In 50 Jahren um die Welt – Sammys Abenteuer

“Sammy’s Avonturen: De geheime doorgang”
Belgien 2010. Regie: Ben Stassen. Buch: Domonic Paris. Musik: Ramin Djawadi. Produktion: Gina Gallo, Mimi Maynard, Domonic Paris, Ben Stassen, Caroline van Iseghem.
Sprecher (deutsche Fassung): Matthias Schweighöfer (Sammy), Lena Meyer-Landrut (Shelly), Axel Stein (Ray), Achim Reichel (Slim), Thomas Fritsch (Erzähler).
Länge: 88 min.
Verleih: Kinowelt.
Kinostart: 28.10.2010

Sammy ist so etwas wie der Forrest Gump unter den Meeresschildkröten. Er schlüpft 1950 aus dem Ei und ist von Anfang an ein bisschen langsamer als seine Geschwister. So wird er schnell zum Einzelgänger, entwickelt aber gleichzeitig eine magische Anziehungskraft für schicksalhafte Begegnungen. Erst wenige Minuten alt rettet er seiner zukünftigen großen Liebe Shelly (auch als Synchronsprecherin enorm knuffig: Lena Meyer-Landrut) das Leben, hinaus aufs große Meer treibt er ebenso zufällig wie er später seinen besten Freund (Axel Stein) kennenlernt, wieder verliert und einer Gruppe von Hippies in die Arme schwimmt. Deren Lektüre von “In 80 Tagen um die Welt” weckt in ihm die große Abenteuerlust, die er erst in Richtung Südpol und dann auf der Suche nach der geheimen Passage in den Atlantik – dem Panamakanal – auslebt.

Der belgische Regisseur Ben Stassen ist eine der treibenden Kräfte hinter dreidimensionaler Computeranimation im europäischen Raum, sein erster Langfilm FLY ME TO THE MOON kam etwas zu früh in die Kinos, um den großen 3D-Hype im vergangenen Jahr wirklich mitzunehmen. Stassen stammt aus der IMAX-Tradition des 3D-Kinos, und auch SAMMYS ABENTEUER ist an vielen Stellen noch sichtbar von “old school”-3D-Denken geprägt. Der Film verlässt sich statt auf eine stringente Story und glaubhafte Charaktere lieber auf effektreiche 3D-Inszenierung mit Pop-Out-Effekten und Flugsimulationen, pendelt im Design allerdings trotzdem merkwürdig unentschlossen zwischen Realismus und Abstraktion (beispielsweise in der Animation von Wasser und Sand). Die Handlung kommt indes ähnlich sperrig daher wie der umständliche und irreführende Titel. Die Suche nach dem Weg in die Karibik ist eben nur eins der vielen Abenteuer, die Sammy im Laufe seines 50-jährigen Lebens mitnimmt. Charaktere und Schauplätze wechseln im Zehnminutentakt, viele von ihnen haben keine andere Funktion, als dem merkwürdig eigenschaftslosen Hauptcharakter (passenderweise gesprochen von Matthias Schweighöfer) einen Schubs in die richtige Richtung zu versetzen.

Dass es diesem Hauptcharakter ein wenig an Motivation fehlt, erklärt vielleicht auch den überflüssigen Voiceover-Kommentar des alten Sammy, der auf sein Leben zurückblickt und das gerade Gesehene regelmäßig zusammenfasst und kommentiert. Eigentlich besitzen die ökologisch-pädagogischen Motive des Films rund um Erderwärmung und Artenschutz eine angenehme Ambivalenz – denn die menschlichen Spuren in der Natur helfen Sammy und seinen Freunden fast genauso oft wie sie ihnen schaden. Statt jedoch auch den jüngeren Zuschauern des Films ein wenig eigenes Urteilsbewusstsein zuzutrauen, verlassen sich die Filmemacher lieber darauf, diese Ambivalenz immer wieder in ungelenken Formulierungen hinauszuposaunen. Als hätte nicht gerade der Animationsfilm in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass Filme, die Kindern gefallen ohne Erwachsenen auf die Nerven zu gehen, kein Widerspruch in sich sind.

geschrieben für Screenshot Online

Ein bisschen Frieden beim Grand Prix

Gestern bin ich zum ersten Mal seit einem gefühlten Jahrhundert wieder Zeuge eines kollektiven Fernseh-Ereignisses geworden. Die Rede ist natürlich vom Finale des Eurovision Song Contest, bei dem die deutsche Teilnehmerin Lena gewann und so zum ersten mal seit 28 Jahren wieder einen ESC-Titel nach Deutschland holte. Die Euphorie, die über diesen Sieg gestern Nacht durch die Gegend und in die Wohnzimmer schwappte, fand ich erstaunlich.

Casting- und Reality-Shows versuchen genau diesen Effekt seit Jahren immer wieder zu erreichen, aber zumindest nach meinem Gefühl haben sie in ihrem x-ten Aufguss in den verschiedenen Formaten enorm an Gewicht verloren. Nicht zuletzt gibt es zu jedem Castingshow-Finale inzwischen eine Aktion, die versucht, einen anderen Titel (meistens einen alten Rock-Klassiker) durch kollektive iTunes-Käufe so zu pushen, dass er dem Castingshow-Titel den Rang abläuft. Die ganze Vorhersehbarkeit des Kommerzes eines Dieter-Bohlen-Kandidaten, dessen Stern so schnell wieder untergeht, wie er an den Himmel gedrückt wird, war bei Lena Meyer-Landrut irgendwie nicht zu spüren.

Vielleicht lag es daran, dass zur Erschaffung des diesjährigen Grand-Prix-Songs für Deutschland die ARD und die Privatsendergruppe ProSiebenSat.1 erstmals zusammengearbeitet haben. In einem Beitrag für epd medien habe ich diesen Schritt im Juli 2009 bejubelt. Raab und ProSieben, so meinte ich damals, haben die Jugendkompetenz, die der ARD fehlt, während die ARD die Infrastruktur hat, um eine möglichst große Reichweite zu garantieren.

Insofern ist es nur logisch folgerichtig, dass mit der Raab-Kooperation der längst geschehenen Aufsplittung der Märkte endlich Rechnung getragen wird, frei nach Jeff Jarvis, der in seinem Buch „What would Google do?“ für die partikularisierte Medienlandschaft im Zeitalter des Internets die Maxime aufgestellt hat: „Cover what you do best, link the rest.“

Es erfüllt mich mit einer gewissen Genugtuung, jetzt “I told you so” sagen zu können. Mit “Ein bisschen Frieden” hat Deutschland das letzte Mal gewonnen, mit ein bisschen Frieden zwischen den Senderfronten hat Deutschland auch dieses Mal gewonnen, selbst wenn “Satellite” nicht den ersten Platz geholt hätte, denn Raab, die ARD und nicht zuletzt Lena haben Deutschlands Fernsehzuschauer auf erfreuliche Weise geeint. Insofern halte ich es auch für einen guten Schritt, dass in diesem Jahr erstmal die Fußballweltmeisterschaft sowohl auf öffentlich-rechtlichen als auch auf privaten Sendern gezeigt wird.

Ich finde, wir brauchen noch mehr von solchen solidarischen Aktionen, die das ewige Gezänk um Gebührenmilliarden und “Was ist gutes Fernsehen” ein bisschen nivellieren. Es ist nunmal eine Tatsache, dass sich die Gesellschaft immer mehr in Partikularinteressen aufsplittet. Wer dem Rechnung tragen will und trotzdem möglichst viele Menschen ansprechen will, sollte nicht versuchen, alles alleine zu schaffen, sondern dem vermeintlichen Gegner die Hand reichen und Stärken kombinieren. Vielleicht reicht es so auch bei der WM in Südafrika wieder für freudig in Luft dreschende Fäuste quer durch die Republik, wenn Deutschland wichtige Punkte holt.