Worte zur Wochenmitte

These flights that aim to give their spectators the same sense of motion through space have fast become the signature image of the 3D feature film, the sign that it has yet to transcend its theme park tendencies to assimilate the technology with the usual dramatic imperatives (or that 3D will always have limited applications).

Dan North , Spectacular Attractions
// How to Fly in 3D

As I settle down to try to unravel the eight centuries of myth and legend that have accreted around the outlaw, I am looking at a still from the new Ridley Scott movie, which will open the Cannes film festival on 12 May. Russell Crowe – looking the spit of Maximus, the hero of Gladiator, with cropped hair, bloodied cheek and an expression of furious determination – is astride a horse. The horse, naturally, is white: what else would a hero, about to save England from French invaders, ride? I fear there may be some historical disconnect here.

Stephen Moss , The Guardian
// My Search for the real Robin Hood

Ganz klein hat sich die ARD mit dieser Geburtstagsdokumentation gemacht. So klein, dass sie sich selbst riesig finden musste, schon wegen der vielen Leute! Und der ganzen Mikrofone! Und der blinkenden Lichter!

Stefan Niggemeier , Fernsehblog
// Der sechzigste Geburtstag, oder: Der ARD geht’s wohl zu gut

You’re watching “Commentary: The Movie”

“Dan Masters” , College Humor
// DVD Commentary: The Movie
[via Cinematical]

Colour Grading – der Loudness War der Filmindustrie

Ich habe in diesem Blog schon öfter über die Chancen und Risiken des Colour Grading gesprochen. Diese Technik erlaubt es, einen Film komplett in den Computer zu scannen und dort jedes Bild in seinen Farben und Helligkeiten so individuell zu bearbeiten wie ein Photoshop-Datei.

Im positiven Sinne sind damit Effekte möglich, die einen Film optisch in eine komplett andere Welt verschieben können. Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie hat das nach wie vor am eindrucksvollsten vorgemacht. Besonders im fantastischen Kino allerdings ist die Technik auch ein wenig zu einer Plage geworden. Filme sind so stark farbverändert, dass sie wirken, als wären sie vollständig im Computer entstanden. Sie wirken zum Teil wächsern und leblos.

In einem besonders guten Rant hat sich der Cutter Todd Miro in seinem Blog Into The Abyss jetzt des Colour Gradings angenommen. Er beschwert sich besonders über die unnatürliche Gegenüberstellung von orangenen Hauttönen und aquamarinen Umgebungen. In einem Zweiten Artikel wiederholt er seine Argumentation.

Miro führt einen weiteren interessanten Punkt an, nämlich dass dieser Look die Filme der letzten Jahre so stark geprägt hat, dass es ein Trend sein könnte, der in der Zukunft als ein typisches Merkmal der Zeit gelten könnte, nicht unbedingt nur positiv (ähnlich wie die Technicolor-Orgien des frühen Farbfilms oder der Weichzeichner-Look der Siebziger).

In den Kommentaren zu Artikel zwei wird zudem ein cleverer, und wahrscheinlich zutreffender Vergleich mit dem Loudness War in der Musikindustrie gezogen. Neue digitale Möglichkeiten werden so lange übertrumpft, bis die Qualität des künstlerischen Produkts leidet.

Anmerkung: Kurze Kommentar-Artikel ohne eigene Analyse wie dieser oder der letzte wird es auch weiterhin nur selten bei Real Virtuality geben. Stattdessen werde ich diese Woche wieder ein wöchentliches Link-Feature starten, ähnlich der Worte zum Wochenende.

Die Gnade der Synchronisation

Als ich aufwuchs, war Arnold Schwarzenegger für mich so etwas wie ein Held, vor allem weil Terminator II nach wie vor zu meinen Lieblingsfilmen gehört. Bis ich den unten stehenden Clip gesehen habe, hatte ich nie darüber nachgedacht, ob dass vielleicht auch daran liegen könnte, das Arnold Schwarzenegger in Deutschland auch einigermaßen cool klingt, weil er nämlich synchronisiert wird (von Thomas Danneberg).

Auch wenn ich der Meinung bin, dass die Deutschen die Synchronisation vielleicht so gut beherrschen wie wenige andere Nationen (ein Vorteil ist dabei natürlich auch, dass das Deutsche dem Englischen sprachlich sehr nah ist, die Franzosen haben es da schwerer), bin ich inzwischen ein großer Verfechter von Originalfassungen und schaue sie, wann immer es geht (auch bei Sprachen, die ich nicht spreche). In der Synchronisation geht ja nicht nur die Sprache verloren, sondern auch der Original-Tonmix, was einen manchmal tierisch nerven kann.

Bei dieser Sammlung von Arnie-Sprüchen bin ich allerdings misstrauisch geworden, ob Synchronisation nicht auch manchmal ihr Gutes haben kann. Umso erstaunlicher finde ich erneut die Filmkarriere, die Schwarzenegger seit den Siebzigern mit seinem urkomische Akzent hinlegen konnte:

[via Cinematical]

Scott Pilgrim vs The Words

Soso, ein Trailer für Scott Pilgrim vs The World ist also draußen.

Ich bin unentschieden. Einerseits finde ich Edgar Wright gut und bin grundsätzlich der Meinung, dass er gute Filme macht – andererseits kann ich Michael Ceras wimpiges Gehabe irgendwie auch nicht mehr sehen. Ich kenne die Vorlage nicht, weiß also nicht wirklich, was mich erwartet, aber dafür ist mir etwas anderes aufgefallen.

Wright benutzt in seinem Film für Actionszenen die sound words der Comic-Sprache als Schrift im Bild. Hier zum Beispiel:

Damit benutzt er nicht nur die Mittel der digitalen Technik, um sich dem Medium, das er adaptiert, filmisch zu nähern – für mich eines der Merkmale meines Steckenpferds, der von mir sogenannten “Neuen Digitalen Ästhetik”, die sich u. a. durch Verfremdung und Medienhybridität auszeichnet – sondern er ist überhaupt seit langem jemand, der sich mal wieder traut, kreativ mit Schrift im Filmbild umzugehen.

Schrift, Typografie ist eines der zentralen Merkmale mehrere Kunstformen, aber im Film hat sie, abgesehen von Titelsequenzen, in der Regel keinen Platz, weil sie etwas Abstraktes ist, mit der in der Diegese des Films nicht umgesprungen werden kann. Schließlich soll Film meistens eine Nachahmung von Leben sein, und im nichtfilmischen Leben verfestigen sich sinnliche Eindrücke ja auch nicht spontan in Schriftform.

Trotzdem gibt es immer wieder Momente, in denen auch Typografie ihren Platz in der Filmwelt hat. Das älteste Beispiel sind vermutlich stumme Zeichentrickfilme, die sich in ihrer Bildgestaltung noch sehr an ihre Ursprünge, die Cartoons amerikanischer Zeitungen anlehnten. Hier ein Beispiel aus Soda Jerks mit Mutt und Jeff von 1925 (nachkoloriert in den Fünfzigern):

Wenn man sich den ganzen Film anschaut sieht man, das er grundsätzlich stumm ist (also ohne Sprechblasen o.ä. auskommt), aber in Schlüsselmomenten Wörter ausschreibt – meistens Sound Words wie “Wheee!” oder das “ZZZZ” eines Schlafenden, aber in dem obigen Beispiel eben auch mal einen Moment, der genau so viel plötzliche Schlagkraft hat wie das, was ein Sound Word normalerweise repräsentiert – hier der Moment, in dem die Hauptfiguren auf einmal merken, das die Polizei im Anmarsch ist.

Obwohl sich die Praxis, Typografie als Teil der Animation zu haben, im Tonfilm nicht durchsetzte, taucht sie vereinzelt immer wieder auf, hier zum Beispiel in Werner – Beinhart (1990)

Eine weitere direkte Bezugsquelle für Scott Pilgrim ist natürlich die alte Batman-Serie mit Adam West, doch hier sind die Sound Words einzelne Bilder, die eingeblendet werden und nicht Teil des Bildes.

Zu interpretieren gibt es hier erstmal nichts, der Comic-Bezug ist relativ klar. Ich bin nur gespannt, ob das Prinzip auch im Film funktioniert, oder ob es den Zuschauer aus dem Eintaucherlebnis herausreißt.


Aber weil ich gerade dabei bin, hier noch zwei weitere Assoziationen zum Thema “Spaß mit Schrift im Film”, die ich beim nachdenken hatte. Da war einmal der clevere Einsatz von Untertiteln in Danny Boyle’s Slumdog Millionaire, wo die Untertitel Teil des bunten, dynamischen Gesamtgefüges der Bildgestaltung werden:

(Ja, ich weiß, nicht gerade ein gutes Beispiel, aber ich habe immer noch keinen Weg gefunden, meine amerikanischen DVDs, z. B. die von Slumdog Millionaire, auf meinem Mac abzuspielen – auch der VLC-Player hilft mir nicht – und deswegen musste ich mich beim einzig möglichen YouTube-Clip bedienen)

Und dann ist da schließlich noch das Beste an David Fincher’s Panic Room, der inzwischen gefühlt drei Millionen mal kopierte Vorspann, in dem die Worte in den New Yorker Straßenschluchten umherschleichen:

Erfolgsstory Internet? – Ly, Gomeck, Manu und Iris

Die besten Pläne von Mäusen und Menschen gehen oft daneben. Die dritte Folge meiner Interview-Serie über Internet-Erfolgsstories, das war mir von Anfang an klar, sollte von zwei Menschen erzählen, die ich selbst übers Internet kennengelernt habe, die einander über das Internet kennengelernt haben und die seit vier Jahren ein Paar sind und seit drei Jahren zusammen wohnen. Das Internet-Paar: Eine klassische Erfolgsstory.

Doch schon bei meiner ersten Frage wurde ich korrigiert: Die beiden sind kein Internet-Paar, sagen sie. Das Internet hat zwar den ersten Kontakt ermöglicht, lieben gelernt haben sie sich aber von Angesicht zu Angesicht – über einen längeren Zeitraum hinweg. Fort war also meine schöne These, doch das Interview fand dennoch einen interessanten Kern, der in diesem Kontext die Betrachtung durchaus wert ist.

Denn Iris und Manu – oder, wie ich sie kennnengelernt habe: Ly und Gomeck – sind Vertreter einer Spezies, über die nur noch selten gesprochen und geschrieben wird (obwohl Hanspeter Heß auch Anzeichen davon aufiwies: Sie sind Web 1.0-Menschen: Pioniere des Internets, die viele seiner Funktionen schon ausgiebig nutzten, als man dafür noch einiges an Computerkenntnissen brauchte. Die sich aber eigentlich weigern, die jüngste Permutation des globalen Netzwerks vom Kommunikationsmittel zum öffentlichen Lebensraum mitzumachen.

Daraus ergibt sich ein merkwürdiges Paradoxon: Wildfremde Menschen, die man nur “schriftlich” und als einen Spitznamen kennt, ohne “Vorsichtsmaßnahmen” im echten Leben zu treffen, ist normal. In sozialen Netzwerken den eigenen Alltag permanent transparent zu machen erscheint absurd: Eine andere Seite der Erfolgsstory, die das Internet immer schon war.

Diese Interviewserie entblättert langsam aber sicher auch meine Netzvergangenheit. Wer mein Blog liest, merkt, dass Fantasy und Science Fiction besondere Steckenpferde von mir sind. Es dürfte also nur milde überraschen, dass ich lange ein sehr aktives Mitglied der Weltenbastler war, etwa von 1999 bis 2004. Daher kenne ich Manu (Gomeck) und Iris (Ly).


Real Virtuality: Ihr habt euch über das Internet kennen und lieben gelernt, lange bevor das Web 2.0 so richtig eingeschlagen hat. Findet ihr das eigentlich normal?

Ly: Ob das normal ist?! Fragst du das wirklich uns? Vielleicht kann man das bei uns nicht so wirklich sehen. Wir kannten uns viele Jahre, bevor es zwischen uns gefunkt hat. Und in dieser Zeit haben wir uns oft von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden. Insofern würde ich nicht sagen, dass wir uns ‘über das Internet’ lieben gelernt haben – das war schon in Fleisch und Blut… und noch dazu nicht wirklich beabsichtigt.

Gomeck: Es fühlte sich zumindest total normal an. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich von Anfang an die Community, in der wir uns kennengelernt hatten, als eine echte Gemeinschaft kennengelernt hatte, und auch sonst keine Berührungsängste mit dem Internet hatte. Klar, man kannte sich nur online, aber mit dem ersten Real-Treffen der Community-Mitglieder war man dann definitiv festes Mitglied einer eingeschworenen Gruppe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es unnormal ist, online mit den Leuten zu kommunizieren, die man auch live und in Farbe kennt. Iris habe ich ja auch erst später dort kennengelernt, und auch erst freundschaftlich. Zu einer Beziehung kam es ja erst viel später… und auch nicht wirklich übers Netz, auch wenn es sehr hilfreich war, in ständigem Kontakt und Austausch über die Entfernung zu sein.

Erzählt doch nochmal kurz, wie es dazu kam.

Gomeck: Puh, das trifft einen wunden Punkt: mein Gedächtnis! Ich weiß nicht mehr, wie es genau angefangen hat…

Ly: Frag mich was leichteres! Im einem Moment war Gomeck einfach nur der lustige, große Kindskopf – im nächsten Moment ein äußerst attraktiver und anziehender Mann. Er war der erste, der mich damals bei den Weltenbastlern wahrgenommen und mich in die Community gezogen hat. Danach waren wir lange gute Freunde, die das gleiche Hobby teilten und dann … keine Ahnung!

Gomeck: Das ist zum Beispiel so etwas, was ich gar nicht mehr so genau in Erinnerung hatte, dass ich da wohl eine aktive Rolle an ihrer Community-Zugehörigkeit gespielt hatte. Wir hatten uns ja damals auch öfters mal getroffen. Eines Tages rief sie mich während der Arbeit an, sie sei in der Nähe, und ob man sich nicht abends treffen könne. Wir saßen dann Ewigkeiten beim Kaffee in der Hotelbar und haben endlos gequatscht – zu reden hatten wir damals schon viel. Aber wie gesagt, das war lange, bevor es tatsächlich “funkte”.

Würdet ihr also sagen, eure Beziehung ist eine Internet-Erfolgsstory?

Gomeck: Hm, ich glaube, wir sind nicht so wirklich das typische Beispiel von Pärchen, die sich über das Internet kennengelernt haben. Eine Erfolgsstory ist es trotzdem! Das kann man rückblickend wohl tatsächlich sagen.

Ly: Mit Sicherheit! Wir haben ein Jahr 800km überbrückt, bevor ich aus meinem geliebten München ins Aachener Exil gezogen bin – und jetzt wohnen wir schon gut drei Jahre zusammen. Und es klappte und passte von der ersten Minute an.

Gomeck: Ohne das Internet wäre die erste Zeit nicht leicht geworden. Es ist schon so viel wert, wenn man zumindest abends per Webcam das Gesicht des anderen sieht und nicht nur die Stimme hört. Allerdings hatte ich zu der Zeit auch irgendwie ziemlich wenig Schlaf, weil ich mich so ungern vom Rechner trennen wollte!

Wie reagieren Leute, die ihr heute kennenlernt, wenn sie erfahren, dass ihr eigentlich ein Internet-Paar seid?

Gomeck: Ich sage eigentlich nicht, “Ich habe meine Freundin übers Internet kennengelernt”, außer, wenn ich besondere Reaktionen hervorrufen möchte –  da denkt doch jeder direkt an eine Kontaktbörse. Nicht dass das schlimm wäre – einer unserer besten Freunde hat seine jetzige Frau in einer Kontaktbörse gefunden. Viel interessanter sind dann doch eher die Reaktionen, wenn ich sage, dass ich sie bei den “Weltenbastlern” kennengelernt habe!

Ly: Als Informatikerin hat man bei mir irgendwie nicht viel nachgedacht. Klar wurde hinterfragt, ob das gut gehen kann, wenn man auf einmal zusammen zieht, wenn man sich vorher immer nur kurz gesehen hat. Heute haben sich die Leute so sehr dran gewöhnt, dass ich immer nur höre, “Ja, dass habe ich jetzt schon öfter gehört”. Es wird also ‘normal’ – dass wir schon einige Zeit früher ein Paar wurden sei mal dahingestellt.

Gomeck: Ich glaube, früher hatten die Leute schon noch eher erst mal geguckt und nachgefragt, heutzutage dürfte das immer normaler werden, oder? Hinterfragt hat das eigentlich niemand, schließlich kannte ich Iris ja schon einige Jahre, auch persönlich, bevor es überhaupt erst gefunkt hat.

Ly: Da Manu lange Zeit alleine einen Haushalt geschmissen hat, konnte ich mir ziemlich sicher sein, dass ich ihm nicht alles hinterher tragen muss, wenn wir zusammenziehen. Das ist in meinen Augen eigentlich das größte Gift für eine Beziehung.

Seid ihr beide Internet-Junkies der ersten Stunde?

Gomeck: Könnte man fast sagen, ja. Ich hatte als ersten Rechner einen 486er für stolze 1000 DM von einem Freund der Familie gekauft und noch auf DOS-Ebene rumgefrickelt, seitdem habe ich eigentlich immer die Entwicklung mitgemacht. Mit dem Internet zum ersten Mal in Berührung gekommen bin ich in Berlin bei einem Bekannten, puh, wann war denn das? 1997? 1996? Also ziemlich am Anfang. Zum ersten Mal so richtig damit zu tun hatte ich dann 1999 bei der Arbeit. Mit dem ersten richtig verdienten Geld konnte ich dann endlich auch zu Hause ins Internet, aber die Firmenrechner waren so unendlich viel schneller, dass ich da einige Nachtstunden eingeschoben habe.

Das war auch die Zeit, in der ich meine erste eigene kleine Homepage machte, bei FortuneCity. Es sah schrecklich aus, aber ich habe auch damals schon den Quelltext, den das automatisierte Programm erstellte, genauer angeschaut, und alleine vom Draufschauen das grundlegende HTML gelernt. Zu Hause habe ich dann recht bald komplexere Webseiten gebastelt, irgendwann kamen die ersten eigenen Domains.

Ja, und das Wort “Junkie” kommt dem schon gefährlich nahe – ich denke, ich bin durchaus in der Gefahr, mich und die Zeit da schnell zu vergessen. Das hat sich eigentlich erst hier mit dem Zusammenziehen mit Iris gelegt, denn jetzt gibt es andere Verpflichtungen, denen man nachkommen muß, wenn man zu Hause ist. Seitdem liegen übrigens auch meine (und ihre) ganzen Webprojekte ziemlich brach *schäm*

Ly: Ich war ein Internet-Junkie – definitiv! Ich bin auch nach wie vor der Überzeugung, dass mir das Internet das Leben gerettet hat und mich zu der gemacht hat, die ich heute bin … oder die Leute, die ich im Internet getroffen habe. Ich hatte im “echten Leben” nie viele Freunde, die mich ernst genommen habe. Im Internet war das schon was anderes – da gehörte ich relativ bald einfach dazu. Und das hat mir die Kraft gegeben, außerhalb des Internets zurecht zu kommen.

Gomeck: Das war bei mir zum Glück nicht so. Ich hatte damals in Düsseldorf auch schon noch ein ziemlich aktives Leben neben dem Netz, vor allem in sportlicher Sicht. Insofern war ich damals entweder am Rechner, bei der Arbeit oder am Klettern an der Felswand.

Auf den üblichen Web 2.0-Seiten habe ich euch nicht gefunden. Hat sich das Netz für euch im Laufe der Zeit verändert?

Gomeck: Oh, das ist so nicht ganz richtig. Bei Facebook bin ich und Iris inzwischen auch … zu meiner Schande muß ich gestehen, dass ich allerdings alleine aus dem Grund dort eingestiegen bin, weil meine ganzen Brüder und viele aus meiner alten Heimat, zu denen ich sonst echt wenig Kontakt habe, dort vertreten sind. Weil sie mir von einem bestimmten Spiel vorgeschwärmt haben und wir Brüder uns immer schon gerne gemessen haben, musste ich mich natürlich dort anmelden, wenn auch nicht unter meinem echten Namen. Wer mich und mein Umfeld ein bißchen kennt, dürfte mich dort vermutlich auch finden. Aber sonst halt niemand. Twitter hab ich nie so richtig verstanden. Was interessieren mich diese Satz-Schnipsel? Keine Ahnung, wofür das gut sein soll. Information wird so beliebig, man muß auch immer mehr aufpassen, was man glauben kann.

Ly: Wir sind noch nicht lange bei Facebook, aber irgendwann erwischt es dann doch jeden. Ich sträube mich ein bisschen gegen all diese Web 2.0-Technologien, weil nicht jedem mein Leben was angeht – abgesehen davon, lebe ich mittlerweile mehr außerhalb des Internets, als im Internet. Ich verbringe zu Hause kaum mehr Zeit am Rechner, wenn ich den ganzen Tag in der Arbeit programmiere. Das bisschen Forum lesen und chatten zählt schon fast gar nicht mehr – ich würde sagen, ich bin geheilt.

Gomeck: Ich bin auch wesentlich weniger am Rechner als noch vor unserem Zusammenziehen. Es gibt eigentlich ständig irgendwas zu tun. Heute nutze ich das Netz vor allem zur Kontaktpflege mit allen möglichen Leuten, zum bequemen Shoppen, zur Recherche und natürlich für die Weltenbastler.

Ist das Netz der Ort, an dem ihr euch kennengelernt habt, oder das Werkzeug, das euch zusammengebracht hat?

Gomeck: Ich würde sagen, es ist nur das Werkzeug, das Mittel zum Zweck. Allerdings bin ich froh, dass es das gegeben hat, denn wie sonst hätte ich die 800km entfernte Iris kennenlernen sollen? Das Internet ist kein “Ort”. Ich bin auch gegen Virtual Reality (Hoffentlich nicht gegen Real Virtuality, Anm. d. Bloggers), Second Life oder auch Spiele wie World of Warcraft. Das ist natürlich faszinierend, aber irgenwie sollten die Leute wirklich wieder lernen, mit ihrem realen Leben fertig zu werden. Exzessives Zeitverbringen in diesen “Orten” ist eigentlich in meinen Augen fast immer eine “Flucht”.

Ly: Ich sage auch: Werkzeug. Als Informatikerin finde ich die Idee des virtuellen Raumes zwar faszinierend, aber ich weigere mich, diesen Raum wirklich wahr werden zu lassen. Ich möchte in unserer Welt leben – nicht zwischen Bits und Bytes.

Im Web hängt ja viel davon ab, wie man sich selbst darstellt. Man kann viel oder wenig von sich selbst preisgeben, eine virtuelle Persönlichkeit erschaffen, die viel oder wenig vom “stofflichen” Selbst hat. Wie sieht das bei euch aus?

Gomeck: Ich hatte eigentlich von Anfang an nicht so viel Scheu, etwas von mir preiszugeben. Meine erste persönliche Homepage war ja auch entsprechend früh am Start. Allerdings trotzdem unter einem Spitznamen, den ich schon in der Schule hatte – und das ist bis heute auch so geblieben. Inzwischen bin ich vorsichtiger geworden mit dem, was ich preisgebe – auch ein Nebeneffekt vom immer noch wachsenden Erfolg des Netzes. Naja, aber nicht übervorsichtig. Wer eifrig sucht, findet sogar interessante Fotos von mir.

Aber dass ich in Communities oder Chats bewußt eine andere Persönlichkeit vorgegaukelt hätte, das kam, bis auf ganz anfängliche, aufregende Versuche, mich in irgendwelchen Chatrooms als Frau auszugeben, für mich nie in Frage. Das wäre nicht ehrlich, und Ehrlichkeit hat einen hohen Stellenwert bei mir.

Ly: Zu jeder Zeit war meine virtuelle Persönlichkeit immer die meine – die Frage ist nur, wie viel jemand davon gesehen hat. Sicher böte die virtuelle Realität alle Möglichkeiten, ein anderes Ich zu kreieren, aber wozu? Ich nehme mein Gegenüber genauso ernst, wie ich ernst genommen werden will und da hat Verarschung keinen Platz – außerdem sehe ich es als Zeitverschwendung, wenn ich nonstop Blödsinn erzähle.

Gomeck: Und wenn man es wirklich nicht aushält, dann soll man sich eben in Forenrollenspielen verlustieren! Da ist es ausdrücklich erwünscht, einen anderen Charakter zu spielen.

Ist bei eurem inneren Bild des jeweils anderen noch etwas übrig geblieben von der virtuellen Person, oder ist die virtuelle Person vollständig von der realen Person ersetzt worden?

Gomeck: Hm, ich habe noch sehr lange immer Ly zu ihr gesagt. Das wurde dann irgendwann von “Schatz”, “Maus” oder ähnlichen Ersatzbegriffen ersetzt. Erst seit wir dann tatsächlich zusammengekommen sind, sage ich dann auch mal ganz bewußt ihren Namen. Ich muß allerdings zugeben, dass es mir tatsächlich eher liegt, sie mit Kosenamen zu belegen.

Ly: In meinem Kopf ist Manu niemals wirklich Gomeck gewesen. Ich bemühe mich eigentlich jeden liebgewonnenen Menschen mit seinem richtigen Namen und seinem richtigen Gesicht abzuspeichern, weil wir Menschen sind und keine Avatare.

Gomeck: Unsere Avatare im Forum haben wir ja früher nach Herzenslust geändert! Und was meinen Nickname angeht: mit dem wurde ich ja schon vor jedem Internet ganz real gerufen. Deshalb hab ich auch kein Problem damit, wenn andere mich Gomeck rufen. Und bei Weltenbastler-Treffen erwarte ich es eigentlich fast sogar!

Einige eurer Bekannten aus der Community kennen euch wahrscheinlich nach wie vor nur als Nicks und Avatare, wissen vielleicht gar nicht, dass ihr ein Paar seid. Wie geht ihr innerhalb der virtuellen Gemeinschaft mit eurem Paardasein um?

Gomeck: Inzwischen eigentlich recht offen. Wir binden es allerdings nicht jedem sofort auf die Nase, und ich habe auch kein Stress damit, wenn es manche gar nicht wissen. Wir machen allerdings kein Geheimnis draus. Also wer es rausfinden will, der hat kein Problem damit.

Ly: Ich denke, wir machen es immer wieder deutlich genug, dass wir ein Paar sind. Ich fände es unfair, die anderen darüber im Unklaren zu lassen.

Was müsste sich eurer Meinung nach im Netz noch ändern?

Gomeck: Unfairer Abmahnwahn müsste strafbar werden! Ansonsten fällt mir da nix ein. Die Nutzer müssen sich ändern, es ist schon teilweise extrem leichtsinnig, wie im Netz mit persönlichen Daten umgegangen wird und was die Leute von sich preisgeben.

Ly: Ich finde auch eher, dass sich die Menschen wieder ein bisschen mehr ändern sollten – ich finde die Einstellung, die derzeit herrscht, sehr merkwürdig. Ich könnte gezielt nach so manchem Namen suchen und wüsste innerhalb von 30 Minuten seine gesamte Lebensgeschichte und was er gestern gegessen hat und mit wem er heute ins Bett steigt.

Und da beschweren sich die Leute, wenn öffentliche Kameras installiert werden – wozu? Einmal gesurft und ich weiß eh, wo derjenige steckt. Selbst Mörder lassen sich über Facebook fangen, so wie gerade in Italien geschehen – wie dämlich ist das bitte? Nee, nee! Am Netz ist soweit alles in Ordnung – nur die Nutzer sind gerade sehr seltsam.

Dieser Beitrag ist Teil 3 der Serie Erfolgsstory Internet?
Sie spricht mit Menschen, in deren Leben sich durch das Internet etwas verändert hat, über das Internet.

Drei Bemerkungen zu Alice in Wonderland

Der Film ist schon eine Weile in den Kinos dieser Welt und es ist inzwischen auch schon drei Wochen her, dass ich ihn gesehen habe, aber Tim Burtons Alice in Wonderland lässt mich in diverser Hinsicht nicht los. Um meine schlaflosen Nächte zu beenden, hier drei kurze Notizen zum Film:

1. Einige Kritiker, besonders aufgefallen ist es mir bei Kritikern aus einem akademischen Kontext wie dem Film Doctor und Dan North, haben den Film dafür verbal verprügelt, dass er Lewis Carrols Buch nicht treu ist. Mich störte wenig.

Der Film gibt sich ganz klar als Sequel und gleichzeitig als eine Art Remix aus, ähnlich wie etwa Return to Oz, und das macht er eigentlich ganz gut. Drehbuchautorin Linda Woolverton (hier ist das einzige Interview mit ihr) hat als Story-Grundlage vor allem das Gedicht “The Jabberwocky” aus Through the Looking Glass durch den Wolf gedreht, alle restlichen Figuren, inklusive des Hutmachers, sind eigentlich nur Sidekicks, während Alice plötzlich zum Helden des Gedichts wird, der das Land vom Jabberwocky befreit. Das ist ein bisschen platt – es hat mich aber fröhlich gemacht, den Frumious Bandersnatch und den Jub Jub Bird re-imaginiert zu sehen. Der Jabberwocky selbst ist übrigens vom Design her sehr deutlich an John Teniels Original-Zeichnung angelehnt.

Mit dem Stören ging es dann erst im letzten Drittel des Films los, in dem alles etwas zu langweilig und linear wurde. Das Chaos der Traumwelt, durch das Alice normalerweise stolpert, wurde hier leider zugunsten einer leicht nachvollziehbaren moralinsauren Handlung aufgegeben.

2. Und nochmal Jabberwocky. Der Film bedient sich, wie gesagt, sehr freimütig an Lewis Carrols Gedicht The Jabberwocky, auf das Alice am Anfang von Through the Looking Glass stößt und dessen erste Strophe ihr später von Humpty Dumpty erklärt wird. Burtons Film enthält neben dem Jabberwocky selbst auch den Frumious Bandersnatch, den Jubjub-Bird, das Vorpal Sword und vor allem den Frabjous Day aus der vorletzten Strophe.

Im Deutschen gibt es verschiedene Übersetzungen des Nonsens-Gedichts, die mittlerweile gebräuchlichste ist Christian Enzensbergers Übersetzung namens Der Zipferlak. Enzensbergers Übersetzung ist meiner Ansicht nach linguistisch auch die beste, weil besonders die erste Strophe in ihrem deutschen Nonsens sich sehr gut analog zu Carrols erster Strophe erklären lässt – mit Portmanteau-Wörtern und Fantasie-Kreaturen (hier der deutsche Ausschnitt, Dieter Stündls Version ist von den Worten etwas angelsächsischer aber fast ebenso gut).

Die deutsche Synchronfassung des Films entscheidet sich aus naheliegenden Gründen (Markenerhalt), nicht “Zipferlak” und “Mampfes Schnatterrind”, sondern “Jabberwocky” und “Bandersnatch” zu sagen. Als der Hutmacher die erste Strophe rezitiert, erklingt im Deutschen eine vollständig sinnlose Übersetzung, die nicht einmal einen Hauch der Anspielungen (beispielsweise ein Portmanteau wie “elump”) übernimmt. Nur in einem Fall, vollkommen ohne jeden Grund, bedient sich das deutsche Synchrondrehbuch bei Enzensberger. Der “Frabjous Day” wird zum “Blumertag” – warum auch immer.

3. In dieser Kritik von Gizmodo wird der 3D-Einsatz bei Alice moniert. Ich fand ihn auch nicht besonders gut dreidimensional inszeniert. Die eindeutige Chance, den Film zunächst sehr flach zu halten und dann so richtig “tief” zu werden, wenn Alice ins Wunderland kommt, wurde vertan und wie auch bei Gizmodo bemerkt gibt es jede Menge Szenen mit flacher Tiefenschärfe, die nunmal in 3D einfach nicht wirken (das kommt davon wenn man Filme nachträglich 3D-isiert). Cameron hat die Übertragung von regulärer Inszenierung auf 3D besser hinbekommen. Andere, wie Robert Zemeckis, inszenieren in 3D einfach ganz anders, mit viel Tiefenschärfe und weniger Schnitten. Ich bin sehr gespannt, welche Inszenierungsschule sich hier durchsetzen wird. Wird Hollywood einen neuen Code ähnlich dem Continuity Editing entwickeln?

Zur weiteren, ausführlichen Lektüre empfehle ich Andreas Rauschers Essay Im postklassischen Wunderland über Burtons Re-Imaginationen der letzten zehn Jahre.

Erfolgsstory Internet? – Hanspeter Heß und The Healing Road

Das Internet hat die Musikindustrie nicht nur durch illegale und legale Downloads verändert. Die Talentbörsen der Gegenwart sind immer häufiger MySpace und YouTube. Weil in dieser Interviewserie aber nicht die großen, sondern die kleinen Erfolge beleuchtet werden sollen, folgt nun weder ein Interview mit den Arctic Monkeys noch mit Lily Allen, sondern mit Hanspeter Heß alias The Healing Road.

The Healing Road wandelt mit seinen teils sphärischen, teils knallenden, Keyboard-getriebenen Stücken vor allem auf den Spuren von Mike Oldfield – nicht die Art von Musik, mit der man heute noch Stadien füllt, aber für einen kleinen Kreis von Liebhabern durchaus interessant. Interessant dabei auch: Hanspeter Heß ist 43 und hat bis 2005 noch nie öffentlich Musik gemacht. Inzwischen verlegt der französische Special-Interest-Vertrieb Musea seine drei Alben und in der kleinen Szene ist der Winnender durchaus ein bekannter Name.

Ich habe mit Hans über die späte Erfüllung eines Traums gesprochen und musste dabei feststellen, dass er zum Internet durchaus eine konservative Haltung einnimmt.

Ich kenne Hans, weil uns die gemeinsame Liebe zur amerikanischen Progrock-Band Spock’s Beard verbindet. Ich bin auch ein Mitglied der Community, in der Hans seine ersten Schritte gemacht hat, und ich war am The Bearded’s Project beteiligt.


Real Virtuality: Würdest du sagen, dass The Healing Road eine Erfolgsstory ist?



Hanspeter Heß: Ich werde dadurch nicht reich oder berühmt und ich bekomme keine Preise dafür verliehen. Aber subjektiv empfinde ich die 5 Jahre seit dem Beginn des Projekts durchaus als Erfolg. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, zum ersten Mal in meinem Leben eigene Musik aufzunehmen, andere Musiker einzubinden, weltweit Alben zu veröffentlichen und in bescheidenen Mengen zu verkaufen, ganz ohne Kontakte zur hiesigen Musikerszene, ohne Beziehungen und ohne dafür mein Leben neu zu organisieren und andere Dinge zu vernachlässigen.

Ich bin einfach seit jeher ein riesengroßer Musik-Fan und als solcher ist es natürlich ein Traum, einmal ein eigenes Album in Händen halten zu dürfen und es darüberhinaus sogar zu verkaufen. Wenn mir ein Freund Fotos schickt von einem Open Air auf der Loreley, wo am Verkaufsstand ein Album von mir angeboten wird, macht mich das glücklich. 



Erzähl doch nochmal kurz, wie das Ganze aus deiner Sicht seinen Anfang nahm.



2005 habe ich mir aus Neugier einen kleinen Apple-Rechner gekauft und darauf zufällig “Garage-Band” gefunden. Ich schloss also ein altes Keyboard an und nahm, fasziniert von den Möglichkeiten so einfacher Software, ein bisschen Musik auf. Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend 10 Jahre lang Klavierunterricht, somit war ein gewisses Fundament vorhanden. Eher aus Spaß präsentierte ich das Ergebnis bei thebearded.de. Ein paar Leute mochten es, machten Mut, mich damit intensiver zu beschäftigen und hatten die Idee, über moderne Recording-Software mal eine Zusammenarbeit übers Internet zu versuchen. Das war die Geburtsstunde von The Bearded’s Project, einer 2007 erschienenen Doppel-CD der The Bearded-Community für die Kinderhilfe Afghanistan, an der fast die gesamte Gemeinschaft irgendwie beteiligt war, als Musiker, Cover-Designer, PR-Aktivist oder auch durch Ansporn und Kritik.

Es war eine unwahrscheinlich spannende und fruchtbare Zeit und ich hätte nie gedacht, dass man so etwas fast ausschließlich über’s Internet realisieren kann. Eine Begleiterscheinung dabei war, dass ich nun Schritt für Schritt verfolgen konnte, wie man ein Album macht und nach und nach meine Ahnungslosigkeit diesbezüglich verlor. Ich nahm nebenher neue eigene Musik auf und stieg auf professionelle Software (Logic) und einen stärkeren iMac um. Ich meldete mich außerdem bei MyOwnMusic an und bekam dort viel positives Feedback, unter anderem auch die eine oder andere Anfrage, ob es von mir ein Album zu kaufen gibt. Also hatte ich irgendwann rund 60 Minuten Musik beisammen und wusste, was zu tun ist, um ein passabel klingendes Ganzes daraus zu machen. Die Erfüllung eines alten Traums war plötzlich zum Greifen nah und das Debüt Anfang 2007 fertig. Danach hatte ich richtig Blut geleckt. Die erste CD war noch überwiegend am Keyboard entstanden. Nun wollte ich mehr Musiker dabei haben, mehr echte Gitarren, Drums und Bässe hören. Meine Musiker-Freunde von The Bearded und neu hinzugekommene Gastmusiker aus My Own Music leisteten wertvolle Beiträge, ich hatte zwei sehr kreative Jahre und es entstanden die Nachfolgealben Timanfaya und Tales from the Dam. Letzteres konnte ich als LP mit beigelegter CD umsetzen, was mich als Kind der Siebziger sehr gefreut hat.



Und wie kam es dann zu dem Deal mit Musea?



Anfang 2008 hatte ich Timanfaya fertig und war schon am dritten Album. Ich war fasziniert von der Idee, das als LP zu veröffentlichen. Weil das ein relativ kostspieliges Unterfangen ist, von der Pressung bis hin zum teureren Versand, versuchte ich ohne große Hoffnungen einfach mal, ein Label zu kontaktieren. Ich wusste, dass Musea Records für einen Teil der The Bearded’s Project-Alben den Vertrieb übernommen hatte. Ende Juli 2008 schrieb ich denen also eine Mail und schickte per Post Timanfaya und das frisch gemasterte dritte Album als Hörproben hinterher. Dann ging alles recht schnell: Sie waren wunderbarerweise nicht nur bereit, Tales from the Dam tatsächlich als LP mit beigelegter CD zu vertreiben, sondern auch, mir den Selbstvertrieb von Timanfaya abzunehmen. Ich bekam Mitte September die Vertragsentwürfe geschickt und nahm sie zum Studium mit in den Urlaub, um sie danach zu unterschreiben. Sechs Wochen später hatte Musea Timanfaya bereits in ihrem Webshop und den Vertrieb von Tales übernahmen sie von Anfang an.



Verdienst du Geld mit deiner Musik?



Ich könnte, wenn ich nicht so sehr auf Alben mit opulentem Artwork stehen würde. Mit den bisher verkauften Alben wäre ich schon in der Gewinnzone, wenn ich Timanfaya und Tales from the Dam in einer kostengünstigen Standard-Pressung hätte machen lassen. Aber für Timanfaya wollte ich unbedingt ein hochwertiges 12seitiges Booklet mit Infos zu den Stücken und Bildern des Malers Herbert Wanderer, außerdem habe ich das Album von einem Profi mischen lassen. Und was die kombinierte LP-/CD-Pressung von Tales finanziell bedeutet, kann man sich denken. Es geht mir nicht um’s Geld verdienen, das tue ich tagtäglich im Büro. Ich will mir Träume erfüllen, kreativ sein.

Ist das zum Beispiel auch der Grund, warum http://www.thehealingroad.de nicht existiert?

Sicher. Eine professionell gestaltete und regelmäßig aktualisierte Homepage unter einem griffigen Namen wäre natürlich hilfreich und verkaufsfördernd. Aber das würde mich viel Zeit kosten, die ich nicht habe. The Healing Road ist nach wie vor das Hobby eines Berufstätigen mit fester Beziehung, der sein Leben sortiert halten muss.

Das klangliche und optische Endergebnis steht immer über dem Gewinnstreben und deshalb arbeite ich auch nach wie vor hartnäckig der Kostendeckung entgegen. Ich habe auch das große Glück, viele Idealisten an Bord zu haben. Keiner der Musiker wollte Geld, auch das Cover-Design, die Schriftzüge, die Fotos und Malereien in den Artworks der Alben, steuerten Leute bei, die das nicht für Geld tun, sondern um am Ende Teil des Ganzen zu sein. Ohne sie könnte ich meine Musik nicht in dieser Form verwirklichen und präsentieren, dann gäbe es nur eine Download-Version bei iTunes.



Welche Rolle spielt das Internet in deiner Funktion als Musiker für dich jetzt?



Mir als Amateur, der sein Geld nicht mit Musik verdienen muss, bietet das Internet grenzenlose Möglichkeiten. Ich kann mir auf der ganzen Welt Mitmusiker suchen und Dateien mit ihnen austauschen, es gibt unzählige Plattformen, wo man umsonst seine Musik präsentieren und Hörer finden kann. Ohne das Internet würde ich keine Musik aufnehmen, es gäbe keine CDs von mir. Das Internet ist für mich die Möglichkeit, mit anderen Musikern zu interagieren, ohne dabei durch geographische Distanz oder Zeitprobleme behindert zu werden. Ich bin 43, viele meiner Mitmusiker bei The Healing Road sind in einem ähnlichen Alter. Wir leben verstreut über ganz Deutschland, einige haben Kinder, jeder seinen Job und seine Verpflichtungen. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, zusammen Musik zu machen, die es ohne dieses Medium nie gäbe. 



Du und das Internet, war das Liebe auf den ersten Blick?



Ich habe mich ungefähr 1990 über Compuserve vernetzt und war spontan fasziniert. Das WWW war damals noch eher eine Randerscheinung. Abends eine Mail an einen Freund in Kanada zu schreiben und am nächsten Morgen die Antwort abzurufen, fand ich sensationell. Damals war alles noch nicht so werbeverseucht, es war durchaus Liebe auf den ersten Blick.



Wie ist dein Verhältnis zu dem Medium heute?



Es ist ein zwiespältiges Verhältnis. Oben habe ich ja beschrieben, dass mir das Internet das Ausüben eines sehr schönen und erfüllenden Hobbys ermöglicht, das weiß ich zu schätzen. Auch die Erfahrung von The Bearded’s Project, die Tatsache, dass eine Internet-Community eine gemeinsame kreative Anstrengung unternimmt, an deren Ende gar nicht virtuelle, sondern sehr reale 7000 Euro für einen guten Zweck zusammenkommen, zeigen mir, dass man das Medium konstruktiv und bereichernd nutzen kann. Andererseits gibt es Dinge, die ich für bedenklich halte: Die grenzenlose Kommerzialisierung, das Mobbing via Internet, das kaum kontrollierbare Sammeln von Daten, zu viele “soziale Netzwerke”, zu viele virtuelle Freunde usw. Ich denke, sobald das Internet zum Selbstzweck verkommt, sollte man sich Gedanken machen. 



Welche Plattformen nutzt du?



Ich bin mit meiner Musik auf MySpace und MyOwnMusic und schaue hie und da für ein paar Kontakte zu Schul- und Studienfreunden bei Stayfriends rein. Kein Twitter und kein Facebook bisher.



Musstest du mit Höhenflügen klarkommen, als The Healing Road plötzlich zu einem kleinen Erfolg wurde und du rezensiert und interviewt wurdest?



Natürlich ist es schmeichelhaft, wenn man “stattfindet” – wenn Internet-Radios im Ausland plötzlich meine Musik spielen oder sich neben den einschlägigen Online-Rezensions-Seiten auch mal das eine oder andere halbwegs bekannte Printmagazin zu einer positiven Rezension hinreißen lässt. Ich hatte da durchaus eine Phase der Euphorie. Das habe ich genossen, aber ich denke, ich bin schon zu alt, um mich davon blenden zu lassen. Probleme tauchen dadurch aber dennoch auf, und zwar dann, wenn man nach solchem Feedback neue Musik aufnehmen will. Plötzlich ist die Unschuld weg, man werkelt nicht drauf los, sondern macht sich auf einmal Gedanken, wie das beim Hörer wirkt, wie die Erwartungen sein könnten, evtl. auch was an den letzten Alben moniert wurde. Das ist keine gute Voraussetzung, um Musik zu machen und es braucht ein wenig Zeit, sich daran zu gewöhnen und diese Hintergedanken zu verdrängen.



Betreibst du aktiv Werbung für deine Musik, promotest du sie?



Ich bin ein miserabler Promoter. Ich habe schon ein wenig Werbung in zwei oder drei einschlägige Foren gepostet, meist Fan-Communities von Bands, die musikalisch verwandt mit oder Vorbild für meine Musik sind. Ich bin aber sehr froh, dass sich darum jetzt Musea Records kümmert.



Was macht Musea denn für dich? Nutzen die die Fan-Gemeinschaft im Internet?

Musea scheint einen sehr aufmerksamen und musikhungrigen Kundenkreis zu haben, der sich vorrangig übers Internet informiert. Die müssen gar nicht teuer in Print-Magazinen inserieren. Es reicht, wenn sie ihre PDF-Flyer per Rundmail verschicken und ihre Internet-Connections nutzen. Gerade im Progressive Rock – Bereich scheint sich eine Art Subkultur im Internet entwickelt zu haben, die von den herkömmlichen Vermarktungswegen getrennt und nicht abhängig ist. Da läuft viel über Mund- bzw Mailpropaganda und Rezensions-Seiten.

Welche Rolle spielt dabei die Vermarktung deiner Person und Geschichte?



Beim ersten Album spielte das noch eine nennenswerte Rolle, weil alles noch so frisch und gerade erst passiert war. Mittlerweile erwähne ich es nicht mehr, ich schreibe dann eben, dass es das Projekt nun seit 5 Jahren gibt und 2007 das erste Album erschien. Auch Musea stellt mich da nicht sonderlich heraus, ich werde lediglich als Schöpfer und Chef des Projekts genannt.

Glaubst du denn trotzdem, dass es sowas wie einen Underdog-Charme bei The Healing Road gibt?

Zumindest anfangs gab es den ganz sicher. Ich habe neulich auf MySpace einen Künstler gefunden, der gar angab, dass die Entstehunsgeschichte meines Projekts ihm den Mut gab, sich selbst an etwas ähnlichem zu versuchen. So jemand kauft die CD nicht vorrangig wegen des perfekten Sounds, sondern weil ihm diese Geschichte irgendwie sympathisch ist.




Was ist deine Zielgruppe, falls du so etwas hast? Bekommst du Rückmeldungen?



Das bisherige Feedback lässt vermuten, dass es einen Peak der Käuferanzahl bei Männern zwischen 30 und 50 gibt, nicht untypisch für Musik dieser Art. Längerfristiger Kontakt hat sich mit ein paar Radio-DJs ergeben, das sind oft die selben Musik-Freaks wie ich einer bin. Das läuft eigentlich alles in normal-freundschaftlichem Ton auf Augenhöhe ab und nicht “von Künstler zu Hörer”. 



Hast du auch negative Erfahrungen gemacht?

Es gab bisher keine Kritiken unter der Gürtellinie. Ich denke, dafür ist das Ganze noch in zu harmlosen Dimensionen. Diese Auswüchse entstehen meist, wenn wirklicher Neid existiert oder der Erfolg eines Projekts manchem unangemessen und unverdient erscheint. Dafür bin ich einfach zu unbekannt, denke ich.

Hast du irgendwelche Ziele, was du mit The Healing Road noch erreichen möchtest?



Noch ein Album machen, das besser ist als die ersten drei.



Allgemein gesprochen: Wie, würdest du sagen, hat das Internet dein Leben verändert?



Es hat vieles einfacher gemacht. Es hat den Kontakt zu Freunden erleichtert, hat verhindert, dass ich Leute aus den Augen verloren habe, es macht es mir leicht, mich über Musik oder Literatur zu informieren, Bildungslücken zu schließen, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen, mal eben den Kontostand abzufragen, ohne zur Bank zu müssen und so weiter. Meine Leidenschaft für die Musik konnte ich dank des Internets vom reinen Konsum auf das Veröffentlichen eigener Alben ausweiten. 



Und genauso allgemein gesprochen: Was könnte im Internet noch besser laufen?



Ich denke, es liegt an jedem einzelnen User selbst, was er daraus macht. Man könnte es oft etwas umsichtiger und wohldosierter nutzen, weniger konsumieren, aktiver daran teilnehmen. Es hat bei aller Kommerzialisierung enormes Potenzial, das man nur erkennen und nutzen muss.

Dieser Beitrag ist Teil 2 der Serie Erfolgsstory Internet?
Sie spricht mit Menschen, in deren Leben sich durch das Internet etwas verändert hat, über das Internet.