Höreindrücke: Lost im Bundestag, Hyperfixed, Question Everything, Zufälle gibt’s

Diesmal mit amerikanischen Independents, Marshall McLuhan und konfusen Zufällen.

Lost im Bundestag (ARD)

Ein Podcast, der in seiner Gesamtheit nur wenige Minuten mehr hat, als ein einstündiges Radiofeature, beweist einmal mehr, dass Marshall McLuhan mit “The Medium is the Message” recht hatte. Und die Rezeption passt sich an. Ich mochte an Bianca Schwarz’ Projekt das Gefühl der Handgemachtheit und Unmittelbarkeit, gerade innerhalb einer so großen Institution wie der ARD. Ausführlicher habe ich das in der letzten Folge von “LÄUFT” beschrieben.

Hyperfixed (Radiotopia)

Nun meldet sich also auch Alex Goldman aus den Trümmern von “Reply All” zurück. Und sein neues Format, von dem zunächst zwei Pilotepisoden veröffentlicht wurden, hat durchaus Ähnlichkeiten mit “Search Engine” von seinem ehemaligen Co-Host PJ Vogt: Vogt beantwortet Fragen, Goldman hilft beim Lösen von Aufgaben. Das ist … kompetent gemacht, aber bisher nichts, was man nicht schon mal gehört hätte. Bei “Search Engine” haben sich in jüngster Zeit Vogts essayistische Gedanken als die eigentliche Stärke erwiesen. Es wird sich zeigen, ob Goldmans Hostpersona ebenfalls ein so starkes Profil entwickeln kann.

Question Everything (Placement Theory/KCRW)

Und noch ein berühmter US-Podcaster mit einem neuen, persönlichen Projekt. Brian Reed (“S-Town”) ringt in “Question Everything” damit, was Journalismus heute leisten soll und kann. In der ersten der drei bisher veröffentlichten Episoden stellt Reed sich seiner eigenen Kritikerin, in der jüngsten (die ich stark fand) spricht er mit einem Ex-Kollegen, der nun für einen Thinktank arbeitet, weil er dort glaubt, mehr erreichen zu können. Das alles ist suchend und forschend, ohne zurechtgelegte These, funktioniert aber trotzdem. Vielleicht kann ich Brian Reed auch demnächst selbst fragen, was er bisher gelernt hat. Stay Tuned.

Zufälle gibt’s (Deutschlandfunk)

Ich habe diesen Podcast nicht verstanden. Auch nicht, nachdem Host Julius Stucke im “Über Podcast” zu Gast war. Es geht um Zufall, aber auch nicht so richtig. Die Geschichten, die erzählt werden, sollen mit Absicht nicht außergewöhnlich sein. Und der Fokus, mit dem sie erzählt werden, bleibt auch sehr unscharf. In der zweiten Folge taucht dann mal eine Expertin auf, die das Gehörte etwas einordnet, aber so richtig schlau war ich danach immer noch nicht. Ich will nicht ausschließen, dass das an mir liegt.

Bonus-Tipp: Die neue Staffel von “Slow Burn” (Slate) erzählt die Entstehungsgeschichte von Fox News, was sich für alle Medienschaffenden alleine aus politischem Interesse lohnen dürfte.

Die “Höreindrücke” sind eine alle zwei bis drei Wochen erscheinende Kolumne über neue Podcasts, von denen ich in der Regel zwei bis drei Folgen gehört habe.

11 Leben Staffel 2, Fuck You Very, Very Much, Kakadu bei euch – Drei Podcast-Kurzkritiken

Es sind Markus-Kavka-Wochen bei den Höreindrücken. Das ist aber Zufall.

11 Leben – Die Welt von Lothar Matthäus (WakeWord/RTL+)

Es gibt nur ein’ Max-Jakob Ost, aber ich verstehe den Wunsch von RTL, einen erfolgreichen Podcastfeed nicht verwaisen zu lassen. Ich finde auch, dass Markus Kavka eine gute idee für einen Host ist, als ähnlicher Jahrgang und Co-Franke von Matthäus. Und natürlich klingt das Ergebnis anders als bei der Kulturgeschichte des deutschen Fußballs, die Max mit hoher persönlicher Motivation vor drei Jahren geboren hat. Weniger verkopft, mit einem etwas onkeligen Kavka, der wahllos seine eigene Biografie als Vergleichspunkt heranzieht und sich sehr oft vorstellt, wie es denn wohl gewesen sein könnte (mein unliebstes Podcast-Stilmittel, insbesondere wenn es wie hier mit Captain-Obvious-Sounddesign gepaart wird). “11 Leben: Das Sequel” ist nicht verkehrt, aber es ist eher Infotainment und dürfte anders als Staffel 1 wenig Menschen ansprechen, die sich nicht sowieso für Fußball-Legenden interessieren. Passt wahrscheinlich ganz gut zur Marke RTL.

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Fuck You Very, Very Much! (Kugel und Niere/ARDKultur)

Kugel und Niere hat das Format des “Umgekehrten Interviews” (eine Person hat Infos mitgebracht, die andere reagiert) raus, und “Fuck You” ist keine Ausnahme. Das Host-Duo Markus Kavka und Jennifer Weist ist gut gecastet. Die eine bringt Musikindustrie-Erfahrung von innen, der andere von außen mit, und die persönlichen Anekdoten bereichern die Erzählungen von berühmten Pop-Fehden nicht immer gehaltvoll aber meist unterhaltsam. Alles in allem ist das Format vor allem fluffig und dürfte Musiknerds wenige neue Erkenntnisse bieten, aber so ist es vermutlich auch gedacht. Geiler Titel.

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Kakadu bei euch (Deutschlandfunk)

Neues Format innerhalb des “Kakadu”-Podcast-Feeds, in dem Kinder sich und ihre Welt vorstellen. Die zwei ersten Folgen porträtieren einen Autoschrauber und eine Jüdin am Schabbat. Mein Kind ist noch einen Hauch zu jung dafür, aber es würde ihm sicher gefallen. Besonders schön ist, wie die Kinder und ihre Sicht auf die Dinge im Zentrum steht. Ich war erstaunt von der schieren Menge an Sound Design, die eingesetzt wird, um die Stücke auszuschmücken. Manchmal fast etwas zu viel für meinen Geschmack. In Folge eins wird zudem gleich mal ein Tipp gegeben, wie man mit minderjährigem Autofahren davonkommt (“Meine Mama wusste nichts davon!”). Der Kakadu hat also eine gewisse Anarcho-Kraft und fungiert gleichzeitig mit seinen Zwischenrufen wie eine Art griechischer Chor – ein Stilmittel, das man sich auch mal für erwachsene Podcasts abschauen könnte.

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In zwei Wochen gibt es keine Höreindrücke, dafür geht es dann los mit dem Podcapril, für den ich ich dieses Jahr das Konzept etwas verändere. Meinungen zu Podcasts wird es also auf jeden Fall trotzdem zu lesen geben.

Rasenball, CUT, What the Wirtschaft?, AIDS-Leugner – Vier Podcast-Kurzkritiken

Ich habe am Wochenende Podcasts gehört und wollte ein paar schnelle Höreindrücke teilen. Als echte Kritiken sollte man diese Texte nicht lesen, da alle Anhörungen (?) noch unvollständig sind, aber ich denke, es reicht für einen allgemeinen Eindruck und jetzt habe ich gerade Zeit zum Schreiben.

Rasenball (Undone/MDR)

Als jemand, der schon 11 Leben gut fand, ist es kein Wunder, dass ich auch hier mit Spannung zuhöre. Nicht, weil ich Fußballfan bin, sondern weil mich die Hintergründe von Entertainment schon immer interessiert haben. Und das Team rund um Patrick Stegemann und Katharina Reckers liefert: Rasenball ist gut strukturiert, lebendig erzählt, bietet genau die richtige Balance aus Szenen, Erklärung und These. Jede Folge hat ein klares Ziel, auf das sie hinarbeitet, gemeinsam entsteht ein rundes Bild. Und als Hörer frage ich mich tatsächlich die ganze Zeit: Ist das jetzt schlimm oder nicht? Falle hin und her zwischen den beiden Ansichten. Das sollte die Mission sein und sie wird rundum erfüllt.

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CUT – Das Silvester, das uns verfolgt (WDR)

Genau das, was ich an Rasenball gut finde, fehlt CUT. Obwohl die Doppel-Moderation gut gewählt ist, wirkt das Projekt erstaunlich uneben. Die Aufgabe ist riesig und es gelingt einfach nicht, sie an einer klaren Linie (man könnte auch sagen: Geschichte) entlang zu erzählen. Zu viele Sprünge, zu viele Themen und Zeitebenen gleichzeitig, Protagonisten kommen und gehen. Bei einer der zentralen Personen weiß man auch nach drei Folgen noch nicht, ob seine Geschichte wirklich auch einen direkten Bezug zum Titel-Ereignis hat oder ob sie nur eine prototypische Flüchtlingsgeschichte sein soll. Dazu ein wirklich verschlimmbesserter Titel: Erstens ein englisches Wort, für das es eine direkte deutsche Übersetzung gegeben hätte, dann ein Relativsatz, und schließlich unnötiger Sensationalismus. Schade.

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What the Wirtschaft? (DLF)

Geil – Planet Money für Deutschland? Leider nicht, eher “beliebige Wirtschaftsthemen im Morningshow-Gewand”. Die erste Folge hat genau eine relativ einfache These: Für Luxusmarken ist Haute Couture vor allem Marketing. Um das zu erklären reichen einige Interviewschnipsel. Den Rest der Zeit verbringen die Hosts damit, miteinander und übereinander hinwegzuquatschen und immer wieder die Metapher hervorzuholen, dass die Branche gemeinsam so viel Geld umsetzt wie ein kleines Land. Wenig Erkenntnisgewinn. Eventuell bin ich zu alt, um Zielgruppe zu sein. Aber eine Folge ist ja auch noch kein Podcast.

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AIDS-Leugner – Der fatale Irrweg der Christine Maggiore (DLF)

Von dieser Dokuserie habe ich tatsächlich erst eine Folge gehört und kann mir daher kaum ein Urteil anmaßen. Drauf gestoßen bin ich allerdings, weil mehrere Kolleg:innen den Podcast empfohlen haben, und ich stimme ihnen bisher zu. In der ersten Folge fand ich den doppelten Hook besonders stark. Erst die Frage mit persönlichem Bezug: Warum unterstützt eine Band wie die Foo Fighters so eine krude Unternehmung, das heißt: wie hat es jemand geschafft, für sein Anliegen so viel Aufmerksamkeit zu bekommen? Dann der direkte Bezug zu aktuellen Geschehnissen: Was wir bei Corona erlebt haben, ist alles andere als neu, aber war vorher kaum bekannt. Das ist einfach stark genug, dass ich weiterhören will, und das braucht es.

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Randnotiz: Hat man sich jetzt auf fünf Folgen als ideale Dokupodcast-Länge geeinigt?

Mut zum Du. Der Deutschlandfunk-Podcast „Der Tag“

Wenn ein Inhalt nicht das Medium wechselt, sondern „nur“ das Dispositiv, also die Rahmenbedin- gungen der Rezeption, verändert er sich trotzdem. Ein Kinofilm wird für die Fernsehausstrahlung neu gemischt, weil die Umgebungsgeräusche im Wohnzim- mer lauter sind als im Kinosaal. Wird eine Fernsehserie für einen Streamingdienst konzipiert, müssen ihre Folgen nicht mehr alle gleich lang sein. Ein Videobericht, der primär auf Facebook gesehen wird, sollte sowohl mit als auch ohne Ton funktionieren.

Und was, wenn eine tägliche Nachrichtensendung nicht im linearen Radio ausgestrahlt, sondern als Podcast heruntergeladen und zeitsouverän gehört wird? Das Team des seit drei Wochen existierenden Podcasts „Der Tag“ vom Deutschlandfunk hat über diese Frage viel nachgedacht. In dem täglich um 17 Uhr erscheinenden Format „wollen wir uns erlauben, stärker gemeinsam nachzudenken“, erläutern die vier Moderatorinnen und Moderatoren Dirk-Oliver Heckmann, Sarah Zerback, Philipp May und Ann-Kathrin Büüsker im Online-Angebot des Deutschlandfunks. Interessanterweise scheint gerade die abgeschlossene Form dazu einzuladen, Nachrichten weniger abgeschlossen darzustellen.

Und persönlicher. Podcasts bilden in der Regel eben nicht eine von vielen Beschallungsquellen im Alltag. Sie wandern direkt vom Smartphone über den Kopfhörer ins Ohr. Da kann man schon mal „Du“ zu seinem Gesprächspartner sagen, auch wenn über diesen Bruch mit Radiokonventionen – wie die vier Moderatorinnen einräumen – „lange und heftig gestritten“ wurde. Aber man ist eben nicht mehr im Radio.

Weiterlesen in epd medien 42/2017