutlich mehr als “Autoren” des resultierenden Films gelten können als die im Vorspann aufgeführten Regisseure. Das prominenteste Beispiel ist sicher Louis B. Mayer bei Gone with the Wind. Solche Figuren gibt es heute nur noch vereinzelt, etwa Harvey “Scissorhands” Weinstein.

Bei Marvel aber kommt Kevin Feige, dem Präsident von Marvel Studios, auf jeden Fall eine ähnliche Rolle zu. Obwohl jeder Film einen Regisseur hat, der in gewissen Bahnen seinen eigenen Stil entwickeln darf (wie zuletzt bei Guardians of the Galaxy gesehen); obwohl über Feige der CEO von Marvel Entertainment, Ike Perlmutter steht und obwohl es ein Marvel Creative Committee gibt, das über die Charaktere insgesamt wacht – Feige ist der Boss. Zumindest muss man das aus all den Interviews und Porträts folgern, die seine zentrale Kontrollinstanz betonen. Was passiert, wenn man nicht dem Feige-Pfad folgt, konnte man letztes Jahr im Mai beim Rausschmiss von Edgar Wright erleben.

Es ist diese zentrale kreative Kontrolle aller Marvel-Produkte, welche die stattfindende komplexe Entwicklung eines transmedialen Erzähluniversums überhaupt erlaubt. Und sie ist es auch, die dafür sorgt, dass diese alles in allem eben doch wie aus einem Guss wirken, ob man das gut findet oder nicht

2. Langzeitverträge

Im alten Hollywood wurden Stars nur in zweiter Linie vom Publikum erkoren. Das Star-System der Studios funktionierte vor allem deswegen, weil die Schauspieler fest angestellt waren. Es gab kein Agenten-System wie heute und es gab ganz sicher keine Verträge, in denen einzelne Stars unfassbar hohe Gagen für manche Filme verlangen konnten. Klar, die größten Stars waren trotzdem sehr gut bezahlt – schließlich hätten sie jederzeit zu einem anderen Studio wechseln können – aber wenn sie einen Vertrag unterschrieben hatten, gehörten sie ihrem Arbeitgeber.

Genau wie heute bei Profifußballern und ihren Vereinen, bestimmte das Studio darüber, wann ein Star wie eingesetzt wurde. Das Studio kontrollierte auch das Image seiner Stars, bestimmte darüber, welche Details aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit dringen durften und formte Nachwuchstalente mitsamt neuen Namen und Historien wie Golems aus Ton. Das alles war nicht einmal besonders geheim – Filme wie George Cukors What Price Hollywood von 1932 stellten es sogar relativ ehrlich da.

Ganz so schlimm ist es bei Marvel nicht. Aber das Studio ist dafür bekannt, besonders knausrige Verträge zu schließen, die ihre Talente gleichzeitig für eine ungewöhnlich hohe Anzahl Filme an Marvel binden. Samuel L. Jackson unterschrieb vor Iron Man einen Vertrag für unerhörte neun Filme, die meisten Schauspieler haben Fünf- oder Sechs-Film-Deals. Der Grund zeigte sich im Tohuwabohu anlässlich des Auslaufens von Robert Downey Jr.s Vertrag nach Iron Man 3. Wenn der Marktwert eines Stars, wahrscheinlich sogar durch die Marvel-Filme selbst, steigt, hat er keinen Hebel, um ein besseres Salär herauszuschlagen.

Wer sich weigert, fliegt – zum Beispiel Terrence Howard, der Rhodey in Iron Man spielte. So kann Marvel langfristig mit ihren Stars planen, ohne dass ihnen die Fixkosten bei ihren ohnehin schon teuren Filmen um die Ohren fliegen. Alternativ könnte man argumentieren, dass nicht die Schauspieler, sondern die Figuren die Stars sind (wie die problemlosen Umbesetzungen einiger Rollen zeigen), was ebenfalls für Planungssicherheit sorgt.

© Disney

3. Kontrollierte Stoffentwicklung

Rund um den Release von Guardians of the Galaxy im vergangenen Jahr konnte man anhand der Person von Nicole Perlman, ausgewiesene Drehbuchautorin des Films, einiges über das Marvel Writer Program erfahren. Im Scriptnotes Podcast erklärt sie:

[T]he concept was you joined for one year and if they liked you and you liked them, you could come back for a second year. […] We each had an office and we each had our project that we had chosen. […] [And we were being paid a] weekly salary […]. [I]t’s a bit of a Faustian deal because they own you. For two years I was off the radar. I wasn’t allowed to take meetings. I wasn’t allowed to pitch on anything.

Perlman sagt auch, dass sie die Zeit nicht als unterdrückerisch empfunden hat, weil die Atmosphäre nicht negativ war. Wahrscheinlich ist es in einem klassisch freiberuflichem Job wie dem Drehbuchschreiben auch mal ganz angenehm, nicht nur vom eigenen Erfolg abhängig zu sein. Dennoch ist ein solches Arrangement ein weiterer Rückgriff auf das alte Hollywood-System, dessen Drehbuchautoren natürlich genauso wie seine Stars fest bei den Studios angestellt waren, wenig bis keine Rechte an ihrem eigenen Werk besaßen und beispielsweise keine Tantiemen erhielten.

Das Writer Program von Marvel wurde inzwischen eingestellt, aber es ist nur ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr das System des Studios auf die Kontrolle seiner Stoffe und seines Personals setzt. Gerade im Drehbuchbereich verhindert ein solches Vorgehen die üblichen Geschichten von Turnarounds und “Development Hells”, in denen Stoffe von Eigentümer zu Eigentümer wandern, bis sie am Ende kaum noch wiedererkennbar sind.

4. Zugehörigkeitsgefühl

In der vergangenen Woche war der Cast von Avengers in der Talkshow “Jimmy Kimmel Live” zu Gast. Am Herumalbern der Schauspieler untereinander, darunter einige der am besten bezahlten und am höchsten gehandelten Hollywoodstars dieser Tage, konnte man sehen, wie sehr sie auch hinter der Kamera zu einer Art Superheldenteam geworden sind.

Eine ähnliche Tonlage hört man auch sonst immer wieder in Interviews zu Marvel-Filmen heraus. Ein positiver Nebeneffekt der oben skizzierten Kontrollstrategien scheint darin zu liegen, dass die Menschen, die an Marvel-Projekten beteiligt sind, auf eine Art und Weise zusammenwachsen, wie es in der heutigen Filmwelt sehr selten geworden ist. Dadurch, dass Schauspieler immer wieder zusammen arbeiten, können sie sich auf eine Art und Weise aneinander gewöhnen, wie es sonst nur an Theatern, in lang laufenden Fernsehserien und in Filmen, die in Mittelerde spielen, der Fall ist. Das schafft nicht nur eine Kameradschaft untereinander, sondern auch eine gewisse Loyalität gegenüber dem gemeinsamen Arbeitgeber.

Marvel scheint sich um seine Leute zu kümmern und ist nicht nur aus Kostengründen an langfristigen Zusammenarbeiten interessiert. Das Drehbuchautorenteam Christopher Markus und Stephen McFeely oder die Regiebrüder Joe und Anthony Russo haben für Marvel schon diverse Projekte realisiert und wurden auch bereits für die Arbeit an den restlichen Avengers-Filmen verpflichtet, basierend auf ihrer bisherigen Arbeit für das Studio. So entsteht eine Identifikation zwischen Menschen und Marke, die man anderswo vergeblich sucht, die im klassischen Hollywood aber durchaus üblich war – zumindest solange Angestellte nicht mit ihren Studiochefs aneinander gerieten.

© ABC

5. Markenaufbau

In den 1930er und 1940er Jahren waren die Hollywood-Studios vertikal integriert. Sie kontrollierten nicht nur Filmproduktion und Filmverleih, wie heute, sondern besaßen auch ihre eigenen Kinoketten, denen sie das Programm diktieren konnten. Ein Urteil des obersten Gerichtshofs leitete 1948 die Zerschlagung dieser Studiomodelle ein. Da die Studios also zu einem deutlich geringeren Teil vom Markt abhängig waren als heute – Menschen gingen noch deutlich häufiger ins Kino, und sie schauten sich (meistens) eben an, was die Kinos, die den Studios gehörten, ihnen vorsetzten – fiel es ihnen, gemeinsam mit dem Star-System, auch deutlich leichter, ihre Marken zu kultivieren.

Im klassischen Hollywood waren die Studionamen synonym mit einer bestimmten Art von Film. Warner Bros. war zum Beispiel das “härteste” Studio, mit Krimis und Gangster-Filmen; MGM war das Äquivalent zu einem teuren Luxushotel, voller aufwändiger Produktionen mit vielen Stars. Wer könnte heute noch sagen, was ein typischer MGM- oder Warner-Bros-Film ist? Die Studios gehören multinationalen Konzernen wie Viacom (Paramount) oder Comcast (Universal) und ihre Logos sind so austauschbar geworden wie Köpfe auf einer Elektrozahnbürste. Disney hat sich mit einer konsequenten Firmenpolitik gegen diese Angleichung gewehrt und Marvel scheint sich eine Scheibe von seinem Mutterkonzern abgeschnitten zu haben.

Ich würde behaupten, dass Marvel Studios die einzige Comicverfilmungs-Firma ist, die es in den letzten zwei bis drei Jahren, seit dem Erfolg von Avengers geschafft hat, dass das allgemeine Publikum ihre Filme mit der dahinterstehenden Marke identifiziert. Schuld daran sind all die oben aufgeführten Taktiken und der regelmäßige Output von miteinander verwobenen Filmen, die diese Zusammengehörigkeit klar machen. Obwohl Filme mit Spider-Man oder den X-Men ebenfalls ein Marvel-Logo im Vorspann haben, werden sie nicht mit den Marvel-Studios-Filmen in einen Topf geworfen. (Uns steht also eine herrliche Verwirrung bevor, wenn Spider-Man jetzt ins MCU integriert wird.)

Der Vorteil einer starken Dachmarke? Sie sorgt für einen Vertrauensvorschuss bei allem, was noch kommt. Sie stärkt das Zugehörigkeitsgefühl (siehe oben) nicht nur auf der Produktionsseite, sondern auch bei den Fans. Auf dem Comicmarkt ist “Marvel vs. DC” seit Jahrzehnten die Arena des zentralen Zugehörigkeits-Kampfes. Im Kino entwickelt es sich gerade ähnlich, aber wenn wir Marvel sagen, meinen wir in der Regel Marvel Studios und nicht The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro. Marvel Studios kann behaupten, Ant-Man käme von den “Machern der Avengers“, auch wenn die beiden Filme wahrscheinlich nur sehr wenig Personal teilen.

Eins der anderen Studios in Hollywood, dass diese Identifikationsbasis geschaffen hat, gehört ebenfalls zu Disney. Pixar ist im Gegensatz zu DreamWorks Animation eine Marke, mit der ich als Zuschauer etwas positives verbinde. Und der ich deswegen auch mal einen Fehltritt verzeihe.

Zustimmung? Ablehnung? Weitere Gedanken? Dafür hat dieses Blog eine Kommentarfunktion.

Auf der Straße tanzen

In Noah Baumbachs Film Frances Ha (2012) gibt es eine Schlüsselszene, in der Frances die New Yorker Straßen entlangläuft und dabei tanzt.

Als ich den Film vor zwei Jahren sah, musste ich eine Weile überlegen, warum mir diese Bilder so bekannt vorkamen. Erst während der Konzeption meiner Kritik fiel es mir mit ein bisschen Followerpower wieder ein. Inklusive ihrem Musikeinsatz, David Bowies “Modern Love“, handelt es sich bei der Szene um eine direkte Hommage an Leos Carax’ Mauvais Sang von 1986.

Doch der Gedanke dahinter reicht noch tiefer zurück. Die Straße und der Gehweg als Bühne. Die reine Fortbewegung, die “Ambulation”, wie man sie besonders gebildet nennen kann, wird zur Performance, zum Pulsieren eines inneren Beats, zum Ausdruck der Musik in unserem Kopf.

In Musicals ist die Straßenbühne ein Klassiker. Von Singing in the Rain (1952), in der sie zum Schauplatz für endloses Glück wird …

… über West Side Story (1961), wo sich auf ihr die gegenseitigen Drohgebärden Bahn brechen …

bis zur Eröffnung von Hairspray (2007), in der die Hauptfigur auf dem Schulweg ihre Weggefährten ansingt mit “Good Morning Baltimore”.

Und erst die unzähligen Musikvideos, in denen Menschen ihre Performance auf dem Bürgersteig ausleben. Michael Jacksons “Billie Jean“, The Verves “Bittersweet Symphony“, Björks “It’s Oh, so Quiet“. Der Film Girl Walk // All Day. Die Straße ist Bühne. Dort zu tanzen, während wir unseres Wegs gehen, liegt uns im Blut.

Warum zähle ich das alles auf?

Weil ich es selbst ständig tue.

Wenn ich unterwegs bin, habe ich fast immer Musik auf den Ohren. Und ich kann nicht Musik hören, mich dabei bewegen, und mich nicht mit der Musik bewegen. Je nachdem, wie beobachtet ich mich gerade fühle, singe ich entweder mit (unterschiedlich laut) oder ich spiele diverse Luftinstrumente (als Drummer natürlich besonders gerne Luftschlagzeug, aber auch mein Luftbass und mein Luftpiano können sich sehen lassen).

Manchmal tanze ich sogar ein bisschen. Das kann beim Akzentuieren der “Punches” in der Musik durch Gesten wie Luftfäuste oder kleine Explosionen mit den Fingern anfangen, beim Wippen vom einen Fuß auf den anderen an der Fußgängerampel weitergehen und sich an besonders guten Tagen auf tatsächliches Hin- und Herhüpfen, Umkreisen von Pfosten und Springen auf Steinformationen ausweiten. Oder ich renne einfach mal ein paar hundert Meter im Rhythmus, wenn es in meinen Ohren gerade mal besonders auf die Zwölf geht. Nicht ganz so graziös wie Frances Ha natürlich, aber mit Überzeugung.

Ich erzähle das, weil ich mir wünschen würde, dass es mehr Leute machen würden. Kopfhörer sind heute überall im Straßenverkehr, aber die meisten Menschen starren trotzdem wie Zombies aus ihnen hervor. Ich glaube, nicht, dass sie alle Podcasts hören. Sie scheinen einfach nur nicht das Bedürfnis zu spüren, die Musik, die sie hören, nach außen zu tragen.

Manchmal jedoch, sehe ich wenigstens wie jemand mit dem Kopf wippt. Wie jemand lautlos die Lippen im Text bewegt. Wie jemand auch nur das Gesicht in einer Pose verzieht, die besagt, dass dieser Mensch gerade die Musik spürt, die ihm im Kopf dröhnt. Ich lächle dann nur in mich hinein und rufe nicht: “Tanz, tanz, denk an Frances Ha!” Aber ich weiß zumindest, dass ich nicht alleine bin.

„Korridor links, letzte Tür rechts“: Im Labyrinth der Asterix-Filme

© Studio Canal

Louis Clichy und Alexandre Astier gelingt in ihrem Film Asterix im Land der Götter etwas Besonderes: Dem gewöhnungsbedürftigen 3D-Look zum Trotz besitzen die unbeugsamen Gallier, ihre Gegenspieler und Alliierten, einen Charme, wie man ihn seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in Asterix-Verfilmungen gesehen hat. Der Ursprung dieses Charmes mag darin liegen, dass Clichy seine Lehrjahre unter anderem bei Pixar absolviert hat. Dem US-Studio gelang es schließlich in der Vergangenheit, von alten Spielzeugen bis quadratischen Robotern so ziemlich jedem Wesen eine computeranimierte Seele abzutrotzen.

Vielleicht aber haben sich Clichy und Astier auch sehr bewusst auf den Geist von Asterix-Erfinder René Goscinny besonnen. Dessen Geschichten lag bis zu seinem Tod 1977 bei allem satirischen Biss immer eine besondere Güte inne. Ein Humor, der stets ins Schwarze traf, aber selten verletzte.

Vielleicht lag es daran, dass Goscinny selbst so ein großer Zweifler an seinen Fähigkeiten war und deswegen nie aus einer Haltung der Arroganz heraus schrieb. Albert Uderzo, seinem Freund und Co-Erfinder der Gallier, gelang es lange Zeit, diesen gütigen Geist auch nach Goscinnys Tod in die Comics zu retten. Und auch wenn diese spätestens ab den Neunzigern ebenfalls an Qualität verloren: Asterix blieb auch dreißig Jahre nach dem Tod seines geistigen Vaters, wer er immer gewesen war.

Die animierten Abenteuer des gallischen Kriegers erzählen allerdings eine ganz andere Geschichte – wenn auch eine, die erschreckend wenig dokumentiert und erforscht wurde. Fast immer muss man sich auf nicht direkt belegbare Aussagen verlassen, wenn man etwas über die Asterix-Zeichentrickfilme erfahren will. Außer Fernsehdokumentationen und Pressetexten gibt es eigentlich kein Material. Ich will mich trotzdem an einem Überblick versuchen.

… und zwar drüben, im “Kinderfilmblog”

Dank an Rochus für Redaktion und Publikation

Quotes of Quotes (XXVII) – David Ehrlich on Marvel Movies

Film Critic David Ehrlich recently sized up the Marvel movies in the “Slate” Movie Club. Even though I liked the films as such, I cannot say I disagree, especially on Winter Soldier.

The thing that struck me most about superhero movies this year was their desperate need for validation, and how eager superhero movie fans were to help them achieve it. It began with the hilarious notion that Captain America: The Winter Soldier is a political thriller (let alone a relevant one) just because the film’s plot explicitly involves politics. Also, Robert Redford. Captain America: The Winter Soldier is, of course, a Marvel movie, and that’s a category that is mutually exclusive to all others. Guardians of the Galaxy isn’t a space opera, it’s a Marvel movie. Thor: The Dark World isn’t a … um … hmmm … well, whatever it isn’t, it’s definitely a Marvel movie. The studio has become a genre unto itself, one that banally flattens whatever other modes are absorbed into its spectacle.

The assembly line mentality that snuffed out Edgar Wright’s Ant-Man can be felt in every overdetermined story beat and unctuously endearing character (Groot gimmicked his way out of trouble, but Rocket Raccoon was my ’Nam), and so whenever anyone suggests that Marvel movies are even remotely “weird,” it always sounds to me like they’re trying to convince themselves. An adorable humanoid tree voiced by Vin Diesel in a role that neatly fulfills the exact same function as the Hulk in The Avengers? How will America be able to handle it!?
– David Ehrlich, “Slate” Movie Club