Berlin, New York und Real Virtuality

“Wie stellst du dir Zeit vor?” – Eine Frage, die ich viel zu selten stelle. Für mich ist Zeit eine Art frei schwenk- und zoombares 3D-Modell, das quer durch den Raum läuft. Jedes Jahr ist ein Ring, die Ringe aneinandergereiht geben ein Band, das ungefähr bis 2000 vor unserer Zeitrechnung zurückreicht (danach wird es unscharf). Bei genauerer Betrachtung bestehen die Ringe aus Bögen, jeder Bogen ist eine Woche. Am Wochenende hat ein Bogen seinen tiefsten Punkt. Es ist schwer zu beschreiben, aber so funktioniert mein Verstand nunmal.

Als ich die Frage tatsächlich mal jemandem gestellt habe, sagte mir diese Person, sie stelle sich die Zeit eher vor wie einen Kalender; ihren Kalender. Ich fand das schräg. Da hat man die unendliche Gestaltungsmöglichkeit seines Verstandes zur Auswahl, und man entscheidet sich für Skeuomorphismus und modelt seine Vorstellung nach einem realen Objekt.

Mein innerer Stadtplan

Doch dann fiel mir auf, dass ich es bei meiner Vorstellung von Raum genauso mache. Wenn ich an einen neuen Ort komme, beginne ich, in meinem Kopf einen Stadtplan anzulegen. Mir gibt das Sicherheit und es hilft mir bei der Orientierung. Ich gehe oder fahre eine Straße hinunter und diese Straße – im Bezug zu anderen Straßen und Orten drumherum – wird dann in meinem Kopf geloggt und meinem inneren Stadtplan hinzugefügt. In Berlin war ich mir lange unsicher, wie genau sich Zoo, Potsdamer Platz und Alexanderplatz eigentlich genau zueinander verhalten, weil ich immer nur mit der U-Bahn von Ort zu Ort gefahren war und U-Bahnen töten jede räumliche Orientierung. Erst seit ich hier wohne, die Strecke auch mal per Bus zurückgelegt und mit Stadtplänen verglichen habe, besitze ich eine ungefähre Vorstellung.

Berlin sieht jetzt für mich ungefähr so aus. Ich kenne die Innenstadt einigermaßen, die Ecke unten links wo ich jetzt wohne und die Ecke unten rechts, wo ich mal längere Zeit verbracht habe. Ich habe quasi keine Ahnung was außerhalb des S-Bahn- und Autobahnrings passiert und das Zentrum von Kreuzberg ist ein Mysterium.

© Google Maps

Screenshot: Google Maps

Allerdings, möchte ich einwenden, ist ein Stadtplan natürlich auch wirklich nur eine Abstraktion dessen, was wir sehen, wenn wir eine Stadt tatsächlich aus der Luft betrachten. Der Skeuomorphismus in meinem Kopf geht also auf die Realität zurück, im Gegensatz zu einem Kalender, der weniger die Zeit selbst repräsentiert als das, was sie repräsentiert.

Die Situation in New York

Bei New York war die Situation ein bisschen anders. Ich kannte New York aus hunderten Filmen, Serien und Büchern, die mir immer wieder Eindrücke der Stadt gezeigt hatten. Hinzu kommt, dass New York so unfassbar einfach aufgebaut ist, dass es eigentlich ein Leichtes sein sollte, einen inneren Stadtplan zu zeichnen. Manhattan ist ein langer Zapfen, oberhalb davon ist die Bronx, oben rechts ist Queens, unten rechts ist Brooklyn. In der Mitte ist der Central Park. Die Straßen sind durchnummeriert und rechtwinklig! Einfacher geht es gar nicht.

Ich wusste trotzdem nicht, wie New York ist, bis ich 2011 dort war. Ich wohnte bei Bekannten in Queens, fuhr jeden morgen mit der Bahn in die Stadt und schritt große Teile Manhattans zu Fuß ab. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, an all diesen Orten vorbeizukommen, die einem scheinbar so bekannt vorkamen: Brücken im Central Park, die Billboards am Times Square, Battery Park am Fuß der Halbinsel, wo die Fähren ablegen, das Museum of Natural History, 30 Rock.

A Couple of Blocks Away

Aber es war notwendig, einmal wirklich dort gewesen zu sein, um ein Gefühl für die räumlichen Dimensionen zu bekommen. Wie weit ist “just a couple of blocks away”, was man immer wieder in US-Medienerzeugnissen hört. Wie hoch sind die Gebäude entlang der Madison Avenue wirklich? Wie riesengroß ist der See im oberen Teil des Central Park. Wieviel kleiner wirkt Manhattan, wenn man plötzlich durch das East Village spaziert, obwohl es direkt neben den protzigen Bürotürmen des Financial District liegt. Und wie titanenhaft sind bitteschön diese Brücken über den East River?

Einmal dort gewesen jedoch klickte plötzlich alles zusammen wie ein gigantisches Puzzle. Nur eine gute Woche nach meinem New York-Besuch sah ich Nick and Norah’s Infinite Playlist im Fernsehen, ein netter kleiner Indiefilm, in dem die Titelcharaktere eine Art Road Trip durch New York erleben. Und nicht nur rief ich plötzlich ständig “Da war ich” (zur unendlichen Freude meiner Mitzuschauer, da bin ich mir sicher), sondern ich hatte plötzlich auch das Gefühl, mich viel besser in den Film hineindenken zu können. Ich konnte die zweidimensionalen Bilder auf dem Bildschirm übersetzen in dreidimensionale Bilder in meinem Kopf.

Real Virtuality

Filme konstruieren künstliche Räume, das ist eine der ältesten Erkenntnisse der Filmtheorie. Wer nacheinander einen Menschen zeigt, der von links nach rechts läuft, einen weiteren Menschen, der von rechts nach links läuft, ein Gebäude und dann zwei Arme, die einander die Hand geben, wird dadurch in 90 Prozent aller Menschen den räumlichen Eindruck erwecken, die beiden Menschen seien aufeinander zugegangen, um sich vor dem Gebäude die Hand zu schütteln – auch wenn die Aufnahmen an völlig unterschiedlichen Orten entstanden sind, das Gebäude ein Modell ist und die Hände anderen Menschen gehören als den zuvor gezeigten. Diese künstlichen Räume existieren allerdings nur innerhalb des Films, wir können sie nicht betreten, weil sie nicht existieren. Auch nicht, wenn wir alle oben genannten Drehorte nacheinander besuchen würden.

Unter anderem deswegen finde ich so spannend, was zurzeit im Bereich Virtual Reality passiert. Die dort erschaffenen Räume sind auch nicht real, sie sind digitale Simulationen. Aber sie besitzen die gleiche Räumlichkeit wie ein realer Ort. Ich kann mir die Brille aufsetzen und den Ort erfahren, so wie ich damals 2011 nach New York geflogen bin, um den Ort zu erfahren. Das bedeutet auch, dass wir vom gleichen Ort reden werden, wenn wir über unsere VR-Erlebnisse sprechen. Es wird nicht mehr so sein, wie wenn wir über Filme reden, wo sich jeder einen eigenen künstlichen Raum zusammenbaut. Wie wenn wir über Zeit sprechen, dass der eine einen Kalender sieht und die andere ein Band im endlosen Weltall. Es wird hoffentlich wie Theater, wo wir alle mittendrin stehen. Real Virtuality. Ich kann es kaum erwarten.

Passenderweise gibt es übrigens inzwischen ein VR-Produkt namens Real Virtuality, das mehreren VR-Nutzern erlaubt, gleichzeitig die gleiche Simulation zu erleben. Ich habe mein Blog also genau richtig benannt.

Meet the Bloggers – Berlinale 2016

Letztes Jahr konnte ich leider nicht dabei sein, aber dafür dieses Jahr umso mehr! Zum vierten Mal gibt es während der Berlinale ein Treffen für alle, die irgendwas mit Film und Internet machen. Das Haus der 100 Biere/Mommsen-Eck liegt günstig in der Nähe der Festivalkinos am Potsdamer Platz und bietet genug Raum für einige Blogger_innen, Podcaster_innen, YouTuber_innen und alle anderen, die bei einem Getränk Freundschaften für’s Leben schließen wollen.

Am 13. Februar 2016 ist ab 17 Uhr ein Tisch auf den Namen “Peschel” reserviert. Hier könnt ihr auf Facebook euer Kommen ankündigen.

Sollten Agenturen oder sonstige professionelle Blogger-Kontaktmenschen Interesse haben, zu diesem Treffen zu kommen oder etwas dazu beizutragen, dürfen Sie sich gerne bei mir melden.

Real Virtualinks 5/16

Dieses Blog wird bald auch wieder “echte” Artikel enthalten. Bis dahin müsst ihr euch mit diesen Links begnügen, in denen es immerhin auch um “Echtheit” geht.

Welcome to the divergence

Ich habe mich aus voller Überzeugung längst vom “Erfahrungen sind wichtiger als Zeug”-Mantra anstecken lassen – aber wenn ich wieder Zeug kaufen muss, um Erfahrungen zu haben, bin ich doch wieder nur einem Marketing-Schachzug zum Opfer gefallen, oder?

Hollywood’s Turn Against Digital Effects

Bryan Curtis’ Artikel ist wunderbar, denn er gibt dem Echtheitswahn aktueller Effektfilme Kontext: “Bobbajo was in all of about two shots in “The Force Awakens.” He didn’t have a line. Did he add to Abrams’s garbage-picker milieu? Well, maybe a little. Did he work as a sop to us fans who demand “reality” as it was delivered at multiplexes thirty years ago (…)? Absolutely.”

Auf, auf und davon!

Ich bin ja schon lange ein Freund davon, das Internet nicht nur für kurzen Clickbait, sondern auch für lange und multimediale Auseinandersetzungen zu nutzen. Christian Steiner, bekannt aus dem “Second Unit”-Podcast, hat so etwas gerade begonnen. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt

Und… los geht’s!

Deutschland hat ein Podcastlabel: Viertausendhertz. Und wie bei Gimlet gibt es auch einen Metapodcast über die Gründung eines Podcastlabels. Dabei wird schon klar: Hier sind Radioprofis am Werk, die aber trotzdem eine echte Liebe zu Podcasts mitbringen. Ich bin sehr gespannt und werde die verschiedenen Formate bald mal durchtesten.

Real Virtualinks 4/16

To Attract New Listeners, Podcasts Need to Move Beyond Sound

Hinter der paradoxisch klingenden Überschrift steckt die Frage, wie Podcasts “sharable” werden können, auf die bisher noch niemand eine gute Antwort hat. Ich habe mir bisher die Web-Inhalte von Serial nicht angesehen. Nutzt ihr solche Zusatzangebote?

Uhrenvergleich

Wer eine Idee hat, die er oder sie gut findet, sollte davon ausgehen, dass sie auch andere haben. Und genauso wie ich seit Jahren darüber sinniere, die absurden Auswüchse der Bahnhofskiosks unter die Lupe zu nehmen, scheint es auch Peter Breuer getan zu haben. Für “Übermedien”, die neue Website von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz, schreibt er als erstes über das Uhrenmagazin “Chronos”.

Die Glorifizierung von Psychopathen als Helden, unterlegt mit “Bohemian Rhapsody”, ist

Meine erste Twitter-Umfrage zum neuen Trailer für Suicide Squad der ausgerechnet mein Lieblingslied mit einer für meine Begriffe absurd pubertären Vorstellung von “Coolness” koppelt (siehe auch Harley Quinn Art Contest). Immerhin hat die tendenziöse Fragestellung einige Mitmenschen zur Diskussion angeregt.

Where’s Rey?

Laut einem “Insider” wurde Rey gezielt aus Star Wars-Produkten ferngehalten, weil sich weibliche Figuren bei Jungs nicht verkaufen – schon länger bekannt. Dieser Artikel fasst das alles noch mal zusammen und setzt es auch in einen historischen Kontext.

„Komplexer soll die Welt nicht werden.”

In der Woche, in der die Grimmepreis-Nominierungen bekannt gegeben wurden, habe ich in den Tiefen meiner Pocket-Liste dieses fantastische Gespräch zwischen Frédéric Jaeger und Robert Bramkamp entdeckt, in der sich mal wieder die gesammelte Wut über Kino und Fernseh-Verquickung in Deutschland Bahn bricht. Ich würde nicht alles, was Bramkamp sagt, so unterschreiben, aber “Retrorealismus” ist einfach ein grandioser Begriff, der sehr genau mein eigenes Unwohlsein mit dem deutschen Filmkomplex zusammenfasst.

Real Virtualinks 3/16

Inside Out and the ‘Science’ of Emotions

Ich bin mir nicht sicher, was ich von diesem Artikel halten soll. Auf der einen Seite wird moderne Neurowissenschaft belächelt mit dem Verweis auf 100 Jahre alte, unbewiesene Theorien, in deren Schwitzkasten die Psychologie bis heute an vielen Ecken zu stecken scheint. Auf der anderen Seite öffnet sich ein wissenschaftstheoretischer Korridor gegen die vollquantifizierte Wahrnehmung des menschlichen Geistes. Lesen darf man ihn also auf jeden Fall und auch diesen sehr guten Kommentar von Jochen Ecke dazu.

Lexical Analysis: Lex Luthor on disrupting the vigilante industrial complex

Batman v Superman: Dawn of Justice kommt schon am 23. März in die Kinos und allein wegen der Hybris und Produktionsgeschichte ist es einer der Filme, auf die ich dieses Jahr am meisten gespannt bin. Das “Wired Brandlab” ist dazu Mit-Urheber einer cleveren Werbekampagne – ein Interview mit Filmbösewicht Lex Luthor im Gewand eines “Wired”-Artikels. Seine Meinung zu Batman? “You want to clean up the streets? Dress up like the boogeyman, switch on a fog machine and lower your voice.”

The Nine Lives of Leo DiCaprio

Ich war nicht übermäßig begeistert von The Revenant, aber die Kameraarbeit hat mich beeindruckt. Ich hatte vor allem einen Gedanken, den Leonardo DiCaprio in diesem unterhaltsamen Interview witzigerweise auch wieder aufgreift: “This movie is a little like virtual reality.” Fallen euch weitere Filme ein, in denen man durch filmische Techniken so stark in einen Raum eintaucht?

Werner Herzog Talks Virtual Reality

“It’s a form of space that we haven’t experienced yet. It is a form of space that occurs in our nightmares.” Ich kann es nicht erwarten, was die VR-Welt uns durch Menschen wie Herzog bringen wird.

Eine Frage der Zeit – Gibt es zu lange Filme?

Ich glaube, ich habe selbst oft genug behauptet, Film XY wäre “zu lang”. Lucas Barwenczik geht der Behauptung auf den Grund und versucht wie immer, provokant und versöhnlich zugleich zu sein.

Star Wars: The Force Awakens – VFX Breakdown

Was VFX-Breakdowns angeht ist dieses zehnminütige Video zu The Force Awakens ganz vorne mit dabei, weil es tatsächliche Vergleichsmöglichkeiten bietet, statt (wie gerne) selbst ein Budenzauber zu sein. Allerdings sieht man auch sehr gut, dass die im Vorhinein oft beschworene Echtheit der Sets und Effekte vor allem eins war: Marketing. Zählt mal, wie oft ihr “Full Digital Shot” lest. The Force Awakens hat auch nicht weniger CGI als ein durchschnittlicher Peter Jackson-Film. (Neuer Link. Danke, Fabian in den Kommentaren)

How Queen and David Bowie wrote “Under Pressure

Selten, dass Musiker_innen mal einen so präzisen Einblick in den kreativen Prozess hinter der Entstehung eines Songs geben. Wer sich, wie ich, für so etwas interessiert, sollte das hier unbedingt lesen, egal ob er den Song mag oder nicht. “The procedure was each of us went into the vocal booth consecutively, without listening to each other, and, listening to the track, vocalised the first things that came into our heads, including any words which came to mind, working with the existing chord structure. At this point Freddie laid down his amazing De Dah Day bits, very unusual, which actually made it to the final mix.”

Das erneute Ende des großen Büffets

Im Sommer 2015 habe ich mich entschieden, Musikstreamingdiensten endlich eine faire Chance zu geben. Ausschlaggebend war nicht zuletzt ein Gespräch mit einer zehn Jahre jüngeren Kollegin, deren Musikgeschmack ich schätzte und die mir fröhlich und selbstverständlich davon erzählte, wie sie ständig neue Bands entdeckt und eine innige Beziehung zu Musik entwickelt, auch ohne eine Repräsentation dieser Musik zu kaufen. Ich testete Spotify erst einen kostenlosen Monat und blieb dann noch zwei weitere, weil ich mich sehr schnell an diese neue bequeme Art, Musik zu hören, gewöhnte. Im September entschied ich, der Konkurrenz eine Chance zu geben (und ein bisschen Geld zu sparen), und testete drei weitere Monate Apple Music.

Ich fand Apple Music etwas umständlicher zu bedienen als Spotify und ihm fehlte der geniale “Discover Weekly”-Algorithmus, aber am Ende siegte vor allem die Bequemlichkeit. Apple Music dient als Erweiterung meiner bisherigen mp3-Musiksammlung in iTunes, ich kann im gleichen Ökosystem bleiben. Praktisch. Es gab aber einen weiteren Grund. Im Dezember entdeckte ich auf Apple Music ein Album, das ich toll fand, aber auf Spotify nie gefunden hätte. Gavin Harrisons “Cheating the Polygraph”, ein furioser Big-Band-Jazz-Remix seiner besten Porcupine-Tree-Performances, ist aus irgendeinem Grund nicht in den 30.000.000 Songs auf Spotify enthalten, in denen von Apple Music aber schon.

Eine mächtige Kombination

Klar, ich hätte trotzdem bei Spotify bleiben und mir “Cheating the Polygraph” einfach kaufen können – aber es ist ätzend anstrengend bis unmöglich, “externe” Songs ins Spotify-System einzuschleusen. Im Endeffekt hätte ich das Album also mit Sicherheit seltener gehört. Apples Exklusivbesitz des Assets “Cheating the Polygraph” hat mich an den Dienst gebunden. Irgendwo hat ein Content Marketing-Experte seine Flügel bekommen.

Die Kombination von Abonnements und exklusiven Inhalten ist nichts Neues, sie fällt mir aber in diesem neuen Streaming-Zeitalter gerade mal wieder enorm auf, weil sie so mächtig ist. Netflix hat 2015 mit (guten) Exklusivinhalten richtig auf die Kacke gehauen und plant, die Menge an “Original Programming” 2016 zu verdoppeln. Amazon steht derzeit ungefähr so da wie Netflix vor einem Jahr – mit einer frischgebackenen besten TV-Serie des Jahres und schon einigen weiteren Hits im Sack oder in Petto.

Opfer der Bequemlichkeit

Will man einen dieser Hits genießen hat man keine Wahl, außer sich gleich auf das ganze Paket einzulassen. Und je mehr exklusive Inhalte ein Anbieter hat, umso schwächer wird unser Wille, ihn zu verlassen. Abos, selbst monatlich kündbare, sind clever, weil sie garantierten Umsatz bedeuten, egal ob die Abonnenten den Dienst nutzen oder nicht. Und Bequemlichkeit sorgt dafür, dass wir Abos viel länger behalten, als wir müssten. Ich habe mein GMX-ProMail Abo, das ich mal abgeschlossen habe, weil ich ein IMAP-Postfach wollte, ungefähr zwei Jahre gekündigt nachdem ich das erste mal dachte “Könnteste eigentlich mal kündigen”. Meine erste Domain läuft immer noch bei einem anderen Provider als mein Blog, weil ich einfach zu faul bin, mich mal eine Stunde hinzusetzen und den ganzen Schlonz zu tranferieren.

Es mag Leute geben, die in den USA ihr HBO-Abo immer nur während der aktuellen Game of Thrones-Staffel laufen lassen und es danach wieder kündigen, aber das wäre mir zu viel Arbeit. Ich bin zwar Fürsprecher entspannter Mediennutzung angesichts des Überflusses, aber ich möchte selbst entscheiden können, welche Optionen ich ignoriere. Ich gehe gerne mal in ein Restaurant mit kleiner Karte, weil eine reduzierte Auswahl entspannen kann, aber ich würde mich ärgern, wenn ich dieses Restaurant dann immer auch dann bezahlen müsste, wenn ich dort nicht esse.

Entbündelung und vertikale Integration

Als Kultur noch an Trägermedien gebunden war, war der freie Markt unser großes Büffet. Wir konnten einfach so losgehen und uns die Kultur kaufen und dann hatten wir sie zu Hause. Das Internet hat diesen Prozess, Stichwort “Entbündelung“, auf noch kleinere Teile heruntergebrochen – Songs statt Alben, Artikel statt Zeitungen. Streamingdienste, mit ihrer Emulation des HBO-Modells im Digitalen, kehren zu einer vertikalen Integration zurück, wie sie im US-Kinomarkt beispielsweise in den 50er Jahren verboten wurde: Produktion, Bereitstellung und Auslieferung aus einer Hand.

Überdramatisiere ich? Mit Sicherheit. Will ich eigentlich nur nicht dauerhaft mehrere Abos abschließen, um alles sehen/hören/lesen zu können, was andere mir empfehlen? Genau. Ist das ein luxuriöses First World Problem? Auf jeden Fall! Aber ich denke doch, dass es auch ein paar ernstzunehmende Folgen haben könnte. Zum Beispiel hat das Internet die große kulturelle Unterhaltung demokratisiert, exklusive Angebote aber schaffen wieder Filterbubbles, die jene ausschließen, die sich (beispielsweise) kein Netflix-Abo leisten können. Darüber darf man ruhig mal nachdenken. Das moderne Unterhaltungsparadigma bedient nicht nur die Nische, es schafft sie auch selbst.

Nachgedanke, 22:09 Uhr: Exklusivinhalte sind das Gegenteil von guter Kuration, womit Netflix zum Beispiel ja mal angefangen hat. Kuration sucht dir aus der Masse der Angebote die besten an einem Ort zusammen. Exklusivinhalte bedeuten, dass es mehrere Orte gibt, von denen jeder behauptet, er habe selbst das Beste.

Die Lieblingsfilme der Filmblogosphäre 2015

Ab dem dritten Mal ist es eine Tradition! Wie schon in den vergangenen zwei Jahren habe ich die Tage seit Neujahr damit zugebracht, knapp 50 deutschsprachige Filmblogs nach Top 10-Listen für das vergangene Jahr zu durchsuchen und daraus in einer großen Tabelle eine gemeinsame Hitliste zusammenzurechnen. Details zur Wertung und ein Link zur Tabelle am Ende des Artikels.

Ich muss zugeben, dass die Liste nur wenige Überraschungen bereit hält. Am weitesten oben sind wie immer Filme platziert, die einfach zu sehen waren und den nötigen “Buzz” mitbrachten, um den geneigten Filmfreund oder die geneigte Filmfreundin auch ins Kino zu treiben. Wie schon im vergangenen Jahr schwebt ein Film gottgleich mit großem Abstand über dem Rest: Mad Max: Fury Road hat es geschafft, Genrefans, Blockbuster-Sympathisantinnen und Filmkunst-Liebhaber gleichermaßen anzusprechen. Es gab kaum eine Liste, auf der George Millers Actionballett nicht unter den ersten zehn Filmen auftauchte.

Auf den restlichen Plätzen der Top 10 zeigt sich der tendenzielle Hang der Blogosphäre zum Genre- und Effektkino, auch bei Victoria oder Birdman, wo der ganze Film ein Special Effect ist. Beachtlich ist die hohe Platzierung von Star Wars: The Force Awakens – die Freude über die Rückkehr der Reihe scheint über die Ähnlichkeit des Films mit seinen Vorgängern triumphiert zu haben. Der “Geheimtipp”, weil einzige nicht “High Concept”-Film in der Top 10 ist sicher das Indie-Gruselett It Follows, das anscheinend auch viele überzeugt hat, die nicht regelmäßig Horrorfilme konsumieren.

Der große Konsens an der Spitze sollte übrigens auch dieses Jahr nicht davon ablenken, dass in der Blogosphäre durchaus ein breites Spektrum des Filmgeschmacks zu Hause ist. Insgesamt landeten immerhin 156 verschiedene Filme in den 49 Top Tens, die in die Wertung einflossen – und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die das Jahr sowieso lieber unquantifizierbar Revue passieren lassen, etwa Lena oder die Autoren von “Cargo“.

1. Mad Max: Fury Road

© Warner Bros.

2. Victoria

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3. Ex Machina

© Warner Bros.

4. Star Wars: The Force Awakens

© Disney

5. Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance)

© 20th Century Fox></p>
<h3>6. Whiplash</h3>
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7. It Follows

© UFA

8. Inside Out

© Disney

9. The Martian

© 20th Century Fox

10. Carol

© DCM

11. Sicario
12. Kingsman: The Secret Service
13. Inherent Vice
14. Steve Jobs
15. 45 Years
16. Leviathan
17. The Look of Silence
18. Love
19. Bande de filles
20. Youth und Ich seh, Ich seh

Zur Methode: Datengrundlage sind insgesamt 49 Listen oder Lieblingsfilm-Nennungen aus deutschsprachigen Filmblogs. Grundlage waren das grandiose Filmblogverzeichnis auf “SchönerDenken” und einige Ergänzungen, die dort noch fehlten. Bei mehreren Listen pro Blog von verschiedenen Autor_innen wurde jede Liste einzeln gezählt.

Die Filme wurden nach einem Punktesystem geordnet. Bei nummerierten Top-10-Listen bekam der erste Platz 10 Punkte und so weiter bis zum 10. Platz, der 1 Punkt bekam (gesamt: 55 Punkte). Bei nicht nummerierten Listen bekam jeder Film 5,5 Punkte (gesamt: 55 Punkte). Bei weniger als 10 genannten Filmen bekam der erste Platz 10 Punkte und so weiter absteigend, fehlende Plätze wurden ignoriert. Bei mehr als 10 genannten Filmen wurden nur die ersten 10 gewertet.

Die ganze Tabelle ist als Google-Doc einsehbar. Falls jemand seine Liste vermisst, schickt mir gerne einen Hinweis per Mail oder auf Twitter.

Real Virtualinks 2/16

The Year In Rebootquels

“Rebootquel” ist ein wesentlich weniger eleganter Ausdruck als “Legacyquel“, aber mit Devin Faracis Analyse stimme ich trotzdem ziemlich überein.

The Culture Gabfest “We Forced You to Call Us” Edition

Das “Slate Culture Gabfest” ist einer der wenigen Gesprächspodcasts, die ich höre. Es ist etwas mehr “sophisticated” als andere Popkulturpodcasts und diskutiert öfter mal Geschehnisse außerhalb meiner direkten Filterbubble (zum Beispiel den Essay “On Shit: Profanity as Weltanschauung”). Die Jahressendsshow ist weniger wegen Star Wars interessant, als wegen der Reflektionen über Podcasten und einer interessanten Beobachtung: War 2015 das Jahr, in dem die Empathie in die Kultur zurückgekehrt ist?

The Mogul of the Middle

Nehmt euch ein bisschen Zeit und lest diesen fantastisch geschriebenen Einblick in die aktuelle Situation in Hollywood und wie Adam Fogelson mit dem neuen STX Studio in eine entstandene Lücke hineingrätschen will.

The 2015 Movie Club

Das beste am Januar: Der Slate Movie Club. Dana Stevens, Amy Nicholson, Mark Harris und David Ehrlich lassen in losen, lustigen Briefen aneinander das Filmjahr im Gespräch noch einmal Revue passieren. Unbedingt lesen (alle 16 Teile!) – und mir sagen, ob wir das gleiche mal in der Blogosphäre machen sollten.

Victoria, der meistüberschätzte Film 2015

Ich mag es, dass Rajko mal wieder gegen die landläufige Meinung provoziert, aber ich kann ihm nicht zustimmen. Egal, ob man das Schauspiel von Frederick Lau und andere Akzente, die der Film setzt, mag, das ununterbrochene Einfangen einer Handlung über 140 Minuten macht etwas mit mir als Zuschauer. Genau wie andere stilistische Entscheidungen beim Filmemachen, ist der One-Take Teil des Erlebnisses – extradiegetisch, aber nicht extratextuell. Ob VICTORIA – Film “überschätzt” ist, bleibt also eine sehr persönliche Ansicht. Seinen Wert hat der Film auch über die Schnittlosigkeit hinaus bereits bewiesen.

Das meistdokumentierte Filmprojekt aller Zeiten

“Die lassen sich ziemlich in die Karten gucken.” Die Worte meines Freundes Jochen im Herbst 2002 kommen mir jedes Mal in den Sinn, wenn ich an die eine Quelle denke, aus der ich vermutlich am meisten über die Art und Weise gelernt habe, wie heute Filme gemacht werden. Was für andere Filmfreaks Truffauts Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? oder Sidney Lumets Making Movies sein mögen, sind für mich die “Anhänge” zu den Mittelerde-Filmen von Peter Jackson.

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Real Virtualinks 1/16

Jetzt wird alles gut!

A Conversation with Steve Binder, Director of the Star Wars Holiday Special

Es geht kaum um das Star Wars Holiday Special, stattdessen bekommt man einen interessanten Einblick in die “Variety Show”-Szene der USA der Siebziger und die Arbeit mit Elvis.

Drew Goddard – The Martian Q & A

Drew Goddard ist einer der sympathischsten Drehbuchautoren, die in Hollywood rumlaufen – sympathisch auch von seiner Arbeitsweise (zumindest mir).

Fragebogen 2015

Mein privater Wasserstandsanzeiger, den Felix doof findet.