Das Interessanteste an … Moana (2016)

Es mag an meiner leichten Winterdepression liegen, aber nach Disneys Südseeabenteuer Moana (das inzwischen fast in mehr Territorien Vaiana heißt, weil ein Kosmetikhersteller ein Copyright besitzt) fühlte ich mich sonnendurchflutet und gut. Es war mir irgendwie egal, dass der Film eine Verfilmung des Joseph Campbell-Ausmalbuchs ist. Ich habe meine Augen begeistert an den fotorealistischen Umgebungen geweidet, mochte die Dynamik zwischen den Figuren und beim Song “How Far I’ll Go” liefen mir – ungelogen – Schauer über den Rücken.

“How Far I’ll Go” ist in Moana der klassische “I Wish/I Want”-Song des Musical-Schemas. Meistens als zweiter großer Showstopper nach dem Eröffnungstrack, der die Welt des Musicals etabliert (hier ist das “Where you are”, in dem das Dorf vorgestellt wird), hat der “I want”-Song in Musicals die Funktion, den zentralen Konflikt der Hauptfigur zu etablieren. Sie will etwas, ahnt etwas und muss dann die Reise des Plots antreten, um es zu erreichen. Zwei typische “I want”-Songs sind “Part of that World” aus The Little Mermaid und “The Wizard and I” aus Wicked.

“How Far I’ll Go”, geschrieben und getextet von Lin-Manuel Miranda noch vor seinem großen Erfolg mit Hamilton, orchestriert von Mark Mancina, legt entsprechend dar, was Hauptfigur Moana sich wünscht: von der Insel, auf der sie lebt, herunterkommen; zur See fahren; ihr Schicksal finden. Entsprechend der typischen Dramaturgie eines solchen Songs beginnt sie vorsichtig, ist am Ende des Songs aber wild entschlossen, aufzubrechen, wie die Version im Film zeigt. Von so viel Leidenschaft kann man schon mal mitgerissen werden, wenn man wie ich ein großer Softie ist.

Für den Abspann des Films jedoch hat Disney den Song umschreiben und von Teenie-Star Alessia Cara (in Deutschland: Helene Fischer) interpretieren lassen. Diese Art von Hitparaden-Zweitverwertung hat bei Disney Tradition (“A Whole New World” aus Aladdin ist vermutlich das bekannteste Beispiel) und ergibt oft taugliche Popsongs, befreit von ihren Musical-Ursprüngen, gerne interpretiert von ihren Autoren (“Can you Feel the Love Tonight” von Elton John, “You’ll be in my heart” von Phil Collins).

Das Ergebnis ist in diesem Fall allerdings einigermaßen furchtbar:

Der Grund ist meiner Ansicht nach, dass Disney sich diesmal zu sehr von aktuellen Trends hat leiten lassen. “How Far I’ll Go” in der Version von Alessia Cara ist kein zeitloser Popsong, sondern springt mit voller Wucht auf den aktuellen EDM-Trend in den USA auf, was man an zwei Merkmalen deutlich merkt, die praktischerweise beide im vergangenen Jahr im großartigen Podcast Switched On Pop erklärt wurden.

Das eine ist der momentan übliche Claven-Rhythmus, der den Four-on-the-Floor-Umpfer im Mainstream-EDM fast vollständig abgelöst hat. Nate Sloan und Charlie Harding vergleichen am Anfang einer Episode die Songs der Billboard Hot 100 und sie klingen alle gleich. Auch der große Pophit des vergangenen Sommers “One Dance” von Drake nutzt diesen im Vergleich zum geraden Viervierteltakt leicht verschobenen Rhythmus. Hier wirkt er aufgrund der großen Menge an Text, den Alessia Cara in gesteigerter Geschwindigkeit herunterattern mus, irgendwie extrem hektisch im Vergleich zu den stampfenden polynesischen Trommeln und Drama-Fanfaren des Originals.

Das zweite ist die von Nate und Charlie Pop Drop getaufte Eigenart aktueller Popsongs, dem eigentlichen Refrain eine Sektion folgen zu lassen, in der die Stimme des Interpreten zerhackt wird und eine völlig neue Melodie nachzeichnet. Dies ist die in die Popmusik übertragene Variante des “Drop” aus der EDM von Interpreten wie David Guetta, die keinen eigentlichen Refrain haben, sondern nur einen euphorischen Teil, bei dem die Menge besonders stark abtanzen soll. In vielen aktuellen Songs ist der “Pop Drop” der eigentliche Refrain und der Refrain verkommt zur Bridge. Aber “How Far I’ll Go” hat einen wunderbaren Refrain. Besonders die Wiederholung der Melodielinie über sich verschiebenden Harmonien in der Zeile “And no one knows / how far it goes” hat es mir angetan. Diesem Refrain noch einen mittelmäßigen Pop Drop folgen zu lassen ist wie einen Hut auf einen Hut zu setzen. Es ist überflüssig und hebt sich gegenseitig auf.

Dass es auch anders geht zeigt übrigens die Pop-Version von “You’re Welcome”. Ex-Disney-Sternchen Jordan Fisher singt hier die Melodie und Lin-Manuel Miranda rappt dazu einen “Guest Verse”, der im Film nicht zu hören ist. Das ganze passt aber gut und organisch zusammen. Für “How Far I’ll Go” hätte sich doch bestimmt auch ein Popsternchen finden lassen, der das Ganze in klassischer Film-Endballaden-Manier in die Welt krakeelt hätte. Kommt dann wahrscheinlich eines Tages auf einer dieser grausamen “Disneymania”-CDs.

Piq: Die Datenträger des Star-Wars-Universums

Dafür wurde das Internet geschaffen: Im neuen Star-Wars-Film Rogue One geht es darum, die Pläne des Todessterns zu stehlen, und auf “Vice” lässt sich eine Autorin in über 13.000 Zeichen darüber aus, wie ineffizient eigentlich das Datenspeichersystem dieser weit weit entfernten Galaxie ist.

Das extreme Nerdtum wird zum Glück durch sehr viel Selbstironie aufgefangen – aber Sarah Jeong hat recht: Warum muss Jyn Erso unter großen Anstrengungen einen Datenträger von der Größe eines Einfamilienhauses stehlen, wenn die gleichen Pläne kurze Zeit später auf eine Kreditkarte passen?

Upon reviewing the Star Wars canon of movies (…), it’s become clear to me that that the galaxy is crippled by an abundance of disk formats, with all of the accompanying interoperability issues that we see on our own planet. Every time the Rebel Alliance changes bases, they must be lugging around a spaceship full of drives, both new and obsolete, to read every possible format.

Wie immer mit solchen Texten, ist das Ergebnis nicht nur lustig, sondern merkwürdigerweise tatsächlich interessant. Nur die Filme sollte man gesehen haben, wenn man nicht gespoilt werden will.

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Real Virtuality 2016 – Persönliche Höhepunkte (Kurzform)

Ich hatte wie in den vergangen Jahren an dieser Stelle einen Post geschrieben, in dem ich meine persönlichen Gefühlshöhepunkte des Jahres rekapituliert hatte. Beim Zwischenspeichern ist WordPress abgestürzt und hat alles gelöscht. Ich kann das heute nicht noch einmal aus mir herausholen, deswegen folgt nur eine telegrafierte Zusammenfassung. Sehr schade. Oder vielleicht sogar besser so?

Immer noch Berlin

Ich finde die Stadt, in der ich seit 16 Monaten lebe, nach wie vor endlos faszinierend, und das ist toll.

#rpTEN

Trotz inhaltlicher Ambivalenz gab es wieder sehr viele denkwürdige persönliche Momente. Insbesondere habe ich eine Person näher kennengelernt, die ich sehr gern habe, und ich habe einen sehr schönen letzten Abend erlebt.

BoJack Horseman

Die beste aller Netflix-Serien kombiniert sehr speziellen Humor mit der Erforschung existenzieller Lebensfragen und gibt keine einfachen Antworten. Jeder und jede sollte sie sehen, vor allem wenn er oder sie etwas mit Medien macht.

Liepāja

In dieser lettischen Küstenstadt habe ich dieses Jahr Urlaub gemacht. Sie hat tolle Strände, einen Park und ein riesengroßes Schlagzeug (siehe Bild). Ich war dort sehr entspannt.

Piqd

Eine Seite, die die besten Artikel aus dem Netz kuratiert. Ich bin sehr froh, randständiger Teil eines inspirierenden Teams zu sein.

Breaking Bad

Ich habe die Serie dieses Jahr endlich nachgeholt und ihr Status ist gerechtfertigt. Die interessanteste Figur ist für mich Hank Schrader. Sie zeichnet vieles nach, was mit heutigen Männlichkeitsbildern nicht stimmt, und man muss sich einmal vorstellen, die Handlung durch ihre Augen zu sehen, um zu merken, wie genial die Serie ist.

Der Audiokommentar von Captain America: Civil War

Obwohl mich die Marvel-Filme inhaltlich immer weniger berühren, bin ich immer noch von der Logistik dahinter begeistert. Dass die Regisseure Joe und Anthony Russo enorm gut in der Lage sind, ihre eigene Rolle in diesem Geflecht mit dutzenden beweglichen Teilen zu reflektieren, finde ich bemerkenswert. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören. Hier oder im bereits verlinkten Q&A des Smithsonian.

Gipfeltreffen

Ich habe wieder eine Band, was mir sehr gut tut. 2016 haben wir zum ersten Mal live gespielt und ihr solltet uns 2017 buchen!

Hoffen wir, dass das 2017 nicht wieder passiert. Prozit!

Real Virtualitys Lieblingsfilme des Jahres 2016

Am Anfang dieser Liste steht wie immer die Enttäuschung. Anders kann man sich ja gar nicht zur Euphorie der besten Filme des Jahres vorarbeiten. Enttäuschung über den mediokren Blockbuster-Sommer, in dem mich kein einziger Film positiv überrascht hat. Aber auch Enttäuschung, dass es mir wie immer nicht gelungen ist, alle Filme zu sehen, die mir von anderen empfohlen wurden. L’Avenir und 14 Wochen wurde für diese Liste ebensowenig in Erwägung gezogen wie Son of Saul oder Into the Inferno. The Green Room habe ich nicht gesehen und Tangerine leider auch nicht. So ist das jedes Jahr.

Immerhin habe ich es wohl gut 50 mal geschafft, ins Kino zu gehen dieses Jahr, und das ohne ein Festival zu besuchen. Bei insgesamt nur 108 gesehenen Filmen (und dafür immer mehr Fernsehserien) ist das schon ein Schnitt, der deutlich über den Vorjahren liegt. Trotzdem kann ich schon sagen, dass es die Filmemacher dieses Jahres schwerer hatten, mich zu begeistern. Ob das an der Grundstimmung des Jahres liegt, an Stress im Job oder an einer Verschiebung meines Geschmacks – ich weiß es nicht. Bei vielen Filmen hat es für mich jedenfalls nur für einen Platz am Katzentisch genannt. Oder, wie ich es sonst immer nenne:

Lobende Erwähnungen

Gut, aber nicht gut genug für die Top 10 fand ich dieses Jahr unter anderem Paterson, Everybody Wants Some!!, The Revenant, Joy und A Bigger Splash. Anomalisa war beim Anschauen toll, aber sein Glanz ist jetzt zum Ende des Jahres arg verblasst. Dr. Strange und Star Trek Beyond fand ich sehr solide. Captain America: Civil War, Batman v Superman: Dawn of Justice und Warcraft sind Filme, über deren Fehler, Stärken und Plätze in der modernen Hollywood-Blockbustermaschine ich lange reden könnte, die aber alle nicht gut waren. Rogue One war auch gut, aber nicht mehr. Besser als nur gut waren hingegen die folgenden Filme:

10. 13th

© Netflix

Ava DuVernays für Netflix realisierter Dokumentarfilm ist nicht besonders bildgewaltig. Wahrscheinlich hat er sogar nur eine Sequenz, zum Ende hin, die sein visuelles Medium wirklich in einer eisensteinschen Kollisionsmontage von erstaunlicher Effektivität nutzt. Aber es gelingt 13th, ein Argument aufzublättern und Sinnzusammenhänge herzustellen, die ich noch nie gesehen hatte und die mir trotzdem sofort einleuchteten: Es gibt eine gerade Linie zwischen dem Erbe der Sklaverei und der massenhaften Einsperrung schwarzer Männer seit den 70er Jahren. Und die aktuelle politische Lage verspricht keine Besserung. Für all die politische Wut, die ich ohnehin schon im Bauch hatte, war 13th idealer zusätzlicher Brennstoff.

9. Kubo and the Two Strings

© UPI

Es gibt genug, was man Kubo entgegenhalten könnte, von seiner kulturellen Appropriation, die trotz asiatischem Settings ohne Schauspieler_innen mit asiatischen Wurzeln in den Hauptrollen auskommt, bis zu seiner absehbaren Moral. Ich war im Kino trotzdem bewegt – vom Design und den Posen der Figuren, vom Textadventure-Plot, bei dem ein cooler Schauplatz nach dem nächsten besucht werden muss, und von der absehbaren Moral über Familie und Zusammenhalt. Warum mir gerade Letzteres zurzeit immer so nah geht (sogar bei Sing), müsst ihr meine Therapeutin fragen.

8. The Girl with All the Gifts

© Poison Chef

Posthumanismus, der Gedanke, dass die Menschheit in ihrer jetzigen Form nicht die Krone der Schöpfung sein muss, ist in unseren gelegentlich apokalyptsichen Zeiten ein spannender und manchmal tröstender Gedanke. Die Verfilmung von M. R. Careys Roman The Girl with all the Gifts, die dieses Jahr auf dem Fantasy Film Fest lief (regulärer Kinostart: 9. Februar), arbeitet diesen Gedanken nicht zuletzt durch ihr Casting perfekt heraus, denn im Gegensatz zum Roman sieht das titelgebende “Girl” hier eher so aus wie die Generation, die diese Welt erben wird. Dass The Girl with all the Gifts dazu noch ein Zombiefilm ist, der fast ohne Blut und dafür mit umso mehr beeindruckender Stadtüberwucherung daherkommt, macht ihn zum idealen Ersatz für den 28 Months Later-Film, den es wohl nie geben wird.

7. Arrival

© Sony Pictures

Die besten Science-Fiction-Filme haben in ihrem Kern eine revolutionäre Idee und drumherum eine Ehrfurcht für das Außergewöhnliche. Denis Villeneuves besitzt beides, einen cleveren Gedanken über Zeitwahrnehmung, erzählt in einer einfachen Geschichte, und wundersame Bilderwelten, die einen wie ein Traktorstrahl in der Schwebe halten. Ich bin dankbar, dass es solche Filme gibt – noch dazu, wenn sie von Sprachwissenschaftlern handeln. (Es lohnt sich übrigens, diesen Podcast über die Entwicklung des Drehbuchs zu hören.)

6. Brooklyn

© 20th Century Fox

Gerade im Winter braucht es manchmal Filme, die einen innerlich mit Wärme füllen. Im vergangenen Januar war Brooklyn das für mich. Ich habe eine Schwäche für einfache Liebesgeschichten, in denen Menschen nicht dumm handeln, damit das Drehbuch hanebüchene Missverständnisse daraus stricken kann, sondern auftretende Konflikte mit Herz und Vernunft durchschreiten, wie bei den Menschen, die ich auch im realen Leben bewundere und mag. Am Ende bleibt von Brooklyn vor allem das Gefühl übrig, dass es ganz ohne Hollywood-Schmalz jede Menge liebende und liebenswerte Menschen in der Welt gibt, die deswegen noch lange nicht perfekt sind. Und das deckt sich mit meiner Wahrnehmung.

5. Toni Erdmann

© NFP

Ich habe hier im Blog aufgeschrieben, dass ich das Interessanteste an Toni Erdmann die Reaktionen seiner Zuschauer_innen fand. Ich fürchte mich ein wenig davor, den Film noch einmal zu sehen. Wird er meinem Blick stand halten, jetzt wo er mich nicht mehr überraschen kann? Oder werden seine Beobachtungen über Deutschland, Väter, Töchter, Globalisierung, Führungskräfte, Lebensweisheiten und Hilflosigkeit nur tiefer? Auf jeden Fall hat Maren Ades Film genug Eindruck hinterlassen, dass ich es gerne ausprobieren würde.

4. The Lobster

© Sony Pictures

Ich war kein Fan von Yorgos Lanthimos’ Alpen. Aber The Lobster hat im Vergleich gerade genug relatability und bizarre Liebenswürdigkeit, dass er einen durch das verrückte Konzept in seinem Zentrum durchträgt. Dass seine bittere Satire auf das gesellschaftliche Ideal von Liebe und Partnerschaft ins Schwarze trifft, habe ich vor allem darin gemerkt, dass ich im Kino saß und mich nicht nur fragte, wie ich wohl in dem Szenario bestehen würde, in dem Colin Farrell den Film beginnt, sondern ob das nicht eigentlich eine interessante Herausforderung wäre.

3. The Big Short

© Paramount

Ich bin ein großer Fan des Podcasts Planet Money, der Wirtschaftsthemen so erklärt, dass ich sie verstehe. The Big Short ist eine lange Planet-Money-Episode, gekreuzt mit einem Meme-gespickten Buzzfeed-Listicle namens “Diese 31 verrückten Fakten zur Finanzkrise werden dir die Krokoleder-Schuhe ausziehen”. So muss man das Thema angehen: mit Humor, Überdrehtheit und verzweifeltem Optimismus.

2. Spotlight

© Paramount

Als ich aus Spotlight kam, wäre ich am liebsten sofort wieder hauptberuflich in den Journalismus zurückgekehrt. Nicht um große Skandale aufzudecken, wie das Team im Film, sondern einfach nur um das Privileg zu genießen, genau dann Fragen zu stellen, wenn so viele glauben, dass sie die Antwort schon kennen. Wie sehr es im Journalismus genau nicht um Ruhm und Glamour und mediale Eitelkeit geht, sondern um das beharrliche Nachhaken in Situationen, in denen sich alle bereits auf eine Haltung geeinigt zu haben scheinen, das macht Tom McCarthy in Spotlight nicht zuletzt durch seine ebenso beharrliche und unglamouröse Inszenierung deutlich.

1. Vor der Morgenröte

© X-Verleih

Die schönsten Filme sind die, die einen überraschen. Die Trailer zu Maria Schraders Vor der Morgenröte ließen mich vermuten, dass es sich dabei um ein beliebiges wohlgesittetes Biopic deutscher Bauart handelte. Erst durch die nachdrückliche Empfehlung von Bloggerkollegen ging ich ins Kino und erlebte unerwartet ein grandios intelligentes Drehbuch, umgesetzt in perfekt kadrierten Bildern – nicht nur in den langen Einstellungen am Anfang und Ende des Films.

Beeindruckend fand ich vor allem den merkwürdig anmutenden moralischen Konflikt im Herzen des Films: Stefan Zweig weiß, dass es ihm – mit seinen Reisen und lästigen Empfängen – so viel besser geht, als den Bekannten und Freunden, die ihn um Hilfe bitten, weil sie um ihr Leben fürchten, und trotzdem will er einfach nur seine Ruhe, um das zu tun, wozu er sich berufen sieht: Kunst schaffen, die er dem Gräuel des Krieges entgegensetzen kann. Was wie eine einfach Entscheidung klingt, ist eindeutig keine, und es ist großartig, diesen Konflikt auf Josef Haders Gesicht ablesen zu können. Tief bewegend, voller kluger Gedanken – mein Film des Jahres.

Haftungsausschluss: Die Sichtungen von Moana und Nocturnal Animals stehen noch aus, aber ich denke, diese Liste ist für den Moment recht sicher.

Gegen das Empire: Rogue One, Fankultur und Kapitalismus

“Den Luxus einer politischen Meinung hatte ich nie.” Mit dieser Haltung beginnt die junge Heroine Jyn Erso ihre Reise im neuen Star-Wars-Film Rogue One. Von ihrem Vater als Kind in die Hände eines politischen Aktivisten gegeben, hat sie augenscheinlich irgendwann die Lust daran verloren, sich überhaupt mit der Gesamtsituation ihrer Welt auseinanderzusetzen, die unter dem Joch eines galaktischen Imperiums leidet. Stattdessen ist sie zu einer typischen Drifterin geworden, die sich an den Rändern der Legalität und oft darüber hinaus herumtreibt und vor allem an ihr eigenes Überleben denkt.

Es ist kein Spoiler, zu verraten, dass das Drehbuch von Rogue One dafür sorgt, dass Jyn sich ihre politische Haltung anders überlegt. Im letzten Drittel des Films wird sie zur Anführerin eines Stoßtrupps, der in das Herz des Imperiums vordringt und dort versucht, die Pläne für dessen gigantische Kampfstation zu stehlen. Aus der selbstgenügsamen Opportunistin ist eine Kämpferin für die gute Sache geworden.

Warum genau die Sache gut ist, definiert Rogue One nicht. Die Rebellenallianz steht mindestens mal für Freiheit von Unterdrückung und – das macht auch das Casting klar – Diversität von Hautfarben und Spezies. Was sie darüber hinaus für eine politische Agenda verfolgt, erfahren die Menschen im Kino nicht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Disney-Chef Robert Iger in einem Interview mit dem Hollywood Reporter behauptet hat, der Film sei “in keiner Weise politisch” und enthalte “keinerlei politische Meinungen”, nachdem Drehbuchautor Chris Weitz getwittert hatte, das galaktische Imperium sei nach seinem Verständnis eine “white supremacist organisation”.

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Advent, Advent: Mein Erlebnis mit Spotlight

Im Adventskalender von “kino-zeit” dürfen alle Autorinnen und Autoren über ein prägendes Kinoerlebnis dieses Jahres schreiben. Ich habe mich meiner Begegnung mit Spotlight gewidmet:

Deutsche Filmveröffentlichungs-Politik kann grausam sein. Oft beginnt schon im September das leise Summen um besondere Award-Season-Filme, die dann am Ende des Jahres bei vielen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere aus den USA, auf den Top-10-Listen landen, deren Kinostart in Deutschland aber noch weit entfernt ist. Spotlight war so ein Fall. Als ich das Drama um die Recherche des Boston Globe zu systemischem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche endlich zu sehen bekam, hatte es sogar gerade ein paar Tage zuvor den Oscar als bester Film gewonnen. Alles, was es an Hype zu diesem Film geben konnte, war bereits entfacht worden.

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Piq: Durchatmen: Ein Regisseur hat der Alt-Right das Ladekabel geklaut

Hollywood und Politik beschäftigen sich nicht so oft miteinander, wie sie sollten, aber in diesen Tagen führt kein Weg dran vorbei. Das Gute: Wenigstens wird es dadurch manchmal unterhaltsam.

So wie in der Geschichte von Jordan Voigt-Roberts. Der ist zufällig Regisseur des kommenden Monster-Blockbusters Kong: Skull Island, aber das tut eigentlich wenig zur Sache bei seiner Begegnung mit einem unsympathischen Vertreter der “Alt-Right” in einem Flugzeug. Der unliebsame Sitznachbar behandelt die Flugbegleiterinnen schlecht, liest Fake News auf dem Tablet und scheint Schwierigkeiten damit zu haben, sein Handy ordentlich zu laden.

Voigt-Roberts begleitete das Erlebnis mit einem Strom aus ätzenden Tweets (Kostprobe: “He just keeps jamming it in. As if by force it will work. He’s grabbing the pussy of his phone charger. This is our future folks…”) und rächt sich am Ende auf sehr kindische Art, wie er selbst zugibt. Der kleine Rant ist deswegen auch nicht unbedingt sehr erhellend – aber er hat Hollywood-Qualitäten.

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Das Interessanteste an … Paterson (2016)

© Weltkino Filmverleih

Paterson war genau das, was ich am Ende eines stressigen Tages inmitten einer stressigen Woche brauchte. Ein Film, der mich runterbringt. Mit ruhigen Bildern und einem gleichmütigen Hauptcharakter. Kein Film, der mich auf ewig beschäftigen wird. Kein Film, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er dringend gedreht werden musste. Aber ein Film, der guttat.

Falls Paterson eine Aussage hat, dann wahrscheinlich am ehesten, dass “Poet sein” nicht an einen Beruf gebunden ist. Zumindest habe ich das “Aha!” von Patersons zufälliger Bekanntschaft am Ende des Films so verstanden. Beschäftigt hat mich am Film aber etwas anderes: die Art und Weise, wie Jim Jarmusch Routine und Kreativität miteinander verknüpft.

Über die Woche, die Jarmusch Paterson begleitet, sehen wir, wie ähnlich seine Tage ablaufen (auch im Kontrast zu seiner Frau, die jeden Tag einen neuen Reiz entdeckt). Er wacht von selbst zu einer bestimmten Zeit auf, er frühstückt, er geht zur Arbeit, er schreibt ein paar Zeilen, er fährt seinen Bus, er schreibt ein wenig weiter, er geht nach Hause, er richtet den Briefkasten gerade, er geht mit seinem Hund in die Bar und trinkt ein Bier.

Nach oberflächlicher Weisheit sollte das eigentlich bedeuten, dass Paterson ein langweiliges Leben führt, so monoton und routiniert. Aber Jarmusch zeigt auch, dass genau diese Routine dazu führt, dass Paterson Zeit hat, sich inspirieren zu lassen. Er muss nicht ständig neue Entscheidungen treffen, sondern hat Muße, um seine Umgebung wahrzunehmen, den Gesprächen seiner Passagiere zu lauschen. Er schreibt regelmäßig und konsistent, im Einklang mit dem regelmäßigen Rauschen des Wasserfalls an seinem Lieblingsort.

Mich hat das gefreut. Zu oft lese ich in den im Internet kursierenden Kalendersprüchen, wieviel bessere Menschen wir werden, wenn wir aus unserem Alltag ausbrechen. Wir sollen ständig neue Dinge probieren, neue Impulse aufnehmen und uns nicht von unseren schlechten Angewohnheiten runterziehen lassen. Dabei gibt es gerade unter Autoren genug Beispiele für diejenigen, die mit Routinen großes leisten konnten, Haruki Murakami und Thomas Mann konnte ich ergoogeln, aber ich meine, das auch mal über Kurt Vonnegut gelesen zu haben.

Als jemand, der Routinen auch sehr mag, der auch oft vor dem Wecker aufwacht und Dinge in einer festen Reihenfolge erledigt, fühlte ich mich durch Paterson wertgeschätzt. Genau wie “Poet sein” nicht am Beruf liegt, hängt Poesie eben auch nicht an einem aufregenden Leben.

Piq: Die Elemente der Musik von “Arrival”

“Song Exploder is a podcast where musicians take apart their songs, and piece by piece, tell the story of how they were made.” Ein faszinierend einfaches Konzept, das sich perfekt für einen Podcast eignet.

In einer Mischung aus Interviews und einzelnen Aufnahmespuren erlaubt Hrishikesh Hirways Sendung Hörerinnen und Hörern so nah an den kreativen Prozess von Musikerinnen und Musikern heranzukommen wie sonst selten. Und was bei Pop-Bands schon spannend ist, ist bei Filmmusik erst recht genial. Song Exploder hat angekündigt, in den nächsten Monaten Scores auseinanderzunehmen, die gute Chancen auf eine Oscar-Nominierung haben.

Den Anfang macht ein Cue aus Arrival, einem neuen Sci-Fi-Film von Denis Villeneuve (Sicario), der mit viel Vorschusslorbeeren aus anderen Teilen der Welt diese Woche in Deutschland anläuft. Komponist Jóhann Jóhansson setzt in der Geschichte über Verständigung mit Aliens auf eine Minimal-Music-ähnliche Mischung aus organischen Collagensounds und Orchesterinstrumenten. Die einzelnen Komponenten und Gedanken dazu zu hören ist die ideale Vorbereitung auf den Kinobesuch am Wochenende.

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