“Vielleicht wird noch ein Schuh draus” – Eine epische Unterhaltung über die Hobbit-Filme

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Die Hobbit-Filme von Peter Jackson beschäftigen mich. Ich habe hier im Blog schon mehrfach über sie geschrieben, jedes Jahr auf’s Neue, weil sie einerseits die Fortschreibung des für mich wohl prägendsten Filmerlebnisses meiner Jugend sind und ein endloses Feld für Entdeckungen in Sachen Filmtechnik und Franchising. Andererseits stecken sie insgesamt irgendwie doch voller Probleme und Enttäuschungen und sind äußerst streitbar. Über diese Filme diskutiere ich am liebsten mit meinem Freund Martin Urschel, der genauso tief sowohl in Tolkiens Werken als auch in Jacksons Filmen steckt, wie ich. Martin hat in diesem Blog schon einen Gastbeitrag geschrieben und ich habe ihn zu seinem Buch über “The Wire” interviewt. Den folgenden, ziemlich epischen Dialog habe ich mit ihm via E-Mail geführt. (SPOILER für alle Hobbit-Filme und ziemlich heftiges Nerdtum voraus!)

Martin: Gerade habe ich die Extended Edition von Desolation of Smaug gesehen. Nachdem wir vor ein paar Tagen zusammen Battle of the Five Armies gesehen haben, ist es für mich interessant, zurückzugehen und die interne Logik dieser Filme nachzuvollziehen. Die Extended Versions scheinen mir die wesentlich besser balancierte und innerlich schlüssigere Version des Hobbit-Films (als ein Film mit zwei ziemlich willkürlich gesetzten Einschnitten) zu sein. Wenn man die Extended Editions im Zusammenhang ansieht, funktioniert zum Beispiel der Handlungsstrang um Dol Guldur.

In der Kinofassung wirkt Gandalfs Handlungsbogen im zweiten Film unmotiviert und letztlich unnötig, weil er nichts mit der Haupthandlung zu tun hat. Es geht los mit der Szene am Eingang zu Mirkwood, wo Gandalf eine Vision von Galadriel zu haben scheint, die ihm sagt, er soll zu den “High Fells” gehen, den Gräbern der neun Menschenkönige, die später zu den Ringgeistern werden. Diese “Vision” kommt unvermittelt und wirkt als Fremdkörper. Tatsächlich handelt es sich aber gar nicht um eine Vision oder einen telepathischen Kontakt zwischen den beiden – wie ich damals im Kino dachte – sondern um eine Erinnerung an einen Dialog zwischen Gandalf und Galadriel, der nur in der Extended Version von Teil 1 stattgefunden hat.

In der Extended Version von Teil 2 wird diese Erinnerung zudem vorbereitet durch einen Dialog zwischen Beorn und Gandalf kurz zuvor, bei dem es ebenfalls eine Erinnerungs-Rückblende gibt. So wirkt die Reise von Gandalf nicht mehr zusammenhanglos und willkürlich, sondern bietet eine Art Detektivgeschichte, die uns in die Backstory von Mittelerde und die größeren politischen Zusammenhänge der Schatzsuche von Bilbo und den Zwergen hineinführt. Im Kino fand ich Gandalfs Plot anstrengend, hier wirkt er auf mich nun reizvoll und als eine hilfreiche Erweiterung der Perspektive.

Der verschwundene Thrain

Noch wichtiger für den Gesamtzusammenhang sind die zusätzlichen Szenen zwischen Gandalf und Thorins Vater Thrain, der in Dol Guldur gefangen war. Damit wird Dol Guldur wieder an den Handlungsstrang der Zwerge angebunden und die ganze Detektivgeschichte findet in der auch schauspielerisch und emotional starken Szene zwischen Gandalf und Thrain ihren Höhepunkt. Ohne Thrain wirkt Dol Guldur wie ein Gimmick, um Sauron in Teil Zwei auftauchen zu lassen, also nur ein weiterer, für viele unnötiger Verweis auf die Lord-of-the-Rings-Filme, der nichts zum Gesamtbild beiträgt. In der Extended Version bieten diese “politischen” Elemente eine weitere Ebene des Schatzsuche-Plots, eine Bereicherung, wie ich finde.

Auch die strategischen Gespräche darüber, warum Azog die Zwerge eigentlich jagt und welche Relevanz der Erebor-Berg für Sauron im Kriegsfall hätte, stärken nicht nur den dritten Teil, sondern motivieren überhaupt erst die Handlung, der wir über so viele Stunden beiwohnen. Bei den “Extended Editions” von LOTR war es noch so, dass die zusätzlichen Szenen mal mehr, mal weniger interessante Erweiterungen, Exkurse und Hintergrundinfos zur Haupthandlung gegeben haben. Beim Hobbit sind dagegen einige wirklich zentrale Informationen in die Extended Edition ausgelagert wurden und der Kinofilm wirkt dadurch oft wie eine unmotivierte Aneinanderreihung ziemlich langer Actionszenen. Ich bin entsprechend gespannt, wie sich der Blick auf Jacksons Adaption möglicherweise noch einmal verschieben könnte, wenn wir alle drei Extended Editions vorliegen haben und das Puzzle noch mal neu und im Zusammenhang betrachten können.

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Alex: Lass mich einmal kurz meine Sicht der Dinge zusammenfassen. Die Special Extended Editions (SEE) der LOTR-Filme waren in erster Überlegung wohl tatsächlich “Bonus”-Versionen der Filme, deren Ergänzungen wenig auf die Kinofassungen zurückfielen. Tatsächlich ist es eher so, dass die Extended-Fassungen fast schon miteinander kommunizieren. Da gibt es einen Fall, den Jackson auch im Audiokommentar zu The Two Towers benennt, wo eine Szene aus der SEE nur Sinn ergibt, wenn man auch die entsprechende SEE zu Fellowship of the Ring gesehen hat, weil dort das Setup passiert (ich glaube, es ging um Aragorns Historie mit Rivendell).

Aber schon zum Zeitpunkt von Return of the King, als der Erfolg des Modells — inklusive all der Pickups und nachträglichen Ergänzungen zum Beispiel auf der VFX-Ebene, die Jackson gerne vornimmt — sich endgültig bewiesen hatte, passiert etwas mit diesen Filmen. Nicht nur, dass Return of the King eindeutig der am wenigsten ökonomisch gedrehte und inszenierte Film der Trilogie ist (in den Extras häufen sich auch dort schon die Anekdoten von Last-Minute-Fertigstellungen und Umwerfungen von lange geplanten Story Beats), er ist wohl auch der erste, in dem die SEE ein völlig anderes Biest ist als der Theatrical Cut. Szenen haben eine andere Reihenfolge, wechseln ihre Spielzeit von Tag zu Nacht und so weiter. Wobei – wahrscheinlich ging das sogar doch schon bei Towers los. Immerhin wird dort sogar bereits ein Charakter eingeführt (Denethor), der in der Kinofassung erst im dritten Teil auftaucht.

Peter Jackson, Dokumentarfilmer

Jackson hat stets betont, dass er die Theatrical Cuts – zumindest bei LOTR – für definitive Versionen hält, aber – sind wir doch mal ehrlich – wer guckt die denn überhaupt noch? Inzwischen kosten die drei SEE-Boxen im Set 40 Euro. Auf Blu-ray. Damals, als ich sie gekauft habe, hat das jede einzelne Box auf DVD gekostet. Bei den Hobbitfilmen ist das Prinzip jetzt endgültig Programm geworden. Gedreht wird, wofür Platz ist und dann scheint das ganze wie eine Art modulare Schnitzerei vor sich zu gehen. Im Desolation of Smaug-Kommentar berichtet er ja sogar davon, dass sie mit den Thrain-Szenen ihre ungeschriebenen Regeln gebrochen haben. Dadurch dass Jackson sich die Aufgabe gegeben hat, eben nicht nur den “Hobbit” zu verfilmen, sondern eigentlich “die Ereignisse, die zu jener Zeit tatsächlich stattfanden” (und aus denen der Roman “Der Hobbit” nur einen kleinen, sehr subjektiven Ausschnitt bildet), befindet er sich beinahe in der Rolle eines Dokumentarfilmers, der eben dabei war, 400 Stunden Material hat und daraus jetzt im Nachhinein eine Geschichte bauen muss.

Da ist durchaus auch eine interessante Parallele zu Tolkien, der ja auch immer den Mantel des Chronisten und “Übersetzers” und nicht des Romanautoren trug. Mit all der Arbeit, die Jacksons Team in Designs, Sets (ob real oder virtuell) und Charakterhintergründe steckt, ist der Film also auch nur ein Ausschnitt des quasi-realen Film-Mittelerdes. Dort scheint die Geschichte sich eigentlich in Beinahe-Echtzeit zu entfalten und die Chronik dessen wären dann die Extended Editions, während die Kinoversionen nur verkürzte und geraffte Darstellungen dessen sind, was wirklich passiert ist. Ich hab mir schon während unserer Vorführung von Battle of the Five Armies überlegt, ob man überhaupt noch von einer Tolkien-Adaption sprechen kann oder ob Jackson nicht längst sein eigenes Mittelerde-Erlebnis verfilmt. Was meinst du?

Martin: Eine Tolkien-Adaption ist es schon, weil das meiste Material (außer Tauriel, und sogar die in ihren Themen) von Tolkien stammt und das zusätzliche Material dafür genutzt wird, die Themen des Buches auszubuchstabieren. Mich interessiert dabei, warum welches zusätzliche Material eingefügt wurde und was sich dadurch an der Geschichte verschiebt. Die Klischee-Meinung dazu ist ja, dass Jackson diese Elemente aus dem Anhang aus den LOTR-Büchern eingefügt habe, um die Hobbitadaption an die LOTR-Filme anzugleichen in ihrem Stil und Ton. Das ist sicher auch nicht falsch, aber mittlerweile glaube ich, dass diese Szenen mehr bringen als nur zu betonen, dass die beiden Geschichten zusammenhängen.

Erweiterung der filmischen Landkarte

Sicherlich bewegt sich Jackson recht frei durch die Welt von Mittelerde, nicht nur auf den Wegen, die das „Hobbit“-Buch bietet, sondern er macht Exkursionen und erkundet die Nachbarschaft. Wenn er uns im dritten Film Angmar zeigt durch die Augen von Tauriel und Legolas, dann erweitert das unsere filmische Landkarte von Mittelerde, aber es gibt der ursprünglichen Hobbit-Geschichte auch eine neue Resonanz: Jackson und Co. stellen die Frage, warum die Zwerge sich auf Schatzsuche begeben, warum Gandalf sie darin unterstützt (obwohl das Projekt der Zwerge gierig erscheint, von Anfang an), und warum sie dafür ausgerechnet einen Hobbit mitnehmen, der augenscheinlich so ungeeignet für den Job wirkt.

Im Buch sind das einfach märchenhafte Setzungen, da gibt es erst mal gar nichts zu erklären. Die Drehbuchautor_innen dagegen suchen nach einer Antwort, die innerhalb der Welt diese Entscheidungen realistisch begründen kann, und finden Ansätze dazu in den Anhängen von LOTR. Offenbar war auch Tolkien selbst nicht restlos zufrieden damit, dass seine Hobbit-Geschichte „von hinten her betrachtet“ nur teilweise nachvollziehbar ist, also aus Perspektive von den Ereignissen in LOTR. Aber ich glaube, dass die Hobbitadaption nicht nur das Buch vom Ende her liest, sondern dass die Filmemacher die Chance nutzen, auch die LOTR-Filme noch mal vom Beginn her mit einem anderen Rahmen zu versehen. Die Rolle von Gandalf, Galadriel und Saruman im weiteren politischen Gefüge von Mittelerde wird klarer sichtbar, auch die verschiedenen Haltungen, die sie einnehmen. Das ist, finde ich, ein Mehrwert.

Alex: Ich würde dem zwar grundsätzlich zustimmen, aber das ist genau der Grund, warum ich nicht mehr von einer Buchadaption spreche sondern von einer Filmversion der “Historie” von Mittelerde zu dieser Zeit. Jackson betont regelmäßig, dass er am Ende (also jetzt) gerne eine einzige sechsteilige Saga hätte, die eine fortlaufende Geschichte erzählt, aber das ist immer ein Trugschluss, wenn man ein “Prequel” macht – also eine Geschichte, die zeitlich nach einem Urtext entsteht aber zeitlich vor diesem angesiedelt ist. Bei den Büchern ist “The Hobbit” (1937) kein Prequel zu “The Lord of the Rings” (1954), sondern “The Lord of the Rings” ist das Sequel zu “The Hobbit”. Es entwickelt die Themen und Figuren aus dem “Hobbit” weiter und erweitert ihren Horizont. Und deswegen ist es auch passend, das “The Hobbit” ein so viel unschuldigeren Ton hat als “Rings” – völlig unabhängig davon, ob Tolkien die Historie der Welt eventuell schon zuvor entworfen hatte. Mittelerde war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so tief in Chaos und Verderben gestürzt wie zum Ende des dritten Zeitalters. Die Dunkelheit zog erst auf.

Die Unschuld ist verloren

Bei Jackson geht diese Unschuld, trotz aller Bemühungen verloren, weil er eben die LOTR-Filme bereits als Blaupause vor sich hat. Die Hobbit-Filme können nicht unschuldiger oder primitiver sein, allein schon weil sich die Technik weiterentwickelt hat und Jackson sich als Filmemacher verändert hat. Und deswegen leiden eben auch die Hobbit-Filme unweigerlich an Prequelitis, an Bezügen auf Geschehnisse, von denen die Figuren der Geschichte noch nichts wissen können, wir aber schon. Manchmal kann man das mit etwas komischer dramatischer Ironie vom Tisch wischen, aber gelegentlich lehnt sich Jackson auch hinein.

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Martin: Es gibt Momente von „Prequelitis“ in diesen Filmen, die mich nerven, etwa wenn Tauriel Kilis Verletzung mit Athelas-Kraut heilt oder wenn Jackson in Bree auch dieses Mal in eine Möhre beißt. Als wollten Jackson und seine Leute sagen: “Schaut mal, wisst ihr noch?“ – Und das ist unnötig, klar wissen wir noch. Dieses penetrante Winken mit dem Zaunpfahl an solchen Stellen nervt.

Ein bisschen so ging es mir auch am Ende von Battle, wenn Legolas zu dem Sohn von Arathorn geschickt wird, von dem wir alle kapieren, dass es Aragorn ist. War es nötig, das so deutlich zu machen? Das ist eine gute Szene, um zu zeigen, was für mich diese Prequels ausmacht: Ja, mich nervt der zu deutliche Verweis auf Aragorn. Aber der Gedanke dahinter ist ein guter, denn indem Legolas am Ende auf Wanderschaft geht und nach den Dunedain sucht, erhält die Begrüßung von Aragorn und Legolas in Fellowship eine andere Bedeutung. Die Beziehung der Figuren wird eine tiefere, nachvollziehbare. So ist es auch zwischen Galadriel, Saruman und Gandalf, zwischen Elrond und Bilbo. Und auch einige Themen der LOTR-Filme werden von den Hobbitfilmen stärker in den Mittelpunkt gerückt. Sauron ist eben keine konservative Metapher für Industrialisierung, sondern wird in der Geschichte mit Gier und Versklavung in Verbindung gebracht.

Die eigentlichen Helden in Tolkiens beiden zentralen Romanen sind keine nordischen Recken, sondern postmoderne Anti-Helden, Hobbits. Und da hilft Jacksons Hobbit-Adaption als Interpretationswegweiser, wenn Gandalf begründet, warum er Bilbo mitgenommen hat: „Saruman believes that it is only great power that can hold evil at check, but that is not what I found. I found that it’s the small things, everyday deeds of ordinary folk that keeps the darkness at bay, simple acts of of kindness and love.“

Es ist eben nicht eine feudale Gesellschaft voller hierarchischer Ordnungen zwischen Edlen und Arbeitern, zwischen „besseren und schlechteren Rassen“, auch wenn es feudale Gesellschaften in Mittelerde gibt, auch wenn es Hierarchien gibt und manche rassistische Tendenzen, aber die Art, in der Tolkien die Geschichte erzählt unterläuft diese antimodernen Elemente: Die Hobbits stehen im Zentrum, diese genießerischen, friedvollen und demokratisch organisierten, kleinwüchsigen Hoffnungsträger. Gerade Bilbos Weigerung, sich einer der kämpfenden Parteien so ganz anzuschließen, weil er sie einfach alle mag, löst den Konflikt zwischen den freien Völkern. Das ist bei Tolkien so und das bringen die Filmemacher auf eine Weise zum Vorschein, die auch in den LOTR-Filmen nachhallt, wenn man die Filme in chronologischer Ordnung schaut. Ich denke, bei den Jackson-Tolkien-Filmen geht das. Bei Star Wars würde ich nicht empfehlen, mit Episode 1 anzufangen, weil sonst wesentliche Pointen vermasselt werden.

Die Möglichkeit des Remix

Mich beschäftigt an dieser ganzen Hobbit-Sache glaube ich, dass man durch die intensiven Einblicke in die Entstehung des Films durch die Dokus, und durch den Remix der Szenen in der Extended Edition immer das Gefühl haben kann, “vielleicht wird da noch ein Schuh draus”, vielleicht lässt sich das Scheitern der Ambitioniertheit dieser Adaption ja noch irgendwie reparieren, indem eine weitere alternative Fassung entsteht. Die Extended Editions sind für mich, wie gesagt, schon ein Schritt in diese Richtung. Und ich bin wohl in diesem Gefühl nicht alleine, wenn man sich Rufe nach einem radikal kürzeren Fan-Edit wie bei den Star Wars Prequels ansieht, oder den Fantrailer, der Szenen aus allen drei Filmen zusammenschneidet. Nur, dass ich mir bei Jackson sogar vorstellen kann, dass er selbst noch einen Trilogie-Remix anfertigt, so er alle drei Filme teils neu zusammenschneidet. Vielleicht verstärkt die Möglichkeit des Remix – für mich – auch das Gefühl des herzzerbrechenden Scheiterns eines Projektes, das ich seit seinen Anfängen fasziniert verfolge.

Alex: Ich glaube nicht, dass Jackson darauf tatsächlich noch Lust hat, wenn er die ganze Sache hinter sich gelassen hat. Klar ist jedenfalls, dass die Extended Editions auch deswegen besser fließen, weil sie der Struktur der Erzählung besser entsprechen. Obwohl die Hobbit-Filme sehr lang sind, sind sie eben nicht lang genug, um die ganze Tiefe einzufangen, die Jackson und seine Untertanen dem Stoff gegeben haben (nach Unexpected Journey habe ich das mal “barock” genannt, Alan Scherstuhl nennt es in der “Village Voice” treffend “großzügig“). Und leider sind es häufig die Charaktermomente und nicht die Kampfsequenzen, die für’s Kino weichen müssen.

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Martin: Was ich nach Battle of the Five Armies auch fand, war, dass nun offensichtlich wird, inwiefern der Hobbit eigentlich in zwei Teilen angelegt ist. Dass diese Zweiteiler-Struktur zerbrochen wurde, führt dazu, dass die größten Stärken der Adaption stark in den Hintergrund fallen, und für Kinozuschauer fast unsichtbar werden. Mir ist schon 2013 im Kino aufgefallen, dass der Anfang von Desolation of Smaug einen anderen Rhythmus und einen anderen, bunteren Look hat, als alles, was ab der Laketown-Sequenz kommt.

Themen eines Zweiteilers

Im Audiokommentar beschreibt Jackson nun genau den Punkt, an dem ursprünglich der Hobbit als Zweiteiler unterbrochen worden wäre: Bei dem ersten Auftritt von Bard. Teil 2 wäre mit der Überfahrt nach Laketown losgegangen. Ab hier hat Desolation einen viel dunkleren Ton und eine gradlinigere Struktur. Das Traurige ist, dass bei der Ankunft in Laketown viele interessante Bögen eröffnet werden, die dann in dem frustrierenden Cliffhanger am Ende des Films abgebrochen werden. Erst im direkten Zusammenspiel von Desolation und Battle wird sichtbar, wie sich die Dynamik zwischen Tauriel und Kili, Bard, dem Bösewicht Alfrid und Bards Kindern einlöst. Die Themen “Gier” und “Liebe” tauchen erst mit Bard auf und werden in einem recht schönen Bogen durchgeführt innerhalb dessen, was einmal “There and Back Again”, also der zweite Teil des Zweiteilers gewesen wäre.

Vor der Ankunft in Laketown waren die Themen “Zuhause” und “Verantwortung”, von Bilbos schwerfälliger Entscheidung aus dem geliebten Heim wegzugehen, über die Heimatlosigkeit der Zwerge bis hin zu Thranduil und den Waldelben, die sich in ihrer Höhle einigeln und sich nicht verantwortlich fühlen wollen für die Welt um sie herum. Am Ende des ursprünglichen ersten Teils hat sich Bilbo zum gleichberechtigten, erwachseneren Teilnehmer der Gemeinschaft entwickelt und ist nicht nur anerkannt, sondern auch selbstbewusst. Im zweiten Teil spiegelt sich Gier an den Figuren des Master of Laketown, Smaug, Thranduil, Alfrid und natürlich Thorin.

Diese thematischen Bögen wurden durch die Dreiteilung zerbrochen. Man ist als Zuschauer unzufrieden, weil man spürt, dass die Brüche an unorganischen Punkten kommen. Keiner der Kinofilme hat in sich runde Bögen. Die Stärken der Adaption von Jackson treten dadurch in den Hintergrund: Unexpected Journey wirkt wie eine zahmere und langsamere Variante von Fellowship, weil die neuen Themen nicht klar hervortreten. Die bemerkenswerten Designs und das elegant-beiläufige Worldbuilding von Laketown und der unterirdischen Stadt im Erebor fallen zurück hinter einer unbalancierten, ungleichmäßigen Struktur von Desolation, die mit einem unbefriedigenden Cliffhanger abrupt abbricht.

Battle hat Schwierigkeiten, die vielen offenen Handlungsfäden wieder einzusammeln. So bleibt zumindest in der Kinofassung von Battle dann auch einfach unbeantwortet, wo Legolas eigentlich am Ende von Desolation hingeritten ist. Die Logik des Zweiteilers drückt gegen die Dreiteilung, sodass die Filme im Kino ihre Qualitäten gar nicht entfalten. Andererseits haben die vorliegenden Filme auch eine Reihe von Schwächen, die sich auch im Zusammenhang nicht erledigen werden. Etwa die Entscheidung, auf Miniaturen und reale Monster-Make-Ups zu verzichten und stattdessen über weite Strecken Räume und Figuren mit CGI zu animieren.

Alex: Nach Battle fällt es wirklich deutlicher auf als je zuvor. Eigentlich sind es nach wie vor zwei Filme, zwei viereinhalbstündige vielleicht, aber während die erste, neu gefundende Bruchstelle am Ende von Unexpected Journey noch einigermaßen funktioniert, hat Desolation jetzt kein richtiges Ende und Battle keinen richtigen Anfang. Die Trennung geht mitten durch einen echten Höhepunkt. Im Zeitalter der finalen Zweiteiler (Harry Potter, Hunger Games, Twilight) ist das ja schon fast nichts besonderes mehr, aber es wird halt nicht so verkauft, sondern als Trilogie in drei Kapiteln, die es eindeutig nicht ist.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Ich könnte mir stattdessen problemlos die SEEs in neun oder zehn Kapiteln vorstellen, wie die Season einer HBO-Serie – aber ich hätte wirklich gerne einen zweiteiligen Hobbit gesehen. Wie du schon sagst hätte ein Diptychon wirklich interessante Gegenüberstellungen erlaubt – zwei große Dialogszenen für den Meisterdieb Bilbo (Gollum und Smaug), zwei sehr unterschiedliche Stimmungen, ein Reisefilm und ein Kriegsfilm, ein Film der Fabelwesen und ein Film der Menschen und und und. Stattdessen haben wir jetzt drei Filme, die nicht Fisch, nicht Fleisch sind und halt doch nur zusammen einen Sinn ergeben.

Die ästhetische Frage, die du zum Ende aufwirfst, ist eine ganz andere. Ich habe im letzten Dezember schon einmal darüber gebloggt, was hier meiner Ansicht nach schiefgelaufen ist und was ja selbst Senior VFX Supervisor Joe Letteri benennt. Die Extras zu Desolation bestätigen einen erneut in diese Ansicht. Obwohl Jackson noch immer sehr viel real baut (das Set der Seestadt ist ein Faszinosum, genauso wie der Aufwand, der für Smaugs Höhle betrieben wurde) bilden die Sets, bei all dem Aufwand, der hineingesteckt wird, halt doch nur eine Art Grundstock für die Welt, die später im Computer entstehen wird – und die ja sogar oft “übermalt” wird, weil es im Endeffekt halt einfacher ist, das ganze Bild aus Bits zu bauen, als es nur zu ergänzen (übrigens nicht nur bei Jackson – ähnliche Geschichten habe ich auch von anderen VFX-Teams, zum Beispiel bei den Avengers gehört).

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Und obwohl ich ja grundsätzlich ein Fan von digitalen Effekten bin und sogar über Filme, die in ihrer digitalen Überhöhung noch viel weiter gehen, einst eine glühende Magisterarbeit geschrieben habe, passt es mir hier nicht in den Kram. Gerade dadurch, dass Mittelerde in Jacksons Filmen so einen fast dokumentarischen Charakter hat, wünscht man den Filmen mehr Verhaftung im Realen. Miniaturen gingen ja wohl durch das 3D-Verfahren nicht mehr, aber auch bei Creature Effects setzen die Hobbits ja zigmal mehr auf digitale Charaktere als LOTR – Azog ist das beste Beispiel. Und manchmal hat man das Gefühl, es wird dann auch als Shortcut benutzt, zum Beispiel bei diesen merkwürdigen Bergziegen, mit denen die Zwerge in Battle plötzlich aus dem Nichts einen Berg erklimmen. Jackson macht das zum Glück noch seltener als etwa George Lucas in den Star-Wars-Prequels, aber ein bisschen ist er dem digitalen Teufel schon verfallen.

Der alte Streit über HFR 3D

Martin: Ich glaube übrigens, dass die ästhetischen Probleme schon mit der Entscheidung losgingen, in 3D und HFR zu drehen. Das bringt einen ganzen Haufen Probleme mit sich. Gerade in der extrem zeitknappen Situation vor dem Drehstart des Hobbits wäre es sicher klüger gewesen, sich auf andere Punkte zu konzentrieren als auf das Projekt, kameratechnischen Fortschritt voranzutreiben. Der Look der Kombination aus Digitalkamera, 3D und HFR ist ein ganz anderer als bei den LOTR-Filmen und auch wenn der Look an sich interessant ist, passt er nicht zu Mittelerde. Die phantastische Welt verträgt diese ultrahochauflösenden Bilder nicht. Zum einen weil sie viel weniger ‚verzaubert‘ wirken, zum anderen, weil man plötzlich die Gumminasen des Make-Ups, die Perücken, die gebauten Kulissen usw. knallhart sieht. Entweder man hätte sich in all diesen Punkten zu nie gekannten neuen Höhen an Genauigkeit und Realismus im Maskendesign, den Effekten usw. aufschwingen müssen, oder man bliebe eben besser beim viel gnädigeren Blur des Filmmaterials. So wirken die Filme im Kino viel künstlicher als damals die LOTR-Filme und auch die digital animierten Elemente sehen in dieser wahnsinnigen Schärfe viel schneller billig aus. Auch das ist etwas, was ich beim DVD- und nun Blu-Ray-Ansehen bemerke: Im Heimkino, in 2D und niedrigerer Auflösung wirken die Filme weniger künstlich, umstandsloser.

Alex: Entweder ich bin besser darin als andere, diese angebliche Lookverschiebung zu verdrängen oder andere sehen etwas, was sie sehen möchten. Ich habe mir ja extra vor Battle noch einmal Desolation in HFR 3D angeschaut und ich fand ihn vom Look absolut prima und stringent, weder billig noch zu hoch aufgelöst, dafür aber eben deutlich angenehmer für die Augen. Bei Battle fielen mir die negativen Aspekte zum ersten Mal so richtig auf, etwa in der Anfangsszene des Drachenangriffs, wo man einfach pausenlos sah, dass hier Figuren vor Green Screen mit den Hintergründen zusammengeklebt wurden. Und die Szenen ohne viel Tricktechnik, etwa am Strand nach dem Feuersturm, sahen tatsächlich ein bisschen nach Videoästhetik aus – aber ich vermute, dass das eine bewusste Entscheidung war.

Viel mehr ärgert mich, dass die Filme zwar mit hohem Aufwand in 3D gedreht wurden, aber ihr Tiefenbudget überhaupt nicht ausschöpfen. Sie wirken insgesamt erstaunlich flach, obwohl sie das nun wirklich nicht müssten. Zum Beispiel finde ich nicht, dass man die wahre Dimension des Schlachtfeldes während der titelgebenden Battle of the Five Armies auch in 3D nicht wirklich ahnt, zumindest ging es mir so. Ich habe mindestens zwei Filme dieses Jahr gesehen, bei denen trotz anderer Schwächen wenigstens das 3D richtig Spaß gemacht hat (Jeunets T. S. Spivot und Das magische Haus) und ich nehme es Jackson ein bisschen übel, dass er diese Chance verpasst hat. Vielleicht war er nach Unexpected Journey auch ein wenig ernüchtert, was die Resonanz auf HFR 3D anging oder hat auch vom Studio die Anweisung bekommen, dort nicht mehr zu viel Ressourcen hineinzustecken. Genau wie beim Erzählerischen auch werden die Filme eben doch einen großen Teil ihres Lebens auf Heimvideomedien verbringen – und dann optimiert man sie eben von vornherein eher dafür.

Der Untergang eines Pioniers

Mit LOTR war Jackson Pionier in Sachen Bildgestaltung, mit dem Hobbit wollte er wieder einer sein. Ich glaube, er ist diesmal gößtenteils gescheitert aber es ist ihm dafür, vielleicht unfreiwillig, auf andere Weise gelungen, eben mit diesen modularen Erzählmodi, die wir weiter oben diskutiert haben. Würdest du dem zustimmen?

Martin: Ich fürchte, bisher sind die Hobbit-Filme wirklich keine Pionierarbeit. Ob sich das modulare Erzählen in parallel existierenden Versionen im Nachhinein als die Errungenschaft dieser Filme herausstellen wird, bleibt erstmal abzuwarten. Ich entdecke gerade überhaupt erst die verdeckten Qualitäten dieser Filme, nachdem ich im Kino zweimal ziemlich enttäuscht war und zweimal von den SEEs positiv überrascht wurde. Ich bin gespannt, ob andere auch diese Entdeckung machen werden. Manche Länge und mancher Exkurs diese Filme wirkt für mich jetzt nicht mehr als bloßer Exzess, sondern fügt sich ein in ein Gesamtbild, das mir gefällt.

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Schon bei LOTR hat Jackson etabliert, dass er nicht eine einzige Idealversion der Geschichte zu schöpfen versucht. Bei einem seiner ersten Interviews mit “Ain’t it Cool News” (Link leider nicht mehr leicht ergooglebar – Alex) sagte Jackson schon während der Dreharbeiten zu LOTR, dass er seine Filme nur als eine Version, eine Deutung sieht. Das ist anders als manche Adaptionen, die sich beste Mühe geben, das Buch in sich aufzunehmen und seine Position einzunehmen – Stanley Kubricks Romanadaptionen waren so, perfektionistisch und vereinnehmend. Wenn Kubrick ein Buch verfilmt, bringt er es zum Verschwinden. Aber Peter Jackson stellt eine mögliche Deutung daneben und durch die verschiedenen Schnittfassungen zeigt er gleich noch, dass es auch von dieser Deutung keine eine, definitive Version gibt, sondern von Anfang an verschiedene Remixes in verschiedenen Medien. Das ist also auch nicht unbedingt etwas Neues der Hobbitfilme, sondern scheint eher in der Haltung von Jackson als Filmemacher zu liegen. Als er seinen King Kong-Film herausgebracht hat, sagte er auch immer wieder, er sei gespannt, wie lange es dauert, bis jemand anderes die nächste Version von der Geschichte herausbringt. Jackson sucht nicht die eine perfekte, letztgültige Version, sondern er bietet uns seine persönliche Auslegung einer klassischen Geschichte, gleich mehrmals spielerisch und verschieden zusammengesetzt.

Nur, dass bei den Hobbitfilmen die einzelnen Filme nicht alleine stehen können, ohne schlechter auszusehen als sie eigentlich sind. Wenn sie Pionierarbeit leisten, dann eher in ihrem Verständnis von Worldbuilding, diesem Angang, von dem du sagst, das ist gar keine Tolkienadaption mehr – was ich immer noch finde, trotzdem. Aber ob nun Tolkienadaption oder völlig losgelöstes Jackson-Fest: Wer die Hobbitfilme entdecken will, muss wohl noch mehr Liebhaber sein als bei den LOTR-Filmen, weil man sich viel Zeit nehmen muss für die Langfassungen, in denen sich das Puzzle zusammensetzen lässt. Sie sind Exzess und Spielerei, Vertiefung und Erweiterung einer Welt, ein verrückter Liebesbrief an Mittelerde und ein Genre, technisches und ästhetisches Experiment mit Gewinnen und Verlusten, natürlich auch ein riesen Geschäft, das sich trotz all des sonderbaren Exzesses finanziell rechnet. Damit sind sie auf jeden Fall etwas Besonderes. Etwas Vergleichbares werden wir, glaube ich, so schnell nicht noch mal sehen.

Martin Urschel über sein Buch “The Wire – Netzwerke der Gewalt”

The Wire gilt nicht nur bei “Entertainment Weekly” gerne als beste Fernsehserie aller Zeiten. Die fünf Staffeln, in denen Schöpfer David Simon mit seinen Autoren und Schauspielern gemeinsam ein Sittengemälde der amerikanischen Stadt im anbrechenden 21. Jahrhundert zeichnet, verlangen einem zum Einstieg ein bisschen was ab, belohnen etwas Geduld dafür dann aber umso reichhaltiger mit großen Charaktermomenten und auf erstaunliche Weise zusammenlaufenden Fäden. Anfang des Jahres ist ein neues Buch zu The Wire erschienen – verfasst von Real-Virtuality-Gastblogger Martin Urschel. Deswegen habe ich ganz nepotistisch ein kurzes E-Mail-Gespräch mit Martin geführt.

Dein Buch beruht ja auf deiner Diplomarbeit. Wie wäre denn die Zusammenfassung im Stil der Seite Lolmythesis?

Watching The Wire won’t make you a better person, but it could make you want to change the world.

Ernsthaft – wenn jemand jetzt nicht ausgerechnet zu “The Wire” und Gewaltnetzwerken recherchiert, warum könnte dein Buch trotzdem interessant sein?

Mein Buch beschäftigt sich mit zwei großen Themengebieten: Fernsehen und amerikanischer Gesellschaft. The Wire ist eine wunderbare Serie und ich würde sie jeder und jedem empfehlen, die oder der den Blick über den Tellerrand wagen möchte. Sie ist nicht ganz einfach zu Beginn, aber sie belohnt ein Publikum, das bereit ist, die ungewöhnliche Wege mitzugehen. Die Serie dient in meinem Buch als Aufhänger. Durch die Serie betreten wir große Debatten, nicht nur akademische, sondern auch politische Debatten: Wie ist eine friedlichere, freiere Gesellschaft heute denkbar? Um nicht weniger geht es mir und um nicht weniger geht es in der Serie. Die Serie stellt diese Frage auf eine sehr ungewöhnliche Weise. Die Erzählformen sind abseits dessen, was man von anderen Fernsehserien kennt.

Mich interessiert aber auch die Frage: Was können wir von der Art, wie The Wire erzählt ist, lernen über das Medium Fernsehen? Dafür verorte ich die Serie in der Fernsehgeschichte, schaue mir verschiedene Bewegungen an, die wir zur Zeit wahrnehmen können. Kino, Fernsehen und Internet wachsen zusammen, durchmischen sich einerseits, aber driften auch auseinander andererseits, weil sie versuchen, sich abzugrenzen. The Wire ist da ganz klar ein Produkt der Zeit, in der die Serie entstanden ist. Auf einem anderen Sender als HBO wäre sie wohl nicht so zustande gekommen.
Wer The Wire gar nicht gesehen hat und nicht sehen möchte, wird es mit dem Buch sicher schwer haben.

Ich erinnere mich, dass wir im Sommer noch drüber gesprochen haben, ob du deine Arbeit evtl. als eBook oder im Open Access-Verfahren veröffentlichst. Du hast dich im Endeffekt dagegen entschieden, kannst du sagen warum?

Für Open Access habe ich große Sympathie, ich mag diese Demokratisierung von Wissen und Ideen, wie beim “Project Gutenberg” usw. Überhaupt, wie man im englischsprachigen Raum Urheberrecht organisiert hat, dass Inhalte nach einiger Zeit in den Besitz der Allgemeinheit übergehen, wenn nicht der Autor oder seine Nachfahren Anspruch erheben, das liegt mir näher als das elende deutsche Urheberrecht. Meine Entscheidung für die gedruckte Buchform hatte zwei Gründe. Ich wollte mir selbst auferlegen, noch einmal sehr gründlich das Buch zu überarbeiten, strukturell, inhaltlich und auch in der Form, so dass das Schriftbild einheitlich und klar ist. Dazu hätte mir bei Open Access Publishing sicherlich der nötige Druck gefehlt. Es ist komplizierter, aufwändiger ein gedrucktes Buch hinzukriegen, eine größere Hürde – aber irgendwie bedeutet es mir dann auch mehr. Auch schätze ich den Geruch und die Haptik von gedruckten Büchern. Jedem sein Fetisch …

Das Buch ist jetzt in einem durchaus angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienen. Könntest du nochmal kurz erklären, wie der Prozess ablief (weil das, glaube ich, vielen gar nicht so bewusst ist, wie der Wissenschaftsbuchmarkt im Endeffekt oft tickt)?

Zuerst wurde ich vom Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Norbert Grob, angefragt, ob ich meine Diplomarbeit in seiner Buchreihe “Filmstudien” veröffentlichen möchte. Er hatte die Arbeit zuvor betreut, kannte sie also gut. Ich habe sofort zugesagt, er hat dann ein paar Punkte genannt, auf die ich bei der Überarbeitung des Textes achten solle. Daraufhin habe ich mich mit dem Verlag in Kontakt gesetzt und die haben mir genau erklärt, welche Vorgaben ich erfüllen muss, und welche Eigenbeteiligung an den Druckkosten ich auch zu tragen habe (falls es interessiert: mehrere hundert Euro). Von so einem Buch wird man also nicht reich, bestenfalls kann man die Eigenkosten refinanzieren, wenn wir es schaffen, mehr oder weniger die gesamte erste Auflage zu verkaufen.
Ich habe das Buch also nicht des Geldes wegen veröffentlicht, sondern um nicht für die Schublade geschrieben zu haben, und weil ich mir selbst zeigen wollte, dass ich die Willenskraft habe, diesen komplizierten Prozess zu bewältigen. Ich möchte auch gerne in einer gewissen Öffentlichkeit zu meinen Positionen stehen, die ich entwickelt habe. Das hat etwas mit Verantwortung-Übernehmen zu tun und ist ein kleiner Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung, hoffe ich.

Wenn du “The Wire”-Schöpfer David Simon mal persönlich treffen könntest, worüber würdest du dich gerne mit ihm noch unterhalten, was du im Buch für dich nicht klären konntest?

Eigentlich ist David Simon gar nicht so wesentlich für meine Analyse von The Wire. Ich zitiere ihn zwar mehrfach, aber die Serie spricht eigentlich komplett für sich, dafür braucht man nicht den Autor. Aber ich würde gerne mal mit ihm essen gehen und über seine Erfahrungen im Fernsehbusiness plaudern. Nachdem seine letzte Serie Tremé auf HBO nun zu Ende gegangen ist, bin ich gespannt, wie er sich weiterentwickeln wird.

Du beobachtest ja auch die Serienlandschaft generell. War The Wire da jetzt der Höhepunkt einer kurzen Glanzphase oder stehen uns weitere Meilensteine bevor? Wo liegen deine Hoffnungen?

Ich würde die Medienlandschaft gerade in einer Phase der kompletten Neuorientierung und Umstrukturierung sehen. The Wire hat uns da ein hervorragendes Beispiel gegeben, wie man diesen Wandel nutzen kann, um etwas ungewöhnliches auszuprobieren, die Grenzen des Möglichen neu zu stecken. Da dieser Wandel in der Technologie, in der Gesellschaft, in der Kultur und in den Erzählformen nicht umzukehren ist, wüsste ich nicht, wie das eine kurze Glanzphase wäre und nicht eine tiefschürfende und bleibende Veränderung. Ich erwarte ganz sicher weiterhin große Meilensteine, gerade im “Neuen TV” (wozu ich auch Onlineformen zähle), das sich gerade erst entwickelt. Fernsehen ist in Zukunft vielleicht eher ein Ort für Experimente und ambitionierte Projekte als das Kino, wo der Trend dahinzugehen scheint, dass es eine immer größere Kluft zwischen Mega-Multiplex-Kinos mit herrlichem Spektakel und immer kleineren Programmkinos mit verrückten Nischenfilmen gibt. Das kontrastreiche Dazwischen, der Raum wo man gleichzeitig für viele erzählt und gleichzeitig Experimente wagen kann, das scheint mir immer mehr im Fernsehen stattzufinden. Aber wer kann das schon absehen?

Ich freue mich jedenfalls schon auf die neue HBO-Serie True Detective und auf die nächsten Staffeln Game of Thrones, auch wenn mich seit der zweiten Staffel das Maß an Sadismus in der Gewaltdarstellung abschreckt, die zugrundeliegenden Bücher setzen ihre Schwerpunkte da anders. Aber auch im deutschen Fernsehen tut sich einiges! Ich würde mich freuen, auch bei uns mehr eigentümliche Visionen von Filmemachern zu sehen, die es wagen, vom Kino einen Ausflug ins Fernsehen zu machen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, eine Serie oder Miniserie zu entwerfen und zu betreuen. Es braucht hier auch ein paar starke Visionäre wie Simon, die Dinge möglich machen, statt immer nur dem hinterherzulaufen, was bereits möglich ist.

Und schließlich: Bitte erklär doch noch mal kurz, warum The Hobbit in zwei Filmen besser erzählt hätte werden können als in dreien und warum man das in The Desolation of Smaug so gut sieht.

Ganz einfach: Man merkt in Desolation of Smaug deutlich den Punkt, an dem der erste Film hätte enden sollen. Ursprünglich war das ja der Plan, so wurden die Drehbücher geschrieben, so wurden die Filme gedreht – erst im Schnitt kamen sie dann auf die Idee, irgendwie anders zu schneiden und dadurch drei statt zwei Filme zu machen. Es gibt gleich zu Beginn von Desolation das große Finale, das Unexpected Journey fehlte: Die Flucht in den Fässern. Dann hat die Geschichte einen Ruhe-Punkt erreicht, wo man einen gewissen Abschluss hat, und zugleich wissen will, wie die Geschichte ausgeht. Stattdessen endet Unexpected Journey irgendwo am Anfang des dritten Aktes, diese Szene mit den Bäumen und den Wargen wird unnötig aufgebläht, funktioniert aber nicht so recht als befriedigender Höhepunkt, nachdem man gerade die spektakuläre Orkstadt-Sequenz hinter sich gebracht hat. Unexpected Journey ist zugleich zu lang, weil er viele redundante und überlange Szenen hat, und zu kurz, weil er an einem ungünstigen Punkt endet.

Desolation beginnt dann mit dem Ende des ersten Teils, was ein komisches Gefühl gibt, dann wechselt der Film mittendrin die Tonart, wird ernster und langsamer. Ich mochte die Szenen in Laketown viel lieber als alles, was uns Jacksons Hobbit-Filme vorher präsentiert haben. Aber auch Desolation hört irgendwo mittendrin auf, da gibt es gar kein Gefühl von Abschluss, alles hängt in der Luft, einige Figuren plumpsen geradezu aus dem Film, mitten in einer Verfolgungsjagd. Das ist schlechter Stil. Auch wenn man einen Cliffhanger macht, sollte es einen gewissen Abschluss der Handlunsgbögen geben – man vergleiche das mit Empire Strikes Back oder Back to the Future 2, wo alle Konflikte des Films zusammengefaltet werden, aber eine grundsätzliche Rest-Spannung auf den abschließenden Teil verweist. Keiner der beiden Hobbit-Filme hatte ein solches Ende. Schade. Hoffentlich hat wenigstens der dritte Teil ein ordentliches Ende und mäandert nicht wieder so wie Return of the King seinerzeit.

“The Wire: Netzwerke der Gewalt” ist im Nomos-Verlag erschienen, hat 104 Seiten und kostet 19 Euro. Zu kaufen bei Nomos oder bei amazon.de.

Drei Gedanken zu Guillermo del Toros Pacific Rim

Courtesy of Warner Bros. Pictures

Dies ist ein Gastbeitrag von meinem persönlichen Guillermo-del-Toro-Experten Martin Urschel. Ich mochte Pacific Rim aber auch.

Als ich den ersten Trailer zu Pacific Rim gesehen habe, war ich mir nicht sicher, ob das Experiment funktionieren würde, so eine Geschichte für ein internationales Massenpublikum zu erzählen: Riesige Mecha-Kampfmaschinen werden von Menschen aus allen Ecken der Welt in den Kampf gegen außerirdische Riesenungeheuer aus einer pazifischen Tiefseespalte geführt. Im Angesicht der Monster haben die Menschen in Pacific Rim ihre nationalen Zwistigkeiten beiseitegelegt. Ein friedvoller Schulterschluss der Nationen, um die gemeinsamen Probleme mit gebündelter Kraft anzugehen. Hier kämpfen die Menschen einmal zusammen gegen Monster, statt gegeneinander.

Diese enthusiastische und sympathische Grundidee liegt Guillermo del Toros neuem Film zugrunde. An den Kinokassen hatte der Film es schwer, nicht zuletzt weil er mutig war, wo die meisten großen Studio-Filme der letzten Jahre sich darauf verlegt haben, bereits etablierte Marken immer neu zu verwursten oder bekannte Bücher zu adaptieren. Stattdessen wählte del Toros Drehbuchautor Travis Beacham ein im Westen kaum bekanntes asiatisches Genre, um seine Geschichte zu erzählen.

1. Monster sind immer gut

Riesen-Monster gegen Riesen-Roboter – heißt das Godzilla gegen Transformers? Nein. Mit Transformers hat der Film nichts zu tun. Weder geht es um Autos, die sich in Robotor verwandeln, noch hat der Film visuell irgendeine Ähnlichkeit zu Michael Bays hyperventilierender Kinderspielzeug-Trilogie. Die Mechas in Pacific Rim werden von Piloten gesteuert, sind also eigentlich nicht mal Roboter. Und mit Godzilla teilt der Film nur seine Nähe zum japanischen Kaiju-Filmgenre. Godzilla ist das berühmteste dieser japanischen Riesenviecher, die Städte zertrampeln, aber es gibt zahlreiche Varianten. Das „Kaiju vs. Mecha“-Genre ist sogar noch einmal etwas eigenes. Dazu zählen solche Kult-Zeichentrickserien wie “Gundam” oder das kultig-abstrakte Genre-Endspiel “Neon Genesis Evangelion”. Wenn del Toro und Beacham dieses Genre als amerikanischen Live-Action-Blockbuster neuerfinden, dann ist das zumindest mutig.

Guillermo del Toros Liebe für Monster ist hinlänglich bekannt. Jeder seiner Filme ist voller höchst sonderbarer Kreaturen und oft benehmen sich die Menschen weit monströser als die Monster. Seine Monster zeichnen sich aus durch ungewöhnliche Anatomie – selbst für Monster, und häufig sind sie, wie Hellboy, menschlicher als alle Menschen. Von den Farbpaletten bis zu der symbolistischen Erzählweise sind die Filme sorgfältig durchdacht. So ist es auch bei Pacific Rim. Die Kaijus ähneln nicht bloß Tieren oder Karikaturen von hässlichen Menschen, sie sind majestätische Wesen, die aussehen wie bislang unbekannte Tiefseeungeheuer.

Das Schöne an Monstern im Film ist, dass sie den Filmemachern so viele Möglichkeiten bieten. Visuell ist fast alles möglich und oft genug sind die Monster zu Ikonen gerworden – man denke nur an Boris Karloffs Monster in Frankenstein. Zudem bieten Monster eine Gelegenheit eine Abstraktion in den Film einzuführen. Ohne den Zuschauer von vorneherin zu verschrecken, können Filmemacher – und Schriftsteller – durch Monstergeschichten über das Verdrängte einer Gesellschaft sprechen und so subversive Argumentationen in die Mitte der Gesellschaft bringen. In Pacific Rim stehen die Riesenmonster in Verbindung mit dem Ozonloch. Die Monster „symbolisieren“ sicher nicht direkt oder eindeutig die globale Erwärmung, aber sie stehen innerhalb der Filmwelt ein für genau die Art von Herausforderung, der wir als Menschen in der Umwelt begegnen. Die Monster haben hier die Kraft und die Reichweite einer Umweltkatastrophe, eines Tsunamis oder eines atomaren GAUs. Wesentliche Durchbrüche in der Handlung werden konsequenterweise von Wissenschaftlern und nicht von den kämpferischen Hauptfiguren gemacht.

Dass ein mexikanischer Regisseur ein ur-japanisches Filmgenre für ein Weltpublikum entdeckt, passt insofern, als es auf der Erzählebene genau die Art von internationaler Zusammenarbeit verkörpert, um die es im Film geht. Allerdings macht das Genre den Film auch schwer vermarktbar. Anders als die Transformers, die als Plastikspielzeuge schon lange weithin bekannt sind, musste Pacific Rim zunächst ein neues Genre etablieren – freilich mit Action-, Science Fiction- und Horror-Elementen durchsetzt. Ohne wirkliche Stars ist diese Aufgabe doppelt schwierig, trotz zahlreicher bekannter Gesichter aus Kult-Fernsehserien wie “The Wire” oder “Sons of Anarchy”.

Courtesy of Warner Bros. Pictures

2. „Awesome“ reicht nicht.

So sympathisch die Friedensbotschaft von Pacific Rim ist, so überwältigend gigantomanisch ist das Monster- und Mecha-Design geraten. Wir bewegen uns durch spektakuläre Ruinen der menschlichen Zivilisation, sehen riesige Maschinen im Nebel am Strand zusammenbrechen. Einmal, das sieht man schon im Trailer, schleift ein Mecha ein langes Schiff als Keule in den Kampf. „2500 tons of awesome“, nennt ein Techniker den amerikanischen Mecha die gigantischen Kaijus [Danke an JMK in den Kommentaren -AG]. Zurecht, „awesome“ sind die Maschinen, die Monster und ihre Zusammenstöße allermal.

Aber die schönste Actionszene, die wunderbarsten Designs und Bilder bedeuten nichts, wenn sie nicht eingebunden sind in eine menschliche Bezugsebene. Darin war del Toro immer gut: Das Gespenst in The Devil’s Backbone ist das Zentrum einer Geschichte über Jungs im Waisenhaus, die den Tod eines Freundes aufklären, gleichzeitig ist es Teil einer traurigen Liebesgeschichte und bietet eine poetische Metapher auf die Opfer des spanischen Faschismus. Zum Ende des Films wissen wir, wie tief das Gespenst in die Beziehungen zwischen den Menschen verstrickt ist, darum wirkt die letzte Szene des Films, in der alle Geschichten durch eine einzelne Tat zueinander finden, emotional so stark.

Pacific Rim ist anders. Der Held des Films ist ganz typisch: blond, männlich, heterosexuell – aber eigentlich scheint sich der Film kaum für ihn zu interessieren. Wir erfahren wenig über seine Vergangenheit und über die Good Looks hinaus erhält seine Figur kaum Tiefe oder Kontrast. Viel interessanter und sympathischer ist Mako Mori, die japanische Co-Pilotin des Helden. Ihre Kindheits-Erinnerungen werden im Lauf des Films schrittweise enthüllt. Die zwischenmenschlichen Konflikte des Films laufen hauptsächlich zwischen ihr und ihrem Retter und Ziehvater Stacker Pentecost (Idris Elba). Allerdings reichen die Rückblenden, in denen die kleine Mako in den Ruinen ihrer Heimatstadt steht und weint, nicht, um uns das Trauma des Mädchens in der Seele der Frau zu erschließen. Hat sie ihre Eltern sterben sehen? Das wäre ein emotional starker Grund, gegen die Kaiju kämpfen zu wollen. Wir sehen es jedoch nicht, obwohl sonst selbst Disneyfilme gerne eine herzzerreißende Todesszene der Eltern als emotionalen Anker einbauen.

In jedem Fall leidet die Dramaturgie darunter, dass die menschlichen Geschichten vergraben werden unter lauter Exposition, die die erste Hälfte von Pacific Rim dominiert. Eine lange Voice-Over-Erklärszene eröffnet den Film, danach geht es ohne Pausen weiter bis weit in den zweiten Akt. Szenen, in denen eine Figur zur Ruhe kommt und über ihre Situation nachdenkt und so dem Zuschauer die Gelegenheit gibt, Mitgefühl zu entwickeln, fehlen. Der Film bis dahin wirkt überladen, holprig und in die Länge gezogen. Durch eine bessere Balance aus Charakter- und Actionszenen, sowie unauffälliger verarbeitete Exposition hätte sich das vermeiden lassen.

Schließlich schafft Pacific Rim es aber doch noch, bis zum Finale genug emotionale Bindungen zwischen den Figuren zu etablieren und die Situation hinreichend gefährlich zu machen. Die letzte spektakuläre Unterwasser-Prügelszene baut große Spannung auf, reißt endlich emotional mit und liefert ein befriedigendes Ende. Wie viel schöner hätte das alles noch sein können, wenn die Handlung des Films einfach etwas später eingesetzt hätte und wir uns so manches vom Beginn des Films hätten sparen können.

Courtesy of Warner Bros. Pictures

3. Das Ende eines langen Weges und vielleicht ein Neuanfang für del Toro

Guillermo del Toros Filmographie hat zwei deutliche Tendenzen. Zum einen die persönlicheren, kleinen Filme, die er häufig in spanisch dreht – von The Devil’s Backbone bis Pans Labyrinth, zum anderen die amerikanischen Blockbuster, beginnend mit Mimic und Blade II. Mit den Hellboy-Filmen hat er zwei Filme vorgelegt, die diese beiden Tendenzen mal mehr, mal weniger gelungen zusammenführen. Doch alle Filme waren vergleichsweise kleine Produktionen. Mit Pacific Rim steht del Toro erstmals ein Blockbuster-Budget zur Verfügung. Der Druck dürfte sehr hoch sein, das Budget wieder einzuspielen, selbst wenn das produzierende Studio Legendary sich anscheinend in einer glücklichen finanziellen Lage befindet.

Der Druck ist umso größer, als del Toros Vorgeschichte zu Pacific Rim voller unrealisierter Projekte ist. Nachdem seine Adaption von Tolkiens The Hobbit aufgrund der Pleite von MGM monatelang auf Eis lag, verließ der Mexikaner das prestigereiche Projekt, an dem er mehrere Jahre lang gearbeitet hatte. Als schließlich Peter Jackson als Regisseur übernahm, war del Toro bereits über beide Ohren ins nächste Herzensprojekt verstrickt: Die Lovecraft-Adaption At the Mountains of Madness über eine Expedition, die am Südpol gigantische Tentakelmonster entdeckt. Zehn Jahre lang hatte del Toro das Drehbuch bereits entwickelt. Die Monsterdesigns stammten von einigen der avantgardistischsten Monsterdesigner. Wiederum zerfiel das Projekt kurz vor Drehbeginn. Universal war das Risiko zu groß, einen Horrorfilm ohne Lovestory oder Happy End mit 150 Millionen Dollar zu finanzieren. Del Toro hatte nun seit fast fünf Jahren keinen Film mehr herausgebracht, obwohl er ständig neue Projekte angekündigt hatte.

Wäre Pacific Rim ein gigantischer Erfolg geworden, so unwahrscheinlich das ob des Genres und der Besetzung erscheint, dann hätten sich für del Toro zahlreiche Türen geöffnet. Einige lange schon ausstehende Projekte wie The Left Hand of Darkness, eine Adaption des “Grafen von Monte Christo” in einem surrealen Western-Setting, oder auch eine auf die Literaturvorlage fixierte Adaption von “Frankenstein” wären möglich geworden. Aber auch die beiden Fortsetzungen von Pacific Rim oder der dritte apokalyptische Hellboy waren denkbare Möglichkeiten. Der Film hat nun, wie erwartet, international größeren Erfolg als in den USA gehabt und dürfte wohl auch sein Produktionsbudget wieder einspielen. Ob das jedoch reicht, um del Toro als Regisseur zu festigen, der aus großen Budgets auch große Erfolge machen kann, erscheint fraglich.

In Pacific Rim zeigt sich das größere Budget in den imposanten, liebevoll ausgestalteter Sets, den zahlreichen detaillierten und beeindruckenden CGI-Effekten und der Vielzahl verschiedener Orte. Allerdings, auch wenn Mako Moris gebrochenes Herz sich symbolistisch in dem roten Schuh spiegelt, den Stacker für sie aufbewahrt hat, auch wenn viele Orte unterbrochene Kreisformen enthalten – der Film hat deutlich weniger „poetische“ Momente als noch del Toros letzter Film Hellboy II. Die kleinen, verzauberten Alltagsmomente, wenn Abe und Hellboy zusammen Bier trinken, weil sie beide Liebeskummer haben, vermisst man in Pacific Rim. Es fehlt die Leichtigkeit, auch der Humor.

Einzig der wunderbare Ron Perlman, del Toro-Veteran der ersten Stunde, lässt den Esprit früherer Filme in seiner Figur aufleben, einem schrägen Dealer in Hongkong. Hier finden sich typische Motive früherer Filme wieder – Perlmans extravagante, barocke Kleider, Käfer und tote Tiere in bernsteinfarbener Konservierflüssigkeit.

Kommerz, Kitsch und Kunst fließen in Pacific Rim fortwährend ineinander. Es wird interessant sein, zu beobachten, in welche Richtung del Toro seine immer wiederkehrenden Themen und Motivketten nun entwickelt. Als nächstes stehen ein Geisterhaus-Film, Crimson Peak und die Vampir-Fernsehserie “The Strain” an, basierend auf del Toros eigenem Roman.

Sicherlich wird es auch weiterhin um Monster gehen und um die Ursachen von Gewalt zwischen Menschen, um die Chancen von Vergebung und die Suche nach einer friedvollen Art zu leben, wie wir sie bei Hellboy gesehen haben, bei Pans Labyrinth und inmitten von Regen und Donner auch im ersten westlichen Kaiju-vs.-Mechas-Realfilm.

Martin Urschel ist Diplom-Mediendramaturg und Filmwissenschaftler.

RePotter #2 – Martin Urschel und die Kammer des Schreckens

Im zweiten RePotter-Podcast spreche ich mit dem Mainzer Filmwissenschaftler und Mediendramaturgen Martin Urschel (@MartinUrschel auf Twitter) über Harry Potter und die Kammer des Schreckens. Es geht um Monsterfilme und Kenneth Branagh, darum ob Chris Columbus Special Effects versteht und schließlich gesteht Martin, dass er sich selbst zur “Generation Harry Potter” zählt. Was er damit meint und mehr im Podcast.

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In der Podcast-Serie “RePotter” wage ich, einen Monat bevor der achte und letzte Teil der Harry Potter-Filme in die Kinos kommt, einen Rückblick auf die Saga, die sich selbst als das “Motion Picture Event of a Generation” bezeichnet.

Nach wie vor sind noch nicht alle sieben Filme fest vergeben. Wer Lust hat, mit mir einen Blick in die Vergangenheit von Hogwarts zu werfen, möge mir eine E-Mail schreiben.

Bisher:

RePotter #1 – Jochen Ecke und der Stein der Weisen