Lang, lang ist es her, dass ich für einen Film zweimal (bezahlt) ins Kino gegangen bin.* Avatar war es mir aber wert. Erstens weil ich den Film noch einmal sehen wollte ohne vom 3D-Effekt so überrollt zu werden, dass der Rest des Films ein wenig verblasst, zweitens weil ich den Film das erste Mal am Startwochenende gesehen hatte und ihn noch einmal nach dem Hype, dem Erfolg an den Kassen und dem Golden Globe-Gewinn begutachten wollte. Ich wollte sehen, ob er einem zweiten Blick standhält.
Interessanterweise tut er es, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass James Cameron in der Tat saubere Arbeit geleistet hat. Der Film ist nach dem Lehrbuch aufgebaut und zieht einen, nachdem man den etwas plumpen hard-boiled-voiceover-Einstieg überstanden hat, mit seinen klar strukturierten Szenen (mir ist aufgefallen, wie viele Schwarzblenden der Film hat) und Charakteren, die sich wie auf einem Schachbrett bewegen, direkt in die Story hinein. Spätestens nach zwanzig Minuten ist man auf Pandora angekommen, denkt kaum noch über 3D und über Computeranimation nach und nach anderthalb Stunden beginnt man, sich auf das große Actionspektakel am Ende zu freuen – und wird schließlich auch belohnt.
Auch seine anderen Stärken behält der Film bei: Den Aspekt von Avatar, der am deutlichsten ein klassisches Science-Fiction-Thema ist – die ethische und emotionale Seite des “Lebens” in einem fremden Körper – wird meistens eher ausgeblendet, dafür aber an einigen Schlüsselstellen in den Vordergrund gerückt: Zu Beginn von Jakes Trainingssequenz, wenn er kommentiert dass das Wirklichkeit-Traum-Verhältnis auf dem Kopf steht, am “Morgen danach”, als Neytiri Jake nicht aufwecken kann, weil er eben nicht in seinem Körper steckt, sowie kurz darauf, als er seine Rede nicht halten kann, weil Quaritch ihm den Saft abdreht – und schließlich kurz vor Schluss des Films in dem beeindruckenden Bild, als die drei Meter große Neytiri zum ersten Mal Jakes wahren Körper in ihrer Hand hält. Durch diese punktuelle Betonung des Avatar-Konflikts ruft der Film seinen eigentlich interessantesten Aspekt (der dem Film immerhin seinen Namen gibt) immer wieder gezielt ins Gedächtnis zurück – und mit der Auflösung des Konflikts endet der Film ja schließlich auch.
Beim zweiten Ansehen kann sich der Zuschauer auch noch deutlicher daran ergötzen, wieviel Detailüberlegung in die Entwicklung von Pandora geflossen ist, in das exotische aber in sich schlüssige Design von Kreaturen und Pflanzen und in die absolut hundertprozentige Glaubwürdigkeit der Charakterbewegung in dieser Welt. Überhaupt die Charakterbewegung: Es ist beeindruckend, wie gut das Performance Capturing beispielsweise die schwerfälligen Bewegungen von Grace und Norm – und anfangs auch von Jake – einfängt, in denen man so eindeutig die Menschen hinter den Na’vi erkennen kann. Schaut man sich zum Vergleich Zemeckis’ fast zeitgleich gestarteten A Christmas Carol an, in dem sich immer noch große Teile der Charaktere bewegen wie von der Augsburger Puppenkiste rekrutiert, kann man sehen, wie hoch Cameron die Meßlatte hier gelegt hat.
Und schließlich ist die 3D-Mise-en-scène nicht nur der herausragenden Actionszenen – die wie immer bei Cameron erste Sahne sind – sondern des ganzen Films nach wie vor beeindruckend. Immer wieder streut Cameron Shots ein, die einem den 3D-Effekt eindrucksvoll vor Augen führen ohne aufdringlich zu wirken: Größenvergleiche, POV-Shots, Fluchten, lange Close-Ups. Doch er lässt sie nicht zum Selbstzweck werden, schneidet einfach nach regulärem Continuity-Rhythmus.**
Gleichzeitig fallen beim zweiten Sehen aber auch die Schwächen des Films noch stärker ins Auge. Beispielsweise dass die komplette zweite Hälfte des Films von einer einzigen Szene abhängig ist, in der ein von Anfang an zweidimensionaler Charakter (Ribisis Businessmann Selfridge), eine Entscheidung fällt, deren Motivation vollständig auf der Strecke bleibt, nämlich den Heimatbaum der Na’vi zu zerstören und Graces Bedenken dabei einfach wegzuwischen. Selfridge ist als Charakter so flach, dass seine Entscheidung wie eine Art negativer Deus-Ex-Machina wirkt. Hätte man ihm von Anfang an mehr Tiefe gegeben – wo liegen seine Abwägungen bei der Führung des Unternehmens, welchen Werten und Zwängen ist er verpflichtet – oder ihn zumindest genauso durchgeknallt überzogen wie Quaritch, in dessen Wahnsinn wenigstens Methode steckt, wäre diese Entscheidung wohl nachvollziehbarer und der ganze doofe Gut-Böse-Dualismus des Films glaubwürdiger gewesen.
Und schließlich ist da der meistkritisierte Aspekt des Films, die typisch westliche Vision des Edlen Wilden, der reiner ist als der von der Zivilisation verseuchte Weiße. Dass dieser Edelmut in einer kriegerischen, heteronormen Gesellschaft liegt, die auch die positiven Aspekte des Fortschritts (beispielsweise Medizin und Selbstverwirklichung) zugunsten von Naturverbundenheit und vager Spiritualität ablehnt – andererseits aber einen “zivilisierten” Außenseiter als Messias braucht, um sie zu einen und zur Vernunft zu bringen – ist eine der großen Schwachstellen von Avatar und allen anderen kolonialistischen Erzählungen dieser Art, denen ich in diesem Fall nicht mal Rassismus, sondern einfach nur Eindimensionalität vorwerfen würde. Wann immer solche Gesellschaften dargestellt werden, wird beispielsweise immer ausgeblendet, wie es wohl denjenigen innerhalb beispielsweise der Na’vi geht, die eben keine Lust auf Jagen und Sammeln haben. Werden sie ebenso ausgestoßen wie die Kolonialisten?
Da sich bei Avatar die beeindruckenden und die entäuschenden Aspekte also so gut die Waage halten, wird der Film beim zweiten Sehen weder besser noch schlechter – er bleibt so solide und oberflächlich wie beim ersten Sehen. Das wiederum zeichnet ihn eigentlich als guten Film aus, der sich immerhin selbst treu ist.
Für die weitere Betrachtung des Films empfehle ich Dan Norths sortierten Querschnitt durch Kritiken und Essays, die Avatar hervorgebracht hat.
* Interessanterweise ist der einzige Film, seit Beginn meines Filmtagebuchs im Mai 2003, ausgerechnet Matrix: Reloaded, weil ich zum Start von Revolutions noch einmal in eine Dreier-Nacht gegangen bin.
** Auch hier bietet sich der Vergleich mit A Christmas Carol kurz an, der darauf hindeutet, dass es künftig zwei “Schulen” der 3D-Inszenierung in computergenerierten Umgebungen geben könnte. Eine (Cameron) inszeniert weiter als gebe es 3D gar nicht und versucht damit auf die zukünftige Alltäglichkeit der Technik hinzuweisen, die andere (Zemeckis) zelebriert ihr Medium: Sie setzt beispielsweise Schwenks und Innere Montage statt Schnitten ein, wann immer sie kann, und setzt stärker auf Tiefenschärfe um die Integrität der diegetischen Welt zu waren.