Happy Birthday, Real Virtuality

Fünf Jahre ist es her, dass in diesem Blog der erste Eintrag verfasst wurde. Und aus einer Sammelstelle für meine Publikationen, einer Art digitaler Visitenkarte, ist etwas geworden, auf das ich inzwischen doch irgendwie stolz bin. Eine Art wöchentliche Kolumne zu Film und Medien. Ein Forum und Vernetzungsort für Filmblogger. Ein Labor für verschiedene Kritik- und Journalismusformen. Dessen Beiträge auch gelesen werden – und das ist das Wichtigste.

Eigentlich wollte ich dieses Jubiläum irgendwie begehen – mit einer Artikelserie, einer Verlosung oder irgendwelchen sonstigen Festivitäten. Aber leider fehlt mir dazu im Moment die Zeit und ich werde wohl nachfeiern müssen. Immerhin: Am vergangenen Sonntag habe ich endlich Webspace gekauft, warte jetzt darauf, dass meine Domain umzieht, und werde dann hoffentlich bald auf mein eigenes WordPress-Blogsystem umsteigen, statt weiter am Tropf von wordpress.com zu hängen. Und vielleicht gibt es dann auch ein kleines Redesign.

Und als hätte mein Lieblings-“Kunde” Marvel Studios geahnt, dass heute ein besonderer Tag ist, haben sie mir das bestmögliche Geschenk gemacht. Einen wunderbaren Trailer für Guardians of the Galaxy. Dankeschön.

In den Kommentaren hättet ihr jetzt die einmalige Gelegenheit, Kritik an “Real Virtuality” zu äußern. Was würdet ihr ändern? Woran hakt’s noch? Wovon wünscht ihr euch mehr? Ich bin doch ein willenloser Spielball und mache gerne, was ihr sagt.

Bild: Flickr Commons

Es gibt immer einen besseren Algorithmus

It's all about the Pentiums, Screenshot, © Al Yankovic

Ende der 90er fing “Weird Al” Yankovic mit seiner Parodie auf Puff Daddys “It’s all about the Benjamins” den damaligen Zeitgeist der gegenseitigen Überbietung in Sachen Rechnerleistung perfekt humoristisch ein. In “It’s all about the Pentiums” heißt es unter anderem

My new computer’s got the clocks, it rocks
But it was obsolete before I opened the box.
You say you’ve had your desktop for over a week?
Throw that junk away, man, it’s an antique.

Die Sängerfigur des Songs prahlt damit, dass er 100 Gigabyte Ram und einen 40 Zoll Monitor hat und disst sein Gegenüber mit den Worten “In a 32-bit world, you’re a 2-bit user”. Heute, 15 Jahre später, sind beide Daten gar nicht mehr völlig unmöglich (wenn auch für Heimsysteme eher unpraktisch und teuer), aber bei Desktop PCs und Laptops hat sich die Konversation ohnehin verlagert. Heute ist eben nicht mehr “all about the Pentiums”, mein fast vier Jahre altes MacBook ist für meine Zwecke heute fast noch so effizient wie beim Kauf. Die Zeit der Zahlenschlachten in der Heimcomputerwelt ist vorbei, ebenso wie die Megapixel-Schlachten in der Digitalkamerawelt.

Doch das heißt nicht, dass das Rennen um die Effizienz vorbei ist. Es ist nur umgezogen. Wahrscheinlich könnte man Yankovics Song heute über Smartphones singen – oder über Orte, an denen man es gar nicht vermuten würde, etwa Kompressionsraten.

HEVC, nonchalant

Als ich im vergangenen Herbst auf dem Beyond-Festival in Karlsruhe war, um mich über die neuesten Entwicklungen in Sachen 3D zu informieren (Ergebnis unter anderem nachzulesen in der aktuellen Ausgabe von “epd film”), erwähnte einer der Redner dort, Ralf Schäfer vom Fraunhofer Henrich Hertz Institut, relativ nonchalant, dass ja nun auch ein neues Video-Format namens HEVC entwickelt worden sei, der einiges in Bewegung setzen dürfte.

Erst in späteren Recherche-Gesprächen wurde mir klar, wie wichtig HEVC werden könnte. “High Efficiency Video Coding”, wie das Kompressionsformat ausgeschrieben heißt, verbessert den bisherigen H.264/MPEG4 AVC-Standard, der für Bildkompression bei Bewegtbild eingesetzt wird, um das Doppelte. Es halbiert also die Datenmenge, die man braucht, um etwa ein Fernsehbild zu übertragen – bei gleichbleibender Qualität. Mit anderen Worten: SD-Auflösung wird quasi ein Pups in den Leitungen, die Übertragung von HD wird so einfach wie heute SD und UHD/4K-Übertragung wird auf dem gleichen Level möglich, wie HD heute.

Mein Fernseher, ein Gobelin?

“Wer will überhaupt 4K?” mag sich der geneigte Leser jetzt fragen und in der Tat habe ich mich auch schon gefragt, wie viele Wanddurchbrüche ich machen müsste, um ein Display von der Größe eines Gobelins sinnvoll als Fernseher nutzen zu können. Aber diese Art von Effizienzgewinn bedeutet noch ganz andere Sachen als ein pures Mehr an Auflösung: Etwas so Datenlastiges wie Autostereoskopie (aka 3D ohne Brille) könnte endlich ein Thema werden und HFR (aka Hobbit-Vision) könnte sinnvoll diskutiert werden (es nervt euch vielleicht in Mittelerde, aber wie wäre es bei Sportübertragungen?). Es sind eben nicht die immer kletternden Zahlenwerte, die die entscheidende Power bringen – viel öfter sind es die cleverer werdenden Algorithmen, die plötzlich eine Verdopplung der Effizienz bringen, indem sie irgendwelche mathematischen Lücken ausnutzen. Als Laie kann man darüber nur ungläubig den Kopf schütteln.

Case in Point: “Joint Importance Sampling”, der Fachausdruck für eine neue Rendertechnik, die – zumindest behaupten das “io9” und “fxguide” – “eine neue Ära der Animation einläuten könnte”. Sie verfolgt grob gesagt Lichtpfade effizienter und rechnet nur jene Teile der Pfade in Bildpunkte um, die die Kamera wirklich sehen kann. So werden Renderzeiten enorm verkürzt und ganz neue Möglichkeiten eröffnet.

Revolution statt Evolution

Disney-Entwickler Wojciech Jarosz, dessen Team auch hinter “Joint Importance Sampling” steht, hat in einer Rede, die er auf einem Render-Symposium in Spanien im Juni 2013 gehalten hat, dafür plädiert, beim Rendern von der Evolution zur Revolution zu wechseln, neu zu denken und nicht nur das Bisherige weiterzuentwickeln. Die Entwicklung des “Joint Importance Sampling”, die nur der Kamm einer größeren Welle zu sein scheint, zeigt also ebenfalls, dass man auch dort noch besser Algorithmen finden kann, wo man alle Möglichkeiten ausgereizt glaubte.

Gefährlich wird das ungläubige Staunen über solche Entwicklungen jedoch, wenn man versucht, das Prinzip aus der Welt der Chips und mathematischen Formeln auf andere Bereiche zu übertragen. Der Über-Effiziente Mensch endet im Burnout und im blinden Glauben an die ständige Verbesserung wird Moore’s Law plötzlich zu Moore’s Curse, wie der Umweltforscher Vaclav Smil etwa mit Blick auf die Energiewende festgestellt hat. Oder sind wir auch hier nur einem evolutionären Gedankengang verfallen? Vielleicht wartet hinter der nächsten Kurve doch noch die Neuentwicklung, die wieder einmal alles auf den Kopf stellt. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich darauf hoffe oder nicht.

Met the Bloggers (III)

Rein zahlenmäßig waren wir wohl insgesamt weniger Menschen auf dem diesjährigen Filmbloggertreffen auf der Berlinale. Positiv und vernetzend war es aber allemal. Nicht zuletzt weil sich ein Kollege von MUBI Deutschland dazugesellt hatte, der explizit mit Bloggern Kontakt aufnehmen wollte und auf jede Menge Gegenliebe stieß. Auch zwei internationale Gäste waren anwesend, Marian Williams aus Österreich und Vince Mancini von “FilmDrunk”, der auch ein paar interessante Beobachtungen über die US-Filmblogosphäre teilte. Für ihre Social Media Recherche setzte sich außerdem Katja von Time CodeMedia zu uns an den Tisch.

Danke an Patrick und Björn von “Kontroversum”, Bernd von “Ansichtssache”, Joachim von “Kino-Zeit.de”, Doreen von “Fang den Film” und Jan von “CineCouch“, dass sie sich Zeit genommen haben. Extra-Dankeschön an Gerold von “DigitaleLeinwand”, der mich außerdem an meinem Berlinale-Wochenende beherbergt hat. Das ist wahre Blogger-Solidarität.

Movie Genome Project: Assoziationen zu The Grand Budapest Hotel

© 20th Century Fox

Wes Andersons Neuer, The Grand Budapest Hotel, der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, ist großartig. Ein 100-minütige Achterbahnfahrt von einem Film – spannend, komisch, absurd und überschäumend vor Ideen. Dieser Ideenreichtum, die Detailverliebtheit und die immense Einbeziehung von (pop-)kulturellen Bezügen war schon immer eine Stärke von Wes Anderson und in seinem zweiten nicht in der Gegenwart angesiedelten Film (nach Moonrise Kingdom), der zum größten Teil in einer Wolkenkuckucks-Version von Mittel-Osteuropa in den 30ern spielt, kommt sie voll zur Geltung.

Neben den Werken von Stefan Zweig, die Anderson als Inspiration in den Credits des Films klar benennt – und anderen Werken von Hannah Arendt und Irène Nemirovsky, denen er in Interviews Tribut gezollt hat, trägt The Grand Budapest Hotel eine Legion von Einflüssen in seiner DNA mit sich herum. In diesem Posting möchte ich versuchen, möglichst viele von ihnen aus meiner eigenen Wahrnehmung und der anderer Kritiker zu sammeln (denn kaum eine Kritik des Films kommt ohne einen Hinweis auf eine Referenz aus, welche die Kritikerin zu erkennen geglaubt hat) und so eine Art “Genom” des Films generieren.

Grand Hotel (1932)

Ein großer MGM-Klassiker über die Begegnungen der Reichen und nicht ganz so Reichen in einem europäischen Hotelpalast der Zeit, deutscher Titel: Menschen im Hotel. Neben dem Titel, dem Setting und dem Entstehungsjahr, was auch das Handlungsjahr von Andersons Film ist, ist auch Grand Hotel – ähnlich wie sein Budapester Cousin – eine veritable Star-Parade mit John und Lionel Barrymore, Joan Crawford, Wallace Beery, Jean Hersholt und vielleicht der definitiven Performance von Greta Garbo (“I vant to be alone …”).

Lubitsch, Ernst

Viele Kritiker erwähnen den Bezug zu den perfekt durchgetakteten Komödien des Berliner Regisseurs, nicht zuletzt The Shop around the Corner, der in Budapest spielt, und To Be or Not to Be, in dem ebenfalls Nazis düpiert werden.

“Der Zauberberg” (Thomas Mann, 1924)

“Man denkt fast unwillkürlich an Thomas Manns Zauberberg, wenn sich – lange nach Schließung des Hotels – ein Schriftsteller (Tom Wilkinson) an ein abendliches Gespräch mit dem ehemaligem Inhaber Zéro (F. Murray Abraham) erinnert (den jüngeren Autor spielt Jude Law), welcher wiederum von seinem jüngeren Ich und den abenteuerlichen Jahren kurz vor Kriegsbeginn erzählt.” (Nino Klingler auf “critic.de”)

Chapman, Graham

Joseph Fiennes’ Charakter M. Gustave parliert in perfektem “Candy Ass” English mit höchstem Etikette-Grad und rezitiert mit Vorliebe romantische Poesie – außer wenn er sich ärgert und nebenbei diverse F-, S- und sonstige Bomben in seine Repliken einflicht. Es fällt schwer hier kein Echo der Monty-Python-Charaktere von Graham Chapman zu sehen, in denen auch häufig englische Stiff-upper-Lip-Noblesse auf krachende Gewalt und Pöbelei traf.

Inglourious Basterds (2009)

Wie Anderson drehte auch Quentin Tarantino sein Alternativ-Historien-Magnum Opus zu großen Teilen in Deutschland und rekrutierte für die Nebenrollen einige deutsche Schauspieler. The Grand Budapest Hotel enthält deswegen auf gleiche Weise zahlreiche Blinzle-und-du-verpasst-sie-Auftritte von deutschen Mimen. War das eben wirklich Florian Lukas? (auch Tim Lindemann stellt den Bezug her)

Charade (1963) und andere Euro-Thriller der 60er

The Grand Budapest Hotel spielt in dem kleinen europäischen Land Zubrowka. Dessen Einwohner sprechen britisches oder amerikanisches Englisch, deutsch oder Französisch, ohne jede Erklärung dahinter außer der Herkunft des jeweiligen Schauspielers. Auch die Namen von Orten und Figuren sind eine wahllose Mischung aus den drei großen westeuropäischen Sprachen. Spontan musste ich an die opulenten US-europäischen Koproduktionen der Post-Studio-Ära denken, in denen sich Schauspieler aus den verschiedenen Filmnationen auf ähnliche Art die Klinke in die Hand gaben und einander jederzeit perfekt verstanden. (Justin Chang erwähnt in “Variety” ebenfalls die “transcontinental intrigue of ‘Murder on the Orient Express’ and ‘The Lady Vanishes’ und den “deliberate Europudding effect” der Akzente).

Zeman, Karel

Der tschechische Filmemacher, eine Art osteuropäischer Ray Harryhausen, realisierte in den 50er und 60er Jahren eine Reihe von fantastischen Filmen, in denen er Realaufnahmen von Schauspielern mit deutlich als handgemacht zu identifizierendem Trickmaterial für Sets und Hintergründe kombinierte. Besonders in der Eröffnungs-Tricksequenz von TGPH scheint Zemans Geist über der Szenerie zu schweben.

Warner Bros. Horrorfilme der 30er

Die gesamte Gang der “Desgoffes und Taxis”, von Tilda Swintons schnell versterbender Matriarchin bis zu Willem Dafoes kaltblütigem Katzenkiller, könnten im Grunde direkt einem James-Whale-Film entstiegen sein, besonders was ihre Frisuren angeht.

© 20th Century Fox

Freud, Sigmund

Jeff Goldblums Bart. (aus dem Presseheft)

Bond, James

Ausgemacht von Dirk Knipphals in der “taz”. Vielleicht hat ihn die Ski-Verfolgungsjagd an On Her Majesty’s Secret Service (1967) erinnert. Obwohl Karl Gaulhofer darin eher ein Zitat von Vertigo (1958) erkennt.

Tystnaden (1963), The Sound of Music (1965) und The Shining (1980)

Jeder sieht, was er sehen möchte. Tim Lindemann erkennt in der Idee vom verlassenen Hotel Gemeinsamkeiten mit Ingmar Bergmans Film. Tim Robey vom “Telegraph” erkennt die Referenz an Kubrick vor allem in einer Fellatioszene und ich musste – vor allem wegen der Zuckergussenen Farben doch an das Musical denken, in dem auch ein großes, schickes Haus in den Bergen plötzlich von Nazis besetzt und zum Offizierskasino umfunktioniert wird – mit Fahnen und allem.

Weitere DNA-Stränge gerne in die Kommentare!

Danke an Björn für den Namen “Movie Genome Project” und an den Kritikerspiegel von “film-zeit.de”.

Martin Urschel über sein Buch “The Wire – Netzwerke der Gewalt”

The Wire gilt nicht nur bei “Entertainment Weekly” gerne als beste Fernsehserie aller Zeiten. Die fünf Staffeln, in denen Schöpfer David Simon mit seinen Autoren und Schauspielern gemeinsam ein Sittengemälde der amerikanischen Stadt im anbrechenden 21. Jahrhundert zeichnet, verlangen einem zum Einstieg ein bisschen was ab, belohnen etwas Geduld dafür dann aber umso reichhaltiger mit großen Charaktermomenten und auf erstaunliche Weise zusammenlaufenden Fäden. Anfang des Jahres ist ein neues Buch zu The Wire erschienen – verfasst von Real-Virtuality-Gastblogger Martin Urschel. Deswegen habe ich ganz nepotistisch ein kurzes E-Mail-Gespräch mit Martin geführt.

Dein Buch beruht ja auf deiner Diplomarbeit. Wie wäre denn die Zusammenfassung im Stil der Seite Lolmythesis?

Watching The Wire won’t make you a better person, but it could make you want to change the world.

Ernsthaft – wenn jemand jetzt nicht ausgerechnet zu “The Wire” und Gewaltnetzwerken recherchiert, warum könnte dein Buch trotzdem interessant sein?

Mein Buch beschäftigt sich mit zwei großen Themengebieten: Fernsehen und amerikanischer Gesellschaft. The Wire ist eine wunderbare Serie und ich würde sie jeder und jedem empfehlen, die oder der den Blick über den Tellerrand wagen möchte. Sie ist nicht ganz einfach zu Beginn, aber sie belohnt ein Publikum, das bereit ist, die ungewöhnliche Wege mitzugehen. Die Serie dient in meinem Buch als Aufhänger. Durch die Serie betreten wir große Debatten, nicht nur akademische, sondern auch politische Debatten: Wie ist eine friedlichere, freiere Gesellschaft heute denkbar? Um nicht weniger geht es mir und um nicht weniger geht es in der Serie. Die Serie stellt diese Frage auf eine sehr ungewöhnliche Weise. Die Erzählformen sind abseits dessen, was man von anderen Fernsehserien kennt.

Mich interessiert aber auch die Frage: Was können wir von der Art, wie The Wire erzählt ist, lernen über das Medium Fernsehen? Dafür verorte ich die Serie in der Fernsehgeschichte, schaue mir verschiedene Bewegungen an, die wir zur Zeit wahrnehmen können. Kino, Fernsehen und Internet wachsen zusammen, durchmischen sich einerseits, aber driften auch auseinander andererseits, weil sie versuchen, sich abzugrenzen. The Wire ist da ganz klar ein Produkt der Zeit, in der die Serie entstanden ist. Auf einem anderen Sender als HBO wäre sie wohl nicht so zustande gekommen.
Wer The Wire gar nicht gesehen hat und nicht sehen möchte, wird es mit dem Buch sicher schwer haben.

Ich erinnere mich, dass wir im Sommer noch drüber gesprochen haben, ob du deine Arbeit evtl. als eBook oder im Open Access-Verfahren veröffentlichst. Du hast dich im Endeffekt dagegen entschieden, kannst du sagen warum?

Für Open Access habe ich große Sympathie, ich mag diese Demokratisierung von Wissen und Ideen, wie beim “Project Gutenberg” usw. Überhaupt, wie man im englischsprachigen Raum Urheberrecht organisiert hat, dass Inhalte nach einiger Zeit in den Besitz der Allgemeinheit übergehen, wenn nicht der Autor oder seine Nachfahren Anspruch erheben, das liegt mir näher als das elende deutsche Urheberrecht. Meine Entscheidung für die gedruckte Buchform hatte zwei Gründe. Ich wollte mir selbst auferlegen, noch einmal sehr gründlich das Buch zu überarbeiten, strukturell, inhaltlich und auch in der Form, so dass das Schriftbild einheitlich und klar ist. Dazu hätte mir bei Open Access Publishing sicherlich der nötige Druck gefehlt. Es ist komplizierter, aufwändiger ein gedrucktes Buch hinzukriegen, eine größere Hürde – aber irgendwie bedeutet es mir dann auch mehr. Auch schätze ich den Geruch und die Haptik von gedruckten Büchern. Jedem sein Fetisch …

Das Buch ist jetzt in einem durchaus angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienen. Könntest du nochmal kurz erklären, wie der Prozess ablief (weil das, glaube ich, vielen gar nicht so bewusst ist, wie der Wissenschaftsbuchmarkt im Endeffekt oft tickt)?

Zuerst wurde ich vom Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Norbert Grob, angefragt, ob ich meine Diplomarbeit in seiner Buchreihe “Filmstudien” veröffentlichen möchte. Er hatte die Arbeit zuvor betreut, kannte sie also gut. Ich habe sofort zugesagt, er hat dann ein paar Punkte genannt, auf die ich bei der Überarbeitung des Textes achten solle. Daraufhin habe ich mich mit dem Verlag in Kontakt gesetzt und die haben mir genau erklärt, welche Vorgaben ich erfüllen muss, und welche Eigenbeteiligung an den Druckkosten ich auch zu tragen habe (falls es interessiert: mehrere hundert Euro). Von so einem Buch wird man also nicht reich, bestenfalls kann man die Eigenkosten refinanzieren, wenn wir es schaffen, mehr oder weniger die gesamte erste Auflage zu verkaufen.
Ich habe das Buch also nicht des Geldes wegen veröffentlicht, sondern um nicht für die Schublade geschrieben zu haben, und weil ich mir selbst zeigen wollte, dass ich die Willenskraft habe, diesen komplizierten Prozess zu bewältigen. Ich möchte auch gerne in einer gewissen Öffentlichkeit zu meinen Positionen stehen, die ich entwickelt habe. Das hat etwas mit Verantwortung-Übernehmen zu tun und ist ein kleiner Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung, hoffe ich.

Wenn du “The Wire”-Schöpfer David Simon mal persönlich treffen könntest, worüber würdest du dich gerne mit ihm noch unterhalten, was du im Buch für dich nicht klären konntest?

Eigentlich ist David Simon gar nicht so wesentlich für meine Analyse von The Wire. Ich zitiere ihn zwar mehrfach, aber die Serie spricht eigentlich komplett für sich, dafür braucht man nicht den Autor. Aber ich würde gerne mal mit ihm essen gehen und über seine Erfahrungen im Fernsehbusiness plaudern. Nachdem seine letzte Serie Tremé auf HBO nun zu Ende gegangen ist, bin ich gespannt, wie er sich weiterentwickeln wird.

Du beobachtest ja auch die Serienlandschaft generell. War The Wire da jetzt der Höhepunkt einer kurzen Glanzphase oder stehen uns weitere Meilensteine bevor? Wo liegen deine Hoffnungen?

Ich würde die Medienlandschaft gerade in einer Phase der kompletten Neuorientierung und Umstrukturierung sehen. The Wire hat uns da ein hervorragendes Beispiel gegeben, wie man diesen Wandel nutzen kann, um etwas ungewöhnliches auszuprobieren, die Grenzen des Möglichen neu zu stecken. Da dieser Wandel in der Technologie, in der Gesellschaft, in der Kultur und in den Erzählformen nicht umzukehren ist, wüsste ich nicht, wie das eine kurze Glanzphase wäre und nicht eine tiefschürfende und bleibende Veränderung. Ich erwarte ganz sicher weiterhin große Meilensteine, gerade im “Neuen TV” (wozu ich auch Onlineformen zähle), das sich gerade erst entwickelt. Fernsehen ist in Zukunft vielleicht eher ein Ort für Experimente und ambitionierte Projekte als das Kino, wo der Trend dahinzugehen scheint, dass es eine immer größere Kluft zwischen Mega-Multiplex-Kinos mit herrlichem Spektakel und immer kleineren Programmkinos mit verrückten Nischenfilmen gibt. Das kontrastreiche Dazwischen, der Raum wo man gleichzeitig für viele erzählt und gleichzeitig Experimente wagen kann, das scheint mir immer mehr im Fernsehen stattzufinden. Aber wer kann das schon absehen?

Ich freue mich jedenfalls schon auf die neue HBO-Serie True Detective und auf die nächsten Staffeln Game of Thrones, auch wenn mich seit der zweiten Staffel das Maß an Sadismus in der Gewaltdarstellung abschreckt, die zugrundeliegenden Bücher setzen ihre Schwerpunkte da anders. Aber auch im deutschen Fernsehen tut sich einiges! Ich würde mich freuen, auch bei uns mehr eigentümliche Visionen von Filmemachern zu sehen, die es wagen, vom Kino einen Ausflug ins Fernsehen zu machen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, eine Serie oder Miniserie zu entwerfen und zu betreuen. Es braucht hier auch ein paar starke Visionäre wie Simon, die Dinge möglich machen, statt immer nur dem hinterherzulaufen, was bereits möglich ist.

Und schließlich: Bitte erklär doch noch mal kurz, warum The Hobbit in zwei Filmen besser erzählt hätte werden können als in dreien und warum man das in The Desolation of Smaug so gut sieht.

Ganz einfach: Man merkt in Desolation of Smaug deutlich den Punkt, an dem der erste Film hätte enden sollen. Ursprünglich war das ja der Plan, so wurden die Drehbücher geschrieben, so wurden die Filme gedreht – erst im Schnitt kamen sie dann auf die Idee, irgendwie anders zu schneiden und dadurch drei statt zwei Filme zu machen. Es gibt gleich zu Beginn von Desolation das große Finale, das Unexpected Journey fehlte: Die Flucht in den Fässern. Dann hat die Geschichte einen Ruhe-Punkt erreicht, wo man einen gewissen Abschluss hat, und zugleich wissen will, wie die Geschichte ausgeht. Stattdessen endet Unexpected Journey irgendwo am Anfang des dritten Aktes, diese Szene mit den Bäumen und den Wargen wird unnötig aufgebläht, funktioniert aber nicht so recht als befriedigender Höhepunkt, nachdem man gerade die spektakuläre Orkstadt-Sequenz hinter sich gebracht hat. Unexpected Journey ist zugleich zu lang, weil er viele redundante und überlange Szenen hat, und zu kurz, weil er an einem ungünstigen Punkt endet.

Desolation beginnt dann mit dem Ende des ersten Teils, was ein komisches Gefühl gibt, dann wechselt der Film mittendrin die Tonart, wird ernster und langsamer. Ich mochte die Szenen in Laketown viel lieber als alles, was uns Jacksons Hobbit-Filme vorher präsentiert haben. Aber auch Desolation hört irgendwo mittendrin auf, da gibt es gar kein Gefühl von Abschluss, alles hängt in der Luft, einige Figuren plumpsen geradezu aus dem Film, mitten in einer Verfolgungsjagd. Das ist schlechter Stil. Auch wenn man einen Cliffhanger macht, sollte es einen gewissen Abschluss der Handlunsgbögen geben – man vergleiche das mit Empire Strikes Back oder Back to the Future 2, wo alle Konflikte des Films zusammengefaltet werden, aber eine grundsätzliche Rest-Spannung auf den abschließenden Teil verweist. Keiner der beiden Hobbit-Filme hatte ein solches Ende. Schade. Hoffentlich hat wenigstens der dritte Teil ein ordentliches Ende und mäandert nicht wieder so wie Return of the King seinerzeit.

“The Wire: Netzwerke der Gewalt” ist im Nomos-Verlag erschienen, hat 104 Seiten und kostet 19 Euro. Zu kaufen bei Nomos oder bei amazon.de.

Wenn die Filmkritik das Gespräch sucht

The Wolf of Wall Street war nicht jedermanns Sache. Meine zum Beispiel nicht. Doch da ich die Gelegenheit hatte, nach dem Kino noch mit zwei Kollegen kurz über den Film zu sprechen, wusste ich direkt, dass ich mit dieser Meinung nicht überall auf Zustimmung stoßen würde. Lukas Foerster und Ekkehard Knörer ging es anscheinend ähnlich. Die beiden fingen auf Facebook an, ihre konträren Meinungen zum Film auszutauschen und entschieden sich schließlich, ihre Diskussion in Gänze bei “Cargo” zu veröffentlichen. Das Ergebnis ist faszinierend zu lesen: Zwei Menschen wechseln höchstkluge Argumente – und am Ende darf man sich selbst irgendwo dazwischen positionieren.

Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob das so selbstverständlich ist. Kritik, so scheint es mir doch meistens, ist traditionell nach wie vor etwas, was alleine geschmiedet wird. Der Kritiker, die Kritikerin erfassen das Objekt, das sie konsumieren wollen, sie ordnen es ein, bilden sich eine Meinung und gießen diese Meinung dann in Worte. Diese Worte werden dann auf die Welt losgelassen, man darf dann auch auf sie reagieren – aber es ist nicht selbstverständlich, dass ein Kritiker oder eine Kritikerin sich die Blöße gibt, noch nicht in Stein gemeißelte Ideen in den Ring zu werfen, um sie mit anderen zu diskutieren.

Ein Mehrwert für alle

Kritikerinnen und Kritiker, die den Mut haben, ihre Ideen anderen im Gespräch gegenüberzustellen und damit im Zweifelsfall Gefahr laufen, von den Ideen ihres Gegenübers erdrückt zu werden, schaffen für alle Beteiligten einen Mehrwert. Sie selbst werden gefordert, ihre Eindrücke gegenüber Fachgenossen zu verteidigen. Und die Lesenden bekommen auf einen Schlag gleich ein Spektrum von Meinungen, in dem sie sich orientieren können.

Ich will dem Internet nicht die Ehre zuschieben, in diesem Bereich irgendetwas erfunden zu haben. Die Fernsehsendung “At the Movies” — für US-Amerikaner, die in den 80ern und 90ern groß wurden quasi die filmische Früherziehung — hat in dem Format Geschichte geschrieben. Auch Podiumsdiskussionen und andere Dialogveranstaltungen haben Tradition. Und Dialoge als Textform gehören mit ihren antiken Vorbildern schließlich an den Anfang aller westlichen Gedanken.

Ich glaube aber doch, dass die vernetzte Welt ihren Teil dazu beigetragen hat, der dialogischen Kritik neuen Antrieb zu geben. Denn schließlich ist das Internet, das “Web 2.0” allemal, im Grunde eine einzige “Conversation”, wie schon das Cluetrain-Manifest behauptete. Es lebt davon, dass man aufeinander reagiert, ins Gespräch kommt, Impulse abgibt und anderswo aufnimmt. Das kann nebenbei geschehen – in Kommentarthreads unter Blogs oder auf Facebook, in Twitter-Hin-und-Hers – oder ganz geplant, wie im Ur-Webformat Podcast, aber es zeigt auf jeden Fall Wege auf, auf die sich gerade die Filmkritik meiner Ansicht nach ruhig viel öfter verirren könnte.

Kleine Topologie des Filmgesprächs

Wie kann ein Filmgespräch praktisch aussehen? Für den Anfang ist der oben genannte Foerster/Knörer-Weg vielleicht der einfachste. Treibt einen ein Film oder ein Thema um, suche man sich einen Kollegen oder eine Kollegin, der man vertraut und auf deren Meinung man etwas gibt und tauscht Argumente aus. Ich habe das hier im Blog auch schon versucht – allerdings waren die Meinungen in diesen Gesprächen weniger konträr. Es gibt auch ein deutschsprachiges Blog, dass sich nur dieser Form verschrieben hat.

Hat man mit einem Gleichgesinnten erstmal eine gewisse Sicherheit im Gespräch erlangt, kann ein Gast das ganze sehr gut aufmischen. So funktionieren nicht wenige Podcasts, nicht zuletzt die Folge von “Kontroversum”, die mich auf den “Cargo”-Artikel gebracht hatte. Auch der “/filmcast” oder “The Golden Briefcase” arbeiten gerne mit dem “Zwei plus Eins” Prinzip.

Die nächste Stufe ist dann eine größere Runde, in der das Thema reihum gereicht wird. Hier ist schon etwas mehr Konzentration vonnöten, weil am Schluss des eigenen Beitrags möglichst immer noch ein Anknüpfungspunkt für den nächsten Redner gegeben werden sollte, um es der Leserin leichter zu machen. Das regelmäßige Feature The Conversation von “The Dissolve” funktioniert so und auch mein filmjournalistisches Highlight eines jeden Jahres, der “Slate” Movie Club, in dem vier Journalisten jeweils vier Beiträge schreiben und in diesem Reigen versuchen, die kritische Beurteilung des vergangenen Jahres Revue passieren zu lassen.

Und schließlich ist da die freie Gesprächsrunde mit mehr als drei Teilnehmenden. Wiederum das Feld vieler Podcasts, aber nicht unbedingt derer, die ich persönlich am liebsten höre. Hier ist gute Moderation vonnöten und die Gefahr, dass einzelne Meinungen untergehen, wächst mit jedem zusätzlichen Teilnehmer, ebenso wie bei Podiumsdiskussionen. Im besten Fall entsteht natürlich völlig unabhängig von der Anzahl der Mitredenden brillanter Denkstoff.

Beispiele für weitere Gesprächsformate gerne in die Kommentare!

Bild: Flickr Commons/Arsene Paulin Pujo (1861-1939), Representative from Louisiana (1903-1913)

Die Filmosophen suchen Nachwuchs

Ich habe “filmosophie.com” schon einmal hier im Blog vorgestellt. Das ehemals fünfköpfige Autorenteam hinter der Website wurde kürzlich um einen Kopf kürzer gemacht, als Patrick Thülig (“Kontroversum”) als regelmäßiger Autor ausstieg. Und seit heute suchen die Filmosophen Ersatz. Vielleicht eine Gelegenheit für den ein oder anderen Filmblogger da draußen, seine Arbeit in einen neuen Kontext zu stellen?

Mehr zu Filmosoph gesucht: We want you!

Meet the Bloggers – Berlinale 2014

Auf der Berlinale 2013 gab es, im Nachklang der Diskussion zur Deutschen Film-Blogosphäre erstmals ein gut besuchtes Bloggertreffen im Mommseneck, auf dem fröhlich diskutiert und einander kennengelernt wurde.

Das soll 2014 nicht anders sein. Der Tisch ist reserviert. Jeder ist willkommen. Auch Nichtblogger, die Blogger kennenlernen wollen! Das Mommseneck bietet eine umfangreiche Speisen- und Getränkekarte und ist beliebter Treffpunkt für Berlinale-Gäste.

Hier kann man vorab online zusagen.

Deutsche Film-Blogosphäre, ein Jahr danach: Zur Lage der Nation

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich in diesem Blog einen Artikel mit dem Titel “Vier Thesen zur deutschen Film-Blogosphäre” veröffentlicht habe. Für mich einer der wichtigsten Artikel, die ich je geschrieben habe, für die deutsche Film-Blogosphäre zumindest ein willkommener Stein des Anstoßes, der in den Wochen danach viel Diskussion generierte.

Doch was ist wirklich passiert, seit mein Artikel erschien? In diesem Jahr habe ich keine Interviews geführt und Statistiken kann ich leider auch nicht vorweisen. Aber ich möchte behaupten, dass ich mich im vergangenen Jahr so ziemlich immer dort bewegt habe, wo etwas mit Film-Blogosphäre passierte und mir deshalb eine Beurteilung der momentanen Situation anmaßen kann. Genau das werde ich also tun.

Es gibt eine deutsche Film-Blogosphäre

Ich will um Himmels Willen nicht behaupten, dass mein Artikel eine Film-Blogosphäre erschaffen hat, wo vorher keine war. Wofür ich mir ein bisschen auf die Schulter klopfe, ist, dass dann doch eventuell einige Leute aufeinander aufmerksam geworden sind, die sich vorher nicht kannten (das war das häufigste Feedback, das ich bekommen habe) und dass einige Aktionen ins Leben gerufen wurden, die versucht haben, auf meinen Artikel aufzubauen. Leider sind einige davon auch wieder versandet, etwa die Facebook-Gruppe und das Blog Film-Blogosphäre, aber die Gründe dafür liegen, anders als ich noch vor einem Jahr gedacht hätte, tiefer als in reiner Ignoranz (mehr dazu gleich).

Ich möchte behaupten: Das reine Interesse an Aktionen wie meinem “Film Blog Group Hug”, dem “Media Monday”, der sichtbarer ist denn je, den oft sehr lebhaften Diskussionen auf Twitter und in der von Merkur Schröder (aka Intergalactic Ape-Man) gegründeten Facebook-Gruppe Deutsche Filmblogger zeigt, dass die deutschen Netzfilmschreiber einander zum großen Teil zumindest kennen. Alles andere hängt vom Willen und vom Engagement jedes Einzelnen ab.

Die “Cluster”, von denen ich das letzte Mal gesprochen habe, gibt es natürlich trotzdem. Ich glaube, dass ich sie inzwischen auch etwas besser differenzieren kann, als noch vor einem Jahr. Der sie verbindende Kleber besteht aus persönlicher Bekanntschaft und einem gemeinsamen Blick auf die Filmwelt und ich habe inzwischen einfach eingesehen, dass sie sich nie alle in einen Topf pressen lassen werden (und wollen). Frei nach Mark Granovetter wird es in diesem Bereich weiter die “Strength of Weak Ties” brauchen, um über die Cluster hinaus Brücken zu bauen, das ist aber okay so.

Einige Deutsche Filmblogcluster

Wie schon gesagt spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, damit publizierende Menschen von außen wahrnehmbare Gruppen bilden. Die Berliner Online-Profis, zum Beispiel, sehen sich, so ist meine Wahrnehmung, persönlich regelmäßig bei Pressevorführungen und schreiben für die gleichen Auftraggeber, etwa Filmstarts.de und kino-zeit.de. Sie sind außerdem, grob geschätzt, alle zwischen Mitte Zwanzig und Ende Dreißig und leben eben zum Teil vom Schreiben oder machen was anderes “mit Medien”. Sie sind durchaus zu trennen von den Berliner Feuilletonisten, die sich eher um Zeitschriften wie “Cargo” und “Revolver” sowie den “Perlentaucher” gruppieren, im Schnitt vielleicht etwas älter sind und auf jeden Fall einen ganz anderen, deutlich arthousigeren und Filmklassiker stärker schätzenden Filmgeschmack haben.

Den Berliner Feuilletonisten nahe stehend, aber doch irgendwie ihr eigenes Süppchen kochend, sind die Trash-Liebhaber. Ich benutze das Wort “Trash” hier sehr weitläufig, weil ich persönlich von diesem Filmsegment absolut keine Ahnung habe. Es geht mir im weitesten Sinne um alle Arten der Exploitation, um abseitiges Genrekino, dessen andauernde Faszination immer noch und immer wieder Liebhaber zusammenschweißt. Gewisse Überschneidungen gibt es wahrscheinlich mit den Engagierten Amateuren, einer recht großen und losen Gruppe, die sich (und ich hoffe, dass ich dafür nicht wieder Prügel beziehe) für mich vor allem dadurch auszeichnet, dass die ihr Zugehörigen meist außerhalb des Bloggens keinerlei professionelle Bindungen zur Film- oder Medienwelt haben. (Es gibt noch mehr Cluster, aber die sind kleiner, manchmal etwas unscharf und ich habe keine guten Namen für sie)

Das mit der “professionellen Bindung” ist für mich nach wie vor eine Demarkationslinie, an der ich einfach nicht vorbei komme. Ich merke es in Alltagsgesprächen ebenso wie im Stil der Texte, die dabei entstehen. Es ist einfach ein Unterschied, ob man gerne und viel Filme guckt, oder ob man sich systematisch und beruflich mit Film beschäftigt. Bei letzterem ist es wiederum fast egal, ob man Filmwissenschaft studiert hat und sich weiter im akademischen oder randakademischen Bereich aufhält, ob man Kinoprogramme kuratiert, Festivals organisiert und sich im Kulturbetrieb bewegt oder ob man als Filmjournalist oder in der Film-PR arbeitet (oder alles drei). Das Verhältnis zu Film als Medium ändert sich einfach, meiner Meinung nach vor allem deswegen, weil man mehr Filme “unfreiwillig” sieht und dadurch seinen eigenen Horizont zwangsweise in unerwartete Richtungen erweitert.

Das Ergebnis ist nicht unbedingt, dass “Profis” auf “Amateure” hinabblicken, ganz und gar nicht. Aber ich stelle immer wieder fest, dass es schwieriger ist, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Und damit ist es natürlich auch schwieriger, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Die Themen und Wahrnehmungen der Filmwelt verschieben sich einfach.

Warum sollte mich deine Kritik interessieren?

Vor einem Jahr habe ich quasi gefordert, damit eine Filmblogosphäre wachsen könne, müssten wir einander mehr lesen. Diese Initiative wurde unter anderem in dem oben erwähnten WordPress-Blog und auch der spontan gegründeten “Film-Blogosphäre”-Gruppe auf Facebook aufgegriffen, die dann vor allem Filmkritiken sammelten. Und in der Tat besteht ein großer Teil der über Film bloggenden Menschen in Deutschland aus Menschen, die einfach eine Filmkritik nach der anderen ins Netz stellen.

Hier nun entfaltet sich am deutlichsten das Dilemma der Filmkritik im Internetzeitalter. Um aus einer einzelnen Filmkritik als Leser einen Wert ziehen zu können, muss man die Autorin kennen. Entweder persönlich oder dadurch, dass man schon einige Texte von ihr gelesen hat. Als mediativer Faktor kann eventuell hinzukommen, dass jemand anderes dafür bürgt, dass die Meinung dieser Person etwas “wert ist”. Bei professionellen Filmjournalisten ist das die Person, die die Autorin dafür bezahlt, dass sie über den Film schreibt.

Dieser Bürge existiert bei Bloggern nicht. Das heißt auf keinen Fall, dass die Meinung deswegen schlechter ist. Es heißt nur, dass ich als Leser mehr Zeit investieren muss, bevor ich mir selbst ein Urteil bilden kann. Und für mich bedeutet das dann wiederum häufig, dass ich mir die Mühe gar nicht erst mache – und ich denke mir, es geht anderen ähnlich. Die Qualität der Texte sinkt ganz und gar nicht, es gibt nur mehr davon und sie sind schwerer zu finden. Und Blogs, die eben nur aus Kritiken bestehen, verlassen meinen Radar.

Ich wünsche mir immer noch ein Leitmedium

Um diese ärgerliche Situation zu verbessern, wünsche ich mir einfach immer noch einen Aggregator, der für mich alles liest und mir eine Auswahl präsentiert. Und damit meine ich eben nicht (Sorry!) die x-te “Der Film hat mir gefallen/nicht gefallen”-Kritik, mit der ich nichts anfangen kann, außer ich bin mit der allgemeinen Meinung der Autorin vertraut. Sondern herausragende Texte, die zur Diskussion anregen und Erkenntnis fördern. Und obwohl es konterintuitiv klingt: Gute Kuratierung führt dazu, dass man mehr liest, nicht weniger. Sie regt dazu an, selber weiter auf Entdeckungsreise zu gehen. Mit anderen Worten: Im Idealfall würden wir einander alle mehr lesen.

Es gibt Seiten, die das im Ansatz machen. Die Facebook-Seiten von Revolver und crew united, zum Beispiel, sind hervorragende Quellen für interessante deutschsprachige Filmartikel – werden jetzt aber auch durch Facebooks neue Reach-Politik ausgehebelt. Film-Zeit veröffentlicht täglich einen Pressespiegel zum Thema Film, in dem immer mehr Blogs auftauchen, den man aber nicht abonnieren kann, weder als Feed noch über Social Media. Von etwas wie “Keyframe Daily” sind wir trotzdem noch meilenweit entfernt.

Mir ist bewusst, dass das eine hohle Klage ist, denn entweder findet sich jemand, der bereit ist, täglich durch die deutschsprachigen Onlinepublikationen zum Thema Film zu sieben, oder eben nicht (Wenn ich irgendwann mal arbeitslos bin, mach ich es). Und sicherlich wäre ein guter Aggregator kein Allheilmittel. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Einfach machen, einfach wollen

Am Ende hilft alles Jammern nichts, man muss einfach machen. Und ich habe eben das Gefühl, dass sich da durchaus was tut und bewegt. Angefangen von den Filmosophen, die sich Gemeinschaft auf die Fahnen schreiben (was sie anfangs nicht gemacht haben), zu den Plänen von Sascha und mir, den “Pewcast” wiederzubeleben und dabei möglichst oft Gäste von überall einzuladen (wie es auch andere Podcasts inzwischen immer häufiger machen). Ich werde außerdem weiterhin nicht ruhen, auf jedem Festival, das ich besuche, zu versuchen, die Menschen hinter den Blogs zu treffen. Denn wenn ich eins gelernt habe ist es, dass in der Blogosphäre nichts so sehr verbindet wie ein persönlicher Kontakt.

Natürlich muss man diese Verbindung wollen. In der “Deutsche Filmblogger”-Gruppe gab es im Dezember eine heftige Diskussion, in der darum gestritten wurde, ob man Kodifizierung und zwangsweise Unter-einen-Hut-Bringung überhaupt braucht. (Wie auch schon damals vor einem Jahr). Die Antwort lautet natürlich: NEIN. Macht doch alle, was ihr wollt. Homogenisierung ist nicht das Ziel. Wer mit dem größten Teil der über Film bloggenden Menschen nichts anfangen kann und will, muss sich mit ihnen nicht beschäftigen. Ich persönlich stelle nur immer wieder eins fest: Es ist eine große Bereicherung für einen selbst, wenn man es – auch gegen alle Vorurteile, die man haben mag – eben doch mal macht.

[Update, 20. Januar. An dieser Stelle ist eine offizielle Entschuldigung bei Marco Koch vom “Filmforum Bremen” angebracht, der seit langer Zeit schon unermüdlich jede Woche in seinem Bloggen der Anderen in seinem Interessenfeld genau die Art von Aggregation vornimmt, die ich mir in diesem Artikel wünsche. Ich lese seine Rubrik jede Woche und habe natürlich auch beim Schreiben dran gedacht – und sie dann im Eifer des Gefechts doch vergessen. Entschuldige, Marco!]

Podgast (IV)

Ich habe mich sehr gefreut, dass mich Sidney mal wieder gefragt hat, ob ich bei einem seiner Podcasts mitmachen möchte. Das Ergebnis, anderthalb Stunden Diskussion zu den Oscar-Nominierungen mit Antje von “Buy a Movie” und Stephan von “Die Academy”, ist jetzt online.